Roter Rettich - ein Radieschen ist nichts dagegen
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Sonntag, 29 Mai 2016 13:45

Für mich soll´s roten Rettich regnen

Das pfälzische Schifferstadt, nahe Mutterstadt und Helmut Kohls Bungalow in Oggersheim, ist die Welthauptstadt des roten Rettichs. Es gibt dort in Kürze ein Stadtfest, das große Rettichfest vier Tage lang Anfang Juni, und wer mag, kann reichlich Saumagen verzehren, den Pfälzer Wein sorgfältig prüfen und eben – roten Rettich essen.

Weniger lokale Aufmerksamkeit als das ---> Rettichfest erregten vermutlich die Deutsche Blitzmeisterschaften der Mannschaften, die vor Kurzem in der schönen Pfalz stattfanden. Der örtliche Schachclub SC Schifferstadt 1922 hatte alles wundervoll organisiert – nicht nur war das Frühlingswetter spektakulär sonnig, auch im Turniersaal gab es ein königliches (Rettich?-) Büffet für Spieler und Ehrengäste, leckeren Kaffee, große Tische und eine sehr angenehme Spielatmosphäre.


Here come the Men in Black - Schifferstädter Spieler und Fans im Spiel gegen die SF Schwerin

Das Turnier wird den Teilnehmer sicher in guter Erinnerung bleiben – nicht zuletzt auch wegen der charmanten Präsente, die der SC Schifferstadt jedem Teilnehmer (!) mit auf den Rückweg gab – eine Flasche „Forster Ungeheuer“ sowie ein Weinglas, einen stolzen Bund roten ---> Rettich als regionale Spezialität (sehr lecker, wenn man ihn brät, und auch von Katzen gerne verzehrt (roh)) sowie ein kleines Kochbuch mit Pfälzer Rezepten.

Forster Ungeheuer - das ist eigentlich ein Weißwein, doch seit dieser Saison auch ein guter Name für die ebenfalls anwesende Solinger SG. Zum gehörigen Schrecken der OSG Baden-Baden spielten sie ja ungeheuerlich gut in der Bundesliga und wurden Meister, und wie heißt eigentlich ihr Sponsor? Wer weiß es? … Die Forst Technologie GmbH & Co KG!

Forster Ungeheuer
Rote Teufel München vs Forster Ungeheuer Solingen

Forster Ungeheuer also, diese Solinger, und zusammen mit den starken Klingenstädtern waren Mannschaften aus allen Ecken und Kanten der Republik in die Pfalz gereist, von Norderstedt bis München, von Berlin bis Aachen, ergänzt um die national bislang eher wenig bekannten Schachfreunde Bad Emstal/ Wolfhagen, von denen noch zu berichten sein wird.

Das in vielen Monatsblitz-Wettbewerben gehärtete Werder Blitzteam bewegte sich stets im ausgewogenen Mittelfeld und landete am Ende mit 21 : 29 Punkten auf dem sehr soliden 15. Tabellenplatz. Die als Norddeutscher Blitzmeister angereisten Grün-Weißen verdienten sich einige Punkteteilungen gegen starke Konkurrenz aus Berlin, Erfurt und Aachen (bei denen unter anderem das Schachwelt-Urgestein MiBu im Aufgebot war), und sie bezwangen die favorisierten Meisterspieler des SC Remagen mit einem furiosen 3 : 1.

Werder Schwerin
Werder (in grün) - SF Schwerin: die Punkte gingen nach Mecklenburg

Wie ---> rettich meinen König? Auf diese trickreiche Frage fanden die Werderaner (Gerlef Meins, Sven Joachim, Sven Charmeteau, Olaf Steffens, Detlef Schötzig) nicht immer eine angemessene Antwort, zumindest wenn es gegen die Top-Teams ging, und so blieb die Ausbeute mit lediglich einem halben Brettpunkt aus den Begegnungen mit Bad Emstal/ Wolfhagen (huch!?), den TSV Schönaich und Bayern München relativ überschaubar. Immerhin aber – der SV Werder konnte sich im großen Bremer Derby mit den versierten Blitzfüchsen des SK Delmenhorst mit 3 : 1 behaupten und diesen Klassiker zumindest auf diesem Turnier einmal für sich entscheiden – das hat man zur Freude des DSK ja oft schon ganz anders erlebt.

Rettichfest
Ein Rettich sieht rot - Schifferstadt lädt zu einem sympathischen Stadtfest

Neuer Deutscher Meister wurden die SF Bad Emstal/ Wolfhagen, ein hessischer Siebt- und mittlerweile Sechstligist. Dieser Verein ist möglicherweise, wer weiß das schon so genau, eine raffiniert konstruierte Tarn-Organisation, hinter der sich in Wirklichkeit die russische Nationalmannschaft verbirgt. Russland hat international schon fast alles erreicht, Olympiasiege, Weltmeisterschaften, Linkes gegen Rechtes Alsterufer, irgendwann wird es ja auch langweilig, und da musste jetzt vielleicht einfach mal ein neuer Titel her.
So kam die Deutsche Blitzmannschaftsmeisterschaft unter der Leitung von Turnierdirektor Ralph Alt offenbar gerade recht, und formaljuristisch korrekt trat die russische Auswahl vor einigen Wochen den Marsch durch die deutschen Blitz- Instanzen an. Unter dem kaum Argwohn erregenden Decknamen SF Bad Emstal/ Wolfhagen qualizierte man sich bei der hessischen Vorausscheidung unauffällig für die nationale Endrunde. 

Auch in Schifferstadt bewegte sich die russische Weltauswahl souverän durch das Turnier, schlug Bayern München, die SF Berlin und Delmenhorst und gewann in bärenstarker Besetzung ebenso prompt wie souverän den lang ersehnten Titel. Mission Deutsche Meisterschaft accomplished!

BigVlad
Born to be Vlad - der hessische Ex-Weltmeister Kramnik mit den schwarzen Steinen.
Direkt am Tisch dahinter
Turnierdirektor Ralph Alt aus München.

Gerne gratulieren wir daher sowohl den Spielern - my pasdrawlájim, Vladimir Kramnik (!!), Alexander Riazantsev, Boris Savchenko, Pavel Ponkratov und Sergei Rublevsky – und gleichfalls den SF Bad Emstal/ Wolfhagen, die durch dieses nordhessische Husarenstück der Meisterschaft ein echtes Glanzlicht aufgesetzt haben.

Kramnik in the house - auf ein Neues beim Blitzen im nächsten Jahr? Gerne! Wir Werderaner bringen dann aber Carlsen mit. Oder die Krennwurzn. Und natürlich auch eine schöne Stange roten Rettich!

Turnierseite und Fotos beim Deutschen Schachbund

 

Spielstärke ist eine Sache
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Montag, 01 Juli 2013 08:50

Spielstärke ist eine Sache

Gut spielen ist eine Sache und kann sicher nicht schaden - wichtiger und turnierentscheidend ist aber, besser (oder eventuell nur weniger schlecht) zu spielen als der jeweilige Gegner. Und wenn der Gegner auch gut spielt, landet man im Tabellenkeller ohne selber allzu viel falsch gemacht zu haben? Das wird ein etwas anderer Rückblick auf Tal Memorial - Basis sind Daten von IM Ken Regan die er hier veröffentlichte, dann meine eigene simple statistische Analyse, dann einige Gedanken dazu. Das Ergebnis des Turniers setze ich als bekannt voraus, man findet es aber auch in Ken Regans Liste die ich erst mal kopiere:


Report from MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L, excluding repeats and |prev-eval| > 3

IPR error bars are +- 200-250 typically (two-sigma)
First-line matches to Rybka 3 1-cpu at depth 13:

Player Name Matches/Turns = Pct., AE, IPR Opponents' figures Diff, Score

--------------------------------------------------------------------------------------------
Anand, Viswanat: 173/274 = 63.10%, 0.0499, 2837 178/275 = 64.70%, 0.0444, 2926 -89, -2
Andreikin, Dmit: 140/228 = 61.40%, 0.0326, 2960 134/226 = 59.30%, 0.0448, 2878 +82, +1
Carlsen, Magnus: 162/296 = 54.70%, 0.0361, 2932 167/296 = 56.40%, 0.0398, 2834 +98, +2
Caruana, Fabian: 218/379 = 57.50%, 0.0375, 2855 203/383 = 53.00%, 0.0476, 2731 +124, +1
Gelfand, Boris : 140/223 = 62.80%, 0.0390, 2988 118/219 = 53.90%, 0.0596, 2611 +377, +3
Karjakin, Serge: 220/413 = 53.30%, 0.0413, 2724 220/413 = 53.30%, 0.0371, 2837 -113, -1
Kramnik, Vladim: 142/242 = 58.70%, 0.0493, 2841 155/243 = 63.80%, 0.0337, 2926 -85, -3
Mamedyarov, Sha: 149/252 = 59.10%, 0.0384, 2946 147/252 = 58.30%, 0.0457, 2810 +136, +1
Morozevich, Ale: 189/357 = 52.90%, 0.0573, 2641 221/359 = 61.60%, 0.0426, 2898 -257, -2
Nakamura, Hikar: 164/283 = 58.00%, 0.0674, 2568 154/281 = 54.80%, 0.0613, 2691 -123, =

Totals for all players in MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L: 1697 / 2947 = 57.58%

Aggregate difference in MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L: 132.8752 / 2947 = 0.0451
Overall tourney IPR: 2819 +- 50, avg. rating 2777 (Cat. 22), diff +42.

ipr

Tabelle nochmal als Bild


IPR ist "intrinsic performance rating", AE ist "average scaled error per move". Um Missverständnissen vorzubeugen: "Gut" und "schlecht" ist im weiteren Text relativ, bezogen auf dieses Teilnehmerfeld. Eine ähnliche Analyse wäre denkbar für ein Amateurturnier, wobei man dann bei allen IPRs die erste 2 durch eine 1 ersetzen müsste. Unter "Anwendungen" (2 Applications) nennt Regan in seinem Research Prospectus jede Menge. "Cheating testing" ist wohl (leider) am bekanntesten, spielt aber hier keine Rolle - ich gehe davon aus, dass beim Tal Memorial alles mit rechten Dingen zuging. Zuerst erwähnt er "Skill assessment" - sowohl allgemein als auch in bestimmten Stellungen z.B. Endspiele, taktische und positionelle Stellungen, Angriff und Verteidigung. Dann "Player training" - wenn man Schwachpunkte erkannt hat, kann man gezielter daran arbeiten? Irgendwann auch noch der Einfluss verschiedener Bedenkzeiten auf die Qualität der Partien, darauf werde ich später kurz eingehen.

Gelfand-trophy
 

Turniersieger Boris Gelfand (Quelle: Turnierseite)

Eine Zahl bzw. einen Spieler hat Regan fett hervorgehoben. Dazu kann ich mich kurz fassen: Gelfand hat demnach am besten gespielt, und seine Gegner gegen ihn am schlechtesten. Letzteres bedeutet wohl vor allem, dass sie in manchen Stellungen nicht zurecht kamen, dann sind Fehler quasi unvermeidlich. Also hat Gelfand völlig verdient gewonnen, und das mit (fast) 45 Jahren: seinen Geburtstag feierte er tags danach, das schönste Geschenk machte er sich selbst. Interessanter sind drei andere Spieler, dazu drei Excel-Grafiken:

Wie wichtig ist es, selbst gut zu spielen?

IPR vs points

Es schadet natürlich nicht, beeinflusst das Ergebnis jedoch (statistisch gesehen) nur zu 31%. Was auffällt: Kramnik und Anand haben "eigentlich" viel besser gespielt als ihr Ergebnis vermuten lässt, und Nakamura deutlich schlechter. Die anderen sieben Spieler definieren eine saubere Regression mit r2=0,87.

Welchen Einfluss hat das gegnerische Niveau?

