Spielstärke ist eine Sache
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Montag, 01 Juli 2013 08:50

Spielstärke ist eine Sache

Gut spielen ist eine Sache und kann sicher nicht schaden - wichtiger und turnierentscheidend ist aber, besser (oder eventuell nur weniger schlecht) zu spielen als der jeweilige Gegner. Und wenn der Gegner auch gut spielt, landet man im Tabellenkeller ohne selber allzu viel falsch gemacht zu haben? Das wird ein etwas anderer Rückblick auf Tal Memorial - Basis sind Daten von IM Ken Regan die er hier veröffentlichte, dann meine eigene simple statistische Analyse, dann einige Gedanken dazu. Das Ergebnis des Turniers setze ich als bekannt voraus, man findet es aber auch in Ken Regans Liste die ich erst mal kopiere:


Report from MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L, excluding repeats and |prev-eval| > 3

IPR error bars are +- 200-250 typically (two-sigma)
First-line matches to Rybka 3 1-cpu at depth 13:

Player Name Matches/Turns = Pct., AE, IPR Opponents' figures Diff, Score

--------------------------------------------------------------------------------------------
Anand, Viswanat: 173/274 = 63.10%, 0.0499, 2837 178/275 = 64.70%, 0.0444, 2926 -89, -2
Andreikin, Dmit: 140/228 = 61.40%, 0.0326, 2960 134/226 = 59.30%, 0.0448, 2878 +82, +1
Carlsen, Magnus: 162/296 = 54.70%, 0.0361, 2932 167/296 = 56.40%, 0.0398, 2834 +98, +2
Caruana, Fabian: 218/379 = 57.50%, 0.0375, 2855 203/383 = 53.00%, 0.0476, 2731 +124, +1
Gelfand, Boris : 140/223 = 62.80%, 0.0390, 2988 118/219 = 53.90%, 0.0596, 2611 +377, +3
Karjakin, Serge: 220/413 = 53.30%, 0.0413, 2724 220/413 = 53.30%, 0.0371, 2837 -113, -1
Kramnik, Vladim: 142/242 = 58.70%, 0.0493, 2841 155/243 = 63.80%, 0.0337, 2926 -85, -3
Mamedyarov, Sha: 149/252 = 59.10%, 0.0384, 2946 147/252 = 58.30%, 0.0457, 2810 +136, +1
Morozevich, Ale: 189/357 = 52.90%, 0.0573, 2641 221/359 = 61.60%, 0.0426, 2898 -257, -2
Nakamura, Hikar: 164/283 = 58.00%, 0.0674, 2568 154/281 = 54.80%, 0.0613, 2691 -123, =

Totals for all players in MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L: 1697 / 2947 = 57.58%

Aggregate difference in MoscowTalMem2013cat22AllR3d13L: 132.8752 / 2947 = 0.0451
Overall tourney IPR: 2819 +- 50, avg. rating 2777 (Cat. 22), diff +42.

ipr

Tabelle nochmal als Bild


IPR ist "intrinsic performance rating", AE ist "average scaled error per move". Um Missverständnissen vorzubeugen: "Gut" und "schlecht" ist im weiteren Text relativ, bezogen auf dieses Teilnehmerfeld. Eine ähnliche Analyse wäre denkbar für ein Amateurturnier, wobei man dann bei allen IPRs die erste 2 durch eine 1 ersetzen müsste. Unter "Anwendungen" (2 Applications) nennt Regan in seinem Research Prospectus jede Menge. "Cheating testing" ist wohl (leider) am bekanntesten, spielt aber hier keine Rolle - ich gehe davon aus, dass beim Tal Memorial alles mit rechten Dingen zuging. Zuerst erwähnt er "Skill assessment" - sowohl allgemein als auch in bestimmten Stellungen z.B. Endspiele, taktische und positionelle Stellungen, Angriff und Verteidigung. Dann "Player training" - wenn man Schwachpunkte erkannt hat, kann man gezielter daran arbeiten? Irgendwann auch noch der Einfluss verschiedener Bedenkzeiten auf die Qualität der Partien, darauf werde ich später kurz eingehen.

Gelfand-trophy
 

Turniersieger Boris Gelfand (Quelle: Turnierseite)

Eine Zahl bzw. einen Spieler hat Regan fett hervorgehoben. Dazu kann ich mich kurz fassen: Gelfand hat demnach am besten gespielt, und seine Gegner gegen ihn am schlechtesten. Letzteres bedeutet wohl vor allem, dass sie in manchen Stellungen nicht zurecht kamen, dann sind Fehler quasi unvermeidlich. Also hat Gelfand völlig verdient gewonnen, und das mit (fast) 45 Jahren: seinen Geburtstag feierte er tags danach, das schönste Geschenk machte er sich selbst. Interessanter sind drei andere Spieler, dazu drei Excel-Grafiken:

Wie wichtig ist es, selbst gut zu spielen?

IPR vs points

Es schadet natürlich nicht, beeinflusst das Ergebnis jedoch (statistisch gesehen) nur zu 31%. Was auffällt: Kramnik und Anand haben "eigentlich" viel besser gespielt als ihr Ergebnis vermuten lässt, und Nakamura deutlich schlechter. Die anderen sieben Spieler definieren eine saubere Regression mit r2=0,87.

Welchen Einfluss hat das gegnerische Niveau?

Opponent IPR vs points

Das sieht schon etwas besser aus und kann immerhin 53% des Endstands erklären. Das heisst, Partien werden eher durch gegnerische Fehler entschieden als durch brilliante eigene Züge? Im vorderen Mittelfeld liegen die Datenpunkte aber irgendwo, und Nakamura hält sich am wenigsten an die statistischen Regeln. Klar, wer selbst auch schlecht spielt profitiert nur bedingt vom schlechten gegnerischen Spiel. Wenn man "Own IPR" und "Opponent IPR" zusammen betrachtet, spielten alle anderen ein Superturnier - Nakamura UND seine jeweiligen Gegner dagegen quasi Wijk aan Zee B.

Kann beides zusammen alles erklären?

Delta IPR vs points

Sagen wir, fast alles, immerhin 73%. Aber auch hier haben vier Spieler (Kramnik, Anand, Karjakin und schon wieder Nakamura) vergleichbar schlechter gespielt als ihre Gegner und bekamen dafür drei bis viereinhalb Punkte. Und womit kann man die übrigen 27% erklären?

Nun, ich habe Regans Daten bisher wortwörtlich genommen - was er selber nicht tut, da ist ja der recht grosse Fehlerbalken von +200/-250. Allerdings fällt Nakamura in der ersten Grafik selbst dann unter die Regressionsgerade, wenn man seine IPR auf 2768 anhebt. Ausserdem sind es immer Durchschnittswerte, einzelne Partien oder Partiephasen können davon ziemlich abweichen. Und das war wohl vor allem bei ihm der Fall:

Nakamura schlechte Laune

Nakamura mit am Ende +4=1-4 (Quelle: Turnierseite) - das Foto stammt aus dem Bericht zur neunten und letzten Runde. Auch die Form seines Rasierapparats schwankte während dem Turnier.

Wenn er alle Partien auf Niveau IPR 2568 gespielt hätte, wäre er sicher souverän Letzter geworden. Einige Male war er aber wohl deutlich besser (IPR 2900?), und andere Male noch schlechter (IPR 2250?). Bei vergleichbarem Durchschnittswert und noch extremerer Verteilung - sieben Glanzpartien mit IPR 3000 und zwei Anfängerpartien mit IPR 1200 - kann man das Turnier sogar gewinnen, das sollte reichen für +4 oder +5.

Und was war los bei Anand und Kramnik? Laut Ken Regan haben ihre Gegner nahezu perfekt gespielt - da half es auch nicht, dass ihre eigene IPR knapp über dem Mittelwert aller Spieler lag (der allerdings von Nakamura und Morozevich kräftig gedrückt wurde). Waren sie gegen die (Ex-)Weltmeister besonders motiviert, zumal früh deutlich wurde, dass diese in diesem Turnier verwundbar waren? Kramniks IPR-Schnitt wurde aber vielleicht durch seine Partie gleich in der ersten Runde gegen Carlsen angehoben - die war relativ lang, und lange spielte (auch) er fehlerfrei bevor er am Ende doch - für seine Verhältnisse kräftig - daneben griff. Und Anand spielte eine völlig perfekte Remispartie gegen Karjakin, in der er wohl nur seine Vorbereitung reproduzieren musste. Da folgten beide übrigens - vielleicht ohne es zu wissen - bis zum Schluss zwei Fernpartien zwischen Spielern mit Elo ca. 2400.

