?

Starting Out: the Caro-Kann
von Joe Gallagher

Daten

Autor: Joe Gallagher, Seiten: 192, kartoniert
Format: etwa 248mm x 172 mm , ähnlich wie bei Gambit)
Verlag: Everyman Chess, Starting Out-Reihe
Erscheinung: 2002, deutsche Ausgabe mit demselben Inhalt 2007
Kosten: variiert, ich habe es für 15,50 € bekommen.

Über den Autor:

GM Joe Gallagher (*1964) ist vielen als Anhänger der Königsindischen Verteidigung, über die er auch zwei Bücher - ebenfalls bei Everyman Chess eschienen - verfasst hat, bekannt.
Der Britische Meister von 2001, mehrmalige Gewinner der Schweizer Meisterschaft und Mitglied der Olympiamannschaft desselben Landes verwunderte das Schachvolk also nun mit der Herausgabe des Buches über die grundsolide Caro-Kann Verteidigung.

Inhalt:

Der Inhalt des Buches ist auf drei große Kapitel mit insgesamt zehn Unterkapiteln verteilt:

  • 1. e4 c6 2. d4 d5 3. n c3/Sd2 dxe4 4. Sxe4 (5 Unterkapitel, jeweils das klassische 4. ... Lf5 mit zwei Kapiteln , 4. ... Sd7 auch mit zwei Kapiteln und 4. ... Sf6 mit einem
  • 1. e4 c6 2. d4 d5 3. e5 ( zwei Kapitel, einmal 3. ... c5 und das Short-System ( 3. ... Lf5 4. Sf3) ; in dem anderen Kapitel 4. Sc3 nach 3. ... Lf5)
  • verschiedene Systeme (3 Kapitel, mit Hauptaugenmerk auf den Panov-Botvinnik Angriff (1. e4 c6 2.d4 d5 3. exd4 cxd4 4. c4) und das von Gallagher selbst gespielte und im englischen Sprachraum als "Fantasie-Variante" bekannte System nach 1. e4 c6 2. d4 c6 3. f3!? ; die weniger bekannten Abspiele werden in einem Kapitel ohne Partien abgehandelt.)

Angefangen wird jeder Themenkomplex mit einer Einführung und einer Besprechung der strategischen Merkmale mit Zug-um-Zug-Erklärungen der wichtigsten Eröffnungszüge. Darauf erörtert der Gallagher die Frage, ob es überlebenswichtig ist, die Theorie gut zu kennen.
Die Spezialität der Starting-Out-Reihe ist wohl die Statistik der Gewinnquoten für beide Seiten mit Interpretation des Autors. Danach kommen die meist auf etwa 1-2 Seiten kommentierten Musterpartien. Die älteste der 61 Musterpartien ist von 1910, aber die meisten waren bei der Erscheinung des Buches aktuell. Am Ende steht jeweils eine knappe Zusammenfassung des Abschnittes. Zwischen den Zeilen stehen oft auch Symbole: Note (Klemmbrett), Warning (Totenkopf), Tip (Glühbirne).

Rezension :

Als Erstes taucht gewiss die Frage auf, warum Gallagher ein Buch über Caro-Kann schreibt, wo er doch ein glühender Anhänger der scharfen Königsindischen Verteidigung ist. Zum einen hat Gallagher als e4-Spieler schon hinreichend Gelegenheit gehabt, mit Weiß gegen Caro-Kann zu spielen, zum anderen hat er den Bereich Caro-Kann in "Nunn´s Chess Openings", der einbändingen Eröffnungsenzyklopädie, betreut. Jedoch betont er schon im Vorwort, dass er kein Caro-Kann Experte ist (außer vielleicht bei der "Fantasie-variante").

Nun zu den Pros und Kontras:

Direkt im Vorwort schon war ich geschockt, als Gallagher über die Arten der Siege von Weiß und Schwarz sprach.
Ich zitiere:

"No doubt the coverage of the opening would have been slightly different if the book had been written by someone who has played the Caro-Kann all their life, but not too much should be read into the fact that White scores quite heavily in the Illustrative games. The fact is that White tends to win the more attractive games while Black´s wins are more likely to be long drawn out, less publishable affairs.The theoretical sections demonstrate that it is not easy for White to obtain a serious advantage against the Caro-Kann."