Opponent IPR vs points

Das sieht schon etwas besser aus und kann immerhin 53% des Endstands erklären. Das heisst, Partien werden eher durch gegnerische Fehler entschieden als durch brilliante eigene Züge? Im vorderen Mittelfeld liegen die Datenpunkte aber irgendwo, und Nakamura hält sich am wenigsten an die statistischen Regeln. Klar, wer selbst auch schlecht spielt profitiert nur bedingt vom schlechten gegnerischen Spiel. Wenn man "Own IPR" und "Opponent IPR" zusammen betrachtet, spielten alle anderen ein Superturnier - Nakamura UND seine jeweiligen Gegner dagegen quasi Wijk aan Zee B.

Kann beides zusammen alles erklären?

Delta IPR vs points

Sagen wir, fast alles, immerhin 73%. Aber auch hier haben vier Spieler (Kramnik, Anand, Karjakin und schon wieder Nakamura) vergleichbar schlechter gespielt als ihre Gegner und bekamen dafür drei bis viereinhalb Punkte. Und womit kann man die übrigen 27% erklären?

Nun, ich habe Regans Daten bisher wortwörtlich genommen - was er selber nicht tut, da ist ja der recht grosse Fehlerbalken von +200/-250. Allerdings fällt Nakamura in der ersten Grafik selbst dann unter die Regressionsgerade, wenn man seine IPR auf 2768 anhebt. Ausserdem sind es immer Durchschnittswerte, einzelne Partien oder Partiephasen können davon ziemlich abweichen. Und das war wohl vor allem bei ihm der Fall:

Nakamura schlechte Laune

Nakamura mit am Ende +4=1-4 (Quelle: Turnierseite) - das Foto stammt aus dem Bericht zur neunten und letzten Runde. Auch die Form seines Rasierapparats schwankte während dem Turnier.

Wenn er alle Partien auf Niveau IPR 2568 gespielt hätte, wäre er sicher souverän Letzter geworden. Einige Male war er aber wohl deutlich besser (IPR 2900?), und andere Male noch schlechter (IPR 2250?). Bei vergleichbarem Durchschnittswert und noch extremerer Verteilung - sieben Glanzpartien mit IPR 3000 und zwei Anfängerpartien mit IPR 1200 - kann man das Turnier sogar gewinnen, das sollte reichen für +4 oder +5.

Und was war los bei Anand und Kramnik? Laut Ken Regan haben ihre Gegner nahezu perfekt gespielt - da half es auch nicht, dass ihre eigene IPR knapp über dem Mittelwert aller Spieler lag (der allerdings von Nakamura und Morozevich kräftig gedrückt wurde). Waren sie gegen die (Ex-)Weltmeister besonders motiviert, zumal früh deutlich wurde, dass diese in diesem Turnier verwundbar waren? Kramniks IPR-Schnitt wurde aber vielleicht durch seine Partie gleich in der ersten Runde gegen Carlsen angehoben - die war relativ lang, und lange spielte (auch) er fehlerfrei bevor er am Ende doch - für seine Verhältnisse kräftig - daneben griff. Und Anand spielte eine völlig perfekte Remispartie gegen Karjakin, in der er wohl nur seine Vorbereitung reproduzieren musste. Da folgten beide übrigens - vielleicht ohne es zu wissen - bis zum Schluss zwei Fernpartien zwischen Spielern mit Elo ca. 2400.

Kleiner Exkurs: Je länger die Bedenkzeit, desto höher das Niveau? Im Blitz spielt wohl jeder schlechter als mit klassischer Bedenkzeit. Wenn zwei Spieler bei klassischer Bedenkzeit ebenbürtig sind und einer von beiden im Blitz deutlich besser ist, bedeutet es, dass Spieler X 90% seiner Spielstärke behält und Spieler Y nur 75%? Bei klassischer Bedenkzeit kann es blinde Flecke geben: man verwirft zwei oder drei Züge und spielt dann - da die Uhr tickt und man sich irgendwann entscheiden muss - einen vierten noch schlechteren, ohne ihn genauer zu überprüfen. Sonderfall ist: man will gewinnen, zwei drei Züge führen (vermeintlich) zum Remis, der gespielte vierte dann zum Verlust. Spontan fallen mir drei Beispiele ein, jeweils zu einem frühen Zeitpunkt in der Partie: Gelfand-Kramnik im Kandidatenturnier (18.-Se8?? blieb für Vlad ohne Folgen), Carlsen-Caruana beim Tal Memorial 2013 (da musste Carlsen sich nach 17.Sc5? noch anstrengen, um die Partie tatsächlich zu verlieren - wobei Caruana die Tablebase-Phase perfekt spielte), und Richter-Laan einige Etagen tiefer (da war nach 17.Td3?? sofort Schluss). Im Fernschach gibt es ähnliches sicher nicht (oder es war ein Schreibfehler).

Auch ohne Ken Regans Daten ist die Korrelation zwischen Elo und Ergebnis übrigens mit Carlsen Null, und ohne Carlsen eher negativ. Carlsen sprengt ja die Eloskala und spielte in diesem Turnier sicher nicht schlecht, aber auch keinesfalls überragend. Vom Rest spielten Kramnik und Anand unter ihren Elo-Verhältnissen, und neben Gelfand auch Andreikin recht deutlich darüber - wobei Andreikin demnächst in Dortmund auch mal auf Gewinn spielen "muss" statt immer (sogar gegen Nakamura) immer solide auf Remis. Nur Kramnik unterbrach Andreikins Remisserie ... .

schachseminareanzeigeIn meiner "Turniervorschau" (geschrieben nach der dritten Runde, da war manches bereits von der Wirklichkeit überholt) hatte ich Gelfand als Favoriten für den letzten Platz genannt - nicht weil ich ihm das gönnte oder wünschte, aber einer muss eben in diesem starken Feld Letzter werden, und Andreikins Ergebnis war/ist für mich keine Überraschung. Damit lag ich voll daneben, ebenso mit Kramnik als Kandidat für den Turniersieg (hatte sich schon nach zwei Runden erledigt) - jetzt hat er knapp einen Monat Pause bis Dortmund, vielleicht genug um sich von den Strapazen des Kandidatenturniers zu erholen. Nakamura und Morozevich hatte ich, bei entsprechend schlechter Form, auch als Kandidaten für den letzten Platz betrachtet, und IPR gibt mir da Recht. 

Zum Schluss: Mindestens einem Leser ist aufgefallen, dass ich inzwischen auch für den Schach-Ticker schreibe. Das heisst sicher nicht, dass ich "gewechselt" bin - auch hier werde ich weiterhin schreiben: einige Ideen habe ich noch, nun noch Zeit um diese umzusetzen ... . In der Praxis ist es wohl abwechselnd, da ich demnächst "dort" auch für den FIDE Grand Prix in Berlin Beijing zuständig bin.

Neue Tablebases - Segen oder Fluch?
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Freitag, 14 Juni 2013 18:41

Neue Tablebases - Segen oder Fluch?

Ich wollte eigentlich über etwas anderes schreiben, aber aus aktuellem Anlass (gestrige Partie Carlsen-Kramnik im Tal-Memorial) scheint es mir angebracht, auf ein für die Endspieltheorie nicht ganz unwichtiges Thema einzugehen: die Fortentwicklung der Endspiel-Datenbanken, im guten alten "Denglisch" meist als Tablebases bezeichnet. Der technische Fortschritt ist auch in diesem Bereich unaufhaltsam und der neue Stand sieht so aus, dass alle halbwegs praxisrelevanten 7-Steiner allgemein verfügbar sind - vorausgesetzt, man besitzt ein zum (Online-)Abruf der Daten geeignetes Programm der russischen Firma Convekta, z.B. das recht bekannte "Aquarium". Nähere Informationen findet man auf der Website des Herstellers. Dort sind auch einige Beispiele aufgeführt, u.a. ein schwindelerregendes Matt in 545 und ein uraltes Turmendspiel aus dem WM-Match Steinitz-Gunsberg, gespielt am 29. Dezember 1890. Lange Zeit dachte man, dass Gunsberg gewinnen konnte, aber 122 Jahre später wissen wir Bescheid: es war doch remis!

Hinsichtlich der besagten Partie aus dem Tal-Memorial dauerte es nicht ganz so lange, sondern es genügte ein schlichter Knopfdruck bzw. Mausklick, um sofort die endgültige Wahrheit zu erfahren. Um folgende Stellung (Weiß am Zug) geht es:

 Bemerkenswert ist zunächst, dass dieses Endspiel überhaupt aufs Brett kam, da Schwarz durchaus brauchbare Alternativen zur Verfügung hatte. Kramnik hatte die Diagrammstellung in den letzten Zügen geradezu angestrebt, schätzte sie also anscheinend als remis ein. Auf den ersten Blick erscheint dies auch gar nicht so unplausibel, da Weiß nicht den zum h-Bauern passenden Läufer hat. Schwarz muss daher "nur" irgendwie den g-Bauern erwischen; dies erweist sich allerdings als unmöglich. Weiß kann mit Zugzwang arbeiten und wird früher oder später den schwarzen Läufer von den kritischen Diagonalen abdrängen. In der Tat gewann Carlsen in der Folge relativ leicht und Kramniks Fehleinschätzung erstaunt schon ein wenig. Auf der Pressekonferenz kommentierte der Weltranglistenerste die kramniksche Abwicklung recht diplomatisch: "This surprised me quite a bit", was in seiner Ausdrucksweise wohl ungefähr so viel bedeutet, dass er schier vom Stuhl fiel.

Früher hätte man das Endspiel vielleicht trotz allem mit einigem Aufwand untersucht (wer weiß, vielleicht gab es doch einen versteckten Remisweg?), aber jetzt spuckt die Maschine zu jeder Stellung alle relevanten Informationen aus. Zur Diagrammstellung erfahren wir zum Beispiel: Matt in 40! Aha. Nun handelt es sich hier noch um einen vergleichsweise seltenen Endspieltyp, aber auch z.B. über das äußerst praxisrelevante Turmendspiel mit zwei Bauern gegen einen ist nun alles bekannt und so manches Lehrbuch muss vermutlich umgeschrieben werden. Wo hört das alles auf? Nach Angaben von Convekta war der Abschluss der 7-Steiner-Analysen (die anderweitig schon seit etlichen Jahren im Gange waren!) eigentlich erst für 2015 vorgesehen,  sie hätten das Vorhaben mithilfe eines Supercomputers der Moskauer Universität jedoch innerhalb von nur sechs Monaten abgeschlossen. Über weitere Projekte in dieser Richtung ist noch nichts bekannt, aber es ist zu vermuten, dass auch die 8-Steiner früher oder später in Angriff genommen werden. Dabei muss man sich natürlich im Klaren darüber sein, dass mit jedem zusätzlichen Stein die Komplexität exponentiell anwächst. Neben immenser Rechenkraft sind also auch riesige Speicherkapazitäten notwendig, was neben der technischen Umsetzbarkeit auch eine Frage des Geldes ist. Trotz allem müssen wir damit rechnen, dass auch der nächste Schritt irgendwann bewältigt sein wird, auch wenn es noch Jahrzehnte dauern mag. Dabei muss man sich allmählich aber auch eine "ethische" Frage stellen: Wie weit wollen wir überhaupt gehen? Macht das Ungewisse, Unauflösbare nicht einen Teil der Faszination des Schachspiels aus? Theoretische Frage: Wenn man eine 32-Steine-Datenbank herstellen könnte, sollte man es dann tun? Ich persönlich habe kein gutes Gefühl dabei, aber ich mache mir keine Illusionen: Alles, was technisch machbar ist, wird auch irgendwann von irgendwem umgesetzt werden. Der Mensch an sich ist einfach zu neugierig!

sseu600

Die Hand Gottes
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Donnerstag, 14 März 2013 15:49

Die Hand Gottes

Wegen Zeitmangels komme ich im Moment nicht zu tiefschürfenden Analysen, aber eine kleine Einstimmung auf das morgen (na gut, bei Veröffentlichung des Artikels fast schon "heute") beginnende Kandidatenturnier will ich hier schon noch loslassen - natürlich wieder unter dem Blickwinkel des Endspiels. Meine Prognose ist nämlich, dass Magnus Carlsen gerade wegen seiner Überlegenheit im Endspiel das Turnier gewinnen wird. Eröffnungstechnisch werden alle Teilnehmer exzellent vorbereitet sein, auch der sonst etwas theoriefaule Weltranglistenerste, der mit Peter Heine Nielsen einen der besten Sekundanten verpflichtet hat, die man sich vorstellen kann. Im Mittelspiel sehe ich Kramnik und Aronian auf Augenhöhe, vielleicht sogar auch Iwantschuk, falls er in Topform sein sollte. Im Endspiel hingegen kann niemand Carlsen das Wasser reichen. Es ist unglaublich, wie viele Punkte er in dieser Partiephase holt und was für scheinbar leblose Stellungen er immer wieder gewinnt. Faul wie ich bin, verweise ich zu diesem Thema auf einen Artikel, den ich Anfang Dezember anderswo veröffentlicht habe, damals anlässlich der Partie gegen McShane in London. (Und wo ich schon dabei bin, auch noch der Hinweis auf den Artikel meines Vereinskameraden Martin Schmidt, der sich einige Endspiele aus der Bundesliga angeschaut hat, u.a. die hier in den Kommentaren angesprochene Partie Balogh-Khenkin.) Von vielen wird auch Kramnik als überragender Endspielexperte angesehen, aber das halte ich (auch wenn es in der Tendenz natürlich nicht ganz falsch ist) für übertrieben. Wenn man es konkret überprüft, stellt sich heraus, dass er bei weitem nicht immer das Optimum aus seinen Endspielen herausholt. Zu ein paar Beispielen kommen wir gleich noch.

