Die Letzte Partie
von Fabio Stassi ...

Roman-Biographie zu José Raúl Capablanca
Preis: 19,90 €, Bezugsquelle: Schachversand Niggemann
ISBN-13:978-3-0369-5535-3, Verlag: Kein & Aber, Sprache: Deutsch
236 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 1. Auflage 2009

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So voller Stolz wie das kubanische Volk seine Nationalhelden feiert und ehrt, so stolz ist das Schach spielende "Volk" auf seinen "Altmeister". Um Capablanca kursieren viele Gerüchte, Sagen und Mythen; 1888 in Kuba geboren, wurde er in einem denkwürdigen Match 1921 gegen Emanuel Lasker Schachweltmeister (4x gewonnen, 10x Remis, keine Partie verloren). Später verlor er gegen Alexander Alexandrowitsch Aljechin seinen Weltmeistertitel, eine Revanche blieb Capablanca aus verschiedenen Gründen jedoch versagt.

Wer es wagt, sich zum Thema Capablanca auszulassen muss so begnadet schreiben können wie Capablanca einst spielte. Wer dann auch noch eine Roman-Biographie schreibt, muss vor Selbstbewusstsein strotzen.

Der Autor Fabio Stassi (Italien) fasste Episoden aus dem Leben Capablancas zusammen und schrieb seinen dritten Roman.

Bei der Rezension möchte ich zunächst auf den beeindruckenden Einleitungstext im Buch selbst verweisen:

Fabio Stassi (Auszug):
Die Hauptfigur dieser Erzählung heißt nur durch Zufall Josè Capablanca. Das Ganze begann vor einigen Jahren, als ein von mir sehr geschätzter Schriftsteller diesen Namen in einem Brief an mich erwähnte, ehe er ein paar Tage später bei einem Autounfall ums Leben kam. Danach erfuhr ich, dass er - ein leidenschaftlicher Schachspieler - geplant hatte, eine Romanbiographie über Capablanca zu schreiben. Sein letztes Projekt.

Kritik und Bewertung:

Im Idealfall versucht der Autor eines Romans sich weitestgehend in seine Hauptfigur zu versetzen. Hierfür ist sowohl eine Begabung, ein gewisser Grad an Fantasie, als für eine Biographie auch notwendiges Wissen erforderlich. Ich muss zugestehen, dass mich der Roman gefesselt hat. Gespickt mit stetigen Spannungseffekten, aufgeteilt in 64 Kapitel (analog zu den 64 Feldern eines Schachbretts), bewog mich der Roman dazu, ohne Pause oder zeitweilige Ermüdungserscheinungen durchzulesen.

Der Autor Fabio Stassi fasst Episoden aus Capablancas Leben zusammen und verweigert seinen Lesern zunächst - ganz im klassischen Romanstil - die direkten Auflösungen. Der Leser wird somit sehr geschickt, in einem Sog aus Wissbegierde und Auflösungstrieb, in die Welt zur Zeit Capablancas eingeführt und damit in die Zeit zwischen Jahrhundertwende und den beiden Weltkriegen versetzt. Um ein Beispiel zu nennen: In Capablancas glorreichen und triumphalen Jahren standen Simultanvorstellungen anstatt Schachturniere im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Der Autor formt Tatsachen aus einer vergangenen Zeitepoche authentisch zusammen und regt dabei die Fantasie des Lesers an. Maßgeblich konzentriert er sich auf Personen aus Capablancas Leben, Gegenstände, seinen Gesundheitszustand, einen sich um Capablanca bildenden "Hype" und die Revanche gegen Aljechin. War Aljechin nun ein Freund oder stand Aljechin sinnbildlich für "Freund" und "Feind"?

Capablanca und Aljechin begegneten sich zum ersten Mal bei einem Turnier in Petersburg, als die beiden Altmeister noch sehr jung waren. Beim ersten persönlichen Gespräch stand eine von Aljechin eingeleitete Wette um Madame Zlata im Vordergrund. Wurde das Schachspiel durch ein anderes lebenslanges strategisches Spiel mit Aljechin verdrängt? In seinem Roman springt Stassi sehr oft auf die einleitend geschilderte Kindheit von Capablanca zurück. Dabei wurde vom Autor im Verlauf der Biografie richtig erkannt und hervorgehoben, dass gerade Misserfolge von maßgeblicher Bedeutung sind. Seine Familie (Vater, Mutter, Großvater und Großmutter) spielte für Capablancas Entwicklung eine außergewöhnliche Rolle. Capablanca erlernte im Alter von 4 Jahren das Schachspiel, durch bloßes Zusehen beim Vater. Insbesondere seine Liebe zum Schach, welche der Ex-Weltmeister in seiner Kindheit zum Spiel aufbaute, wurde nicht von allen Familienmitgliedern stets geteilt. Weitere Personen wie Felix (ein Sklave auf einer Plantage), Xavier (ein Kind, zu welchem Capablanca vor seinem Ableben einen besonderen Bezug aufbaute) oder auch Juan Corzo, um den selbst sich viele Geschichten ranken, werden vom Autor geschickt in Szene gesetzt. Über sein persönliches Verhältnis zu Olga (seine zweite georgische Ehefrau, eine wahrhafte, echte Prinzessin) oder eine Begegnung mit Jossif Wissarionowitsch Dschungaschwili (genannt Stalin) wird kurzweilig erzählt. Geschichten über Paul Morphy, geschildert von seinem Großvater, beeindruckten Capablanca, so besuchte er später den letzten Aufenthaltsort von Paul Morphy. Andere Meister wie Emanuel Lasker werden ebenfalls erwähnt, dabei kommte es in seinem Verhältnis zu Emanuel Lasker zu einer überraschenden Wendung. Ebenso findet der Schachverein in Manhattan, seine Schulbildung und die von seinem Elternhaus eigentlich vorgesehene Karriere Erwähnung. Mit beeindruckender Leichtigkeit beschreibt der Autor auch diese maßgeblichen Wendungen in dem ihm eigenen Stil.

