Anish Giri in Dortmund 2011
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Freitag, 29 Juli 2011 03:04

Was hat die FIDE gegen Giri?

Drei der acht Teilnehmer am nächsten WM-Kandidatenturnier sollen also ab 25. August beim Weltcup in Chanti-Mansisk ermittelt werden (drei weitere nach Elozahl, einer ist der Verlierer des WM-Kampfes Anand-Gelfand, einen bestimmt der Veranstalter). Trotzdem fehlt fast die komplette Weltspitze: Gelfand und Anand haben die Qualifikation nicht nötig. Carlsen, Aronjan und wohl auch Kramnik bauen auf ihre Ratings. Auch Topalow scheint seinen Elorückgewinn fix eingeplant zu haben. Alle vier können es jedenfalls nicht gleichzeitig schaffen. Nakamura pokert wahrscheinlich lieber zwischen den WM-Kämpfen. Nur Karjakin, Iwantschuk, Grischtschuk und Kamsky ist doch ziemlich dürftig, auch wenn sie alle legitime Kandidaten abgeben würden.
 
Wen könnte man sich eigentlich noch im vermutlich erst 2013 anstehenden Kandidatenturnier (dafür kommt der Weltcup als einziges Qualifikationsturnier sowieso viel zu früh jetzt, logisch wäre Frühjahr 2012, aber dann ist ja frühestens das Finale von diesem Zyklus) vorstellen? Mir fiele da Anish Giri ein. Wenn seine Eloentwicklung weitergeht, vielleicht sogar schon als einer der Favoriten. Mit seiner aktuellen Elo wäre er eh berechtigt, aber es gilt der Mittelwert der Listen 7/2010 und 1/2011. Sechs Wildcards hatte der FIDE-Präsident zu vergeben (Teilnehmerliste). Giri ist auch da nicht dabei. Keiner der sechs präsidentiell Nominierten (Sutovsky, Nielsen, Kasimdschanow, Ding, Bologan, Moriabiadi) hat eine so hohe publizierte, schon gar nicht aktuelle Elo wie Giri. Und keiner ist so jung und vielversprechend. Natürlich wäre Giri in Chanti-Mansisk nur Außenseiter. Aber ausgeschlossen wäre es nicht, dass er unter die ersten drei kommt.
 
Iljumschinow hat ein Talent für Skandale. Die Nichtnominierung Giris ist kein großer wie der Besuch bei Gadhafi, sondern nur ein kleiner. Die Frage ist, warum hat der irre Kalmücke den Jungen nicht nominiert? Hat einfach nur keiner in dem chaotischen FIDE-Haufen dran gedacht? Wird Giri von unserem Weltverband, der zur Verlängerung des Russischen Verbands geworden ist, etwa dafür abgestraft, dass er nicht für seine alte russische (und immer noch Pass-)Heimat antritt? Oder soll ausgleichende Gerechtigkeit geschaffen werden, weil Giri derzeit mehr Einladungen hat, als er annehmen kann? In Dortmund, Wijk aan Zee oder London kann man sich aber nun mal nicht für einen WM-Kampf qualifizieren. Er habe das bereits befürchtet, umschrieb er mir seine Enttäuschung, als ich ihn vor Tagen für einen Artikel in der Berliner Zeitung sprach.
 
(Nachtrag) Die FIDE hat nun doch noch durch ihr Sekretariat mitgeteilt:
"The nominations of the FIDE President are awarded upon his decision, mostly as an incentive to national federations which actively support FIDE events and FIDE activities such as "Chess in Schools", as well as to former World or Continental champions. This year, high-rated players from Europe were also nominated who played in their continental championship but did not qualify because of applicable tie-breaks which are very often disputed or in doubt of their effectiveness.
We are sure that GM Anish Giri will participate in next year's qualifying European Championship and he will indeed have a bright future as a top world-class player."
Dass Giri nicht das Qualifikationsturnier EM gespielt hat, wird ihm nun vorgehalten. Dazu muss man wissen, dass er sich zwischen der EM und dem gleichzeit ausgetragenen (letzten) Schnell- und Blindturnier in Monaco mit lauter (für den Weltcup vorberechtigten) Eloschwergewichten (für das er sich übrigens vorigen August in Amsterdam sportlich praktisch qualifiziert hatte) entscheiden musste. Wohl keiner an seiner Stelle, hätte Aix-les-Bains den Vorzug vor Monaco gegeben.  
Freitag, 31 Dezember 2010 01:27

2010 im Schnelldurchlauf

Das zu Ende gehende Jahr war ein ereignisreiches Schachjahr, aber war es auch ein gutes? Welche Ereignisse, welche Spieler haben es geprägt? Einige Glanzpunkte setzte sicher die Jugend. Als Erinnerungsstütze ein kurzer, nicht ganz unsubjektiver Überblick.

Los ging es mit der Mannschafts-WM im türkischen Bursa und einem Favoritensieg Russlands. Überraschend holten die USA mit dem überragenden Nakamura und Indien, obwohl ohne Anand, die Medaillen vor den höher eingeschätzten Team aus Aserbaidschan und Armenien. Den besten Start des Jahres erwischte Alexei Schirow in Wijk aan Zee mit fünf Siegen en suite. Am Ende wurde er dann doch noch überholt von dem trotz seiner erst 19 Jahre seit 1.Januar Führenden der Weltrangliste Magnus Carlsen. Die B-Gruppe wurde eine Beute des nächsten Carlsen, des 15jährigen Anish Giri.