Auch wenn ich mich in diesem Artikel um eine objektive Bewertung bemühe, will ich keinen Hehl daraus machen, dass ich ein langjähriger, eingefleischter Carlsen-Fan bin und natürlich meinem Idol fest die Daumen drücke. Woher kommt eigentlich diese Faszination, dieser "Carlsen-Hype", wie Blogkollege Thomas Richter es leicht abschätzig bezeichnet? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht genau, aber das ist ja gerade das Tolle. Es hat irgendwie etwas Mystisches. An der Spielstärke allein liegt es wohl nicht. Wunderkinder gibt es immer wieder, z.B. wurde Karjakin noch deutlich früher Großmeister, hat mich deswegen aber trotzdem nie besonders interessiert. Carlsens Spiel hat irgendetwas Besonderes, etwas Magisches, das man nicht erklären kann, sondern entweder fühlt oder eben nicht. Mir scheint jedenfalls, dass es ziemlich viele Leute fühlen, darunter auch einige von Carlsens Gegnern, die davon so beeindruckt sind, dass sie unter ihrem üblichen Niveau zu spielen scheinen. Ich selbst habe mich 2003 zum ersten Mal mit Carlsens Partien beschäftigt, als der damals 12-Jährige beim Open im österreichischen Schwarzach auftrat und die Titelträger das Fürchten lehrte. "Ein neuer Leko?" fragte "Schach" damals. Mir wird vielleicht keiner glauben, aber ich hatte schon damals das Gefühl, dass es sogar noch besser kommen würde. Ein Leko reicht ja auch schon, oder? :)  Ein Schlüsselerlebnis kam für mich jedenfalls einige Jahre später, als ich einem Playchess-Livekommentar von Daniel King folgte. Ich erinnere mich nicht mehr an die Begleitumstände, ich habe nur noch einen Satz im Kopf, mit dem der Großmeister kurz und knapp seine Eindrücke von einer Carlsen-Partie zusammenfasste: "Man konnte die Hand Gottes spüren." Ich bin eigentlich kein gläubiger Mensch, aber trotzdem scheint mir dieser Ausspruch den Nagel auf den Kopf zu treffen, auch wenn ich es, wie gesagt, nicht erklären kann. Und nein, mit Maradona hat das alles gar nichts zu tun. (Zur Illustration siehe übrigens Bild oben. Man beachte auch rechts den ebenfalls nicht unwichtigen O-Saft Gottes.)

Damit wieder zu einer irdischeren Betrachtungsweise. Man findet anderweitig bereits eine Untersuchung von Carlsens Eröffnungsrepertoire, entscheidender erscheint mir allerdings sein "Endspielrepertoire". Da Kramnik und Aronian vermutlich die härtesten Konkurrenten sein werden, folgt nun ein kleiner Rückblick auf Carlsens Endspiel-Duelle mit diesen beiden, angefangen mit dem Armenier.

Es ist keineswegs so, dass Carlsen im Endspiel schon immer besonders gut war, eher im Gegenteil. Zu Beginn seiner Karriere verdaddelte er noch einiges, aber die vorliegende Niederlage gegen Aronian (Tal-Memorial 2006) war ein sehr heilsamer Schock. Etwas ungenau hatte der Jungmeister auch schon vorher gespielt, aber die Diagrammstellung war immer noch remis und die richtige Spielweise aus der Endspielliteratur auch gut bekannt. Weiß droht hier eigentlich nichts, aber Schwarz ist dran und es ist nicht so einfach für ihn, einen unschädlichen Zug zu finden. 73...Tb8? wäre z.B. nicht gut, denn später bei Seitenschachs wäre dann die Distanz zum weißen König zu kurz. Details bitte ich ggf. in den einschlägigen Büchern nachzulesen. Richtig ist jedenfalls einzig 73...Kg6!=, falsch war hingegen die Partiefolge 73...Ta7+? 74.Ke8 und bereits aufgegeben, da der Durchmarsch des Bauern nicht vernünftig zu verhindern ist. Nach dieser Pleite setzte sich der Norweger auf den Hosenboden, beschäftigte sich intensiv mit der Materie und seine Endspiele wurden bald deutlich besser, auch in nicht-elementaren Stellungen.

 

Hier eine Kostprobe aus dem Kandidatenmatch von 2007. Sicher steht Carlsen mit Weiß hier ganz schön, aber wie lautet der Gewinnplan? 27.Sf5!! Zwei Rufzeichen von Mihail Marin, mit dem Kommentar: "Ein fantastischer Zug, der von sehr tiefem Stellungsverständnis zeugt." Das nun entstehende Turmendspiel musste präzise bewertet werden. 27...Sxf5 28.exf5 Kg8 29.Te4! Das Manöver Te4-g4-g7 ist sehr stark; Schwarz kommt gar nicht dazu, den d-Bauern abzuholen. Aronian fand keine Verteidigung, 1-0 nach weiteren 12 Zügen.

Auch Carlsens nächste Weißpartie in diesem Zweikampf war sehr interessant. Die Diagrammstellung sieht nicht sehr vorteilhaft für ihn aus, denn der Bauer c3 geht verloren und das auf der Hand liegende 36.Tf8 nebst Sxf7 führt nur zum Remis. Carlsen hatte jedoch schon einige Züge vorher die Gewinnidee entdeckt: 36.f4! Txc3 37.h5! gxh5 38.Tf8 Ta3 39.f5! und nun sieht man den Unterschied: Weiß erwischt den Bf7, ohne seinen mächtigen Springer abtauschen zu müssen. Gegen dieses Gespann war nichts mehr zu machen, 1-0 nach weiteren 10 Zügen.

Von den weiteren Partien kann ich natürlich nicht alles zeigen; in Linares 2009 verlor Carlsen zugegebenermaßen noch einmal ein objektiv remises Turmendspiel, allerdings nur durch einen sehr späten Fehler in keineswegs einfacher Stellung, nach zuvor starker Verteidigung. Hingegen gab es auch noch mehrere überzeugende Siege im Endspiel. Ich möchte noch an ein recht drastisches Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit erinnern (Carlsen-Aronian, London Classic 2012):

So stand es unmittelbar nach dem Damentausch. Weiß hat hier einen Bauern mehr, aber die schwarzen Figuren sind deutlich aktiver. Die Kontrahenten waren sich einig, dass allenfalls Schwarz besser steht und Weiß eigentlich mit einem Remis gut bedient wäre. Es war jedoch erheiternd, wie die weiße Stellung in der Folge Zug um Zug immer besser wurde. Man hatte das Gefühl, dass Carlsen haargenau wusste, was zu tun war, während sein Gegner eher im Nebel stocherte. Schauen wir uns nach Art eines Vorher-Nachher-Vergleichs eine später entstandene Stellung an. Finden Sie die 20 Unterschiede:

 

Krass, oder? Was hat Schwarz mit seinen Figuren angestellt und was hat Weiß erreicht? Natürlich eine rhetorische Frage. Nähere Kommentare dürften sich erübrigen; 1-0 nach weiteren 8 Zügen.

Und damit zu Wladimir Kramnik, der sich auch immer wieder pikante Duelle mit dem jungen "Wikinger" lieferte. Das erste Endspiel zwischen diesen beiden entstand in Wijk aan Zee 2008; Carlsen gewann, aber dies war auch nicht allzu schwer, da er im Mittelspiel schon klaren Vorteil erzielt hatte. Spannender ging es beim Tal-Memorial 2009 zu: In einem eher langweilig aussehenden Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern spielten beide Seiten mit aller Macht auf Gewinn und nach einigen Komplikationen endete der Kampf remis. Einen Erfolg für Kramnik gab es dann in der Hinrunde des Grand Slam-Finales 2010, wobei die entscheidende Phase allerdings eher eine Art damenloses Mittelspiel war. Aufschlussreicher ist für uns die Rückrundenpartie:

Die Remistendenz von Turmendspielen ist bekannt, aber hier hat Kramnik mit Schwarz einen gesunden Mehrbauern und nach seinen eigenen Kommentaren ist die Stellung in der Tat gewonnen. Dennoch konnte Carlsen die Partie halten! Noch erstaunlicher war jedoch der Gang der Dinge in London 2010:

Mit sehr starker Mittelspielbehandlung hatte Kramnik sich eine Mehrfigur erarbeitet und hätte nach 62.Td3 recht einfach gewinnen sollen.  Er wählte jedoch 62.Txd6+?! und verkannte dabei offenbar die technischen Schwierigkeiten nach dem Abtausch der Türme und Springer. Objektiv war es zwar immer noch gewonnen, aber während Carlsen sich optimal verteidigte, griff Kramnik später erneut fehl und verdarb auch diese Partie zum Remis.

Hier haben wir nun Kramnik-Carlsen aus Wijk aan Zee 2011, auch wieder ein interessanter Fall. Schwarz hat gerade einen Bauern gewonnen, steht aber noch vor erheblichen technischen Schwierigkeiten, da der a-Bauer seine Kräfte binden wird und der weiße Läufer stark zu werden droht. Bei richtigem Spiel sollte Weiß sich behaupten können, aber derjenige, der das Maximum herausholte, war einmal mehr der Norweger!

Die letzten beiden Fälle: In London 2011 hielt Kramnik ein leicht unangenehmes Endspiel remis, ein Jahr später an selber Stelle tat Carlsen dasselbe, wobei diese Aufgabe m.E. die etwas schwerere war. Insgesamt zeichnet sich jedenfalls wieder das bekannte Muster ab: Hat Carlsen realistische Gewinnchancen, holt er auch den Punkt, steht er hingegen schlechter, hält er in der Regel remis. So muss man es machen und so kann man auch Weltmeister werden. Alles Gute, Magnus!

