Wahr oder Legende: Robert Hübner

Das waren Zeiten: Hübner vs Petrosian, Januar 1971 in Wijk aan Zee Das waren Zeiten: Hübner vs Petrosian, Januar 1971 in Wijk aan Zee Foto: Bert Verhoeff/ Anefo, The Dutch National Archives

Beim Aufräumen, Umsortieren, Staub aufwirbeln in meinen Gemächern stolperte ich über ein lang vermisstes Exemplar der englischen Schachzeitung Not the British Chess Magazine (N.T.B.C.M.), mutmaßlich aus dem Jahr 1984, als die Welt noch eine andere war - genügend Elefanten in Afrika, noch keine tödlichen Neonicotinoide auf den Feldern, die alle Insekten und bald dann auch uns dahinraffen werden - darum, Leute, kauft und unterstützt BIO-Lebensmittel, dringend dringend dringend.

Und 1984, Bayern wurde noch nicht jedes Jahr Meister in jenem Jahrzehnt, stattdessen auch mal der ... Hamburger SV! (bedauerlicherweise nur war ich zu dieser Zeit noch nicht HSV-Supporter, sondern, sorry about that, ein Anhänger des FC Bayern München - so ist das manchmal in der Jugend, bei mir jedenfalls).

Doch ich schweife ab? Und in der Tat, das ist ja das Problem in diesem Internet, dass immer genug Platz ist zum Schreiben und die Sätze ewig weitergehen können, denn es gibt keine Seitenbegrenzung und mein Schachwelt-Blog-Präsident und Großmeister Jörg Hickl sieht das auch nicht so eng, so dass man theoretisch schreiben und schreiben und schreiben und schreiben könnte, und schreiben und schreiben und schreiben, bis irgendwann mal der Strom ausfällt oder man in die Küche muss, um abzuwaschen und damit den häuslichen Frieden zu wahren oder aber um ein kaltes Getränk aus dem Kühlschrank - aber genug der langen Worte.
Jetzt wieder Schach, versprochen!

 Not the British Chess Magazine

Das Not the British Chess Magazine also von 1984, es erscheint nach eigenen Angaben ansonsten alle 150 Jahre. Noch ist also etwas Zeit, ehe die nächste Ausgabe auf den Markt kommt. Vorbestellen lohnt.
Denn in diesem wunderschönen Magazin wird Investigation noch ganz groß geschrieben - man findet aktuelle Recherchen zu Bobby Fischer, eine Einführung für das große WM-Match Karpov - Kasparov sowie einige Ausführungen zu vegetarischem Schach.
Ergänzt wird dies unter anderem um einen historischen Blick auf die längste Fernpartie wohl aller Zeiten, begonnen zur Zeit der Kreuzzüge zwischen einem französischen und einem englischen Ritter - und weitergespielt über die Jahrhunderte bis heute. Der Postweg kann zäh und langsam sein, wir kennen das.

Eine Meldung neben anderen erregte nun meine Aufmerksamkeit, denn es geht dabei um Robert Hübner, Großmeister und Legende wie Jörg Hickl und Vincent Keymer. Das N.T.B.C.M. berichtet:

The fastest double default. Hubner and Rogoff were paired together on Board 1 for the World Students Team Championship, playing for West Germany and the USA respectively.
Hubner had just finished an extremely long game and asked to be rested but his match captain would not agree.
They first agreed an instant draw but the arbiter told them they must play a game of reasonable length. Now over 200 moves were played at breath-taking speed. As usual a 0-0 result.

Flott online übersetzt mit Dank an www.pons.de (das hätte sich 1984 so auch noch niemand vorstellen können):

Die schnellste doppelte Voreinstellung. Hubner und Rogoff waren zusammen an Board 1 für die World Students Team Championship, jeweils für Westdeutschland und die USA.
Hübner hatte gerade ein extrem langes Spiel beendet und bat darum, ausgeruht zu werden, aber sein Match-Kapitän wollte nicht zustimmen.
Sie stimmten zunächst einem sofortigen Unentschieden zu, aber der Schiedsrichter sagte ihnen, sie müssten ein Spiel von angemessener Länge spielen. Jetzt wurden über 200 Züge mit atemberaubender Geschwindigkeit gespielt. Wie üblich ein 0-0 Ergebnis.

Beide Spieler also, Rogoff und Hübner, wurden offenbar genullt, weil sie den Turnierregeln mit ihrem Verhalten (200 schnelle Züge!) keinen Respekt erwiesen.