Kleiner Exkurs: Je länger die Bedenkzeit, desto höher das Niveau? Im Blitz spielt wohl jeder schlechter als mit klassischer Bedenkzeit. Wenn zwei Spieler bei klassischer Bedenkzeit ebenbürtig sind und einer von beiden im Blitz deutlich besser ist, bedeutet es, dass Spieler X 90% seiner Spielstärke behält und Spieler Y nur 75%? Bei klassischer Bedenkzeit kann es blinde Flecke geben: man verwirft zwei oder drei Züge und spielt dann - da die Uhr tickt und man sich irgendwann entscheiden muss - einen vierten noch schlechteren, ohne ihn genauer zu überprüfen. Sonderfall ist: man will gewinnen, zwei drei Züge führen (vermeintlich) zum Remis, der gespielte vierte dann zum Verlust. Spontan fallen mir drei Beispiele ein, jeweils zu einem frühen Zeitpunkt in der Partie: Gelfand-Kramnik im Kandidatenturnier (18.-Se8?? blieb für Vlad ohne Folgen), Carlsen-Caruana beim Tal Memorial 2013 (da musste Carlsen sich nach 17.Sc5? noch anstrengen, um die Partie tatsächlich zu verlieren - wobei Caruana die Tablebase-Phase perfekt spielte), und Richter-Laan einige Etagen tiefer (da war nach 17.Td3?? sofort Schluss). Im Fernschach gibt es ähnliches sicher nicht (oder es war ein Schreibfehler).

Auch ohne Ken Regans Daten ist die Korrelation zwischen Elo und Ergebnis übrigens mit Carlsen Null, und ohne Carlsen eher negativ. Carlsen sprengt ja die Eloskala und spielte in diesem Turnier sicher nicht schlecht, aber auch keinesfalls überragend. Vom Rest spielten Kramnik und Anand unter ihren Elo-Verhältnissen, und neben Gelfand auch Andreikin recht deutlich darüber - wobei Andreikin demnächst in Dortmund auch mal auf Gewinn spielen "muss" statt immer (sogar gegen Nakamura) immer solide auf Remis. Nur Kramnik unterbrach Andreikins Remisserie ... .

schachseminareanzeigeIn meiner "Turniervorschau" (geschrieben nach der dritten Runde, da war manches bereits von der Wirklichkeit überholt) hatte ich Gelfand als Favoriten für den letzten Platz genannt - nicht weil ich ihm das gönnte oder wünschte, aber einer muss eben in diesem starken Feld Letzter werden, und Andreikins Ergebnis war/ist für mich keine Überraschung. Damit lag ich voll daneben, ebenso mit Kramnik als Kandidat für den Turniersieg (hatte sich schon nach zwei Runden erledigt) - jetzt hat er knapp einen Monat Pause bis Dortmund, vielleicht genug um sich von den Strapazen des Kandidatenturniers zu erholen. Nakamura und Morozevich hatte ich, bei entsprechend schlechter Form, auch als Kandidaten für den letzten Platz betrachtet, und IPR gibt mir da Recht. 

Zum Schluss: Mindestens einem Leser ist aufgefallen, dass ich inzwischen auch für den Schach-Ticker schreibe. Das heisst sicher nicht, dass ich "gewechselt" bin - auch hier werde ich weiterhin schreiben: einige Ideen habe ich noch, nun noch Zeit um diese umzusetzen ... . In der Praxis ist es wohl abwechselnd, da ich demnächst "dort" auch für den FIDE Grand Prix in Berlin Beijing zuständig bin.

Frage an die Leser
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Mittwoch, 08 Mai 2013 16:46

Frage an die Leser

Als Abwechslung zur endlosen Schachpolitik mal wieder etwas Handfestes: Die aktuelle "Schach"-Ausgabe wirft eine Endspielfrage auf, die ich mir genau so auch schon gestellt hatte. Die Sache ist mir bis heute etwas rätselhaft. Vielleicht können die Leser dabei helfen, Licht ins Dunkel zu bringen? Es geht um die Partie Carlsen-Gelfand vom Londoner Kandidatenturnier, Stellung nach dem 44. Zug von Weiß (siehe Diagramm). Zur Erinnerung kurz die Partiefortsetzung: 44...Dxf1+ 45.Kh2 Db1 46.b7 Db5 47.c6 Ld5 48.Dg3 1-0. So weit, so einfach. Was aber ist, wenn Schwarz auf f1 mit dem Läufer nimmt? Es ist verblüffend, wie wenig Beachtung diese Möglichkeit fand. Die Londoner Kommentatoren hielten sie für hoffnungslos, Carlsen im Interview ebenso und Peter Heine Nielsen, der die Partie für "Schach" kommentierte, erwähnte den Zug nicht einmal. Aber wenigstens findet sich nun eine "Anm. d. Red." (vermutlich von IM Dirk Poldauf), die ich hiermit zitiere: "Zu prüfen wäre, ob bzw. wie Weiß nach 44...Lxf1! 45.Dxf7+ Kh8 46.Df6+ Kh7 47.Kh2 De8 gewinnt." Endlich noch jemand, der sich diese Frage stellt - ich dachte schon, ich sei einfach zu blöd! Zur Veranschaulichung noch einmal ein Diagramm:

Schwarz plant, eine weißfeldrige Blockade zu errichten und, wenn möglich, seinen Läufer für die beiden Freibauern zu geben. 48.c6 Lb5! 49.c7 La6 führt zu nichts, ebenso wenig wie 48.b7 Db8+. Also was tun? Dazu noch eine Anmerkung: Jeder kann hier seine Lieblings-Engine einschalten und wird feststellen, dass sie eine Gewinnstellung für Weiß anzeigt. Eine ganz andere Frage ist aber, ob dabei auch ein Gewinnweg herauskommt, ob also z.B. diverse Festungsmotive verstanden werden. Branchenführer Houdini hat hier jedenfalls seine liebe Mühe. Ich glaube, dass ich inzwischen trotz allem einen gewinnträchtigen Plan gefunden habe, aber besonders klar ist die Sache keineswegs. Für mich liegt auf der Hand, dass Gelfand so hätte spielen müssen, und ich verstehe nicht, warum dies so wenig beachtet wurde. Zu viel Engine-Gläubigkeit? Oder gibt es doch eine einfache Lösung? Was meinen die Leser?

Montag, 31 Dezember 2012 15:57

Meine Spieler des Jahres 2012

Ein Schachjahr ist zu Ende, und der Tradition folgend veröffentliche ich hier meine Spieler des Jahres. Die ersten drei fielen mir leicht, die weitere Reihenfolge schon schwerer. 

1. Magnus Carlsen bekommt von mir wie im Vorjahr die Bestnote. Er leistete sich kein einziges schwaches Resultat, aber einige sehr gute und brach mit seiner ab 1. Jänner gültigen Elozahl 2861 Kasparows Rekord. Sein Sieg gegen Anand in Bilbao war für mich die Partie des Jahres.

2. Lewon Aronjan gewann in Wijk aan Zee mit einem Riesenresultat (sieben Siege!) und führte Armenien schon zum dritten Mal zu Olympiagold. Auch seine Rückkehr in die Schachbundesliga für die sympathischen Schachfreunde Berlin gefiel mir. Dass Lewon das Jahr schwach abschloss und auf Weltranglistenplatz drei zurückfiel, Schwamm drüber.

3. Fabiano Caruana spielte sich 2012 mit zweiten Plätzen in Wijk aan Zee und Moskau sowie geteilten ersten Plätzen in Dortmund und Sao Paolo/Bilbao in die Weltspitze und aus dem Schatten des in den vorigen Jahren stärker beachteten Anish Giri. Ich muss zugeben, dass ich das dem 20jährigen nicht zugetraut hatte.

4. Garri Kasparow steht hier nicht als Spieler (er steht ja nur noch für wenige Schaukämpfe und Simultane zur Verfügung) sondern als Motor der erfolgreichen Kampagne um die Unterstützung des Europäischen Parlaments für Schulschach und dank seiner Ansage, 2014 alles für die Ablöse Iljumschinows an der Spitze der FIDE zu tun bis hin zu einer eigenen Kandidatur. Ich setze ihn als Nummer vier als kleine Zäsur zwischen den ersten drei und den folgenden Spielern.

5. Wladimir Kramnik fiel mir durch einige Gewinnpartien (gegen Aronjan bei der Olympiade oder gegen Meier in Dortmund) auf. Dass er die aktuelle Nummer zwei der Weltrangliste ist, zeigt seine Stärke, auch wenn er 2012 nicht zu einem eigentlich verdienten Turniersieg kam: In Dortmund zermürbte er sich gegen Leko, in London war Carlsen vom Glück verfolgt.  

6. Boris Gelfand rettete die WM mit dem interessanteren Schach. Er hätte den Sieg gegen Anand verdient gehabt. Als Cosieger des ersten Grandprixturniers in London zeigte der immerhin schon 44jährige, dass das Kandidatenturnier 2011 nicht sein letzter Erfolg bleibt.