Ein Mauerspecht 1989
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Donnerstag, 03 Januar 2013 14:37

Mr Shirov tear down this wall

Ursprünglich war als Titel einfach "Noch ein Endspiel" geplant, aber vielleicht hat Mattovsky ja Recht und ein anderer 'attraktiverer' Titel bringt mehr Leser? Jeder weiss (die Jüngeren zumindest aus dem Schulunterricht?) dass die Berliner Mauer 1989 fiel. Schachspieler die schon einige Zeit dabei sind wissen dass sie 2000 in London wieder aufgebaut wurde und zwar auf dem Schachbrett. Wie das Leben so spielt: damit wollte ein Russe einen anderen Russen ärgern was ihm ganz gut gelang. Gemeint sind natürlich Kramnik und Kasparow. Kramniks damaliger Sekundant Bareev schrieb sieben Jahre später (in "From London to Elista") dass dies im Nachhinein die ideale Eröffnung gegen 1.e4 (und gegen diesen Gegner) war. Ich zitiere ihn noch etwas ausführlicher:
"Die Variante zeichnet sich aus durch Grabenkrieg [Original "trench warfare"] und - die Hauptsache - zum damaligen Zeitpunkt war die Theorie nur unzureichend entwickelt. Das 2000 Match lieferte einen gigantischen Impuls für dieses System, ernsthafte Diskussionen dauern immer noch an. Viele führende Grossmeister haben die Berliner Verteidigung in ihr Waffenarsenal aufgenommen und bewiesen dass sie spielbar ist. .... Die Stellung ist sehr reich, egal wie Schwarz sich entwickelt ist es für Weiss nicht leicht den besten Plan zu finden, angesichts sehr vieler Möglichkeiten."
Na ich kenne mich in der Variante praktisch gar nicht aus und vermeide sie tunlichst mit beiden Farben, aber Kramnik oder auch Aronian können wir uns als Gastautor absolut nicht leisten! Aber das folgende Endspiel ist ein Beispiel das selbst ich im Nachhinein verstehe oder glaube zu verstehen, lege aber erst nach der Eröffung richtig los. Schirow gelang es die Berliner Mauer niederzureissen, dafür musste er (vergleichsweise) rabiater zu Werke gehen als der nette ältere Herr auf dem Titelbild:

Schirow-Sargissian, Warschau 2012 (Schnellschach-EM letzte Runde)

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 wir sprechen heute Berlinerisch. Hat Sargissian das von seinem Kumpel und Wahl-Berliner Aronian gelernt, oder war es anfangs sogar andersherum? 4.0-0 Sxe4 5.d4 Sd6 6.Lxc6 dxc6 7.dxe5 Sf5 8.Dxd8+ Kxd8 Ich will es mit den Diagrammen nicht übertreiben, diese Stellung haben interessierte Leser wohl auch ohne noch vor ihrem geistigen Auge. Die Damen sind vom Brett, haben wir damit bereits ein Endspiel oder ist das ein damenloses Mittelspiel? Die Stellung wird - was immer das genau heissen mag - generell eher wie ein Endspiel behandelt. Andererseits spielt es manchmal (auch in dieser Partie) später eine Rolle dass der schwarze König im Zentrum anfällig stehen kann, und das ist eher ein Mittelspiel-Motiv?

Um kurz etwas abzuschweifen: Weiss kann diese damenlose Stellung vermeiden mit 4.d3 (mache ich zum Beispiel) oder 5.Te1. Beides verspricht nicht unbedingt Vorteil, und 5.Te1 ist sehr remislich (die Hauptvariante tendenziell auch) - ich zeige zwei hochinteressante Schlusstellungen aus der GM-Praxis, mit bewusst kleineren Diagrammen:
Adams-Aronian London 2011

Naiditsch-Aronian Porto Carras
Im zweiten Beispiel bot Weiss schon hier (nach 11 Zügen) remis, und Schwarz war einverstanden wohl eher zähneknirschend. Die Namen der Spieler verrate ich nicht - nur soviel: der Grossbuchstabe A ist mehrfach vertreten, ausserdem noch L, M und N (das habe ich doch schön hinbekommen?).
Wenn man in der Datenbank ganz unten schaut (bei elolosen Spielern) stellt man übrigens fest dass diese Variante mit 5.Te1 schon im allerersten offiziellen WM-Match reichlich geübt wurde, 1886 zwischen den Herren Steinitz und Zukertort, Steinitz holte mit Weiss +2=3-1.
Und was sagte Aronian dazu? "How do you feel if your opponent plays 5.Re1 against the Berlin?" "In that I case I feel sorrow and mild hatred for an opponent who’s refused to go for that most complicated and interesting of endgames." Tja, ein Nachteil dieser Variante ist dass Weiss mit 5.Te1 quasi remis erzwingen kann (Nachteil natürlich nur wenn Schwarz mehr will) wie auch Kramnik mehrfach feststellen musste. In unserer Partie spielte es wohl keine Rolle: Sargissian wäre wohl mit remis zufrieden, und Shirov wollte mehr - angesichts der Turniersituation und weil er der nominell stärkere Spieler ist.

Ende des Exkurses, weiter geht's: 9.Sc3 Ke8 10.h3 h5

Shirov-Sargissian 2
Damit haben wir was im (ursprünglich wohl russischen) Schachjargon als tabiya bezeichnet wird: grob gesagt eine Stellung die GMs im Blitztempo erreichen können denn das gab es schon zigmal - genauer gesagt laut meiner Datenbank 208-mal und oft zwischen sehr starken Spielern. Populär (u.a. auch Kramniks erste Wahl) ist es erst seit 2008, nur ein mir bekannter Spieler hat es schon viel früher versucht - Tony Miles im Mai 2000, das war noch viereinhalb Monate vor dem letzten K&K WM-Match! Ältere Züge sind 10.-Le7, 10.-a5, 10.-Se7, 10.-h6 und 10.-Le6 - aber hoppla, ich wollte doch die Eröffnungstheorie vernachlässigen, damit verwirre ich den Leser nur und mich selbst auch.
Was soll denn 10.-h5 ? Zum einen erschwert es die weisse Expansion am Königsflügel - so ähnlich gibt es das auch in diversen sizilianischen Abspielen (wo Schwarz hiermit quasi auf die kurze Rochade verzichtet, im Berliner irrelevant da schon längst passiert). Zum anderen muss Schwarz seinen h-Turm irgendwann irgendwie aktivieren, eventuell eben auch (siehe Partie) über h6. Das Schlüsselfeld der Partie habe ich nun schon genannt, aber schau'n mer mal was noch so passiert. 11.Lf4 Le7 12.Tad1 Le6 13.Sg5 Th6 sagte ich doch, immer noch 14 Vorgängerpartien darunter bekannte Schwarzspieler wie Karjakin, Naiditsch, Nakamura, Bacrot, Ponomariov, Anand und Malakhov 14.Tfe1 h4 hier offenbar neu (in ähnlichen Stellungen immer noch bekannt), letzter prominenter Vorgänger ist Caruana-Karjakin, Bilbao 2012 wo Schwarz 14.-Lb4 spielte und das wurde remis 15.Sce4 Tg6 Shirov hatte bereits ziemlich viel Bedenkzeit verbraten, und auch an seinem nächsten Zug überlegte er vielleicht fünf Minuten (wie gesagt, in einer Schnellpartie) 16.Sxe6 Txe6
Shirov-Sargissian 3
Was hat Weiss mit der schweren Geburt 16.Sxe6 erreicht? Damit halbierte er das schwarze Läuferpaar das sonst irgendwann wichtig werden könnte (u.a. so kann man im Berliner mit Schwarz auf Gewinn spielen) wobei der Le6 bisher noch keine konkrete Aufgabe hatte. Dagegen hat Schwarz jetzt (zumindest für diese Variante) seine Figuren recht harmonisch aufgestellt. Der Ta8 steht noch abseits, kann aber entweder auch vertikal entwickelt werden (was Schwarz zunächst versucht oder andeutet) oder auf d8 abgetauscht werden (was später passiert). Schnell wird klar was Shirov mit 16.Sxe6 konkret erreichen will: 17.g4 hxg3 18.fxg3
Shirov-Sargissian 4
Hier war mir bei der Liveübertragung bereits klar dass Weiss einen Freibauern auf der h-Linie bilden will, schafft er das? Im Nachhinein könnte man vermuten dass 17.-hxg3 vielleicht falsch war, ich denke eher nicht. Erstens war es wohl nicht partieentscheidend, zweitens heisst mein heutiger Verein so (En Passant), drittens ist die einzige Alternative 17.-Sh6 einfach hässlich, selbst für Berliner Verhältnisse - wie sagte Kramnik in der Pressekonferenz nach seiner Londoner Partie gegen Aronian: "The Berlin is ugly!". Dann könnte der Bauer auf h4 (zu) schwach werden, oder Weiss spielt langsam aber sicher Lh2 und f2-f4-f5.
Engines hatten 17.g4 übrigens zunächst nicht in der engeren Wahl, Houdini hat anfangs (neben dem schon plausiblen 17.Sg5) unter anderem Tb1, Tc1 und Ta1 im Angebot was mich irgendwie gar nicht überzeugt. 17.g4 ist für mich der naheliegendste Zug, und ich sehe auch nicht wie und warum man das erst noch vorbereiten müsste. Irgendwann sehen Engines es auch, oder auch das gleichwertige 17.g3 mit der Drohung 18.g4. Wenn ich schon Engines erwähne kann ich nochmal Meister Kramnik AKA Big Vlad zitieren, vielleicht exklusiv für die westliche Welt. Das sagte er vor fast einem Jahr in einem Skype-Interview mit chess-news.ru - Livekommentar zu Wijk aan Zee wo er nicht eingeladen wurde (dieses Jahr wieder nicht):
"Alle spielen meine Eröffnungen. Die Berliner Variante wurde populär denn Engines wurden besser - statt wie früher die weisse Stellung zu überschätzen verstehen sie nun auch das schwarze Spiel. Damit spielen es nun auch vom Computer hypnotisierte Spieler. Allerdings übertreiben es Engines nun andersrum: Houdini hat eine Tendenz zu 0.00 selbst wenn Weiss besser steht."
Ausserdem interviewte chess-news.ru "Small Vlad" (Giris Trainer Vladimir Chuchelov) und noch jemand dessen Namen ich nicht entziffern kann. Damit weiss der Leser dass ich gar kein Russisch kann - das hatte mir ein Schachfreund freundlicher- und auszugsweise bzw. sinngemäss übersetzt. Ich wusste es da Gert Ligterink es in einer niederländischen Zeitung erwähnte und habe nachgefragt (nicht bei Ligterink).
Was Engines betrifft hat Kramnik wohl Recht: Houdini sagt hier zwar nicht 0.00 aber nur 0.2-0.3 während Stockfish doch viel lieber Weiss hätte (0.6-0.8).
Zurück zur Partie: 18.-c5 19.c3 a5 20.h4 a4 Schwarz mobilisiert auch seinen a-Bauern und droht nun positionell a4-a3, wahrscheinlich erst nach c5-c4 und der Turm steht auf der a-Linie richtig. 21.a3 Shirov hat es gesehen 21.-Sh6 22.Kg2 Sg4 23.Sg5
Shirov-Sargissian 5
Ist das die kritische Stellung der Partie? Ob das Manöver Sf5-h6-g4 mit (etwas) Druck gegen e5 glücklich war sei dahingestellt, beide Engines bestehen nun auf 23.-Lxg5 24.hxg5 und das wars dann mit einem weissen h-Freibauern. Moment mal, steht der Sg4 dann nicht gefährdet? Kein Problem für Engines das taktisch zusammenzuhalten: 24.-Td8 (nicht erzwungen aber plausibel) 25.Txd8+ Kxd8. Wenn es jetzt - als legalen Zug - die lettische Rochade gäbe nämlich in einem Zug Te2 und Kf3 dann könnte Schwarz aufgeben. So geht nach 26.Te2 oder 26.Kf3 26.-f5 27.gxf6 Sxf6 dank der entstandenen Fesselung auf der e-Linie. Nun hat Weiss zwar einen e-Freibauern, aber der scheint sicher blockiert. Interessant dass hier ein taktisches Motiv die schwarze Stellung zusammenhält während sie später taktisch zusammenbricht und da ist die e-Linie auch wichtig.
Nach 23.-Tb6 verliert auch Houdini den Glauben an die schwarze Stellung. Der Druck gegen e5 ist hinfällig, der gegen b2 entlockt Weiss nur ein müdes Lächeln und dann marschieren die g- und h-Bauern. 24.Te2 Td8 Ideen wie -Ta6 oder -Ta5 sind nicht mehr relevant, also wird er nun abgetauscht 25.Txd8+ Lxd8 26.Kf3 Nun geht 26.-f5 natürlich nicht, daher muss der Springer zurück. 26.-Sh6 27.Se4 Tc6 28.h5 Sg8 Das musste noch nicht sein, aber Weiss spielt ohnehin g3-g4-g5 29.g4
Shirov-Sargissian 6
Jeweils ein Schritt weiter im Vergleich zum letzten Diagramm, und weiter wird es gehen. 29.-Le7 30.g5 Lf8 31.Kg4 b5
Shirov-Sargissian 7