Weltmeister Anand riss sich in Wijk aan Zee bei seinem letzten Test vor seinem Titelkampf kein Bein aus und holte seine üblichen plus zwei. Anders einen Monat später Wesselin Topalow: Mit unberechenbarem, hoch riskantem Schach gewann der Herausforderer in Linares, wo allerdings weder Carlsen, Anand noch Kramnik am Start war. Das wahrscheinlich stärkste Open des Jahres gewann der 18jährige Vietname Le Quang Liem. Während die Nationalspieler bei der EM in Rijeka unter ferner liefen mit ansahen, wie der 19jährige Jan Nepomnjaschtschi als Nummer 35 der Setzliste Europameister wurde, holte sich ein anderer Junior, der 18jährige Hamburger Schüler Nicolas Huschenbeth den deutschen Titel.

In der Bundesliga war der Titelgewinn des hohen Favoriten Baden-Baden nach einer Niederlage gegen Werder Bremen dank der ebenfalls vorne mitmischenden Solinger erst im letzten Spiel perfekt. Spannend verlief auch die WM. Anfangs überschattet von der Flugsperre, die Anands Reise nach Sofia erschwerte, und Spekulationen über Provokationen in der Heimat des Herausforderers wurde es ein fairer und hochklassiger Zweikampf, den Anand knapp aber zu Recht gewann. Zur gleichen Zeit und ein halbes Jahr zu spät kam der FIDE-Grandprix in Astrachan doch noch zu einem Abschluss, der aber überschattet wurde von Mutmaßungen über eine Partieabsprache zwischen Mamedscharow und Radschabow, die letzterem zum letzten offenen Platz im Kandidatenturnier verholfen haben könnte.

Korruption ist im Weltschach sonst eher auf Funktionärsebene ein Problem. Hoffnungen auf Veränderung nährte die Kandidatur von Anatoli Karpow um die FIDE-Präsidentschaft mit maßgeblicher Unterstützung von Garri Kasparow und dessen Draht zu Financiers im Westen. Das Turnier im rumänischen Bazna mauserte sich zum Elitewettbewerb. Der Sieger hieß einmal mehr Carlsen. Derweil eskalierte ein seit längerem schwelender Streit zwischen den Nationalspielern und dem Deutschen Schachbund um Honorare und die Bedingungen für Profis in Deutschland. Dazu gehört etwa auch, dass in Dortmund nur Naiditsch willkommen ist (das unzureichend gemanagte Turnier gewann heuer Ponomarjow) und in Mainz, dem Treffpunkt des Schachs in Deutschland, aufgrund der Wirtschaftskrise das Programm auf zweieinhalb Tage eingedampft werden musste.

Bei der Schacholympiade holte dann eine Ersatzauswahl mit Platz 64 das mit Abstand schlechteste deutsche Ergebnis. Im sibirischen Chanti-Mansisk enttäuschte auch Gastgeber Russland und musste Gold den leidenschaftlicheren, von einem entfesselten Wassili Iwantschuk angeführten Ukrainern überlassen. Dafür dominierten die Russinnen den Frauenwettbewerb. Bei der FIDE-Wahl unterlag Karpow mit praktisch der selben Marge wie vier Jahre zuvor Bessel Kok gegen Kirsan Iljumschinow, dessen Hintermänner seit 1995 in die eigenen Taschen wirtschaftend das Chaos verwalten.
Als Finale der unabhängigen Grand-Slam-Turniere hatte Bilbao eine schiefe Optik, hatte doch nahezu alle Qualifikationswettbewerbe Carlsen gewonnen, der gerade eine Formkrise durchmachte, während der einzige andere Qualifizierte Topalow von vornherein absagte. Kramnik gewann. Nur wenige Tage später begann der neue Grand Slam Tausende Kilometer entfernt in Nanking, wo Carlsen wie verwandelt agierte und überlegen gewann.

Kurz danach schockte der Norweger, dessen WM-Sieg für viele nur eine Frage der Zeit ist, mit dem Rücktritt aus dem im Frühjahr anstehenden Kandidatenturnier. Keinen klaren Sieger gab es in Moskau. Aronjan (der anschließend die Blitz-WM gewann), Mamedscharow und Karjakin teilten am Ende Platz eins. Das wäre nach der üblichen Wertung auch in London der Fall gewesen. Weil ein Sieg dort aber drei Punkte wert war, wurde Carlsen vor McShane und Anand zum Sieger erklärt. Zwischendurch setzte Marc Lang, FIDE-Meister aus Günzburg, mit einem Blindsimultan gegen 35 Gegner das deutsche Schachhighlight des Jahres. Die Frauen-WM im türkischen Antakya wurde von den Chinesinnen dominiert. Den Titel holte sich die 16jährige Hou Yifan, so dass sie sich künftig wohl öfter mit Männern messen darf.

Russischer Meister wurde nach einem Stichkampf, in dem es nur Remisen gab, und obwohl er zuvor im regulären Vergleich gegen den gleichaltrigen Karjakin unterlegen war, der mittlerweile 20jährige Nepomnjaschtschi. An die Weltranglistenspitze kehrt aber, nachdem zwischenzeitlich Anand vorne war, Carlsen (ebenfalls 20) zurück.