7. Sergei Karjakin wurde Schnellschachweltmeister, Cosieger in Dortmund und Taschkent, gewann das starke Blitzturnier in Peking. In Erinnerung blieb auch sein Abschneiden in Wijk aan Zee: Fünf Siege, aber auch fünf Niederlagen. Schade, dass er die Qualifikation fürs Kandidatenturnier als Weltcupvierter denkbar knapp verpasst hat.  

8. Daniel Fridman wurde Deutscher Meister, bester Deutscher bei der EM und war der wichtigste deutsche Leistungsträger bei der Schacholympiade. In Istanbul hätte er eine Medaille und einen schönen Geldpreis sicher gehabt, hätte er sich in der letzten Runde gegen die um Gold kämpfenden Russen nicht ans Brett gesetzt. Doch vorbildlich kämpfte er. Das alles rechtfertigt meines Ermessens einen Platz auch in einer internationalen Liste und ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an alle, die sich an der vom Deutschen Schachbund ausgelobten Wahl des Deutschen Spielers des Jahres beteiligen.    

9. Dmitri Jakowenko wurde verdient Europameister. An ihm lag es am wenigsten, dass Russland wieder nicht die Olympiade gewann. Pech, dass er weder zum Grandprix noch sonstigen Eliteturnieren eingeladen wurde.

10. Wang Hao gewann in Biel, wurde Cosieger in Taschkent und spielte eine starke Schacholympiade bis zur wichtigen letzten Runde, als er gegen Iwantschuk verlor und China auf den undankbaren vierten Platz abrutschte.

 Noch kurz zu denen, die nicht vorkommen: Dass Mister 50 Prozent Anand trotz geglückter Titelverteidigung nicht auf meiner Liste steht, braucht keine weitere Erläuterung. Radschabow hat für meinen Geschmack zu wenig gespielt. Nakamura gewann zwar in Hoogeveen aber kein größeres Turnier.   

Boris Gelfand 2006
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Freitag, 05 Oktober 2012 11:24

Ende gut, (fast) alles Gelfand

Der London Grand Prix ist auch schon wieder vorbei. Er bot insgesamt interessantes Schach und tolle Live-Videoübertragung nebst Kommentaren der Spieler kurz nach der Partie. Nur die Bedingungen für Zuschauer vor Ort waren offenbar - trotz ansprechendem Ambiente - sub-suboptimal, man kann nicht alles haben .... . Gewonnen haben am Ende mit Topalov, Gelfand und Mamedscharow drei Spieler (zum Glück hatte die Tiebreak-Lotterie keinen Einfluss auf Preisgeld und GP-Punkte!); warum ich einen besonders hervorhebe verrate ich später in diesem Blogbeitrag.
Vor dem Turnier haben diverse "Experten" wohl erwartet dass Gelfand und Nakamura am entgegengesetzten Ende der Abschlusstabelle landen würden - so kam es dann auch aber doch anders als prognostiziert. Auch die erste Runde (Nakamura-Gelfand 0-1) betrachteten "sie" vielleicht als Ausrutscher den beide noch reparieren würden. Ich setze gleich mal ein Diagramm:

Nakamura-Gelfand

Typisch Sveshnikov, wobei diese Bauernstruktur erst nach dem 42. Zug aufs Brett kam. Weiss am Zug kann sich zwar einen Bauern auf h5 schnappen, aber weder dieser Mehrbauer noch die ungleichfarbigen Läufer konnten langfristig verhindern dass die schwarzen e- und f-Bauern unwiderstehlich voran stürmen - Nakamura hat es verhindert indem er im 58. Zug das Handtuch warf. Damit ist schon ein Pluspunkt von Gelfand erwähnt: er profitierte deutlich von seiner Eröffnungsvorbereitung für Anand. Mit Sizilianisch holte er zunächst 2.5/3 - dann wichen die Gegner auf Nebenvarianten aus, Grischuk mit durchschlagendem Erfolg, die Partie erinnerte mich an eine Partie gegen Anand. Wie damals in Moskau ist Gelfand anschliessend nicht eingebrochen; die siegreiche Partie in der Schlussrunde gegen Kasimdzhanov war grosses Kino wobei er einen halben Zug lang schlecht stand - no guts no glory! Generell war er des öfteren kreativ, erwähnen will ich noch das aggressive Bauernopfer gegen Ivanchuk, das eher defensive gegen Mamedscharow und seine Weisspartie gegen Giris Königsinder - auch wenn das alles remis wurde. Dann gab es noch den technischen Sieg gegen Wang Hao - da hatte er am Ende Glück dass der Chinese böse patzte (was er lachend und mit Fassung akzeptierte), aber völlig unverdient war es für mich nicht da er die ganze Partie am Drücker war und ein ähnliches Mattmotiv einige Züge eher ohne Hilfe des Gegners erzwingen hätte können.

Zu einigen anderen Teilnehmern: Topalov war verdient vorne mit dabei, nach Wertung sogar ganz vorne. Allerdings hatte er meiner Meinung nach, mehr als Gelfand, Glück, meinetwegen das Glück des Tüchtigen. Sein Haudrauf-Stil brachte ihm diesmal nur einen Sieg gegen Dominguez, ansonsten remis, remis und noch einige Remisen. Vielleicht haben sich die Gegner inzwischen auf seinen Stil eingestellt, witzig dass Leko Topas Qualleopfer antizipierte weil er es bei Gelegenheit selbst mit Weiss versuchen wollte. +3 holte er weil Ivanchuk und Giri sehr remisliche Endspiele vergeigten. Damit war für Topa auch insgesamt +1=10 drin, das Ergebnis des bösen Peter Leko (s.u.). Um kurz in die hintere Hälfte der Tabelle zu springen: Ivanchuk hatte ein für seine Verhältnisse mässiges aber nicht untypisches Turnier, gewonnen hat er nur gegen Nakamura (zu dem komme ich noch). Giri hatte acht akzeptable Remisen und drei relativ grausame Verluste gegen Mamedscharow, Nakamura und Topalov, jede Partie auf ihre Weise grausam.

Mamedscharow spielte, wie wir ihn kennen, Haudrauf-Schach. Gegen Giri klappte es wunderbar (lag aber auch an Giri), gegen Adams hätte es durchaus nach hinten losgehen können. Nur der Sieg gegen Dominguez war Endspieltechnik mit Läufer- gegen Springerpaar, aber auch in der Partie hatte er früh randaliert (10.g4, 17.Ke2 - Rochade ist für Weicheier?). Verloren hat er nur, auch recht spektakulär, gegen Grischuk.

Damit habe ich Grischuks Siege bereits erwähnt - er konnte zwei von drei Siegern besiegen, aber das wars auch schon. Versucht hat er es durchaus und die eine oder andere Chance vergeben (gegen Wang Hao und Kasimdzhanov, vielleicht auch gegen Dominguez). Dafür liess Leko ihn entwischen (der Sizilianer von Grisch war etwas zu kreativ?). Dann waren da noch korrekte und spannende Remisen gegen Topalov und Ivanchuk, und am Ende hatte er vielleicht Pech dass Nakamura ausgerechnet gegen ihn nicht verlieren wollte. Beschwert hat er sich aber hinterher nur - aus seiner Sicht verständlich - über Giris unglaubliche Niederlage gegen Topalov ("unbelievable").

Damit ging - wie in Kommentaren auf Chessvibes betont - Platz 1-4 an die teilnehmenden Teilnehmer der letzten Kandidatenmatches. Gelfand und Grischuk sind demnächst in London(!) wieder dabei. Mamedscharow nicht, denn diesmal braucht Radjabov eine wildcard. Topalov auch nicht da Bulgarien das Kandidatenturnier nicht organisieren darf - ausser vielleicht wenn Danailov sich vor Gericht durchsetzt?

Dann noch, wie versprochen, Nakamura. Ebenfalls auf Chessvibes wurde viel spekuliert was bei ihm nicht stimmte: ist er krank, verliebt, ... ??? Ich hatte es dort schon erwähnt: er ist eben genau wie Ivanchuk, Shirov und Morozevich - manchmal top, manchmal flop. Diesmal hat er doch nur seine Form aus einigen Superturnieren anno 2011 bestätigt (Dortmund, Tal Memorial).  Wenn man sich z.B. Ivanchuks Ergebnisse der ersten GP-Serie anschaut: einmal hatte er gewonnen, einmal holte er 50%, zweimal weniger (5.5/13). Daneben hat er für Super-GM Verhältnisse gewisse Schwächen in Endspielen, zumindest in strategischen oder theoretischen - siehe die Niederlagen gegen Gelfand und Ivanchuk und der verpasste Sieg gegen Leko. Wenn es taktisch wird ist er da - siehe Kasimdzhanov und Giri. Vielleicht sollte er doch mal ein Schachbuch lesen oder mit einem guten Trainer arbeiten - das Experiment mit Kasparov ist ja recht grandios gescheitert, was wohl an beiden lag.

