Reggio Emilia 2007/2008

Autoren: Mihail Marin & Yuri Garrett, Sprache: Englisch, Verlag: Quality Chess, Seiten: 288, Preis: 23,99 €

Das klassische Turnierbuch ist unter den Neuerscheinungen eindeutig unterrepräsentiert. Dafür gibt es gute Gründe: Die Turnierflut (auch bei Superturnieren) macht es dem Schachvolk nicht einfach, den Überblick zu bewahren. Kaum ist Wijk aan Zee vorbei, steht schon wieder Linares vor der Tür und so weiter. In der schnelllebigen Zeit erscheint es nicht rentabel, über ein Turnier zu schreiben, das bald wieder in Vergessenheit gerät, ganz zu schweigen davon, dass es für Weltstars der Mühe nicht lohnt, sich als Autoren zu betätigen.
Begrüßenswert, dass Reggio Emilia 2007/2008 eine wohltuende Ausnahme bildet. Das Buch ist eher billig produziert und sicher nicht für einen Verkaufshit prädestiniert, aber es wurde mit viel Freude am Sujet produziert und wird seinen ausgewählten Kreis an Interessenten finden.
Nun gehört das Turnier nicht zu den bedeutenderen der Schachsaison. Die zweite oder eher dritte Garde von Großmeistern mit „2600-plus irgendwas“ kämpft um die Lorbeeren und das Preisgeld. Starke Leute, freilich, wenngleich dem breiten Publikum nicht so vertraut. Ein Weltstar ragt dabei um Längen heraus, obgleich er im Turnier nur einen mittleren Platz erreichte: Viktor Kortschnoi! Der Altmeister ist immer noch ein Publikumsmagnet, und das zu Recht, findet Autor Marin. Er wird nicht müßig, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Verdienste des Unikums hinzuweisen und er erklärt auch, warum er Kortschnoi bewundert und was diesen so unvergleichlich macht. Marin erklärt uns das Phänomen Kortschnoi – schon allein das macht das Buch lesenswert!
Die italienische Stadt in der Emilia-Romagna blickt auf eine lange und große Schachtradition zurück. Stets über die Jahreswende wird seit 50 Jahren ein geschlossenes Turnier veranstaltet. Fast jeder prominente Weltklassespieler ging schon mal an den Start. Seinen Höhepunkt erreichte es 1991/92 mit einem Turnier der Kategorie 18, für damalige Verhältnisse vereinte das die gesamte Weltspitze. Der junge Viswanathan Anand ließ damals Kasparow und Karpow hinter sich.
Zum 50. Jubiläum bot es sich somit an, ein Denkmal zu errichten. Unter dem Ergänzungsmaterial im Anhang finden sich unter anderem auch alle 50 Turniertabellen der vergangenen Jahre. Herausgeber Yuri Garrett, ein italienischer Schachorganisator und -aktivist, gewann als Autor den rumänischen Großmeister Mihhail Marin. Marin, selbst Teilnehmer des Turniers, ist uns für seine exzellente und verbal meist sehr ausführliche Arbeit wohlbekannt. Gerade die Passagen über Kortschnoi wirken vertraut – zur „Zweitverwertung“ publizierte der Rumäne das Material als gesonderte Artikel in der deutschen Schachzeitung „Schach“.
Das Buch ist ein Kleinod für den Liebhaber kommentierter Partien. Fast jeder der zehn Teilnehmer steuert seine Analysen bei, zuweilen wird eine Partie „zweistimmig“ betrachtet und wir erfahren einiges über die Gedanken und Herangehensweise der Großmeister. Da ist es durchaus von Vorteil, dass es sich nicht um Vertreter der absoluten Weltspitze handelt, welche dem gewöhnlichen Leser zu weit „entrückt“ wären. Die Anmerkungen sind nachvollziehbar, fürs allgemeine Schachverständnis förderlich und bilden so eine Ergänzung zum heutzutage grassierenden Büffeln von Eröffnungsvarianten.

Bewertung: 4 von 5

IM Frank Zeller, DWZ 2362