Wir fragen: Wahr oder Legende - stimmt diese Geschichte, oder ist sie einfach nur sehr schön ausgedacht? Einschätzungen bitte kostenfrei unten im Kommentarbereich. Wir lösen auf in 113 Jahren, sobald das nächste N.T.B.C.M. erschienen ist!


Könnte man gerne mal wieder ins Programm aufnehmen - Schach der Großmeister (hier aus dem Jahr 2002)

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 MiBu 2021-04-10 21:00
Meines Wissens ging die Geschichte so: Hübner und Rogoff wollten ein kampfloses Remis vereinbaren, das aber die Schiris nicht goutierten. Also setzten sie sich hin und produzierten so was wie 1.e4 e5 2.Ke2 Dh4 usw. und einigten sich dann auf Remis oder es gab eine Stellungswiederholung. Die Schiedsrichter fühlten sich veräppelt und setzten eine dritte Partie an, zu der Hübner nicht erschien und genullt wurde. Ich kann aber weder eine Quelle dafür benennen noch Garantien für mein nachlassendes Gedächtnis übernehmen.
#2 MiBu 2021-04-10 21:09
Wirklch wahr ist aber Folgendes: In der letzten Runde einer SVM-Jugend-Meisterschaft wurde ich mit Schwarz gegen einen Kollegen aus dem gleichen Verband gepaart. Der TL wollte uns nach 1.b3 Remis beide nullen. Wir spielten also noch eine Partie, die wie folgt verlief:
1. e2–e4 e7–e5 2. Sb1–c3 Lf8–c5 3. Sc3–a4 Lc5xf2+ 4. Ke1xf2 Dd8–h4+ 5. Kf2–e3 Dh4–f4+ 6. Ke3–d3 d7–d5! 7. Kd3–c3 Df4xe4 8. Kc3–b3 Sb8–a6 9. a2–a3 De4xa4+ 10. Kb3xa4 Sa6–c5+ 11. Ka4–b4 a7–a5+ 12. Kb4xc5 Sg8-e7 13. Lf1–b5+ Ke8–d8 14. Lb5–c6 b7–b6+ 15. Kc5–b5 Se7xc6 16. Kb5xc6 Lc8–b7+ 17.Kc6–b5 Lb7–a6+ 18. Kb5–c6 Remis.
Der Turnierleiter konnte den Remisschluss nicht glauben, aber wir konnten ihm unter Beweis stellen, dass keiner gut abweichen kann. Diejenigen der Spieler, die im Gegensatz zu Herrn B.S: das Vorbild für die Partie kannten, feixten sich eins.
#3 Holger Hebbinghaus 2021-04-10 22:32
Wahr ist auf jeden Fall, dass 1984 der VfB Stuttgart deutscher Meister wurde...

Die Darstellung zur Partie Hübner-Rogoff (Studentenolympiade Graz 1972) ist nur teilweise korrekt
Im ersten Versuch spielten die beiden Akteure 1.c4 0,5:0,5
Dies wurde vom Schiedsrichter nicht akzeptiert, somit folgte eine zweite Ansetzung, die wie folgt verlief:
1. c4 Sf6 2. Sf3 g6 3. Sg1 Lg7 4. Da4 O-O 5. Dxd7 Dxd7 6. g4 Dxd2+ 7. Kxd2 Sxg4 8. b4 a5 9. a4 Lxa1 10. Lb2 Sc6 11. Lh8 Lg7 12. h4 axb4 0,5:0,5
Auch diesem Remisschluss verweigerte der Schiedsrichter aus unerfindlichen Gründen seine Zustimmung, so dass die Partie zum dritten Mal angesetzt wurde. Diesmal trat Hübner nicht an, Rogoff allerdings schon, so dass die Partie -:+ gewertet wurde.
(Nachzulesen bei olimpbase: http://www.olimpbase.org/1972y/1972in.html)
#4 Olaf Steffens 2021-04-11 11:06
Hey Holger, gut gesehen, na klar, Stuttgart war's 1984. Aber es war gar nicht so gemeint, dass der HSV das damals gewann in der Saison - nur allgemein eben, auch mal. Danke für Deinen Hinweis, ich habe es jetzt ein bisschen umgeschrieben nochmal.

Grüße, und bis bald!

Sonst natürlich - yep, Recht habt Ihr Beide, da ist also was dran der Geschichte. Und MiBu, das Abspiel mit Lxc5xf2 ist ja sehr verwegen und würde jeder Deutschen Blitzmannschaftsmeistersc haft zur Ehre gereichen! Ich bin froh, kein Schiri zu sein, der bei solchen Fragen dann ein Urteil fällen muss.

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