Auch wie versprochen: warum habe ich mit Gelfand angefangen? Ich sympathisiere generell, ein bisschen auch aus Prinzip mit Spielern denen sonst in Schachforen eher Abneigung bis Hass zuteil wird. Gelfand gehört erst seit kurzem dazu - vor Kazan wurde er eher ignoriert, aber dann war er so frech das Ding zu gewinnen. Dass er sich gegen Anand sehr wacker geschlagen hat nannte man tendenziell Misserfolg bis Schande für Vishy und nicht etwa einen (am Ende nur Achtungs-) Erfolg für Gelfand. Nach dem London Grand Prix äusserte sich Gelfand im Video-Interview mit Daniel King :  "I want to listen some comments from the public who say I cannot play tournaments or things like this, only in second-hand events like world championships he is doing well. Players including the greatest made such comments, maybe again the formula of the tournament was wrong ...". Schon länger gehört Leko dazu. Diesmal spielte er wieder viel remis, aber nicht unbedingt weil er keine Ambitionen oder Ideen hatte - aber warum soll man sich die Partien anschauen wenn das Ergebnis reicht um Vorurteile zu bestätigen? Auch Kramnik nennen manche immer noch Drawnik - die haben wohl entweder die letzten Jahre komplett verschlafen, oder sie können/wollen nicht glauben oder verkraften dass manches (früher mal nicht ganz unberechtigte) Vorurteil von der Realität überholt wurde.
Nakamura und Topalov sind für mich eine andere Kiste. Die haben auch ihre "Feinde", aber sie müssen nicht nur einstecken sondern können auch selbst austeilen, polarisieren und provozieren und polemisieren. Wie man in den Wald ruft so schallt es mitunter zurück?

P.S.: Das Foto von Gelfand stammt aus 2006 - ich konnte kein neueres frei verwendbares finden aber rein äusserlich hat er sich nicht gross verändert. Damals war er in den top10, danach nochmal 2009/2010, schafft er das nochmal?

Bulgarische Impressionen oder eine WM Nachbetrachtung
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Nach der Weltmeisterschaft in Moskau brauchte die Krennwurzn dringend Urlaub, aber das Wetter im geplanten Urlaubsgebiet wollte sich nicht den Wünschen anpassen und so wurde kurz entschlossen am Samstag eine Woche Sonnenstrand in Bulgarien mit Abflug Sonntag gebucht. Der Sonnenstrand liegt nördlich von Burgas am Schwarzen Meer und ist ein „Ballermann“ in einer wunderbaren Bucht in der Nachbarschaft des UNESCO Weltkulturerbes Nessebar. Für Schach-, Bade- und Technomusikinteressierte findet dort Anfang September im Rahmen der Czechtour das Sunny Beach Open 2012 statt.

Aber was soll das Geschwafel über Urlaubsreisen und Schachturniere werden Sie sich nicht zu Unrecht denken und da will ich Sie gar nicht länger auf die Folter spannen. Wie die Krennwurzn so durch die diversen Verkaufsbuden schlendert, fällt ihr Blick auf ein Schachbrett, das umgeben von Schlagringen zum Verkauf angeboten wird. Sofort sind die Gedanken wieder bei der als langweilig kritisierten Weltmeisterschaft – ja es muss wieder mehr Brutalität in den Schachsport kommen. Die Fans wollen Schlachten sehen, erschaudern vor Angst ob der geliebte Schachspieler alle Gefahren des Variantendschungel gut überstehen wird und sich mit letzter Kraft als Sieger vom Brett schleppen wird. Und natürlich möchten wir den gehassten Gegenspieler sehen wie er trotz aller schmutzigen Tricks dennoch aus dem bitteren Krug der Niederlage trinken muss. Ja – das Gute muss im heroischen Kampf siegen!

Nach so viel Aufregung musste ich wegen 30 Grad Außentemperatur dringend ins Meer zur Abkühlung und da der Strand hier schön sandig und sehr flach ist, lädt er dazu idealerweise ein. Das um die 20 Grad warme Wasser kühlte dennoch das in Wallung geratene Blut schnell wieder ab und so machte sich die Krennwurzn ein paar weitere Gedanken, warum eigentlich der vergangene WM-Kampf von vielen so hart kritisiert wurde und mildestens als etwas langweilig bezeichnet wurde.

Eigentlich war es doch ein Wettkampf ohne grobe Fehler – möglicherweise könnte man Df6 von Gelfand zwar als solchen bezeichnen, aber so weit gingen nicht einmal die Experten von denen einige selbst die Widerlegung live selbst nicht gesehen hatten. Und ansonsten wurde uns vorgeführt wie schnell und dynamisch man die Luft aus der Stellung nehmen kann ohne dass man lang ausanalysierte und hinlänglich bekannte Hauptvarianten, die unweigerlich ins Remis führen, bemühen muss. Das „alte“ Schach bietet genügend Raum, man benötigt weder 30,40 oder sonstige Remisverbotsregeln und auch kein 960 Fischerschach gegen lange vorbereitete Varianten und Fallen – nein, das geht alles ratz­fatz „on the board“ in ungefähr 25 Zügen haben uns die Finalisten eindrucksvoll bewiesen! Endlich ist er da, der schon von Capablanca im vorigen Jahrtausend beschworene Remistod. Aber halt! Vermuten wir nicht schon lange, dass Schach Remis sein könnte und dennoch sogar die stärksten Engines sind immer noch in der Lage gegeneinander zu gewinnen, obwohl die Remisquote in solchen fehlerarmen Wettkämpfen schon hoch ist und weiter steigen wird. Remis aufgrund von fehlenden Fehlern bzw. aus nicht als solche erkannte kann nicht der Grund unserer Unzufriedenheit gewesen sein.

Wahrscheinlich war es der fehlende Hass der Spieler aufeinander, der korrekte sportsmännische und professionelle Umgang miteinander, der in der Schachwelt das Fadheitsgefühl erzeugte. Das Schach auf diesem Niveau verstehen die wenigsten von uns – ehrlich gesagt geht es uns wie dem berühmten Schafhirten beim Verständnis der Formel 1 Technik. Uns fehlte die Show rundherum! Kein Topalov der ankündigt jedes Remisangebot schroff abzulehen, keine Unterstellungen bezüglich unerlaubter Computerunterstützung während der Partie, keine politischen und weltanschaulichen Diskussionen – ja nicht einmal Kritik an der Farbe der Socken. Nichts, gar nichts! Nur fairer und ehrlicher Sport – das ist ja urlangweilig!

Und dann geht die Fairness noch so weit, dass der Weltmeister keine Privilegien mehr genießt und zur Titelverteidigung auch noch den Wettkampf gewinnen muss! Möglicherweise ist das aus Zuseherinteresse wirklich etwas übers Ziel hinausgeschossen, denn erstens lieben wir Weltmeister, die lange ihren Titel verteidigen und das Schach dominieren – die meisten von uns erinnern sich eben nur an die Zeiten ab Fischer 1972 und da gab es dann lange Karpov gefolgt von Kasparov. Die unruhigen Zeiten in den Nullerjahren des neuen Jahrtausend mit Parallel, KO und sonstigen Weltmeister waren nicht nach unserem Geschmack und sehr unübersichtlich noch dazu! Daher wäre wohl die Ungerechtigkeit, dass der Herausforderer den Weltmeister schlagen muss der Spannung und der Dramatik eines WM-Matches nicht unabträglich – aber wäre das dann noch zeitgemäß?

Bannerschachreisen240pxDie Kritik ging noch weiter und besagte, dass doch die aktuell stärksten Spieler um die WM Krone spielen sollten und nicht ein zufriedener überalterter Weltmeister mit Rücktrittsgedanken gegen einen noch älteren und in der Weltrangliste schon abgerutschten Herausforderer. Nun die beiden sind um die fünf Jahre jünger als die Krennwurzn und auch diese fühlt sich noch nicht so alt, ebenso wie viele WM-Kritiker und Schachfreunde, die wohl auch schon in der zweiten Lebenshälfte angekommen sind. Zudem gibt es nicht alte und junge sondern nur gute oder schlechte Schachspieler und beide haben sich ihren Finalplatz redlich und den Regularien entsprechend erspielt – nein, Leute dieser Kritikpunkt zählt nun nicht wirklich!

