Schloss Schwetzingen: Einer von vielen Schauplätzen eines reichen Schachjahrs
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Sonntag, 06 Januar 2013 15:45

Ein tolles Jahr für (deutsche) Schachfans

2013 bringt keine Schacholympiade, wahrscheinlich keinen WM-Kampf, und doch verspricht das neue Jahr ein gutes Schachjahr zu werden. Das gilt insbesondere für die deutschen Schachfans: Gleich drei Weltklasseturniere sollen in den nächsten Monaten in Deutschland stattfinden: Am 6.-17. Februar in Baden-Baden mit Anand, Adams, Caruana, Fridman, Meier, Naiditsch und einem ganzen Schachfestival. Am 3.-17. Juli ein FIDE-Grandprixturnier in Berlin und ab 22. Juli das Dortmunder Sparkassen-Chess-Meeting.

Wer im Süden wohnt, hat es nicht weit nach Zürich, wo am 23.Februar bis 1. März Anand, Caruana, Kramnik und Gelfand antreten. Die im Nordwesten können sich einen Abstecher zum ersten Knaller des Jahres in Wijk aan Zee von 12. bis 27. Januar überlegen. Ein Leckerbissen für heimische Fans ist auch das zum zweiten Mal zentral ausgetragene Bundesligafinale am 5. bis 7. April im Schwetzinger Schloss.

Den sportlichen Höhepunkt des Jahres erwarte ich vom doppelrundig mit acht Teilnehmern (Carlsen, Kramnik, Aronjan, Radschabow, Grischtschuk, Swidler, Iwantschuk und Gelfand) ausgetragene Kandidatenturnier am 14. März bis 1. April in London, das eher nicht mit einem Aprilscherz sondern der Kürung von Anands designiertem Nachfolger endet. Dass der 43jährige Inder bei seinem Kraftakt in Wijk aan Zee, Baden-Baden und Zürich mit 29 Partien binnen sieben Wochen wieder seit Jahren vermisste Siegerqualitäten zeigt und sich wieder – seinem Titel gemäß – über die 2800 schwingt, erwarte ich nicht, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Offenbar ist Anand klar, dass seine beste Chance, zu alter Größe zu finden, jetzt ist, bevor sein Herausforderer feststeht und die nächste WM beginnt, sich im Kopf breit zu machen.

Nach dem starken ersten Quartal wird das Schachjahr etwas ruhiger. Abgesehen von den schon erwähnten Ereignissen erwarten uns das Festival in Biel,  FIDE-Grandprixturniere in Lissabon, Madrid und Paris, im August der Weltcup in Tromsö als Generalprobe für die ziemlich genau ein Jahr später dort stattfindende Schacholympiade, und im Herbst dann wieder Bilbao, London und das Moskauer Tal-Memorial, falls es nicht beim voriges Jahr provisorischen Juni-Termin bleiben soll. Der WM-Kampf könnte zwar laut einer früheren Ankündigung der FIDE schon Ende des Jahres in Anands Heimatstadt Chennai über die Bühne gehen. Wahrscheinlicher ist aber 2014 und nach einer Ausschreibung, sobald der Herausforderer in London ermittelt ist.

Gespannt bin ich auch, ob es Andrew Paulson, dem von der FIDE beauftragten Impressario des Grandprix, Kandidatenturniers und der nächsten WM gelingt, die Präsentation des Spitzenschachs zu verbessern. Dass Veranstaltungen wie Linares oder die Amber-Turniere in Monte Carlo und Nizza verschwunden sind, merkt man dem gut gefüllten Kalender jedenfalls nicht an. Für Fans hochklassigen Schachs hat ein gutes Jahr begonnen.

Big Brother-Schach, ja bitte!
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Freitag, 20 Juli 2012 12:08

Big Brother-Schach, ja bitte!

Schach als Zuschauersport, geht das? Bei den Dortmunder Schachtagen 1992 in den Westfalenhallen mit Kasparow waren meiner Erinnerung nach tageweise bis zu 1500 Leute da. Das gilt heute als nicht mehr schaffbar. Schließlich haben wir Internet. Wem die Züge genügen, der fährt nicht mehr ins Dortmunder Schauspielhaus, um das Sparkassen-Chess-Meeting zu sehen. Andere Veranstalter setzen gezielt auf online. Und weil einige Anbieter (Fritz-Server, ICC, TWIC...) die rechtlich noch immer nicht geschützten Züge abgreifen, müssen Veranstalterseiten mehr bieten, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden wollen. Die WM 2008 in Bonn zeigte einiges, was da möglich ist. Die WM kürzlich in Moskau hat die Standards wieder ein kleines Stück nach oben gehievt. 

 

Andrew Paulson, der neue Vermarkter von WM-Zyklus, Weltcup und Grandprix (die Serie beginnt in zwei Monaten in London), möchte darüber hinaus, wie heute in der FAZ zu lesen ist, auch den Spielort selbst spannender gestalten: Rückzügsräume abschaffen, das Publikum ringsum setzen, die Akteure in einem Boxring spielen lassen. Außerdem ihren Puls messen und ihre Augenbewegungen mit der Kamera erfassen. Big Brother-Schach? Ja bitte!

 

Noch gespannter wäre ich, wie die Spieler am Brett denken und fühlen. Was hinterher gesagt wird, ist ja alles schon vom Resultat geprägt und bereinigt. Tkatschjew hat vorgeschlagen, sie quasi vom Brett weg twittern zu lassen (es bräuchte nur ein Eingabegerät ohne Empfang). Ich könnte mir vorstellen, dass Spieler eines Tages, wenn sie sich eine Pause vom Brett gönnen, in einem kleinen Nebenraum vor einer automatischen Kamera drauflos plaudern und eine kluge Regie das den Kommentatoren passend einspielt. Auch die Videoberichte nach den Partien würden enorm profitieren und öfter geschaut werden (und es wäre authentischer als die legendären BBC-Master Games der frühen Achtziger, für die Miles, Nunn, Browne und Co nach den Partien im Präsens einsprachen, was sie ungefähr gedacht haben...). Wer nicht nur gut und kämpferisch spielt, sondern auch vor der Kamera authentisch und witzig rüberkommt, würde dann wohl öfter eingeladen als Langeweiler. Aber damit kann ich leben.