Schwarz stemmt sich mit allen Kräften gegen h5-h6 (den Turm muss er dafür nicht nach h8 zurückbeordern, der hat auf c6 dieselbe Aufgabe). Der nächste Zug kam für mich überraschend, für Sargissian vielleicht auch: 32.h6 Naja überraschend ist vielleicht falsch ausgedrückt - damit muss man rechnen, das muss man berechnen. Aber geht es wirklich, und warum? Dafür musste A, B und C zusammenkommen: 32.-gxh6 33.Sf6+ A ermöglichte B, B rechtfertigt A aber nur zusammen mit C 33.-Sxf6+ 34.exf6 SCHACH
Shirov-Sargissian 8

Das entscheidende Tempo: dass Weiss am Ende einen Bauern weniger hat ist natürlich reine Erbsenzählerei denn weder der schwarze f-Bauer (obwohl auch Freibauer) noch der Doppel-Mehrbauer am Damenflügel spielt irgendeine Rolle. Der Rest ist trivial auch wenn ich noch zwei Diagramme setzen werde. Schwarz konnte dieses Abzugsschach mit dem prophylaktischen 31.-Kd7 verhindern, dann hat Weiss wohl keinen forcierten Gewinn. Er macht dann wohl am Damenflügel weiter mit 32.c4, der Springer hüpft über c3 nach d5 oder b5 undsoweiter undsofort, Schwarz muss nach wie vor immer mit h5-h6 rechnen. Ob Schwarz eine Art Festung hat die hält, dafür müsste man lange analysieren (und zumindest ich würde zu keinem Endurteil kommen). 31.-b5 wollte wohl 23.c4 verhindern und zumindest so tun als ob Schwarz auch einen aktiven Plan hat? 34.-Kd7 35.Td2+ Ke8 ob 35.-Kc8 zäher war? Schwarz ist wohl ohnehin glatt verloren. 36.gxh6 Txf6 37.Lg5
Shirov-Sargissian 9
Hier kann Schwarz noch das trickreiche 37.-Lxh6 versuchen und Weiss muss ein bisschen aufpassen: nicht etwa automatisch 38.Lxf6?? Lxd2 sondern erst 38.Te2+ was mindestens einen Läufer gewinnt. Mit dem König auf c8 ginge das nicht (und dank b7-b5 ist Td8 auch kein Matt), aber dann hätte Shirov das sicher anders gespielt. 37.-Td6 laut Stockfish am besten (Houdini nennt 37.-Lxh6 etwas weniger hoffnungslos) aber hier war Ke8 fällt nach e9 bereits eine plausible Alternative. 38.Txd6 cxd6 39.h7 Lg7 40.Kf5
Shirov-Sargissian 10
1-0 mehr fällt mir zu dieser Stellung auch nicht ein.

Noch ein paar Worte zum Nachtisch: Teil 3 ist momentan nicht geplant, unter anderem da derlei Beiträge recht viel Zeit kosten. Nochmals: falls jemand anders sich ge- und berufen fühlt, herzlich willkommen! Zum Beispiel könnte man Tiviakovs Endspiele bei der World Cities Championship zwischen den Jahren näher unter die Lupe nehmen !? Der Reiz dieses und des vorigen Endspiels (Dreev-Naiditsch vom selben Turnier) lag für mich auch darin dass ich beide Partien live verfolgt habe - und im Schnellschach geht das ja flotter als bei klassischen Partien die stundenlang dauern. Und Endspiele die 60, 80 oder 100 Züge dauern will ich mir (und den Lesern !?) nicht zumuten.
Kommentare sind wiederum ausdrücklich willkommen. Da würde es mich sehr wundern oder überraschen wenn jemand die Stellung nach 31.-Kd7 32.c4 abschliessend beurteilen kann - "Weiss steht besser" reicht da nicht aus!

 

Montag, 31 Dezember 2012 15:57

Meine Spieler des Jahres 2012

Ein Schachjahr ist zu Ende, und der Tradition folgend veröffentliche ich hier meine Spieler des Jahres. Die ersten drei fielen mir leicht, die weitere Reihenfolge schon schwerer. 

1. Magnus Carlsen bekommt von mir wie im Vorjahr die Bestnote. Er leistete sich kein einziges schwaches Resultat, aber einige sehr gute und brach mit seiner ab 1. Jänner gültigen Elozahl 2861 Kasparows Rekord. Sein Sieg gegen Anand in Bilbao war für mich die Partie des Jahres.

2. Lewon Aronjan gewann in Wijk aan Zee mit einem Riesenresultat (sieben Siege!) und führte Armenien schon zum dritten Mal zu Olympiagold. Auch seine Rückkehr in die Schachbundesliga für die sympathischen Schachfreunde Berlin gefiel mir. Dass Lewon das Jahr schwach abschloss und auf Weltranglistenplatz drei zurückfiel, Schwamm drüber.

3. Fabiano Caruana spielte sich 2012 mit zweiten Plätzen in Wijk aan Zee und Moskau sowie geteilten ersten Plätzen in Dortmund und Sao Paolo/Bilbao in die Weltspitze und aus dem Schatten des in den vorigen Jahren stärker beachteten Anish Giri. Ich muss zugeben, dass ich das dem 20jährigen nicht zugetraut hatte.

4. Garri Kasparow steht hier nicht als Spieler (er steht ja nur noch für wenige Schaukämpfe und Simultane zur Verfügung) sondern als Motor der erfolgreichen Kampagne um die Unterstützung des Europäischen Parlaments für Schulschach und dank seiner Ansage, 2014 alles für die Ablöse Iljumschinows an der Spitze der FIDE zu tun bis hin zu einer eigenen Kandidatur. Ich setze ihn als Nummer vier als kleine Zäsur zwischen den ersten drei und den folgenden Spielern.

5. Wladimir Kramnik fiel mir durch einige Gewinnpartien (gegen Aronjan bei der Olympiade oder gegen Meier in Dortmund) auf. Dass er die aktuelle Nummer zwei der Weltrangliste ist, zeigt seine Stärke, auch wenn er 2012 nicht zu einem eigentlich verdienten Turniersieg kam: In Dortmund zermürbte er sich gegen Leko, in London war Carlsen vom Glück verfolgt.  

6. Boris Gelfand rettete die WM mit dem interessanteren Schach. Er hätte den Sieg gegen Anand verdient gehabt. Als Cosieger des ersten Grandprixturniers in London zeigte der immerhin schon 44jährige, dass das Kandidatenturnier 2011 nicht sein letzter Erfolg bleibt.

7. Sergei Karjakin wurde Schnellschachweltmeister, Cosieger in Dortmund und Taschkent, gewann das starke Blitzturnier in Peking. In Erinnerung blieb auch sein Abschneiden in Wijk aan Zee: Fünf Siege, aber auch fünf Niederlagen. Schade, dass er die Qualifikation fürs Kandidatenturnier als Weltcupvierter denkbar knapp verpasst hat.  

8. Daniel Fridman wurde Deutscher Meister, bester Deutscher bei der EM und war der wichtigste deutsche Leistungsträger bei der Schacholympiade. In Istanbul hätte er eine Medaille und einen schönen Geldpreis sicher gehabt, hätte er sich in der letzten Runde gegen die um Gold kämpfenden Russen nicht ans Brett gesetzt. Doch vorbildlich kämpfte er. Das alles rechtfertigt meines Ermessens einen Platz auch in einer internationalen Liste und ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an alle, die sich an der vom Deutschen Schachbund ausgelobten Wahl des Deutschen Spielers des Jahres beteiligen.    

9. Dmitri Jakowenko wurde verdient Europameister. An ihm lag es am wenigsten, dass Russland wieder nicht die Olympiade gewann. Pech, dass er weder zum Grandprix noch sonstigen Eliteturnieren eingeladen wurde.

10. Wang Hao gewann in Biel, wurde Cosieger in Taschkent und spielte eine starke Schacholympiade bis zur wichtigen letzten Runde, als er gegen Iwantschuk verlor und China auf den undankbaren vierten Platz abrutschte.

 Noch kurz zu denen, die nicht vorkommen: Dass Mister 50 Prozent Anand trotz geglückter Titelverteidigung nicht auf meiner Liste steht, braucht keine weitere Erläuterung. Radschabow hat für meinen Geschmack zu wenig gespielt. Nakamura gewann zwar in Hoogeveen aber kein größeres Turnier.   

Schwarz am Zug
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Montag, 08 Oktober 2012 14:56

To b2 or not to b2

- für Computer kein Problem. Meine Partie aus einem Mannschaftskampf letzten Samstag fand ich veröffentlichungswürdig, gerade weil sie beiderseits keineswegs perfekt war. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher - aber wenn ich einen Blogbeitrag andenke ziehe ich es auch durch. Lehrreich ist es zumindest für mich denn es zwang mich noch genauer hinzusehen (leider nicht am Brett sondern erst mit Verspätung).

Etwas Vorrede: In mancherlei Hinsicht bin ich vielleicht altmodisch. Techno höre ich nur wenn es sich nicht vermeiden lässt, Jazz oder Klassik dagegen auch freiwillig (und da zücke ich auch mal den Geldbeutel für CDs oder Konzertkarten). Ein Handy habe ich, nutze es aber eher sporadisch - und beim Schach muss ich es nicht ausschalten weil ich es zu Hause liegen lasse. Internet nutze ich natürlich, habe aber keinen Facebook-account. Datenbanken und engines beim Schach? Lange hatte ich darauf verzichtet, das hat sich erst geändert seit ich im Schach-Internet nicht nur konsumiere und kommentiere sondern auch selbst schreibe. Das ist inzwischen fast ein Jahr her, mein erster Beitrag auf Chessvibes erschien am 7.11.2011. Engines können (auch relativ schwachen Spielern) schnell verraten was in manch anderer Leute Partie eigentlich los war, z.B. (dort) bei Kwossek-Rozentalis.

Und wenn man das dann auf seinem Computer installiert hat kann man auch eigene Partien "kontrollieren" - mit wechselndem Erfolg: Manchmal stellte ich halb stolz, halb erstaunt fest dass Houdini mit meinen Zügen weitestgehend einverstanden ist - dann war die Stellung nicht allzu kompliziert. Es ging alles mit rechten Dingen zu; wie gesagt während der Partie verwende ich kein Handy. Mitunter stellt sich heraus dass ich (oder auch mein Gegner) die eine oder andere (taktische) Chance ausgelassen haben. Mal kann er mir verraten ob ein Zug ging den ich zwar erwogen aber mich dann nicht getraut habe. Und dann gibt es Partien wo Houdini die Spieler gnadenlos auslacht, z.B. diese (das ahnte ich schon am Brett) oder auch die heute vorgestellte. Diesmal hatte ich allerdings beim flüchtigen Nachspielen mit dem Computer die Neigung nach Shakespeare auch noch Goethe zu "zitieren": "Habe nun ach, Datenbanken, Houdini und auch noch Stockfish gefragt. Da steh ich nun, ich armer TOR (Thomas Oliver Richter) und bin so klug als wie zuvor" - ich habe zunächst nicht verstanden warum ich, ausgehend vom Titeldiagramm, ziemlich forciert gewinnen konnte.

Legen wir los - es war ein Sizilianer aber nicht die Variante die der Titel vielleicht vermuten lässt:

Stoop-Richter (NHSB Tweede Klasse, Koedijk, 6/10/2012)
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 Ich hatte ja bereits verraten dass ich das seit Jahrzehnten spiele. Gelfand inzwischen auch, aber das liegt nicht an mir. Er kennt mich gar nicht (ich ihn nur vom Sehen) und meine Partien schaffen es nicht in Datenbanken. 6.Sdb5 d6 7.Lg5 a6 8.Sa3 b5 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 Lxf6 11.c3 0-0 12.Sc2 Lg5 13.h4!?