Das Erste ist gewiss richtig, man findet zu Caro-Kann in der Tat einige schöne Sturmsiege und Opferattacken, während die schwarzen Punkte langwieriger und für manche vielleicht sogar langweiliger gemacht werden. Aber dass diese weniger zur Veröffentlichung geeignet sind, klingt in meinen Ohren nach Unsinn. Geht es in der Caro-Kann-Verteidigung nicht um positionelle Zermürbung und Kneten besonders im Endspiel ? Hier offenbart sich eigentlich schon die Hauptschwäche des Buches. Die Musterpartien sind nämlich eher nach dem oben aufgezeigten Schema ausgewählt worden : Die Siegquote von Weiß liegt bei etwa 65%, eigentlich schon fast zu hoch, um eine objektive Darstellung, von der im Vorwort die Rede ist,
zu bieten (normal ist etwa 55%-45%).
Wenn man es ganz genau nimmt, liegt die Gewinnquote sogar noch höher. Zur Verdeutlichung soll der erste Abschnitt dienen. Hier gibt es acht Partien, von denen gewann Weiß vier und Schwarz drei, eine endete mit Remis, eigentlich sogar eine sehr faire Verteilung, wenn man die obige Prozentverteilung betrachtet. Aber bei den Siegen von Schwarz war nur einer (Glek-Bareev) aus einer dynamisch ausgeglichenen Stellung entstanden. In den anderen beiden Schwarzsiegen stand Weiß eigentlich einmal besser (das Ergebnis wäre bei richtigem Spiel wahrscheinlich remis ausgegangen) und einmal klar auf Gewinn und verlor lediglich durch einen bzw. zwei Fehler. ich hatte bei der Lektüre dieses Buches den Eindruck gewonnen, dass Caro-Kann nur gespielt wird, um das Remis zu halten. Das mag vielleicht unter Großmeistern so sein , wo ein Remis mit Schwarz schon ein Erfolg ist. Aber es gibt ja auch unter diesen einige , die mit Caro-Kann gewinnen. Ich erinnere mich an eine Partie aus dem Kandidatenkampf Leko-Bareev 2007, wo Bareev in der ersten Partie Caro-Kann spielte und den Vorteil von Weiß nach und nach abbaute. Weiß machte dann noch einen Fehler, aber Bareev übersah den Gewinnzug. Man erwähne auch Kortschnoi, der mit Caro-Kann schon gegen viele Großmeister gewonnen hat. Und wenn Kortschnoi damit gegen Großmeister gewinnt, sollte es doch für Ottonormalschachspieler
auf Open-Turnieren möglich sein, mit Schwarz gegen gleichstarke Gegner auf Gewinn zu spielen, und das tun sie auch mit Caro-Kann. Es ist meiner Meinung nach schlicht und ergreifend unmöglich, ein Buch über Caro-Kann zu schreiben, ohne die entsprechenden langwierigen Siege von Schwarz zu besprechen.

Am Anfang der Einführung der Variante 3. Sc3 dxe4 4. Sxe4 Lf5 bemerkte ich schon einen Fauxpas. Der "Improving Player", an den das Buch laut Klappentext gerichtet ist, weiß doch nicht, warum Schwarz auf e4 nimmt. Gallagher zeigt sein schriftstellerisches Können immer wieder, indem er mit dem Leser ins Gespräch kommt und Fragen im Voraus beantwortet, aber an dieser absolut wichtigen Stelle hat er es nicht getan!
Eine Seite weiter sagt er, dass Weiß nach 4. ... Lf5 den Spinger auf e4 nicht mit 5. Ld3 halten kann wegen 5. ... Dxd4. Ich finde in meiner Datenbank mehrere Partien zu 5. Ld3, unter anderem gespielt von Kurt Richter, der damit gegen Kieninger gewann, und von Aljechin. Komisch, dass Gallagher als Angriffspieler dieses Gambit unbekannt war, aber an dieser Stelle wäre auch nur eine kurze Anmerkung vonnöten, um den Fehler zu beheben.

Ich hätte mir auch ein bisschen mehr verbale Erläuterungen bei den meist recht kurz kommentierten Partien gewünscht, sprich weniger Partien und dafür mehr Kommentare.
Vielleicht ist das aber eher eine Frage des Geschmacks.