Bleibt nur mehr die Kreativität und die Schaffenskraft oder wie wir Schachspieler lieber sagen die Genialität! Fischer war so genial, das man ihm alle anderen menschlichen Unzulänglichkeiten einfach vergeben musste, Karpov war der ideale Technokrat, Kasparov einfach unsterblich und Carlsen der Mozart des Schachs! Da ist es schwer für die anderen einen würdevollen Platz in unseren Herzen zu finden. Aber weil wir gerade bei Mozart sind, auch nach seiner leichten und genialen Musik fanden andere den Mut ebenfalls hörenswerte Musik zu komponieren – wie beispielsweise der gestrenge Anton Bruckner aus der unmittelbaren Heimat der Krennwurzn.

Weinen wir nicht genialen Mozartklängen nach, sondern vergleichen wir den WM Kampf Anand gegen Gelfand lieber mit einer schwermütigen Brucknersymphonie und erfreuen uns daran! 

Und während die Krennwurzn schon etwas zu sehr abgekühlt aus dem Meer entflieht, schleicht sich der Gedanke, ob sich vielleicht nicht doch ein geschäftstüchtiger Promoter finden wird, der WM-Kämpfe mit Schachbrett und Schlagringen austragen lässt, in die bibbernde Krennwurzn.

Welch ein Pokal! Aber welch eine WM...
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Donnerstag, 31 Mai 2012 06:12

Anand reicht es - mir auch

Hat doch genau gepasst. Zwei Selbstmorde Gelfands, einmal durch Rechenfehler, einmal durch Zeiteinteilung, haben Anand gereicht. Nur einmal hat er seinen Herausforderer überspielt, aber dann nicht den Sack zugemacht (3.Partie). Mit Mehrbauer und großem Zeitvorteil in Partie zwölf weiterkämpfen? Als Schnellschachspezialist dann doch lieber ins Stechen. Und am Ende, als in der vierten Stichpartie mit Weiß ein Remis reicht, eine Staubsaugervariante (3.Lb5+-Sizilianer). Dass Anand bei Turnieren zwischen seinen Titelkämpfen wenig leistet, waren wir ja schon gewohnt.

Ich will nicht ungerecht sein. Gelfand hat stark gespielt. Ohne 14...Df6? (8.Partie) hätte er Anand vielleicht niedergekämpft. Gelfand muss Anand so beeindruckt haben, dass der kein unkalkulierbares Risiko gegen ihn eingehen wollte.

Was beschwere ich mich überhaupt? Ich habe in Moskau ein großartig organisiertes Match und drei Partien gesehen, zwei davon wurden entschieden, während der Remispartie gab Kasparow eine unterhaltsame Pressekonferenz und ein ungewöhnliches Kindersimultan, und ich fand im Pressezentrum, anders als es am Anfang und am Ende des Matches gelaufen wäre, sogar ein Plätzchen zum Arbeiten. Trotzdem fand ich es eine WM zum Vergessen.

bannerostsee300Vergessen habe ich leider bisher das Verlinken der unübertrefflichen WM-Berichterstattung von ZEIT-Reporter Ulrich Stock mit als Höhepunkt dem Liveblog vom Stechen und des großartigen, bilderreichen WM-Blogs von Eric van Reem aus dem Anand-Team sowie Sergei Schipows brilliante Analysen. Wer noch nicht genug WM hatte, kriegt dort alles.

 

Montag, 28 Mai 2012 17:16

Es kann auch keinen geben

Mal ehrlich, war das weltmeisterlich oder auch nur das Prädikat WM wert, was Anand und Gelfand in den zwölf WM-Partien geboten haben? Ich finde nein. Remisquote über 80 Prozent. Nur 29 Züge im Durchschnitt. 75 Prozent mit frühem Damentausch, im Durchschnitt vor dem 20.Zug.

 

Der letzte WM-Kampf, der mich ähnlich enttäuschte, war Kramnik-Leko 2004, hatte mehr unausgespielte Stellungen, aber immerhin doppelt so viele entschiedene Partien und war am Ende richtig dramatisch. Hatten wir einfach Glück mit den letzten drei WM-Kämpfen? Zweimal war Topalow dabei. Mit einem Topalow, Carlsen oder Aronjan, behaupte ich, gibt es keine uninteressanten Zweikämpfe. Mit einem Anand kann das schon passieren, zumindest mit der Version von 2012. Der Inder klammert nur noch an seinem Titel, statt ihm auch zwischen Titelkämpfen Ehre zu machen. Ja, er schafft es nicht einmal, einen nicht zu den Top Ten zählenden Gelfand zu schlagen, wenn der sich nicht gerade, wie in der achten Partie, selbst ausknockt.

 

Brauchen wir einen Weltmeister, der so ein lasches Match im Schnellschach oder vielleicht sogar erst im Blitzschach gewinnt? Es wäre ja noch vertretbar, wenn dieser Weltmeister in seinen Turnieren etwas reißt. Das kann man aber weder von Gelfand noch Anand behaupten. Weltmeister als Auslaufmodell. Unter jetzigen Umständen würde ich sagen: Es kann auch keinen geben.

 

Hier mein Vorschlag: Wer am Mittwoch das Stechen gewinnt, soll sich ein knappes Jahr lang Weltmeister nennen und von der FIDE so genannt werden (muss ja sonst nicht jeder tun) und kriegt statt einem Gratistitelkampf den Platz im Achterturnier in London. Wer dort im Frühjahr 2013 gewinnt, wird der nächste Weltmeister. Und bis dahin diskutiert und entscheidet die internationale Schachcommunity, ob sie dem Weltmeister noch ein so gewaltiges Vorrecht einräumen will, zwei Jahre lang zuzuschauen, wie sich die anderen profilieren, und ob wir überhaupt noch lange Zweikämpfe um den wichtigsten Titel haben, wenn die Welt nur bei diesen ein wenig hinschaut und das, was dort geleistet (oder auch nicht geleistet) wird, damit verwechseln, was Spitzenschach wirklich zu bieten hat. 

Evgeni Sveshnikov (Turin 2005)
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Freitag, 18 Mai 2012 11:26

Gelfand grüsst den Ehrengast

Der Trend bei der WM setzt sich fort: Anand spielt mit Schwarz was er immer spielt (und macht damit sicher Remis) während Gelfand den Gegner immer überrascht. Zuletzt mit einer Variante die ihr Namensgeber (wenn auch nicht Erfinder, s.u.) nach wie vor mag wie er nach der Partie bestätigen konnte: aufs Brett kam nämlich der Sveshnikov-Sizilianer, und Ehrengast vor Ort war Evgeni Sveshnikov.
Ein bisschen Hintergrund dazu: Gab es das schon mal in einem WM-Match? Klar doch, ist gerade mal hundert Jahre und ein bisschen her, 1910 von Lasker gegen Schlechter (diese Info und das Grischuk-Zitat unten habe ich aus dem Chessvibes-Bericht nebst Video). Wer bekam das am häufigsten mit Weiss vorgesetzt? Laut chessgames.com niemand anders als Vishy Anand mit inzwischen 55 Partien. Mit Schwarz haben sie die meisten Partien nicht etwa von Sveshnikov sondern von Vlad Kramnik - es gab Zeiten dass er e7-e5 nicht gleich im ersten Zug spielte. Genau wie Peter Leko, der sich mit Sveshnikov für sein WM-Match qualifizierte - Schwarzsiege im Halbfinale des Dortmunder Kandidatenturniers gegen Shirov und im Finale gegen Topalov. Das waren noch Zeiten dass Sveshnikov eine Gewinnwaffe war (s.u.). Hat Gelfand das schon mal gespielt? Jaja, ist noch nicht mal zehn Jahre her, zwei Partien mit klassischer Bedenkzeit anno 2003. Zuletzt beim Hunguest Hotels Super Chess Tournament - interessantes Feld mit gleich drei Vizeweltmeistern: Short, Leko und Korchnoi. Kann Gelfand diesen Bann durchbrechen??

Die WM-Partie wurde übrigens remis, laut Gelfand (Antwort auf die provokative Frage eines Journalisten) für ihn die einfachste im ganzen Match. Wie er auf die Sveshnikov-Idee kam wollte er uns nicht verraten: "after the match ...". Zur Eröffnung meinte Grischuk (Gelfands letztes Opfer in Kazan und an dem Tag Kommentator auf Russisch): "Sveshnikov ist völlig zu Unrecht bei der Weltspitze nicht mehr populär. Eröffnungen sind Modesache, vielleicht wird es sich jetzt [wieder] ändern." Chess-Tigers - in ihrer Berichterstattung aus nachvollziehbaren Gründen nicht ganz neutral - beschwerte sich dass Vishy "mit der vielleicht solidesten Sizilianisch-Variante ... recht frühzeitig ausgebremst" wurde. Wie bitte? Eine Variante wo Schwarz das Feld d5 dauerhaft schwächt und den d-Bauern rückständig macht ist solide!? Leider ist da vielleicht was Wahres dran, die Variante ist tief ausanalysiert und Weiss tut sich schwer Vorteil nachzuweisen. Allerdings ging der überraschte Anand auch nicht zu ambitioniert zu Werke.