Kleiner theoretischer Exkurs um mein diesbezügliches Halbwissen und auch mein Langzeitgedächtnis zu demonstrieren: die mir bekannte Hauptvariante geht weiter mit 13.a4 bxa4 14.Txa4 a5 15.Lc4 Tb8 16.Ta2 Kh8 17.Sce3 g6. Das hatte ich vor Jahrzehnten bereits in einer Fernpartie (im selben Turnier habe ich gegen MiBu verloren), und hier kann Weiss 18.h4 versuchen und es wird spannend und kompliziert. Die Premiere auf höchstem Niveau war wohl Ponomariov-Kramnik, Wijk aan Zee 2005 - die Partie hatte ich live gesehen, Pono hatte das offenbar vorbereitet und Vlad musste es am Brett neutralisieren, kam in Zeitnot, hielt aber Remis.  Big Vlad war aber offenbar so beeindruckt dass er es kurz danach selbst mit Weiss versuchte und beim Amber-Turnier van Wely besiegte. Die neueste mir bekannte Partie gab es auf halbhohem Niveau (nur ein Spieler über 2700) bei der Olympiade dieses Jahr.
Datenbanken verraten aber dass die Idee viel älter ist und ein nord-süddeutsches Produkt: bereits 1987 spielten es Markus Stangl und Sönke Maus. Was macht letzterer eigentlich inzwischen - offenbar war 1993 für ihn, was Turnierschach betrifft, aus die Maus? Das Internet weiss alles, ich verrate nur soviel: nach dem IM- holte er noch einen anderen Titel, und offenbar ist er immer noch im hohen Norden aber nicht mehr in Schleswig-Holstein.

Zurück zu meiner Partie:
13.-Lh6 (hier ist der Bauer natürlich vergiftet) 14.a4 bxa4 15.g4 Laut Datenbanken spielt Weiss manchmal h4 und g4 oder auch (Reihenfolge egal) h4 und a4, aber so gut wie nie alle drei Bauernzüge, warum auch immer 15.-Lf4 16.Txa4 a5 17.Sce3 Tb8 18.Sc4 Le6 Ziehen wir Leichtfiguren-Bilanz: die weissen Springer stehen gut, die schwarzen Läufer auch. Der weisse Läufer weiss noch nicht so recht was er will. Der schwarze Springer fühlt sich auf c6 wohl und wartet erstmal ab - vielleicht kann er irgendwann nach b4, d4 oder e5 hüpfen, vielleicht auch Sveshnikov-typisch nach e7 um seinen Kollegen abzutauschen. Ab hier wird es kunterbunt, Fragezeichen bedeuten dass Houdini was zu meckern hat. 19.Sxf4? exf4 20.Dxd6? Damit sind wir beim Titeldiagramm, was nun für Schwarz? Weiss hatte hier noch 9 Minuten für 16 Züge (Zeitkontrolle ist nach dem 36. Zug), und womöglich hat ihn die Zeitnot am Ende gerettet denn darauf spekulierte ich ein bisschen. 20.-Lxg4? Ich hoffte heimlich auf 21.Dxc6?? oder auch 21.Dxf4??, aber das war der falsche Bauer! Houdini besteht auf 20.-Dxd6 21.Sxd6 Txb2 und klarer Gewinnstellung für Schwarz. Das habe ich auch im Nachhinein zunächst nicht kapiert, aber nachdem ich die Stellung am Brett aufbaute wurde auch mir klar dass er wohl Recht hat:

Stoop-Richter2

Besser war übrigens auch 20.-De8, eigentlich logisch dass man bei dem weissen König die Damen lieber nicht tauschen will, aber das hatte ich nicht einmal erwogen. 21.Dxd8 Tfxd8 22.Le2 f3 23.Ld1 Te8 24.Se3? h5? Ich dachte dass mein Bauer auf f3 eventuell bei einem Mattangriff helfen kann (egal ob Weiss noch rochiert oder nicht), aber wo ist denn der Mattangriff? Ich spekulierte wohl wieder auf seine Zeitnot, hier hatte er noch etwa 2 1/2 Minuten. Houdini besteht auf 24.-Le6 25.Lxf3 Txb2 (to b2, yes we can) mit Vorteil (etwa -0.6) für Schwarz. Wohl weil der freie a-Bauer gefährlich werden kann - aber wer will sich schon im Endspiel abmühen wenn man matt setzen kann? Da ist was dran, vorausgesetzt man kann matt setzen. Immerhin hatte ich 24.Se3 "zu Recht übersehen" - Weiss konnte stattdessen rochieren, u.a. dank des kleinen Tricks 24.0-0 Txe4? 25.Sxa5 Txa4 26.Sxc6! Ab hier blitzte mein Gegner, und ich bekam noch einen dritten Elfmeter: 25.b3 Tb5 nach langem Grübeln dieser etwas gekünstelte Zug 26.Lc2 Tc5 27.Kd2 Td8+ 28.Sd5 f5 29.c4 Sb4 siehe Kommentar nach dem 18. Zug 30.Te1 Sxc2 31.Kxc2 fxe4 32.Txe4?? Lf5?? Ich dachte, endlich hat er in Zeitnot was übersehen! Hat er auch, aber nicht diesen vermeintlichen Qualitätsgewinn 33.Se7 S C H A C H ! 33.-Kf7 34.Sxf5 Txf5 und hier bot ich entnervt remis was er akzeptierte.

Während der Partie dachte ich besser zu stehen (am Ende nicht mehr) bezweifelte aber ob das zum Sieg reichen würde. Mein Gegner sagte hinterher dass er, angesichts seiner Schwächen auf b2 und g4, eine Niederlage bereits einkalkuliert hatte. Wer hatte Recht? Irgendwie beide!? Houdini gab mir meistens nur leichten Vorteil aber in der Praxis war die Stellung wohl für Schwarz leichter zu spielen. Jede Ungenauigkeit kann für Weiss fatale Folgen haben, jedenfalls wenn Schwarz dann den Elfmeter verwandelt (oder im 32. Zug ins leere Tor trifft).

Auf Wiedersehen in Bilbao auch ohne Grand Slam Circuit
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Montag, 18 Juni 2012 13:10

Small Slam

Dass Spitzenturniere Spaß machen können, beweist das an diesem Montag zu Ende gegangene Michail-Tal-Gedenkturnier. Von Moskau sollte es für Carlsen und Radschabow gleich weitergehen ins rumänische Bazna. Auch Karjakin, Iwantschuk und Nisipeanu, ja selbst Anand, sind beim "Turnier der Könige" als Teilnehmer aufgeführt. Doch der Wettbewerb, der Ende der Woche losgehen sollte, ist abgesagt. Nur verschoben, hoffen die Veranstalter. Aber im Herbst ist praktisch zu viel los, um noch ein Spitzenturnier in den Kalender zu quetschen. Also ist Bazna wohl zumindest für dieses Jahr ausgefallen.

 

Nachdem es schon Linares erwischt hat, bleibt von der Grand Slam-Serie heuer wenig übrig. Schliesslich sind London, Moskau, Biel und Dortmund nicht Teil der Serie. Das ist offiziell nur Wijk aan Zee und eben das Finale. Aber deren Ausrichter in Sao Paolo und Bilbao ficht das nicht an. Ihr Turnier zwischen 24. September und 13. Oktober ist gesichert. Kramnik als Sieger von London haben sie schon eingeladen (mal sehen, ob er den Wechsel von Kontinent zu Kontinent dieses Mal mitmachen wird). Carlsen ist nicht nur als Vorjahressieger sondern auch Erster von Moskau eingeladen. Der Sieger von Dortmund soll auch gefragt werden. Und Anand als Weltmeister.

(aktualisiert am 21. Juni) 

 

Schachweltmeister Edi Wüllenweber, auch bekannt als "Deep Fritz"
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Auf der Homepage des Schachbundes wird die Ankunft von Fritz 13 gefeiert. Der Entwickler der neuen Schach-Software schreibt einen lobenden Artikel. Eigenartig ist nur: niemand weist darauf hin, dass es sich hier um Werbung handelt. Doch bevor wir anfangen, uns darüber Sorgen zu machen, klären wir erst noch eine andere Frage: Wer ist eigentlich dieser Fritz?

Fritz wurde an der Elbe geboren, er ist ein Hamburger Jung und, wie sollte es anders sein, ein Freund des HSV. Schon früh brachte Matthias Wüllenweber, der Vater, seinem Zögling schachliche Kniffe und viele Rechentricks bei. Bald bemerkte er, dass Fritz talentiert und besonders auch in Blitzpartien unheimlich stark war. Beide spielten so viel Schach in den Büroräumen des Vaters, dass dieses Büro in der Familie auch schon die Chessbase genannt wurde.

Auch wenn man immer nur von Fritzens Vater und eigentlich nie von seiner Mutter hört, so hatte Fritz doch auch viele Geschwister. Sie bekamen zwar bei der Geburt alle ihre eigenen Namen, doch weil die Eltern praktisch veranlagt waren, nannten sie sie im Alltag alle einfach nur Fritz und hängten zur besseren Unterscheidung eine Zahl dahinter. So verbrachte ich in jüngeren Jahren bei Freunden zum Beispiel einige Zeit mit Fritz 5 und Fritz 6, die mit bürgerlichem Namen eigentlich Rudi und Guildo hießen. Beide waren bärenstark und haben mich oft im Blitzschach deprimiert. Sogar zur Analyse meiner schrecklichen Verlustpartien wären sie bereit gewesen, doch meistens fehlte mir die Geduld und ein ausreichender Drang zur Sorgfalt, so dass ich nicht immer auf das Ende ihre Überlegungen zu warten bereit war.

Edi, ein weiterer Sohn der Wüllenweber-Familie, war auch im Turnierschach ausgesprochen erfolgreich. Auf einem der umstrittenen Quickstep-Turniere in Wildeshausen luchste er seinem Vater Matthias sogar einmal 38 DWZ-Punkte an nur einem Tag ab. Nun sind 38 Punkte eine ganze Menge, und der Vater ärgerte sich sehr. Wieder zurück in Hamburg bezeichnete er seinen Sohn beim Abendbrot dann auch prompt als „Dieb“ – natürlich nur scherzhaft und mit dem gebotenen Maß an Ironie, doch der Name blieb haften. Fortan hatte Edi mit „Dieb Fritz“ seinen familieninternen Spitznamen (oder auch Fritznamen) weg, und weil so etwas ja nie lange geheim bleibt, griffen die anwesenden Papparazzi diesen Namen gerne auf und wandelten ihn für die internationale Presse mit „Deep Fritz“ lediglich ein wenig um. Als Deep Fritz später Wladimir Kramnik spektakulär auf h7 mattsetzte und dadurch Weltmeister wurde, wusste kaum jemand, dass sein wahrer Name eigentlich Edi Wüllenweber war.

kramnik vs deep fritz

Kramnik im Spiel gegen Edi Wüllenweber (Deep Fritz), 1.Runde in Bonn 2006   (Zeichnung von Emese Kazár - vielen Dank!)

Weitere Fritzen erblickten das Licht der Welt, doch auch andere Familien hatten dazugelernt und schickten nunmehr sehr starken Nachwuchs zu den Turnieren. Beispielsweise gelten die Houdinis mittlerweile als gewitzter, und der junge Stockfisch soll sogar auch mal umsonst für eine Trainingsstunde vorbeikommen. Manche Spieler dieser neuen Generation spielen zwar stark, aber nehmen es mit der Etikette nicht so genau – erst kürzlich wurde dem jungen Rybka ein wichtiger Titel aberkannt.

Neu geboren, oder wie man auch scherzhaft sagen könnte, auf den Markt gebracht wurde nun Lothar Wüllenweber, der familienintern wohl als Fritz 13 ins Rennen gehen wird.
Die Freude war bei den Wüllenwebers natürlich wieder sehr groß, und auch wir bei der Schach-Welt freuen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten mit. Herzlichen Glückwunsch nach Hamburg!

Ganz aus dem Häuschen über den neuerlichen Nachwuchs scheint hingegen der Deutsche Schachbund gewesen zu sein. Die offizielle DSB-Seite präsentiert die Ankunft von Fritz 13 als Top-Meldung. Voller Vaterstolz und mit einigen Bildern erklären die Wüllenwebers in einiger Breite, einiger Tiefe und einiger Länge, was ihr jüngster Sproß so alles kann: "Jetzt anschauen und staunen!".