Wichtige Gegenstände für Capablanca waren offenbar ein Klapp-Schachspiel (mehr wird nicht verraten) oder eine gewonnene Uhr. Sein Gesundheitszustand, der zu einem späteren Zeitpunkt Bedeutung gewinnt, wird beschrieben, letztendlich thematisiert der Autor aber das Verhältnis zum Erzrivalen Aljechin. Der Niederländer Max Euwe gewann später die Weltmeisterschaft gegen Aljechin und für Capablanca rückte ein direkter Revanche Wettkampf damit in aussichtslose Ferne.

Oder gab es vielleicht doch "Die Letzte Partie"?

"Die Schachmaschine" Capablanca (so wurde er genannt) wurde von Frauen verehrt und von seinen Gegnern gefürchtet. Capablanca wurde bekannt durch sein solides Schach, niemals gab er freiwillig auch nur einen Bauern her. Stassi greift das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht genauso leidenschaftlich auf wie sein auserkorenes Haupt-Thema. Warum Capablancas Schach von seinen Gegnern gefürchtet wurde, kommt leider zu kurz - der Autor beschreibt schachliche Zusammenhänge auf dem Niveau eines Anfängers bzw. Hobbyspielers, der nur die Regeln kennt. Diese kleinen Kritiken führen bei meiner Bewertung zu einem Punktabzug. Auch erwartet ein Leser mit schachgeschichtlicher Vorbildung in einer Roman-Biographie über Capablanca Angaben zu den vielen Erfolgen, die er in seiner Laufbahn erzielt hat. Diesen letzten Punkt sehe ich jedoch, gerade bei einem Roman, als nicht besonders nachteilig an. Der Autor versteht es auf der anderen Seite jedoch, wichtige Eckpfeiler aus seinem Leben in den Vordergrund der Erzählung zu rücken.

Letztendlich überrascht der Roman mit einer unglaublichen Pointe.

Es entsteht zunächst der Eindruck, dass in den einzelnen Kapiteln wild zwischen Capablancas Lebensphasen gesprungen wird. Ein Eindruck, der sich zum Ende der Erzählung jedoch nivelliert, es liest sich alles sehr flüssig und ist sehr gut verständlich. Alle von Fabio Stassi inszenierten Geheimnisse werden gelüftet.

Die Roman-Biographie regt zum Nachdenken an.

Um seinen Roman spannend zu halten bediente sich der Autor einzelner Episoden aus dem Leben Capablancas und formte hieraus wahrlich einen mitreißenden Roman. Die Romanfiguren selbst gleichen meines Erachtens schon fast den Figuren auf einem Schachbrett, wobei Aljechin als wichtigste Person die Dame im Spiel ist. Der Autor lässt die Fantasie des Lesers arbeiten und es gelingt ihm, durch Andeutungen mehr auszusagen als mit ellenlangen Umschreibungen.

Die Schachnovelle von Stefan Zweig gerät durch Fabio Stassi in Vergessenheit. So ehrfürchtig wie Schachspieler auf die Züge Capablancas schielen, diese bewundern, so exzellent glänzt der Autor in Wort und Darstellung.

Fabio Stassis selbsternannter Auftrag - eine Biographie über den Altmeister des Schachspiels in Romanform - kann und muss als sehr gelungen betrachtet werden. Seine Hausaufgaben hat er gemacht, das Thema wurde gut recherchiert.

Bewertung: 4,5 von 5
Die 0.5 Bewertung steht als Bonus aufgrund der vielen mitreißenden Spannungseffekte. Um das Thema fesselnd zu halten, bediente sich Fabio Stassi der großen Trickkiste literarischer Kunst.

Fazit:
Unbedingt lesen!

® Copyright: Frank Quisinsky / SCHACHWELT
vom 18. / 19.01.2010
zuletzt aktualisiert am 28.01.2010, 22:00