Das Monster mit den 27 Augen
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Freitag, 09 August 2013 13:09

Das Monster mit den 27 Augen

"Ich hatte gedacht, ich würde gegen den Weltmeister spielen und nicht gegen ein Monster mit 27 Augen, dem nichts, aber auch gar nichts entgeht“ so der englische Großmeister Tony Miles nach seinem verlorenen Trainingsmatch (0,5-5,5) mit Garry Kasparov im Jahre 1986. Andere Gegner Kasparovs wiederum sahen „Energiewellen über das Brett hinweg gegen sich heranbranden“.

In dem nun erschienenen Band 2 der dreiteiligen autobiographischen Reihe Kasparovs werden die Jahre 1985 bis 1993 behandelt.

Garri Kasparow Garry Kasparov on Garry Kasparov, Part II 1985 - 1993 496 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2013. Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

„Das Genie ist wie das Donnerwetter: es schreitet gegen den Wind, erschreckt die Menschen und reinigt die Luft. Das Bestehende hat dagegen allerlei Blitzableiter erfunden.“ (Soeren Kierkegaard (1813-55), dän. Theologe u. Philosoph)

Dieses „Donnerwetter“ wütete gut 20 Jahre in der Schachwelt in Gestalt von Garry Kasparov, dem 13.Weltmeister der Schachgeschichte. Er, dessen ungezügelte Energie den Gegner wie ein gebündelter Laserstrahl traf, dessen brillantes Spiel Gegner wie Fans verblüffte und verzauberte, verstand es wie kein Zweiter, dem Schach seinen Stempel aufzudrücken. Nicht umsonst gilt Garri Kasparov als der vielleicht beste Schachspieler aller Zeiten. Die Jahre 1985 bis 1993 boten der Schachwelt insgesamt 6 Weltmeisterschaftskämpfe, 4 davon zwischen den ewigen Rivalen Karpov und Kasparov. Davon abgesehen gab es zahlreiche andere Veranstaltungen mit Kasparov, hochkarätige Superturniere, spektakuläre Simultanveranstaltungen gegen Nationalmannschaften oder auch atemberaubende Zweikämpfe gegen starke Großmeister. Die Schachwelt hielt den Atmen an, das war man nach den ruhigeren Jahren unter Karpovs Regentschaft nicht mehr gewohnt. Spektakuläre Opferpartien wechselten sich mit phantastischen Eröffnungsneuerungen oder auch ruhigen Positionspartien ab, immer war Kasparov im Mittelpunkt des Geschehens, immer genoss er auch den Ruhm und die Ehre die ihm Zuteil wurde. Sein Verdienst um das Schach kann auch nach einigen Jahren des Rückblicks nicht hoch genug eingeschätzt werden. In dem vorliegenden Buch werden diese aufregenden Jahre wieder lebendig, so greifbar nah als wäre es erst passiert. Der Wert der Erzählungen und Rückblicke wird aufgewertet durch neuere Analysen Kasparovs. Er untersucht aufs Neue, forscht und verbessert oder ergänzt dabei sogar seine alten Analysen. Zu erzählen gibt es viel: Vom gewonnen Titelkampf 1985, über die Worldcupserie, diversen Matchbegegnungen und sonstigen Superturnieren. Immer folgt man Kasparov, sieht seine Partien mit Erstaunen und erfährt aus erster Hand Insiderwissen. Kasparov erzählt viel über seine Gedanken, seine Ideen und seine Visionen. Es ist eine Zeitreise in eben diese Jahre, streift durch die Turniersäle dieser Welt und erlebt an der Seite von Kasparov so manches Abenteuer.

Fazit: Lesevergnügen pur! An der Seite von Garri Kasparov erlebt man noch einmal diese aufregende Zeit. Die Schilderungen der damaligen Ereignisse und die Partiekommentare machen aus dem Werk ein wichtiges schachhistorisches Dokument.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht

12 points oder lieber doch nicht?
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Samstag, 14 Mai 2011 23:43

Schon wieder kein Schach im Fernsehen?

Ein ruhiger Abend zu Hause, zusammen mit 125 Millionen anderen Menschen - heute ist Eurovision Song Contest! 
 Na gut, nicht dass ich ein echter Hartkern- Fan des Grand Prix de la Chanson wäre. Doch es hat (auch) Vorteile, bei dieser Show auszuhalten:

- die Intro-Show war furios: Stefan Raab spielte mit Orchester eine Rockabilly-Version von Lenas „Satellite“

- sogar Anke Engelke hatte wirklich Esprit, zeigte Headbanging und machte lustige Scherze! (das habe ich selten erlebt)

- Völker, hört die Ballade: man hört 25 Lieder in 100 Minuten, ein strammes Programm. Nachher dann noch die Auswertung und alle rufen an. Prima ansich, aus ganz Europa sind Interpreten dabei, eine schöne Idee! (Schade zwar, dass sie auch wirklich alle singen, und dass alles oft ganz furchtbar ist - trash as trash can, wie mal jemand sagte. Aber das gehört wohl dazu. Chaka, chaka!)

