Der Faden der Ariadne oder das Ende des Staunens
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Unser geliebtes Schachspiel umgeben doch einige Mythen, die zwar schön klingen, aber dennoch einer Überprüfung nicht standhalten. Ist Schach nun Kunst, Wissenschaft oder Sport? Nun Schach ist ein Rätsel mit endlich vielen Figuren und Feldern und daher ist es wissenschaftlich lösbar – mehr dazu später. Und eine weitere Besonderheit ist, eine Stellung kann immer nur einen der möglichen Spielausgänge GEWONNEN, VERLOREN oder REMIS haben oder wissenschaftlicher ausgedrückt: Schach wird in der Spieltheorie den endlichen Nullsummenspielen mit perfekter Information zugeordnet.

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Die erste Stellung ist für Weiß verloren, die zweite mit Schwarz am Zug für Weiß gewonnen in 546 Zügen (PGN zum Download da online Nachspielen eine zu hohe Ladezeit verursacht) und die dritte ist die schwierigste Stellung, aber es kann auch nur ein Ergebnis geben – ich tippe mal auf Remis, aber wer weiß – lassen wir uns überraschen.

Zur Zeit gibt es bereits die 7-Steiner gelöst – die Berechnungen wurden am Supercomputer Lomonosov an der Moscow State University vorgenommen. Natürlich ist es noch ein sehr weiter Weg bis zu den 32-Steiner, aber dazu später mehr.

Trotz aller Schönheit müssen wir hier schon leider sagen: Schach kann keine Kunst sein, denn dafür fehlt ein wesentliches Element: die künstlerische FREIHEIT sich über Grenzen und Gesetze hinwegsetzen zu können und dies ist beim Schach durch ein sehr, sehr weites aber dennoch fest definiertes Korsett nicht möglich! Und dennoch denke ich an den Satz von Michelangelo „der David war schon immer in diesem Steinblock, ich habe ihn nur freigelegt“ und mir ist klar, dass ich den David nie und nimmer aus dem Steinblock befreien hätte können und Gleiches gilt wohl leider auch für eine schöne Schachpartie, die ich aus dem Variantengeflecht auch nicht freilegen kann. So dürfte es im Schach sehr wohl Künstler geben, obwohl es keine Kunst ist?

Wo Kunst ist, da gibt es Schwärmerei und diese führt dann zu Aussagen, die zwar falsch sind, sich aber dennoch beinahe unendlich halten. Da die Anzahl der möglichen Schachstellungen nicht so einfach zu berechnen sind, gibt es verschiedene Ansätze, dennoch gilt heute allgemein die Schätzung von 2,28x10hoch46 als anerkannt. Da möchte ich mir zuerst eine kleine Seitenbemerkung zum Fischerrandom (Chess960) erlauben, das viele als die Rettung vor dem Remistod und dem Ausanalysieren sehen. Nun da es dort fast 1000 Grundstellungen gibt, würde die Zahl der möglichen Stellungen auf maximal 10hoch49 steigen, wobei es in Wirklichkeit doch einige weniger sein werden, denn viele Mittel- und Endspielstellungen sind aus allen Grundstellungen erzeugbar. Fischerrandom ist damit nicht viel komplexer als Schach, man schafft aber möglicherweise ein Ungewicht bei der Chancenverteilung in den Grundstellungen – möglicherweise wohlbemerkt.

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Und damit sind wir schon beim Thema: große Zahlen – wir verstehen sie schwer, eigentlich sollte ich nicht schreiben – aber sag niemals nie! Das beginnt schon bei im Vergleich zu Schach ganz kleinen Zahlen wie bei der Verschuldung in der aktuelle Eurokrise: der Rettungsschirm umfasst 500 Milliarden Euro das sind 500x10hoch9 die Schulden der Staaten übersteigen die Billionengrenze 10hoch12 – immer noch ein weiter Weg zu 10hoch46. Und da kommen die Schwärmer in ihr Reich und postulieren: Schach kann niemals gelöst werden, denn es gibt im gesamten Universum nicht so viele Elementarteilchen um alle Stellungen auf diesen zu speichern. Man soll niemals nie sagen erwähnte ich schon, aber auch der zweite Teil ist schlichtweg falsch, denn die sichtbare Masse des Universums in kg wird schon auf 10hoch53 geschätzt und dividiert man die Masse durch die möglichen Schachstellungen, dann ergibt zirka 4.300 Tonnen pro Schachstellung die zur Speicherung zur Verfügung stehen würden – das sollte machbar sein. Dennoch ist der Bau eines solchen Supercomputers natürlich mit heutigen Mitteln unmöglich, aber wer weiß was uns die Zukunft bringt – Stichwort Quantencomputer, Speicherung auf DNA und vor allem Möglichkeiten, an die wir heute noch gar nicht denken.