Wozu kann man Lothar einsetzen, warum Lothar noch klüger, schneller, besser ist als alle seine Geschwister vor ihm, und welche Kaufanreize es noch so gibt – das alles erklärt dieser umfangreiche Artikel mit vielen Details. Auch der direkte Link zum Chessbase- Onlineshop fehlt nicht.

Nun könnte man fast meinen, der DSB hätte einen objektiven, fairen Produkttest auf seiner mir wirklich sympathischen Seite platziert. Das wäre auch sehr schön, und wir glauben ja selber auch, dass Fritz 13 wieder ein tolles Produkt geworden ist. Aber ich verstehe es nicht ganz - hätte der DSB diesen irgendwie doch sehr einseitig werbenden Artikel "Fritz 13 ist endlich da!" nicht auch als Produktwerbung kennzeichnen können/sollen? Fairer wäre das, gegenüber den Lesern. Aber vielleicht wurde es auch einfach nur vergessen.

Hätten wir so etwas im Privatfernsehen (oder bei der ARD) gesehen, würden wir uns wundern und unter Umständen als Schleichwerbung bezeichnen. Doch wir wollen hier nichts Böses unterstellen. Immerhin ist die Firma Chessbase ja auch DER große Sponsor unseres Schachbundes, und da erscheint es selbst uns nur recht und billig, dass der große Sponsor auf der Homepage aus dem Nähkästchen erzählen darf – und damit dann im Gegenzug ein bisschen Geld verdient.

Warten wir also auf die nächsten Artikel – vielleicht dürfen ja auch Versandhändler für Schachmaterial, private Turnierveranstalter, die Bundesregierung oder (bevor sie pleite geht) die Bank of America bald eine längere Eigenwerbung auf der ansonsten immer lesenswerten Homepage des DSB einstellen. Gens uns sumus!

Kramniks Sieg war zu erwarten, Fröwis´ nicht
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Sonntag, 31 Juli 2011 14:10

Von Dortmund nach Wien

Dortmund hat viel Kampfschach und einen überragenden Sieger Kramnik geboten. Was bleibt sonst? Nakamuras Formkrise, Meiers schmerzvolle, aber für sein Weiterkommen nützliche Lektionen, Naiditschs Abwesenheit, eine gegenüber früheren Jahren in schachlicher Sicht deutlich verbesserte Pressearbeit. Unterm Strich meine ich: eindeutig eine der besseren Auflagen der Schachtage aka Sparkassen-Chess-Meeting.
 
Meine Aufmerksamkeit gilt jetzt wieder dem österreichischen Schach. An diesem Sonntag endet die Staatsmeisterschaft mit einem verdienten Außenseitersieg. Georg Fröwis, ein 21jähriger Vorarlberger, profitierte freilich in der Schlussrunde davon, dass Favorit Shengelia in Zeitnot statt stellungsgerecht die Züge zu wiederholen (und sich mit einem geteilten ersten bis dritten Platz bei schlechtester Buchholz abgibt) die Brechstange auspackt und rasch eingeht, so dass er  sich um einen halben Punkt vom buchholzbesseren Andreas Diermair absetzen kann. Fröwis hat eine IM-Norm deutlich übererfüllt, auch Schachinger und Schwabeneder haben IM-Normen geschafft. Bereits ab Mittwoch geht der Staatsmeister seine nächste Norm an, bei einem von mir organisierten IM-Turnier im Stilwerk Wien. Bis 11. August täglich ab 14 Uhr. Zuschauer sind herzlich willkommen. Im Internet gibt es eine Turnierpräsenz und eine Ergebnisseite.  
 
  
Kramnik (rechts) und sein Konkurrent in den letzten Dortmunder Runden
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Freitag, 29 Juli 2011 13:31

Stichwort Nanking

Wladimir Kramnik spielt in Dortmund nicht mehr nur um den Turniersieg und gegen die Anwesenden. Sein härtester Konkurrent heißt Magnus Carlsen. Der Weltranglistenerste hat in Biel gerade vorzeitig das Turnier gewonnen und dabei auch einige Elopunkte. Kramniks Ausbeute verspricht größer zu werden. Schafft er noch zwei Punkte in den letzten drei Runden springt er nach acht Jahren wieder über die 2800.
Selbst Nanking (danke fürs Stichwort, strenger Kommentator Thomas Oliver) ist in Reichweite. Nanking? Ja, die 3002-Eloperformance, die Carlsen dort vor zwei Jahren mit 8 aus 10 gegen einen Eloschnitt von 2762  erzielte. Mit zweieinhalb aus drei und damit insgesamt 8,5 aus 10 hätte Kramnik eine Performance von 3026. Darüber, dass sie nicht wirklich besser wäre als Karpows 11 aus 13 in Linares 1994 mag man streiten (und Fischers 6:0 gegen Larsen ist sowieso außen vor, weil 100-Prozent-Ergebnisse sich eigentlich nicht in Performancezahlen umrechnen lassen). Aber die höchste je in einem aussagekräftigen Turnier gemessene Eloperformance bisher wäre es. Und das zählt doch was in unserer zahlengeilen Medienwelt, oder?
 
(Nachtrag zwei Runden später) Kramnik hat es versucht. Gegen Le hat er in Runde acht mit Schwarz viel riskiert (und möglicherweise in einer langen Vorausberechnung übersehen, dass 34...Dxc5 an 35.Sd6 scheitert), so dass er zwischenzeitlich am Rande einer Niederlande balancierte. Mit Schwarz gegen Giri in Runde neun war indessen nichts drin, ging es seinem jungen Gegner doch vor allem darum, Kramnik keine Chancen zu geben. Das Resultat war das langweiligste Remis des Turniers. Als Turniersieger und Elogewinner stand Kramnik trotzdem vorzeitig fest.
Wladimir Kramnik
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Nach zuletzt gemischten Ergebnissen beeindruckt Wladimir Kramniks bei Deutschlands bedeutendster Schachveranstaltung, dem Sparkassen-Chess-Meeting in Dortmund. Nach fünf Runden weist er mit 4,5/5 einen deutlichen Vorsprung auf das Verfolgerfeld auf. Auf seine Erklärung für die vielen Punkte darf man gespannt sein, hatte er doch nach dem Ausscheiden ohne Gewinnpartie bei der Qualifikation zur Weltmeisterschaft bekundet, im Spitzenschach zu gewinnen sei nahezu unmöglich geworden. Die Eröffnungstheorie wäre allen hinreichend bekannt und man solle über eine Regeländerung nachdenken (z. B. Rochaderecht erst nach dem 10. Zug). Schnee von gestern.

Bernard Verfürden war mit seinem Deep Chess Team vor Ort und hielt Eindrücke
der vierten Runde in einem Video fest:
Remis?
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Montag, 16 Mai 2011 09:40

Der will doch nur blitzspielen

Das Kandidatenturnier bleibt spannend, aber sportlich unbefriedigend. Nach 14 von 16 Viertelfinalpartien endeten auch gleich sämtliche Halbfinalpartien remis. Die Remisquote ist damit auf über neunzig Prozent geklettert. Im Finale werden wir einen Spieler sehen, der noch keine reguläre Partie gewonnen hat sondern sein Weiterkommen den besseren Nerven im Schnell- oder Blitzschach verdankt.

Mir gruselt vor einem Sieger Grischtschuk. Wie schon gegen Aronjan bot er gegen Kramnik, wenn er einmal gut stand, remis. Kramnik hat (wie schon gegen Radschabow) mehr versucht und dabei auch riskiert, insbesondere in der vierten Partie, in der zwar allgemein Grischtschuks Verteidigungsleistung gelobt wird, der Pokerexperte aber zwei, drei (von Sergei Schipow in seinen ausgezeichneten Kommentaren angegebene) Chancen verpasste, selbst das Ruder zu übernehmen und aussichtsreich auf Gewinn zu spielen. Zwischen Kamsky und Gelfand war insgesamt mehr los, und in der dritten Partie ließen beide Gewinnchancen aus. Wenigstens sahen wir in keiner Halbfinalpartie bisher das Damengambit, in dem Jan Gustafsson schon "das neue Russisch" vermutet, also wie 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 die 1.e4-Spieler frustriert das klassische Damengambit die 1.d4-Spieler peinigt. 

Die Stechen an diesem Montag ab 13 Uhr (zunächst vier 25-Minuten-Partien) werden sicher aufregend. Und vielleicht wäre es schlau, wie Olaf Teschke vorschlägt, das Stechen vor den regulären Partien auszutragen, damit einer halt weiß, dass er mehr riskieren muss. Aber, und da wiederhole ich mich, ein legitimer WM-Herausforderer wird in diesem Modus nicht ermittelt. 

Reschs Erbe
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Montag, 09 Mai 2011 21:02

Reschs Erbe

Ekelhaft. Einfach ekelhaft. Und traurig. Nach Topalow hat es beim Kandidatenturnier in Kasan mit Aronjan auch den Hauptfavoriten erwischt. Der Armenier spielte die erste Schnellpartie des Stechens mit Weiß wie ein Kind. In der zweiten kämpfte er sich mit Schwarz mit einer riskanten Eröffnungsanlage zurück ins Match, verlangte aber im vierten Spiel zu viel von seiner Stellung. Sein Bezwinger Grischtschuk ist aber nicht der größte Opportunist in Kasan. Sein Landsmann Kramnik hat ihn klar übertroffen. Nach vier regulären Remis gegen Radschabow war auch im Schnellschach das Gleichgewicht nie ernstlich gestört. Die erste Blitzpartie verlor Kramnik, die zweite war totremis, aber Kramnik zog so lange hin und her, bis Radschabow zwei Bauern einparkte und entnervt auch noch die nächste aus völlig akzeptabler Stellung heraus verlor.

Kramnik ist im Halbfinale Favorit gegen Grischtschuk und Gelfand ist es gegen Kamsky. Gegen den Amerikaner hält der Israeli ein Score von 8:2, wobei Kamskys letzter Sieg schon fast zwanzig (!) Jahre zurückliegt. Pikant ist, dass Kamskys wichtigster Helfer seit Jahren Gelfands Landsmann Emil Sutovsky ist.

Aber zurück zu meinem Ekel an diesem Reglement. Wir haben zwei Halbfinalisten, die keine reguläre Partie gewonnen haben, ja nicht einmal wirklich chancenreich gestanden sind. Vier Partien sind zu wenig für ein Match. Aber zwei Matchrunden über sechs und eine über acht Partien, sprich zwanzig reguläre Partien für die Finalisten ist wohl zu viel für ein Turnier. Ein doppelrundiges Achterturnier hätte die Gefahr von Schiebungen geborgen, aber Mauerschach wie von Kramnik und Radschabow hätten wir kaum gesehen. Hatten sich die Achterturniere um die WM 2005 und 2007 nicht bewährt und jeweils einen klaren Sieger produziert?
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Jusu1Warum haben wir überhaupt Zweikämpfe? Das war nur eine von mehreren Änderungen innerhalb des laufenden WM-Zyklus und geschah auf Wunsch von Kramnik-Intimus Josef Resch. Der deutsch-russische Geschäftsmann, der 2008 die WM Anand - Kramnik in Bonn auf die Beine gestellt hatte, wurde von der FIDE Anfang 2009 zunächst als Ausrichter des Kandidatenturniers und der WM bestätigt, sah sich dann aber in den weiteren Verhandlungen immer neuen Forderungen der Funktionäre ausgesetzt und zog sich zurück. Die Zweikämpfe aber blieben.

Verdammt, warum spielt Carlsen nicht? Wollte er nicht zumindest eine Debatte über den WM-Modus und die Privilegierung des Weltmeisters anschieben? Debattiert wurde fast nur, welche ungenannten Gründe hinter seiner Absage steckten. 

Vielleicht erneuert Resch ja sein Angebot, wenn Kramnik durchkommt. Das Schlimme ist, dass man ihn sich im Interesse einer ergebnisoffenen WM nächstes Jahr als Sieger wünschen kann, die anderen drei haben nämlich alle keine Chance gegen Anand. Man stelle sich vor, Radschabow hätte im Blitz die Nerven behalten. Beamt mich ins Jahr 2013, bitte. 

