Schwarze Doppellöcher

Oder wie zwei Schwarzspieler aus einer Gewinnstellung gerade mal einen halben Punkt nach Hause bringen? Typisch Krennwurzn werden Sie geneigter Leser denken. Entweder hat die Krennwurzn die Stellung zweimal selbst am Brett gehabt oder aber sie berichtet von einem Wald- und Wiesenturnier aus sogar Einheimischen unbekannten Orten des schönen Ösilandes.

Nein, nein – zu dieser Situation kam es beim GRAND SWISS – dem wohl stärksten Open bisher – und sie entstand auch nicht irgendwo auf den hinteren Brettern, sondern in Runde 8 auf den Bretter 7+8 sogar nebeneinander. Die Schiedsrichter haben dann nach 18. … Dh4? eine Paarung auf einen anderen Spielort verlegt, um keinerlei Verdächtigungen aufkommen zu lassen und der Hauptschiedsrichter erklärt im Interview seine Beweggründe.

 

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Schwarz am Zug steht nach
18. … 0-0 auf Gewinn !?

Die Weißen in den Partien GM Shirov Alexei (2664)-GM Yu Yangyi (2763) auf Brett 7 und ein Brett dahinter GM Karjakin Sergey (2760)-GM Dreev Aleksey (2662) haben gerade 18. De5(?) gespielt und die mitlaufenden Maschinen haben sofort „Blunder“ aufgeheult und 18. De3 mit relativ ausgeglichener Bewertung vorgeschlagen. Nun das alles ist im modernen Schach mit den heutigen Engines auch nichts Neues. Verlieren halt zwei Schachspieler aus identer Stellung nebeneinander eine Partie.

Beim Blick auf die Ergebnisliste kommt das erste Staunen:

2019Loch02

 

Schwarze Gewinnstellung und dann dieses Ergebnis – nur ein halber Punkt für Schwarz und sogar eine Niederlage. Wie kann so etwas sein? Im Wesentlichen gibt es zwei Erklärungsversuche – entweder konnten die Schwarzspieler das am Brett nicht ausrechnen und bewerten oder aber die Computer liegen bei wenig Bedenkzeit in ihrer Bewertung einfach falsch und wir sind Zeuge eines „Schwarzen Lochs“ geworden. Jetzt werden sicherlich einige einwenden, dass die Stellung relativ unbekannt ist und die Spieler nicht alles wissen können. Das stimmt natürlich im Allgemeinen, aber ein Blick in die Datenbanken zeigt die Partie Karjakin,Sergey (2762) – Yu,Yangyi (2721) 1-0 FIDE World Cup 2015 Baku mit folgender Stellung:

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Wenn hier Schwarz hier mit Se4 De5 0-0 fortsetzen würde, dann wäre das tatsächlich schlecht. Weiters zeigt uns die Datenbank noch die Partie aus dem gleichen Jahr Lu,Shanglei (2606) - Yu,Yangyi (2723) Xinghua mit Remisausgang. Die Variante ist als nicht unbekannt und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Stellungstypen noch auf keinem Rechner waren scheinen gering. Also haben wir nach 18. … 0-0 ein „Computerloch“ am Brett, dass entweder die Maschinen oder die Menschen mit längerer Bedenkzeit und Vorbereitung spektakulär widerlegen können?

Die Krennwurzn hat mal den eigenen Computer und die Engines Houdini und Stockfish etwas gequält:

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Und dann sogar noch den eigenen Kopf etwas angestrengt und viele Probleme und taktische Finten in der Stellung gefunden, aber auch mit Rechnerhilfe konnte ich keine Widerlegung finden. Die Schachpresse hat sich der Stellung auch nicht angenommen und so blieb die Krennwurzn naturgemäß etwas ratlos zurück. Schachlich ist die Krennwurzn 100%ig zu schwach und auch der Computer ist zwar ok, aber kein Killergerät. Und da kam der Krennwurzn die rettende Idee: warum nicht SESSE fragen?

SESSE so nennt man in der Schachwelt den norwegischen Supercomputer, der gerne und oft die Partien von Magnus Carlsen begleitet und Superanalysen liefert. Und ja, die Krennwurzn kann mit Computern sprechen. Nein – natürlich nicht. Sesse ist eigentlich der Nickname - oder Spitzname wie man früher zu sagen pflegte - von Steinar H. Gunderson einem norwegischen Softwareentwickler.