P.S.: Ich spiele selbst seit Jahrzehnten nicht nur Grünfeld sondern auch Sveshnikov - letzteres schon bevor es bei Super-GMs einige Zeit eine Modevariante war. Boris rocks! Auf meinem Amateurniveau kann man mit beidem nach wie vor sowohl gewinnen als auch verlieren ... .

Glaubte nicht an seine Eröffnung: Ernst Grünfeld (1890-1962)
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Sonntag, 13 Mai 2012 19:28

Grünfeld ist wieder da

Gelfands Schwarzwahl Grünfeldindisch ist das bemerkenswerteste, was diese WM bisher gebracht hat. Viele haben in den letzten Tagen daran erinnert, dass ihr Erfinder, der Wiener Ernst Grünfeld, selbst erwartete, dass seine Idee binnen einiger Jahre widerlegt würde. Diese Eröffnung hat der israelische Großmeister mit Schwarz bisher nie gespielt. Im Gegenteil hat er früher als Weißspieler dafür gesorgt, sie (mit der 8.Tb1-Variante) zeitweise stark unter Druck zu bringen. Er traute sich diese Eröffnung gegen Anand, der sie selber spielt. Und Gelfand tat es trotz der miserablen Bilanz, die Grünfeldindisch zuletzt in WM-Kämpfen hat.

Grünfeldindisch war Kasparows vorbereitete Überraschung für sein WM-Match 1986 gegen Karpow, und die Eröffnung hätte ihn fast den Titel gekostet. Gleich drei Partien verlor er damit. 1987 spielte er es trotzdem wieder, verlor nur einmal und gewann sogar eine, als Karpow einer Zugwiederholung auswich. 1990 spielte Kasparow viermal Grünfeld und verlor wieder eine damit. 2000 in London gegen Kramnik brachte er Grünfeld in seiner ersten Schwarzpartie, verlor und machte den Rückstand nie mehr wett. Danach traute er sich Grünfeld in diesem Match nicht mehr, obwohl er damit die meiste Zeit in seiner Vorbereitung verbracht habe. Sich auf diese Eröffnung eingelassen zu haben, bezeichnete er hinterher als entscheidenden Fehler. Es gäbe einfach zu viele Risiken. Danach war auf WM-Niveau ein Jahrzehnt Ruhe mit Grünfeldindisch, bis es Anand 2010 in der ersten WM-Partie gegen Topalow auspackte. Und gleich voll einfuhr (Topalow landete einen Vorbereitungssieg) und anschließend zum Damengambit wechselte.

Anands bisherige Weißpartien gegen Grünfeld machten nicht unbedingt Angst, zumal der Inder mit dem Db3-System, 5. Ld2 und im Abtauschsystem mit Le3 mit und ohne Sf3 zuletzt fast immer variiert hat. Nun hat Gelfand mit Rodshtein und Huzman zwei Sekundanten, die eingefleischte Grünfeld-Experten sind. Das gilt auch für ihren Landsmann und Freund Boris Avrukh, der angeblich bei der Vorbereitung eingebunden war.

Anands Überraschung (O-Ton: "man erwartet eine Überraschung") hielt sich denn auch in Grenzen. Und er hatte eine Nebenvariante parat, die wohl giftiger ist als ihr Ruf. Sein Baden-Badener Mannschaftskamerad Jan Gustafsson hatte das chancenreiche Qualitätsopfer 8. Lb5 Sc6 9. d5 a6 10. Le2 Lxc3+ 11. Ld2 Lxa1 12. Dxa1 Sd4 13. Sxd4 cxd4 14. Dxd4 in die Praxis eingeführt. Anand hätte hier wahrscheinlich noch eine Reihe Züge runterrattern können, wäre Gelfand nicht (vermutlich schlauerweise) mit 9. ... Da5 ausgewichen. Vermutlich hatte der Inder das nicht so gut analysiert, verpasste im 13. und 15. Zug chancenreichere Fortsetzungen und musste Gelfand sogar etwas Vorteil einräumen. Die Stellungsbilder lagen jedenfalls etwas abseits vom Üblichen, und das sieht man immer gern. 

Auf Slawisch-Neuerungen mit absehbarem Remis (wie in der zweiten Partie) kann ich verzichten. Aber gerne mehr solche Grünfeldinder.  

 

Mittwoch, 23 November 2011 21:14

WM-Fieber schafft man so jedenfalls nicht

Boris Gelfand hat Freunde in Moskau. Einer von ihnen ist der Hauptsponsor oder vielleicht eher Mäzen seines WM-Kampfes gegen Anand im nächsten Jahr. Was Gelfand derzeit gleichenorts beim noch bis Freitag laufenden Tal-Gedenkturnier zeigt, lässt wenig Gutes für den WM-Kampf erwarten. Er teilt den letzten Platz und dürfte dort auch kaum noch wegkommen. Das ist zu wenig für einen WM-Herausforderer. Für die WM ist das Antiwerbung. Auch Anand reißt sich in Moskau kein Bein aus. Er liefert ein Remis nach dem anderen ab. Er hat den zweiten Platz in der Weltrangliste an Aronjan schon so gut wie verloren. Das ist zu wenig für einen Weltmeister. Beide haben im Turnier noch keine Partie gewonnen. Im Januar sind Anand und Gelfand beide in Wijk aan Zee dabei. Möglicherweise ihr jeweils letztes Turnier vor ihrem WM-Kampf. Viel erhoffen dürfen wir dann von beiden nicht. Okay, sie sind Veteranen, über vierzig, und geben ihr Bestes nur, wenn es am wichtigsten ist. Aber sie dürfen sich nicht wundern, wenn wir derweil von aufregenderen Gefechten träumen und uns die übernächste WM nicht bald genug sein kann.

Gelfand: Der bessere Stratege
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Freitag, 27 Mai 2011 10:26

Nochmal Gelfand!

Was für eine Überraschung: der mit Abstand älteste Teilnehmer kommt durch! Wie war das noch mal mit der Kondition? Anscheinend sind bei einem Modus wie dem in Kazan angewandten dann doch andere Faktoren wichtiger wie Erfahrung in Zweikämpfen, die Nerven usw. Wir hätten nicht vergessen dürfen, dass Gelfand sich als Sieger des Weltcups 2009 für dieses Kandidatenfinale qualifiziert hatte. Und auch da wurde dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel betrieben, bei dem einem alle paar Tage ein neuer Gegner gegenübersitzt. Auch da gab es Tiebreaks, ging zum Beispiel das Finale über 12 Partien und wurde im Blitz ausgefochten. Auch da bewies der Israeli schon eiserne Nerven und sicherlich waren ihm die damals gemachten Erfahrungen jetzt zunutze.
Nicht zuletzt waren auch schachliche Qualitäten gefragt. Und Gelfand konnte überzeugend seine ganze Vielfalt an schachlichem Können ausspielen. Er war an etlichen herausragenden Partien beteiligt, erfühlte die Dynamik, verteidigte heroisch, holte Rückstände auf. Keine Frage, sein Sieg war verdient und er ist ein würdiger Herausforderer, auch wenn andere Kandidaten den Werbewert eines Weltmeisterschaftskampfes erhöht hätten. Freuen wir uns mit Gelfand, dass er in einem Alter, in dem andere wie Kasparow schon in Schachrente gingen, einen Höhepunkt seiner Karriere erreicht und um die Krone des Weltmeisters spielen darf!
Ich will kurz an die Höhepunkte seines Schaffens in Kasan erinnern:
Ist Ihnen aufgefallen, wie oft er sein Bauernzentrum eindrucksvoll in Szene setzte? Schon im Viertelfinale gegen Mamedscharow gelang ihm eine phantastische Konterpartie:

Mamedscharow - Gelfand

Gelfand1

20. …Txc3! 21.bxc3 Dxc3 Sammelt einen zweiten Bauern für die Qualität ein und hindert den Weißen daran, noch mehr Figuren zum Angriff am Königsflügel heranzuziehen. Achten Sie auf die weiße Strategie: er schwenkte den Turm über die Horizontale zur h-Linie, was attraktiv aussieht, sich aber letztlich als nicht stichhaltig erweist. Genau so ließ sich Grischuk in der allerletzten Partie blenden. Der Übermut der Jugend? Das mag der abgeklärte „Oldie“ ins psychologische Kalkül gezogen haben.
22.Td4 a5 23.Td3 Dc6 24.c3 a4 25.Lc2 e5 26.Lg5 b4 27.Dh4 bxc3 28.Th3 Kg8 29.Te1 e4 30.g4 Kf8 31.Le3 Dc4 32.g5
Gelfand2
32. …Lxf5!! Hier sind die schwarzen Zentrumsbauern bereits weit vorgeeilt, Weiß setzt alles auf die h-Linie. Mit einem Figurenopfer macht Gelfand die gegnerischen Sturmbauern unschädlich.
33.gxf6 Lxf6 34.Dh5 Lg6 35.Dg4 Dxa2 36.Lb1 Dc4 37.Dg2 a3 38.La2 Dc6 39.Tg3 Tb8 0–1

Gelfand3   
Sechs Bauern für den Turm – eine Konstellation, die in die Schachgeschichte eingehen wird. Sehen Sie, wie sicher der schwarze König steht. Das Läuferpaar verleiht dem ganzen Stabilität.