Toll ist anders
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Montag, 09 Mai 2011 02:28

Toll ist anders

Das Kandidatenturnier ist nicht der erhoffte Knüller. 14 von 16 Partien endeten remis. Dass und wie Gelfand Mamedscharow rausgeballert hat, nämlich unter Verzicht auf Russisch und Einsatz des Najdorf-Sizilianers, ist noch die beste Nachricht. Topalow - Kamski war das Match mit den interessantesten Partien, und der Bulgare hätte für sein risikofreudiges Spiel mit beiden Farben ein Stechen verdient gehabt. Ich hoffe, dass Grischtschuk am Montag auch nach Hause geschickt wird. So gut wie in der vierten Partie stand er das ganze Match nicht - und bot unmittelbar remis an. Verständlich, dass Aronjan annahm. Er wäre der interessanteste WM-Gegner für Anand. Schon deshalb muss er weiterkommen. Aber auch, weil er in dem Match alle Akzente setzte und Grischtschuk in der ersten Partie ausgelassen hat. Eine große Enttäuschung ist Kramnik - Radschabow. Beide riskierten rein gar nichts. Vor allem Radschabow ist anzumerken, dass er sein Glück im Schnellschach sucht. Da hat Kramnik zuletzt in Monaco gar nicht überzeugt.  

Schöpferische Pause für Leko
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Was bisher über das Teilnehmerfeld der diesjährigen Dortmunder Schachtage nach außen sickert (Le Quang, Nakamura!, Giri!!, ein deutscher Spieler, der nicht Naiditsch heißt!!!), deutet auf ein Umdenken hin. Der seit über einem Jahrzehnt trotz schon seit längerem unbefriedigenden Ergebnissen gesetzte Peter Leko wird trotz seines Dortmunder Managers Carsten Hensel heuer nicht dabei sein.

Was macht der Ungar, der von 20 bis 30 praktisch ständig in den Top Ten war und nun auf Rang 26 abgerutscht ist, eigentlich? Seit der Schacholympiade hat man von dem 31jährigen nichts gehört. Schon in Chanti-Mansisk wollte Leko eigentlich nicht mitspielen, hat sich aber breitschlagen lassen. Seine Website wird schon seit 2009 nicht mehr aktualisiert. Nun gönnt er sich, was er schon nach seinem knappen, durch ein Unentschieden gegen Kramnik verlorenen WM-Kampf 2004 hätte tun sollen, eine schöpferische Pause. Nicht weil er Vater würde, auch nicht für eine größere Reise, sondern einfach, um wieder frische Ideen und frischen Mut zu tanken. Jahrelang bestritt er fast ausschließlich Weltklasseturniere und konnte zuletzt gegen starke Konkurrenten, obwohl es ihm an Spielverständnis sicher nicht fehlt, kaum noch gewinnen. Obwohl er kämpfte, hängt ihm wegen seiner vielen Remis und allzu soliden Eröffnungen das Image des Langweilers an. Nun trainiert er zuhause in Szeged, kriegt gelegentlich Besuch von Analysepartnern wie Berkes und Balogh (ob er auch seinerseits wieder Kramnik wie bei der WM 2008 als Sekundant  im Kandidatenturnier hilft, ist nicht bekannt) und rüstet sich mit hoffentlich mutigeren Varianten fürs Comeback. Voraussichtlich in der zweiten Julihälfte, aber eben nicht in Dortmund sondern bei der Mannschafts-WM im chinesischen Ningbo.   

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Condor

Dienstag, 22 Februar 2011 02:35

Psychological elements in chess

 
In most competitive sports there is one a universal psychological element sportsman are facing: “being good when you have to" and problems of achieving it.
Most of the sports psychologists would say: “do your best, concentrate, do not look back – after all, there are no regrets-just decisions!”
Yes, correct,…just decisions! Decisions sportsman constantly has to take. Most of the time in a very, very limited time.
In chess fortunately, we (normally) have considerably more time than someone shooting a football penalty, but the same rule of influence of psychological pressure on players performance, however remains.

Even, the worlds very best are not spared from it and occasionally fail under those pressures. Recently, we had a few examples involving the world very top.
Most of the readers may still remember relatively fresh the London Chess Classic tournament and Kramnik-Carlsen encounter there. Kramnik has played a textbook game, delivering a positional lesson to Carlsen, achieving a technically won position. There was a plenty of time (not even a remotely realistic possibility of a time pressure) and for someone of Kramnik stature such a task should normally have been a matter of easy technique, a ” piece of cake”.  Having an easily won position in this important encounter, Kramnik suddenly became very nervous and an elementary win petered out into a surprising draw.

The following month two stars met in a traditional Wijk aan Zee tournament, Kramnik again playing white, game happening after the rest day, moment Kramnik had a stable tournament with his form steady improving, while Carlsen having a rollercoaster tournament (already losing two of his games).
On the rest day experts came with many different predictions, most of them believing in Kramniks success.  I was thinking about their London game and wondering about the influence spoiling of winning position there would have on Kramniks play.
Kramnik fianchettoed his kings bishop, playing one of his favorite systems, playing kind of position he probably understands the best in the world. Vladimir was unrecognizable, losing with white to Magnus.

Obviously, their London game and a failure of Kramnik to cash in on the easily won position played a crucial psychological role.
Carlsen is not immune from problems caused by psychological pressure either and mistakes arising from it. Magnus refusal to participate in the candidates, many are still speculating the real reason behind.
Being a very young, a prodigy ….did put Magnus in a favorable psychological position playing an established, considerably older giants.
But, how did Magnus recently fare with his (or even younger) generation? How did he deal with the situation where he is the champ, he is world rated nr. 1, while his young opponents are considerably lower rated (than Magnus himself) and have no psychological pressure?
Well, …..not great. To put it mildly!
Against two considerably younger opponents Russian Sjugirov and Dutch Giri,  Magnus got crushed in a mere 20 moves, while against two opponents of his age La Grave and Nepomniachii, he scored ½ out 2.
On the World junior ½ out 4 would not be get you far!
Psychology in sport remains a complicated issue to deal with. Sometimes, difficult even for the very best.

Die beiden Kramnik-Carlsen-Partien zum Nachspielen





Kurzumfrage: Wer gewinnt Wijk? Wenig überraschend  - Anand!
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Das Ergebnis unserer Kurzumfrage kam nicht überraschend: Vishy Anand geht als klarer Favorit unserer Leser in die letzten Runden. Der amtierende Weltmeister hat in Deutschland viele Anhänger. Zum einen durch seine jährliche Präsenz bei den Chess Classic zum anderen verdientermaßen durch sein gutes Spiel. Nie war er stärker! Mit 41 Jahren hat er wohl das beste Alter für die Kombination aus körperlicher Fitness und Erfahrung und mit 2816 in der aktuellen Live-Eloliste die höchste Elozahl seines Lebens.

Platz 2 geht an meinen Favoriten Aronian mit der Hälfte der Stimmen.

Den jungen Spielern wird noch nicht allzu viel zugetraut - etwas überraschend, denn die Leistung des Mitführenden Nakamura in diesem Turnier ist beeindruckend. Und mit seinem heutigen Schwarzsieg, zwei Runden vor Schluss,sollte er zum klaren Favoriten der Buchmacher werden. Ein steiler Aufstieg. Mich verwundert es wenig - habe ich doch in einer dunklen Nacht vor sieben Jahren  14:0 gegen den Amerikaner verloren (und das als Elofavorit). Doch dazu an anderer Stelle mehr....

Zwischenstand nach der 11. Runde

1. Nakamura         8 Punkte
2. Anand                 7,5
3. Aronian               7
Zum Zeitpunkt der Berichterstellung muss sich Kramnik (6,5) noch in einem schwierigen Endspiel mit Minusbauern gegen Carlsen (5,5) erwehren (gefühlter Sieg für MC, aber schwierg). Somit werden wohl beide nichts mehr mit dem Turniersieg zu tun haben (siehe Aktualisierung)

Zum Thema: Spannendes Finale in Wijk                       Zur Umfrage                Zu Tatasteelchess

Nachtrag:

Soeben ging Carlsen-Kramnik zu Ende. Ein interessantes beispiel für das endspiel guter Springer gegen schlechten Läufer (mit viel Analysebedarf in den nächsten Tagen)

Wie oft verliert ein Weltklassespieler?
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Donnerstag, 27 Januar 2011 01:05

Wie oft verliert ein Weltklassespieler?

Aufgrund Entwicklungen wie Anands und Aronjan persönlichen Elorekorden und einer weiteren Weiß-Niederlage Carlsens an diesem Mittwoch in Wijk aan Zee habe ich gerade mal etwas Statistik gemacht und mir für die fünf besten Spieler der Welt durchgesehen, wie sie seit Januar 2010 abgeschnitten haben, einmal in Sachen Elo, dann ihre Verlustprozente (ohne Gewähr, dass ich nichts übersehen habe).

Carlsen begann das vorige Jahr mit 2810 als Nummer eins, hält aktuell bei 2807 bzw. Rang drei, spielte 64 reguläre Partien, verlor davon 10, also fast jede sechste seiner Partien bzw. 15 Prozent.

Topalow 2805 (2) auf 2775 (6), 9 Niederlagen in 41 Partien (20 Prozent)

Anand 2790 (3) auf 2821 (1), 3 Niederlagen in 60 Partien (5 Prozent)

Kramnik 2788 (4) auf 2792 (4), 6 Niederlagen in 70 Partien (9 Prozent)  

Aronjan 2781 (5) auf 2813 (2), 2 Niederlagen in 60 Partien (3 Prozent) 

Spannendes Finale in Wijk
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Mittwoch, 26 Januar 2011 10:09

Spannendes Finale in Wijk

Selten war der Ausgang eines Spitzenturniers so unklar wie der des diesjährigen A-Turniers des Tatasteelchess-Events in Wijk aan Zee. Vier Runden vor Schluss kommen noch 6 Spieler für den Sieg infrage. Vier davon liegen gleichauf.

Die Tendenz der letzten Jahre  bestätigt sich: Nach mehr als 100 Jahren in denen der Weltmeister zumeist unbestritten der beste Spieler war, ist die Weltspitze eng zusammengerückt.

Der Überflieger der letzten zwei Jahre, Magnus Carlsen, scheint eine (Zwischen-) Landung eingelegt zu haben. Eine bittere Niederlage warf ihn in Wijk zunächst deutlich zurück. Nach einem glücklichen Sieg gegen l‘Ami hat er jedoch den Anschluss an die Spitzengruppe wieder gefunden. Mit 5,5 aus 9 teilt er sich mit Frankreichs Jungstar Vachier-Lagrave den 5.Platz.
An der Spitze der vier Spieler mit 6 Punkten finden wir den aktuellen Weltmeister, Viswanathan Anand,  der ebenso grundsolides Schach darbietet wie der Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik und Lewon Aronian. Die drei haben bisher keine einzige Partie verloren. Anders der Vierte im Bunde, der sich zwischenzeitlich kurz absetzen konnte, ehe ihn eine heftige Niederlage gegen Carlsen wieder auf den Boden zurückbrachte. Amerikas Schachspieler des Jahres, Hikaru Nakamura ist für extravagantes und taktisches Schach berkannt. Nachdem er aber seine Experimente, wie z. B. 1. e4 e5 2. Dh5 einstellte, ist er ein ernstzunehmender Kandidat, der sich fest unter den TOP Ten etablieren wird.
Mein Favorit ist Aronian. Unauffällig rangiert der Blitzweltmeister seit geraumer Zeit knapp hinter den Führenden in der Weltrangliste und es würde mich nicht überraschen, wenn er es an Position 1 schaffen würde. In Wijk hat er eindeutig das leichteste Restprogramm. Mit zwei Holländern, einem angeschlagenen Schirow und Ponomariov stehen nur noch Spieler des Tabellenendes auf dem Speiseplan.

Vier spannende Runden liegen vor uns. Wagen Sie eine Prognose – unsere Umfrage steht ab sofort links oben zur Verfügung.