Geheimnisse des Turmendspiels
von Wassili Smyslow



Daten:

Seiten: 104, kartoniert
Format: 240mm x 170mm
Auflage: 1. Auflage
Verlag: Edition Olms, Hombrechtikon/Zürich
Erscheinung: 2006
Preis: 15,00 €
zusätzliche Infos: Band 74 der Reihe PraxisSchach

Über den Autor:

GM Wassili Smyslow (*1921) dürfte jedem Schachspieler als der siebte Schachweltmeister (1957-1958) bekannt sein. Er zählt neben Lasker und Kortschnoi zu den Spielern, die Schach auf höchster Ebene bis ins hohe Alter spielten. Er wird von manchen als der moderne Capablanca bezeichnet, da er ausgezeichnet Endspiele beherrscht und man in den Partien sein Gefühl für Harmonie unter den Figuren erkennt.
Auch menschlich schätzt man ihn sehr, da er sich unter Großmeisterkollegen quasi nie Feinde gemacht hat. Er war übrigens ausgebildeter Bariton-Sänger.

Inhalt:

Das Buch enthält 60 von Smyslov gespielte Partien, von denen das entstehende Turmendspiel von demselben kommentiert wurde, 9 Studien, ein Interview von Dagobert Kohlmeyer mit Smyslow, ein Nachwort von Raymund Stolze und schließlich den Beitrag " die zwölf goldenen Regeln des Turmendspiels" von GM Karsten Müller.

Rezension:

Als ich das Buch das erste Mal in den Händen hielt, dachte ich: "Jetzt lernst du endlich Turmendspiele, und das von einem echten Profi!"
Ich wurde jedoch bei dem genauerem Studium bitter enttäuscht. Der erste Mangel des Buches springt einem schon vor der eigentlichen Turmendspielanalyse ins Auge, denn es wurde die ganze Partie kommentarlos abgedruckt, dazu noch mit einem großen Diagramm, welches die entscheidende Stellung darstellte. Ich verstehe absolut nicht den Sinn von diesem Verfahren, denn jeder, der Schach ernsthaft betreibt, hat eine Datenbank auf seinem PC und kann sich die ganze Partie ansehen. Zudem hat das Diagramm mit dem Turmendspiel nichts zu tun! Wenn man sich hinsetzt und ein wenig nachrechnet, kommt man darauf, dass etwa 76 von den 104 Seiten auf die Analyse der Turmendspiele fallen,Wenn man aber bedenkt, dass etwa 40 % von diesen 76 Seiten auf dieses fast sinnfreie Abdrucken einer kommentarlosen Partie fällt, dann fragt man sich, wofür man sein Geld ausgibt, schließlich heißt das Buch "Geheimnisse des Turmendspiels" und nicht "Kommentarlose Partien von Smyslov mit anschließender Turmendspielanalyse".
Nun zur Art der Kommentierung. Durch die obige Einschränkung kann man feststellen, dass jedes besprochene Turmendspiel oft nur auf etwa einer halben Seite besprochen wird (ein paar Ausnahmen gibt es jedoch schon), davon gibt es immer mindestens zwei Diagramme. Meiner Meinung nach reicht ein Diagramm (für die Anfangsstellung des Endspiels) aus, denn für eine Analyse sollte man das Endspiel sowieso am Brett nachspielen.

Zum Vergleich: Kortschnoi verbrauchte für 14 (!) Beispiele 84 Seiten ohne Schnickschnack und mit viel Kommentierung.

Dazu kommt noch, dass die Kommentare sehr allgemein gehalten werden, sprich variantenarm sind; bei Endspielbüchern ist das zu kritisieren, denn hier muss man sehr konkret vorgehen und den endgültigen Beweis finden. Varianten fehlen vor allem dann, wenn mögliche Alternativen in Betracht kommen, denn oft folgen mehrere Züge nacheinander unkommentiert, was ich sehr ärgerlich finde.

Die Gliederung des Buches ist ungewöhnlich und mehr störend als hilfreich. Turm+3B gegen Turm +2B ist beispielsweise eines der Kapitel. Hier schreibt Smyslow: In diesem Kapitel werden Turmendspiele angeführt, in denen si ch entweder alle Bauern auf einem Flügel befinden oder einer von ihnen im Zentrum steht. In dem letzten Beispiel bricht er jedoch seine eigenen Regeln der Gliederung, indem er ein Turmendspiel anführt, das nicht in die obige Beschreibung passt.