- Lena war dabei, aber hm hm hm, irgendwie war es doch ein bisschen lau. Aber teilnehmen ist ja auch schön, und gewinnen muss ja gar nicht sein. Eigentlich ganz wie beim Schach.

- Bei den meisten Liedern kann man nach einer Minute durch die Wohnung laufen und noch irgendetwas Sinnvolles tun. Zum nächsten Lied, das nach weiteren zwei Minuten beginnt, ist man dann wieder zurück. Das schult das Zeitgefühl für das Blitzschach.

- Es geht um nichts - das ist ja auch mal ganz schön. Eines der anstrengenderen Lieder scheint dabei zu gewinnen. Aserbaidschan - nicht nur im Schach erfolgreich.

- Jan Delay sang in der Pause! War aber zu hektisch und klang lange nicht so gut wie sonst. Schade!esc-moderatoren

Was hat dieser riesige European Song Contest nun mit dem Schachsport zu tun? Und warum darüber auch noch einen Artikel im Blog der Schach-Welt? Immer wieder müssen wir hier ja diskutieren, warum Schach kein Publikumssport ist und was wir ändern könnten bei der Kleiderordnung, der Bedenkzeit, vielleicht sogar bei den Regeln, um noch attraktiver zu werden. Sollten wir das Brett auf vier Felder verkleinern? Und am Abend des Eurovision Song Contest drängt sich mir die Frage auf: wollen wir denn eigentlich wirklich ein Publikumssport, ein Massensport sein?

Der ESC zieht viele Millionen Menschen an, und sogar das Düsseldorfer Fußballstadion wurde nur für diesen Abend für viel viel viel scheinbar frei verfügbares Geld eigens zur Mega-Halle umgebaut – aber ist die Veranstaltung dadurch besser? Schach zieht nicht ganz so viele Menschen an – ist aber als Zeitvertreib dadurch keineswegs schlechter. Die meisten von uns spielen, weil sie Spaß daran haben. Würden wir denn noch mehr spielen oder noch glücklicher sein, wenn uns viel mehr Menschen zusehen würden? Und was würde dadurch besser? Ok, es gibt Professionals, denen es besser ginge, hätte Schach mehr Zuschauer, mehr Geld, höhere Preisfonds. Doch viele von uns sind keine Profis.

 

Vielleicht reicht es aus, hätten wir einfach ein gutes Selbstverständnis und unsere Freude als Schachsportler und sind damit zufrieden. Schachspieler haben schon ihre Nische, in der sie sich wohlfühlen - ebenso wie die Judo-Gruppen, die Free Climber, die Badminton-Spieler oder die schottischen Square Dance-Gruppen. Hauptsache, wir haben im Austausch mit genügend anderen unsere Freude am kreativen Spielen, am Knobeln, am Ringen, am Abenteuer und dem Versuch, Punkte zu machen. Dafür gibt es auch jetzt schon tolle Turniere und einen umfassenden, von vielen Freiwilligen ehrenvoll im Hintergrund organisierten Ligabetrieb. Es mag naív sein und unbedarft, aber ich bin eigentlich ganz zufrieden damit, wie der Schachsport jetzt schon ist.

Lassen wir den anderen Sportarten – Fußball, Handball, Basketball – doch ihren Spaß und das große Geld und von mir aus auch die ganz große Aufmerksamkeit. Veranstaltungen wie der ESC sind dann eben für die anderen. Nur weil viele Menschen bei diesen "Melodien für Melonen" (Wigald Boning) zusehen, wird es noch nicht besser. Ich bleibe auch gerne in meiner Kneipe, im Vereinsheim, in der Turnhalle beim Open und spiele Schach - auch wenn es sonst nicht viele tun.

Hava Hava Europe! (so ungefähr grüßten gerade die Norweger!)

Nachtrag: Zur Feier des Siegerlandes mogeln wir hier noch eine Kombination in den Artikel, mit der ein in Baku/ Aserbaidschan geborener Weltmeister den vollen Punkt erzielte - bei einer Partie in Baku 1977. Garri Kasparov kommt ja aus der Ecke - ob wir ihn nächstes Jahr dann auch als Moderator beim ESC sehen werden? Erstmal aber die kleine Aufgabe: wie gewann der junge Kasparov hier klar und schnell mit Schwarz am Zug gegen Magerramov?

magerramov - kasparov1