„Sesse“ – also Steinar H. Gunderson – schrieb mir dann, dass er Analyseanfragen eigentlich nicht beantworten möchte, aber diese Stellung und die Beteiligung solcher Topspieler am gleichen Tag und an zwei Brettern nebeneinander haben auch seine Neugierde geweckt und er machte daher eine Ausnahme. Also hat „Sesse“ den Computer mit der Stellung gefüttert und das Ergebnis war dann für alle sichtbar und die Krennwurzn darf das Computerurteil hier veröffentlichen:

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Damit ist klar: ein Computerloch liegt hier mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor. Die Stellung ist für Weiß verloren. Also müssen wir über andere Ursachen nachdenken …

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 Nun ein Mensch rochiert nicht gerne in einen Angriff hinein – die Maschine sieht Damenfang und das eigene Überleben. Es droht nun d6 mit Damenfang. Hier und einen Zug später ist es möglich die Dame via h5 aus der Gefahrenzone zu bringen, aber damit übergibt man die Initiative an Schwarz und dieser kann den König in der Mitte angreifen. Weiß ist nur mehr mit verteidigen beschäftigt und kann diese nicht mehr zufriedenstellend organisieren.

19. Lg2 d6 20. Dxe6+ (Dh5 rettet die Dame aber nicht die Partie) Kh8 21. Lxe4 Tf6!

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Die weiße Dame ist gefangen – die Maschine schiebt noch die Matt in eins Drohung Df5 ein und nimmt dann auf b7 – aber es bleibt nur eine Ruine übrig. Auch Dxf6 Dxf6 löst die Probleme nicht. Schwarz hat eine Gewinnstellung …

Aber da sehen wir eine Gewinnstellung am Brett hilft eigentlich nichts, wenn man diese erstens nicht erkennt und zweitens nicht durchrechnen kann. Ja wir Menschen sind zwar wunderbare Wesen, aber eben nicht unfehlbar …

Auf Twitter erklärte Karjakin dass er einfach seiner Partie gegen Yu vor zwei Jahren folgen wollte, aber es nicht schaffte die korrekte Zugfolge zu erinnern. Und dann hat wohl jeder von jedem ein wenig abgeschaut und vertraut, dass dieser schon wisse was er tue.

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Schaut man sich die Bedenkzeitverläufe an, so fällt auf, dass nach 18. De5? Dh4? und nach der räumlichen Trennung der Partien, die Spieler in tiefes Nachdenken verfallen sind.

Nicht vorenthalten möchte ich eine Videoanalyse des Themas von IM Daniel Rensch auf die mich unser Kollege Thomas Richter hingewiesen hat. – Danke!

 


Hier die Analyse und die Partien zum Durchklicken:

 

Krennwurzn

Anonymer aber dennoch vielen bekannter kritischer Schachösterreicher! Ironisch, sarkastisch und dennoch im Reallife ein netter Mensch - so lautet meine Selbstüberschätzung! Natürlich darf jeder wissen wer die Krennwurzn ist und man darf es auch weitererzählen, aber man sollte es nicht schreiben, denn die Krennwurzn hat so eine abkindliche Freude damit „anonym“ zu sein – lassen wir ihr doch bitte diese Illusion!

Motto: Erfreue Dich am Spiel, nicht an der Ratingzahl! Das Leben ist hart, aber ungerecht (raunzender Ösi)!
 

Kommentare   

#1 Thomas Richter 2019-10-29 20:54
"Die Schachpresse hat sich der Stellung auch nicht angenommen."
Vielleicht haben Printmedien (falls sie seit dem Weltcup überhaupt bereits erschienen sind) die Partien ignoriert, da sie am Ende nicht "turnierrelevant" waren - Karjakin verlor später überraschend gegen Landsmann Alekseenko und war damit aus dem Rennen um den Platz im Kandidatenturnier.
Aber einschlägige kommerzielle Schachseiten im Internet hatten durchaus tagesaktuell berichtet, chess.com hat dazu auch ein Interview mit Karjakin - https://www.chess.com/news/view/2019-fide-chess-com-grand-swiss-round-8. Er konnte sich an die Vorgängerpartie gegen Yu Yangyi nicht erinnern, 16.g4 war eine Neuerung aus Versehen - dann allgemeine Verwirrung da alle vier Spieler auch auf das Nachbarbrett schauen. Shirov spielte als erster 18.De5?, Karjakin kopierte das ohne lange nachzudenken. Nach eigener Aussage hatte er 18.-0-0! 19.Lg2 d6 20.Dxe6+ Kh8 21.Lxe4 gesehen und rechnete nun nur mit 21.-Te8? 22.Dxe8+! Dxe8 23.Lxb7 mit mehr als genug Material für die Dame (dagegen 21.-Tf6! 22.Dxf6 Dxf6 23.Lxb7 Dxb2+ nebst 24.-Dxb7).

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