Das Interview von Kohlmeyer umfasst fünf Seiten, und dadurch, dass es 2007 nochmal in der Rochade-Europa veröffentlicht wurde, verliert es an Wert.Alleine kann man es noch hinnehmen, aber dazu noch das Nachwort von Raymund Stolze ist doch ein bisschen zuviel, denn es steht quasi dasselbe drin, nur auf zwei Seiten. Der Endspielbeitrag von Karsten Müller ist sehr schwer zu erörtern. Zum einen gehört Müller zu den besten Endspielkennern, aber zum anderen passt dieser Beitrag einfach nicht ins Buch rein. Erstens ist er didaktisch unklug am Ende platziert, das Buch geht also vom Schweren auf das Einfach zu und nicht umgekehrt. Zum zweiten erweckt das Buch den Eindruck dass uns Smyslow etwas verschweigen wollte (Gerhard Josten in seiner Rezension sagt dasselbe, und diese Meinung teile ich) und der Beitrag von Müller dies quasi "korrigiert".
Dazu kommt noch, dass Regel zwei sehr unverständlich ist:

"Turmendspiele haben eine hohe Remistendenz. Seien sie daher bei Abtausch ihres letzten Turmes und bei Abwicklungen ins Bauernendspiel sehr vorsichtig."

Der erste Satz ist gewiss richtig. Schließlich haben Turmendspiele nach Endspielen mit ungleichfarbigen Läufern die höchste Remistendenz. Der zweite Satz ist falsch und schlecht durchdacht. Wenn man seinen letzten Turm abtauscht, dann entsteht doch ein Bauernendspiel, und hier zählt ein Mehrbauer doch gewiss mehr als im Turmendspiel. Der zweite Teil des Satzes hat zudem genau denselben Inhalt wie der erste Satz.

Hätte Smyslow den Beitrag selbst geschrieben und an den Anfang gesetzt, hätte ich mich über nichts aufregen können.

Der Hammer kommt aber noch am Schluss. Auf der letzten Seite findet man sehr löblich ein Spielerverzeichnis, schön platzsparend auf 1/3 Seite, doch danach hat sich der Verlag erlaubt, ein Eröffnungsverzeichnis (!!!) in ein Endspielbuch zu bringen. Die Eröffnungen haben nichts, aber auch wirklich nichts in diesem Buch verloren, genauso wenig wie die ganzen Partien, wie ich schon vorher erwähnt hatte.

Nun zu den wenigen positiven Aspekten.
Smyslow gehört wie gesagt zu den Stärksten im Endspiel, und von daher kann man hier durch Zusehen sehr schön die Harmonie zwischen Turm, König und Bauern erkennen, und das regt das Studium an. Die Beispiele sind mit einer Engine überprüft und einige der Studien sind meines Wissens noch unveröffentlicht . Das Buch ist auch äußerlich recht schön und passt gut ins Bücherregal. Sie sehen, es sind nicht viele positive Aspekte, und der letzte wirkt ein wenig wie aus den Fingern gesaugt, aber ich kann wirklich keine anderen guten Aspekte finden.

Fazit: 2 von 5 Punkten.

Ein recht vernichtendes Urteil für einen ehemaligen Weltmeister, aber es geht nicht anders. Der Verlag hat wirklich keine Möglichkeit weggelassen, Platz zu verschwenden. Ich rechne noch einmal vor: Sechs Seiten für das, was immer in den Büchern ist, also Vorwort etc.,dies ist in Ordnung, dann folgt für den eigentlichen Stoff 77-76 Seiten, von denen mindestens ein Drittel reif für den Schredder ist (die kommentarlosen Partien), die Studien mit sechs Seiten (auch dies geht in Ordnung),
das Interview mit fünf Seiten (das geht auch so gerade noch durch), das Nachwort von Raymund Stolze mit zwei Seiten (Müll!), die zwölf goldenen Regeln des Turmendspiel von Karsten Müller mit 8 Seiten (ich halte es für schlecht, aber das soll der Leser selber entscheiden) und dann noch das absolut sinnlose Eröffnungsverzeichnis mit 2/3 einer Seite. Garnicht erwähnt in dieser Übersicht ist der Fakt, dass der Verlag am Ende der Kapitel gerne viel Freiraum gelassen hat, das errechnet sich auch noch einmal auf 3-4 Seiten, plus die übergroßen Kapitelüberschriften. Im Endeffekt also viel Müll.
Die Endspiele sind zudem noch sehr dünn kommentiert. Am Anfang hatte ich ein schlechtes Gewissen, ein solch hartes Wort über einen großen Spieler zu sprechen, doch wenn ich mir die Verdienste des Verlages bei diese Buch ansehe, dann habe ich es nicht mehr. Warum hat der Verlag Smyslow nicht einfach gebeten, mehr Varianten und Kommentierung zu benutzen? Das Buch von Kortschoi ist auch in der Edition-Olms erschienen und absolut hervorragend. Seien sie also vorsichtig, was dieses Buch betrifft.

Thomas Kubo,  am 31.10.07

Zuletzt aktualisiert am 15.1.07