In der Anfangsstellung sind 20 Züge möglich (16 Bauernzüge, 4 Springerzüge) und als Ergebnis gibt es 1, 0 und remis. Schach ist also ein Labyrinth mit 20 Eingängen und drei Ausgängen. Und wenn ich mit 1.f4 e6 2. g4 hineingehe, dann kann ich nach 2. ... Dh4# dieses ganz schnell als Verlierer wieder verlassen (Narrenmatt). Ebenso kann mich der Gegner mit dem Schäfermatt ganz schnell als Gewinner entlassen. Als Remisweg möchte ich das kürzeste Patt (Samuel Loyd) zeigen.

Allen drei Beispielen gemein ist, dass es sich hier um Wunschzugfolgen und Zusammenhilfe von beiden Seiten handelt. Aus wissenschaftlicher Sicht müsste man nun alle Eingänge und alle möglichen Spielverläufe untersuchen, um zuerst für jeden Eingang das bereits feststehende Ergebnis zu errechnen und letztendlich die Frage zu beantworten: ist die Grundstellung gewonnen, verloren oder remis!

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Aus sportlicher Sicht läuft das so ab: man wählt einen Eingang, dann sagt einem der Gegner welche der durchschnittlich geschätzten 30-40 Ausgänge man nehmen muss, dann darf man wieder selber entscheiden und so weiter...

Da wir bei beiden Varianten noch länger auf verlorenem Posten stehen könnten – siehe Schwierigkeiten der Speicherung etc – müssen wir Menschen nach anderen Möglichkeiten suchen und da kommt uns unsere Improvisierungsgabe zu Hilfe und damit sind wir endlich sin beim Titel der Geschichte und in der antiken Geschichte angekommen. Um aus dem Labyrinth des König Minos mit dem schrecklichen Minotauros entkommen zu können, verwendete der athenische Königssohn Theseus ein ihm von der Tochter des Minos Ariadne mitgegebenes Wollknäuel und befestigte dies am Eingang und entkam nachdem er den Minotauros erschlagen hatte mit Hilfe des Ariadnefaden heil aus dem Labyrinth.

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Nun damit verlassen wir die Wissenschaft und kommen zu dem was für mich Schach eigentlich ist:

SPORT – Denksport und zwar ein wunderbarer!

Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen braucht es im Sport auch simplen Pragmatismus – wir müssen also den Faden oder die Fäden der Ariadne finden und wir dürfen dabei durchaus kreativ sein und den Faden durchschneiden. Wir haben mit den 7-Steinern einen bereits perfekten Helfer für die Endphase und wir haben auf der anderen Seite eine umfassende Eröffnungstheorie, die uns ebenfalls behilflich ist und wir haben mit den heutigen Computern schon die Möglichkeit auch Mittelspielstellungen weit zu berechnen. Es ist also wahrscheinlich gar nicht nötig alles durchzurechnen, sondern wir sollten uns auf die Suche machen, um die zwei Fäden wieder zu einem zu kombinieren. Ist das anmaßend? Möglicherweise ja, aber da sind wir wieder bei einem anderen Kunstwerk von Michelangelo der Erschaffung Adams:

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Ja auch wir sollten unseren Zeigefinger ausstrecken, um vielleicht eine oder sogar die Lösung von Schach zu finden!

Aber das wäre dann doch das Ende des Schachs höre ich verzweifelte Stimmen. Nein, nein denke ich: denn schon heute bieten uns die Weltklassespieler fehlerhafte Vorstellungen bei gelösten Endspielen und zeigen uns damit auf, dass wir Menschen niemals in der Lage sind göttlich zu spielen. Und da wir alle fehlbar sind, bleibt für uns Menschen Schach Sport und ein wunderbarer noch dazu! Genießen wir unsere Fehlbarkeit und fürchten uns nicht vor Maschinen, die wir selber erschaffen haben, uns zu dienen!

Dehnübung fürs Spitzenschach
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Sonntag, 14 Oktober 2012 09:40

Dehnübung fürs Spitzenschach

Wer sagt, dass man nur mit ausgefeilten Varianten auf höchstem Niveau bestehen kann. Mit geradezu antitheoretischer Spielanlage improvisierte sich Magnus Carlsen in Bilbao zum Turniersieg und bis auf drei Elopunkte an Kasparows zwanzig Jahre alten Elorekord heran. Dieser Schnappschuss eines Fotoreporters der baskischen TV-Station Proyeccion (Danke für den Tipp an David Llada) aus der Eröffnungsphase von Carlsens verblüffenden Gewinnpartie gegen Anand (es war die einzige entschiedene Partie des Weltmeisters auf Abruf) sagt mehr als Tausend Worte und könnte das Schachfoto des Jahres sein.