Es stört aber, dass Everyman sehr viel Platz verbraucht. Zwei der 192 Seiten sind leer, eine wird für Werbezwecke genutzt, zehn Seiten (die Deckblätter zu den einzelnen Unterkapiteln) wiederholen quasi das Inhaltsverzeichnis, die Bibliographie hätte man auch woanders unterbringen können und auch sonst wird am Ende jedes Kapitels viel Platz frei gelassen.
So schlimm ist das auch wieder nicht, aber die Leser zahlen Bares für das Buch, und wenn dann noch gesagt wird, dass bestimmte Dinge den Rahmen der Publikation sprengen würde, dann finde ich es irgendwo doch ein wenig frech. Der Leser mag hier selber entscheiden, denn dieser Faktor ist doch sehr subjektiv.

Ansonsten finden sich noch ein paar kleinere Rechtschreibfehler und Druckfehler, die ich bei jedem Schachbuch kritisiere, und leider fehlt die figurine Notation. Da das Buch international verkauft wird, verstehe ich absolut nicht, warum diese fehlt.

So, das war jetzt genug von den schlechten Seiten, das Buch hat nämlich auch gute.
Ich möchte zu Beginn schon die Qualitäten Gallaghers als Schriftsteller betonen. Er analysiert in meinen Augen objektiv und schreibt sehr unterhaltsam. Die Symbole (siehe Inhalt) benutzt er immer passend und sie erhöhen den Lesespaß, denn sowas prägt sich gut ein. Ich hatte schon bei den Nachteilen erwähnt, dass Gallagher den Dialog mit dem Leser sucht, das ist besonders bei Büchern im Stile der Starting-Out Reihe hilfreich, denn er weiß (fast!) immer, welche Fragen bei Amateurspielern auftauchen. Seine Schreibweise ist abwechslungsreich und auf keinen Fall schablonenhaft, er erzählt auch öfters von sich als Schachspieler.

Er schafft es, die Schlüsselprinzipen herauszuarbeiten und die wichtigsten Punkte in seinen "Summaries" aufzuführen, ohne die Leser mit Varianten zu verwirren. Ich denke, dass die Fähigkeit, wichtige Dinge von unwichtigen zu unterscheiden, einen guten Autoren auszeichnen.

Das Buch erhält eine besondere Note durch Gallaghers Beitrag über die "Fantasie-Variante".
Er regt damit weiteres Studium in diesem Gebiet an, und das ist, wie ich finde, die höchste Auszeichnung für einen Beitrag.

Ansonsten hat das Buch ein schön großes Format, sieht äußerlich einwandfrei aus und erfüllt bis auf die figurine Notation eigentlich alle formalen Kriterien.

Fazit: 3 von 5  Punkten

Es fällt mir sehr schwer, über dieses Buch ein Fazit abzulegen. Der Nachteil der unausgewogenen Partieauswahl ist ein sehr schwerer. Wären die positiven Merkmale nicht da, hätte ich wahrscheinlich sehr viel schlechter gewertet. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, ob ich mein Fazit noch ändern werde, aber das werden sie an den Aktualisierungen noch sehen. Das Buch ist an Einsteiger im Caro-Kann-Komplex sowie an Spieler mit ein wenig Erfahrung gerichtet (etwa bis 1800-1900). Für Weißspieler kann ich das Buch empfehlen, aber als Schwarzspieler sollte man sich vorher einige Gedanken machen. Es ist eigentlich eine gute Erläuterung zu Caro-Kann, mit gut dosierter Theorie, um zu überleben etc. , aber es fehlt einfach die Caro-Kann Philosophie für den Schwarzen, und die lautet:

"Schritt für Schritt, wenn ich Ausgleich hab´, ist die Stellung halt ausgeglichen, aber ausgeglichen ist nicht remis, noch hab´ ich n´paar Figuren, ich hab auch noch ein Sitzkissen, genug Kaffee und Betty passt auf die Kinder auf..." =)

Ich habe die Königsindisch-Werke von Gallagher noch nicht gelesen, aber ich denke, dass er dort vielleicht etwas mehr an Philosophie "rübergebracht" hat.

aktualisiert am 18.5.08
(geschrieben am 24. 9. 07) Copyright by Thomas Kubo