Das Duell gegen Kamsky sah auch ein paar originelle Stellungsbilder. Hier ein Ausschnitt:

Kamsky - Gelfand

Gelfand4
 

Wieder das starke Zentrum, typisch für den offenen Sizilianer, den Gelfand kämpferisch wählte (nein, kein Remiswinseln mit „Russisch“ wie z.B. bei Kramnik!), doch diesmal hat Weiß das Läuferpaar und der schwarze König steht nicht unbedingt sicher. Mit viel Kunstfertigkeit hielt Gelfand diese Partie remis und den Wettkampf offen.
Dann der Tiefpunkt, ein Aussetzer in den Schnellpartien – und für Gelfand schien der Wettbewerb zu Ende zu sein:

Gelfand - Kamsky

Gelfand5
 

16.a3?? (nimmt der Dame das Fluchtfeld a3) 16. …c4! (das lässt sich Kamsky nicht entgehen) und Weiß verliert zumindest eine Figur – bei 17.dxc4 Sc5 ist die Dame weg und die Partiefortsetzung 17.Dxc4 Lxf3 war auch wenig besser.
Es drohte womöglich ein WM-Kampf Anand gegen Kamsky an, um Gottes Willen! Der Amerikaner hatte schon mal seine Chance, damals gegen Karpow. Sicher, von seinem Schlägervater hat er sich schon lange abgenabelt, aber dennoch… Gelfand musste mit Schwarz gewinnen, um im Match zu bleiben, wer hätte noch auf ihn gewettet. Ich drückte ihm die Daumen – und das Wunder geschah! Er gewann drei Partien in Folge! Und wie? Mit dem beeindruckenden Zentrum:

Kamsky - Gelfand

Gelfand6
23. …Sa5!! Das Motiv werden wir in der letzten Partie wieder finden: er nimmt eine Verdopplung der Randbauern in Kauf, dafür wird Weiß Probleme haben, das Zentrum zu halten. Etwas später, nachdem weiße Angriffsbemühungen auf der h-Linie abgeschlagen waren,  nahm die Überhand in diesem Bereich deutliche Konturen an:

Gelfand7
Gelfand gewann das Endspiel in sicherer Manier und beflügelt vom Sieg gleich noch die folgenden Blitzpartien.
Im Finale gegen Grischuk zeigte er großartige Fähigkeiten im Verteidigen schlechter Endspiele. Zweimal am Rande der Niederlage hielt er sich schadlos, mit einem Figurenopfer in der zweiten Partie sorgte er für die verrückteste Neuerung des Turniers.

Gelfand - Grischuk

Gelfand8

Bei 45.Txa4 Ke5 gerät Weiß in Mattgefahr, Gelfand fand die Abwicklung 45.e5+! Kxe5 46.Txc5+ Ld5 47.Txd5+! Kxd5 48.h6 und ertrotzte sich schließlich ein Turmendspiel, das punktgenau remis gehalten werden konnte. Wenn Sie zuhause beim Zuschauen Ihre Engine mitlaufen haben erkennen Sie schnell, dass viele Stellungen „remis“ sind. Aber Sie fühlen nicht, wie knapp dies letztlich ist, von wie viel Details es letztlich abhängt und wie schwer es für die Spieler zu erkennen ist, ob das resultierende Turmendspiel letztlich knapp remis oder verloren ist.
Sicher, es kam dann zwischendurch ziemliche Langeweile auf, aber man muss die Spieler auch verstehen. Was sie in den Tagen, Wochen zuvor an nervlichen Strapazen durchgemacht haben ist doch enorm.
Für gewisse Längen entschädigte uns die letzte Partie:

Gelfand - Grischuk

Gelfand9
Hier war ich überzeugt, dass Grischuk im Angriff gewinnen würde. Gelfand blieb cool mit 19.f4!, er erkannte, dass sein König sich notfalls selber helfen konnte und dass sich langfristig, wenn Grischuk den Läufer auf h4 geben würde, die lange Diagonale a1-h8 für ihn bemerkbar machen würde. Das Kernstück dazu war die spätere Durchsetzung von e3-e4, um die Lücken zu schließen und das Bauernzentrum mobil zu machen:

Gelfand10
23.Lb2! Und nicht 23.Lxd5, was zwar die Qualität gewinnt, aber völlig die weißen Felder vernachlässigt. Schwarz kann dann mit …De6 und notfalls …f5 dauerhaft verhindern, dass sich das weiße Zentrum mit e3-e4 in Bewegung setzt. Die Nachteile der weißen Struktur lassen sich nur durch ein bewegliches Zentrum im Verbund mit dem Läuferpaar kompensieren. Grischuk verlor dann den Faden, Zeitnot, und die Gelfandschen Träume reiften:

Gelfand11
 

Was für ein imposantes Zentrum! Wieder mal! Der schwarze Schwenkturm auf h5 verhungert dagegen. Gelfand erwies sich das ein oder andere Mal als der bessere Stratege. Gratuliere!
Donnerstag, 26 Mai 2011 21:42

Lob des Herausforderers

Hab gerade ein wenig rumgelesen, ob es interessante Stimmen oder Hintergründe zum Ausgang des Kandidatenturniers gibt. Fand leider nur eher flache Kommentare. Tenor Gelfand ist ein würdiger Herausforderer, er wird Anand schon Paroli bieten. Ach ja? Wissen die Herrschaften, dass Gelfand seit 1993 keine lange Partie gegen Anand gewonnen hat (obwohl er jede Menge Gelegenheiten hatte)?

Bitte nicht falsch verstehen. Gelfand ist ein feiner Kerl. Einer, der seine Kollegen wirklich respektiert, der Schach liebt und es mit so großem Ernst betreibt, dass er unser Spiel weitergebracht hat. Solche Sachen kann man nicht von allen Weltklassespielern behaupten. Gelfand hat in Kasan dafür gesorgt, dass der Wettbewerb nicht ganz lächerlich wird, indem er zwei seiner drei Matche regulär gewann und eine kämpferische Einstellung zeigte (dass er Grischtschuks Remisgebote annahm, kann man ihm aufgrund der Stellungen nicht vorwerfen). Dass er keinen der Favoriten selber aus dem Wettbewerb werfen konnte, ist nicht sein Fehler sondern der der FIDE. Gelfand hat sich vorher dafür eingesetzt, dass längere Zweikämpfe gespielt werden, obwohl das den Favoriten genutzt hätte und nicht ihm, aber es hätte eben auch dem Schach genützt, und das hat für ihn Priorität.

Ich würde mir ein spannendes WM-Match wünschen. Fürs Schach. Und für Gelfand. Aber ich glaube nicht dran. Und so objektiv wie Gelfand tickt, wird es für ihn selbst sehr schwer, an seine Chance zu glauben.   

Boris Gelfand
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Mittwoch, 25 Mai 2011 17:10

Altherrenschach

Schach wird immer jünger? Denkste! Die WM im nächsten Jahr bestreiten ein dann 42jähriger Weltmeister und ein 43jähriger Herausforderer. Boris Gelfand hat geschafft, was Lewon Aronjan und Wladimir Kramnik beim Kandidatenturnier versagt blieb. Er ist Grischtschuks Schnellschachkünsten aus dem Weg gegangen und hat den russischen Zocker in einer regulären Partie geschlagen. Damit hat sich der älteste Kandidat durchgesetzt. In einer sehr kleinen Umfrage, die ich vor dem Turnier in Österreich machte, wurde Gelfand übrigens von zwei der drei Befragten, nämlich Eva Moser und David Shengelia, als Geheimfavorit genannt. Alle Achtung!

Na gut, in Wahrheit ist dieser WM-Zyklus mit seiner ewigen Dauer, missratenen Modusänderungen und wohlmöglich einseitigen Finale ein vielleicht letztes Aufbäumen einer starken Generation. Gelfand ist der älteste Spieler in den Top 50, Anand knapp nach Iwantschuk und Drejew der viertälteste. Ob die Stunde meines gescheiterten Favoriten Aronjan noch kommt, ist unklar. Denn Nakamura, Carlsen, Karjakin und Giri werden noch ziemlich zulegen.

