Olympiad United! Dresden 2008

Autoren: Harald Fietz, Josip Asik, Anna Burtasova Sprache: Englisch Verlag: Schach Wissen Berlin Seiten: 306 Preis: 29,90 €

„Mama always said life was like a box of chocolates.“
Dieses Motto aus „Forrest Gump“ ist dem Buch Olympiad United! Dresden 2008 vorangestellt. Der Nachsatz im Film erläutert die Moral des Spruchs: Man weiß nie, was drinnen ist und was man sich herausfischt. In diesem Sinne ist auch das Buch über die letzte Schacholympiade, die zugleich auf deutschem Boden stattfand, zu verstehen: Als Dessert, lecker aufgemacht und zum Probieren einladend, kann der Leser auf die unterschiedlichsten Pralinen stoßen, wenn er hier und da kostet. Die Vielfalt und die Mischung macht den Reiz, schafft Atmosphäre. Wie in einem Puzzle erschließen sich dem aufmerksamen Leser Perspektiven und Fassetten dieser riesigen Veranstaltung. Die nackten Zahlen verraten manches, aber kaum alles. Weit über 5000 Partien wurden gespielt und fast 1300 Spieler gingen an die Bretter. Was dahinter steckt, die Welt der Olympiade, erschließt sich aus dem liebevoll arrangierten Gesamtkunstwerk des Buches.
Der Berliner Autor und Journalist Harald Fietz unternahm zusammen mit den Kollegen Anna Burtasowa und Josip Asik aus Russland und Serbien die lobenswerte Fleißaufgabe, eine aufwendige Gesamtschau der Olympiade zu gestalten und hat der Veranstaltung damit eine angemessene Würdigung gesetzt.
Schon optisch kommt es blendend daher. Im Großformat (DIN-A4), mit Hardcover und Fadenbindung bei gutem Kunstdruckpapier sehr hochwertig verarbeitet, liegt es schwer und edel in der Hand. Da eine Olympiade nicht zuletzt ein Fest fürs Auge ist, bilden einen Schwerpunkt des Buches 370 Schwarzweißbilder. Das gibt dem Ganzen ein einheitliches und klassisches Gepräge. Über die Bevorzugung von Schwarzweiß- oder Farbbildern kann man geteilter Meinung sein, etliche Puristen und Ästheten bevorzugen Schwarzweiß, zu viel Farbe wirkt gern etwas überbordend und „revueartig“; ein unbestreitbarer Vorteil ist, dass Schwarzweiß kostengünstiger ist. Ich hätte mir gerne etwas mehr Farbe gewünscht, weil nicht der künstlerische Anspruch im Mittelpunkt stehen soll, sondern vor allem die Vielfalt der Personen, deren Hautfarben, nationaler Schmuck, Kleidung, Accessoires usw., welche die Eigenheiten der Olympiade am besten widerspiegeln. Möchte man die Farbenpracht der Natur im Frühjahr wiedergeben, würde man auch kaum Schwarzweißbilder als Medium benutzen, eine wesentliche Komponente ginge dabei verloren: Die Sinnlichkeit der Farbenwelt. Aber das ist auch der einzige Kritikpunkt an diesem gelungenen Buch.
Es ist durchgängig in Englisch gehalten, die Texte aus der Feder vielfältigster Sprachfamilien zuletzt durch einen Muttersprachler ins Englische gebracht worden. Sicher die beste Lösung, bei so viel Internationalität benötigt man einen gemeinsamen Nenner. Eine praktische zudem, bietet der englische Absatzmarkt die besten Verbreitungs- und Absatzmöglichkeiten.
Gut Ding braucht Weile. Die Schacholympiade in Dresden im November 2008 liegt nun schon weit über ein Jahr zurück. Auch diese Rezension ließ etwas auf sich warten, soll nun aber hoffentlich dazu führen, dass das schöne Buch nicht vorschnell in Vergessenheit gerät. Die Wirkung der Olympiade auf das deutsche Schach und dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit blieb leider ohne messbaren Niederschlag. Mag dieses Schicksal Fietz und Co. erspart bleiben.
Kurz nach der Olympiade lag bereits ein offizielles Buch über das Ereignis vor, das nett zu schauen war, aber wie eine Werbebroschüre für die Ausrichter und den DSB daherkam. Es erinnerte an die Schnellschüsse bei anderen Sportveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaften. Kaum ist der letzte Schlusspfiff ertönt, schon werden die ersten Hochglanzbücher auf den Markt geworfen. Wer schneller veröffentlicht, hat die besten Aussichten, sein Produkt an den Mann zu bringen. Wie lange werden sich die Kunden noch erinnern? Man muss zuschlagen, solange die Emotionen frisch sind! Die Kehrseite: Die Schnellschüsse sind in ein vorgefertigtes Muster eingepasst, die Wendungen phrasenhaft. Mittelmäßigkeit bestimmt den Takt. Nicht so bei Fietz und Konsorten. Da ist das Produkt gereift wie ein guter Wein. Die Herausgeber beauftragten einige Dutzend Teilnehmer aus allen Herren Ländern und unterschiedlichen Spielklassen damit, Partien zu analysieren und über ihre Erlebnisse, ihren Alltag während des Turniers zu berichten. Da wirkt dann nicht alles so geglättet wie im offiziellen Buch, es ist uneinheitlich, aus verschiedenen Perspektiven wird anderes wahrgenommen und unterschiedlich bewertet, auch Kritik an der Organisation kommt da nicht zu kurz. Freude bei den einen, Frust bei den anderen; ganz wie im „Leben“ findet jede Regung auf der Klaviatur der Gefühle ihren Niederschlag.
Den Autoren ist es gelungen, ein lebendiges Bild zu zeichnen, abwechslungsreich, mit Blick auf die kleinen Geschichten am Rande genauso wie mit dem Focus auf Stars im Rampenlicht. Mein Tipp: Kosten Sie davon und tauchen Sie ein in das aufregende Mikrokosmos einer faszinierenden Veranstaltung! So quirlig kann nur eine Schacholympiade sein. Oder das Leben.

Wertung:  5 von 5 Punkte


IM Frank Zeller, DWZ 2362