Remis?
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Montag, 16 Mai 2011 09:40

Der will doch nur blitzspielen

Das Kandidatenturnier bleibt spannend, aber sportlich unbefriedigend. Nach 14 von 16 Viertelfinalpartien endeten auch gleich sämtliche Halbfinalpartien remis. Die Remisquote ist damit auf über neunzig Prozent geklettert. Im Finale werden wir einen Spieler sehen, der noch keine reguläre Partie gewonnen hat sondern sein Weiterkommen den besseren Nerven im Schnell- oder Blitzschach verdankt.

Mir gruselt vor einem Sieger Grischtschuk. Wie schon gegen Aronjan bot er gegen Kramnik, wenn er einmal gut stand, remis. Kramnik hat (wie schon gegen Radschabow) mehr versucht und dabei auch riskiert, insbesondere in der vierten Partie, in der zwar allgemein Grischtschuks Verteidigungsleistung gelobt wird, der Pokerexperte aber zwei, drei (von Sergei Schipow in seinen ausgezeichneten Kommentaren angegebene) Chancen verpasste, selbst das Ruder zu übernehmen und aussichtsreich auf Gewinn zu spielen. Zwischen Kamsky und Gelfand war insgesamt mehr los, und in der dritten Partie ließen beide Gewinnchancen aus. Wenigstens sahen wir in keiner Halbfinalpartie bisher das Damengambit, in dem Jan Gustafsson schon "das neue Russisch" vermutet, also wie 1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 die 1.e4-Spieler frustriert das klassische Damengambit die 1.d4-Spieler peinigt. 

Die Stechen an diesem Montag ab 13 Uhr (zunächst vier 25-Minuten-Partien) werden sicher aufregend. Und vielleicht wäre es schlau, wie Olaf Teschke vorschlägt, das Stechen vor den regulären Partien auszutragen, damit einer halt weiß, dass er mehr riskieren muss. Aber, und da wiederhole ich mich, ein legitimer WM-Herausforderer wird in diesem Modus nicht ermittelt. 

Reschs Erbe
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Montag, 09 Mai 2011 21:02

Reschs Erbe

Ekelhaft. Einfach ekelhaft. Und traurig. Nach Topalow hat es beim Kandidatenturnier in Kasan mit Aronjan auch den Hauptfavoriten erwischt. Der Armenier spielte die erste Schnellpartie des Stechens mit Weiß wie ein Kind. In der zweiten kämpfte er sich mit Schwarz mit einer riskanten Eröffnungsanlage zurück ins Match, verlangte aber im vierten Spiel zu viel von seiner Stellung. Sein Bezwinger Grischtschuk ist aber nicht der größte Opportunist in Kasan. Sein Landsmann Kramnik hat ihn klar übertroffen. Nach vier regulären Remis gegen Radschabow war auch im Schnellschach das Gleichgewicht nie ernstlich gestört. Die erste Blitzpartie verlor Kramnik, die zweite war totremis, aber Kramnik zog so lange hin und her, bis Radschabow zwei Bauern einparkte und entnervt auch noch die nächste aus völlig akzeptabler Stellung heraus verlor.

Kramnik ist im Halbfinale Favorit gegen Grischtschuk und Gelfand ist es gegen Kamsky. Gegen den Amerikaner hält der Israeli ein Score von 8:2, wobei Kamskys letzter Sieg schon fast zwanzig (!) Jahre zurückliegt. Pikant ist, dass Kamskys wichtigster Helfer seit Jahren Gelfands Landsmann Emil Sutovsky ist.

Aber zurück zu meinem Ekel an diesem Reglement. Wir haben zwei Halbfinalisten, die keine reguläre Partie gewonnen haben, ja nicht einmal wirklich chancenreich gestanden sind. Vier Partien sind zu wenig für ein Match. Aber zwei Matchrunden über sechs und eine über acht Partien, sprich zwanzig reguläre Partien für die Finalisten ist wohl zu viel für ein Turnier. Ein doppelrundiges Achterturnier hätte die Gefahr von Schiebungen geborgen, aber Mauerschach wie von Kramnik und Radschabow hätten wir kaum gesehen. Hatten sich die Achterturniere um die WM 2005 und 2007 nicht bewährt und jeweils einen klaren Sieger produziert?
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Jusu1Warum haben wir überhaupt Zweikämpfe? Das war nur eine von mehreren Änderungen innerhalb des laufenden WM-Zyklus und geschah auf Wunsch von Kramnik-Intimus Josef Resch. Der deutsch-russische Geschäftsmann, der 2008 die WM Anand - Kramnik in Bonn auf die Beine gestellt hatte, wurde von der FIDE Anfang 2009 zunächst als Ausrichter des Kandidatenturniers und der WM bestätigt, sah sich dann aber in den weiteren Verhandlungen immer neuen Forderungen der Funktionäre ausgesetzt und zog sich zurück. Die Zweikämpfe aber blieben.

Verdammt, warum spielt Carlsen nicht? Wollte er nicht zumindest eine Debatte über den WM-Modus und die Privilegierung des Weltmeisters anschieben? Debattiert wurde fast nur, welche ungenannten Gründe hinter seiner Absage steckten. 

Vielleicht erneuert Resch ja sein Angebot, wenn Kramnik durchkommt. Das Schlimme ist, dass man ihn sich im Interesse einer ergebnisoffenen WM nächstes Jahr als Sieger wünschen kann, die anderen drei haben nämlich alle keine Chance gegen Anand. Man stelle sich vor, Radschabow hätte im Blitz die Nerven behalten. Beamt mich ins Jahr 2013, bitte. 

Toll ist anders
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Montag, 09 Mai 2011 02:28

Toll ist anders

Das Kandidatenturnier ist nicht der erhoffte Knüller. 14 von 16 Partien endeten remis. Dass und wie Gelfand Mamedscharow rausgeballert hat, nämlich unter Verzicht auf Russisch und Einsatz des Najdorf-Sizilianers, ist noch die beste Nachricht. Topalow - Kamski war das Match mit den interessantesten Partien, und der Bulgare hätte für sein risikofreudiges Spiel mit beiden Farben ein Stechen verdient gehabt. Ich hoffe, dass Grischtschuk am Montag auch nach Hause geschickt wird. So gut wie in der vierten Partie stand er das ganze Match nicht - und bot unmittelbar remis an. Verständlich, dass Aronjan annahm. Er wäre der interessanteste WM-Gegner für Anand. Schon deshalb muss er weiterkommen. Aber auch, weil er in dem Match alle Akzente setzte und Grischtschuk in der ersten Partie ausgelassen hat. Eine große Enttäuschung ist Kramnik - Radschabow. Beide riskierten rein gar nichts. Vor allem Radschabow ist anzumerken, dass er sein Glück im Schnellschach sucht. Da hat Kramnik zuletzt in Monaco gar nicht überzeugt.  

Donnerstag, 21 April 2011 21:00

Russische Dreiklassengesellschaft

Russland hat keine Liga, aber eine bärenstarke Mannschaftsmeisterschaft. Sie findet derzeit in Olginka, einem Badeort am Schwarzen Meer statt, siebzig Kilometer nordwestlich vom bisherigen Austragungsort Dagomis, die nächste größere Stadt ist Tuapse, wo Kramnik geboren wurde und aufgewachsen ist. Die zwölf Mannschaften sind von äußerst unterschiedlicher Stärke. Man kann sich das vorstellen wie fünfmal Baden-Baden, viermal HSK und dreimal Delmenhorst. Die HSKs sind gegen die Baden-Badens chancenlos (nun ja, einen Mannschaftspunkt haben die Mittelklasseteams gegen die fünf Spitzenteams doch erzielt), die Delmenhorsts sind es gegen alle anderen. Dafür ist es spannend zwischen denen, die einer Klasse angehören. Von den Spitzenteams haben Ekonomist Saratow und Jugra Chanti-Mansisk kein gutes Jahr erwischt. Das nominell stärkste Team St Petersburg hat seine Punkte auch nicht optimal verteilt. Gemeinsam vorne liegen Tomsk und Moskau, die je nur ein Unentschieden gegen St Petersburg abgegeben und Saratow und Chanti-Mansisk geschlagen haben und zwischen denen in der vorletzten Runde an diesem Freitag (live ab 12.30 Uhr) die Entscheidung fällt. Moskau hat die internationalste Truppe mit Gelfand (Israel), Wang Hao (China), Caruana (Italien, der einzige echte Westler in der ersten Liga), Giri (Niederlande, aber russischer Pass, seine Mutter heißt zwar Olga ist aber nicht zu verwechseln mit der in der Frauenliga antretenden Olga Giria) und Europameister Potkin. Die meisten Punkte am ersten Brett hat übrigens neben Ponomarjow (danke für den Hinweis, Thomas) der nicht zu den bekannten Größen unseres Spiels gehörende aber Insidern für seine Brachialoriginalität bekannte Boris Sawtschenko.