Europameister 2012 Dimitri Jakowenko
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Samstag, 31 März 2012 16:44

So plowtief sind wir gesunken

Dimitri Jakowenko ist Europameister. Der russische Filigrantechniker schlug in der letzten Runde den alleine Führenden Fressinet. 2008 spielte er mal zwei Bundesligapartien für Mülheim-Nord. 2009 durfte er mal in Dortmund dabei sein (geteilter Zweiter bis Vierter im Sechserfeld). Ohne je als Weltklassespieler etabliert zu sein und die entsprechenden Einladungen zu kriegen, verweilte er einige Zeit in den Top Ten und war kurze Zeit Russlands Nummer eins nach Elo, bevor sich Kramnik derrappelte (Österreichisch für, ach Sie verstehen schon).

Jakowenkos Leistung ist indessen Nebensache. Das große Thema der an diesem Samstag zu Ende gegangene Europameisterschaft ist die entsetzliche Gängelung der Spieler, die in Plowdiw ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht hat. Die Bulgaren haben alles daran gesetzt, einen traurigen Rekord zu setzen: Nie gab es bei einem hochrangigen Wettbewerb so viele aberkannte Punkte wie bei dieser EM. So plowtief sind wir gesunken.  

Wie hat das gleich nochmal angefangen? Nein, nicht mit dem Rauchverbot in den Achtzigern. Das hat uns Nichtrauchern (allen Minderjährigen sowieso) das Turnierspielen quasi erst ermöglicht. Der Dammbruch, bei dem die Drangsalierer merkten, dass wir Spieler eh alles mit uns machen lassen, war das Handynullen (ich wiederhole zum hundersten Mal, dass ich nicht dafür plädiere, das Telefonieren während der Partien freizugeben, sondern die Sanktion der Vergesslichkeit mit Augenmaß zu handhaben). Dann das Hin und Her bei stets kürzeren Bedenkzeiten. Überteuerte Zwangsquartiere bei offiziellen Wettbewerben, Dopingtests, Nulltoleranz (auch gegenüber Minderheiten, die aus der sommerzeitfreien Wildnis kommen), Remisverbot (bis hin zur Zwangsnull, wenn beim technischen Remis nicht der Schiri geholt wird - Beispiele hier), neuerdings ein Dresscode (der den Mädels das Zeigen des Ausschnitts oder Modetorheiten wie Hüte verbietet).  

banner-seminarturnier200-anSteve Giddins fragt in seinem sehr lesenswerten Blogbeitrag, warum sich die Spieler das gefallen lassen, und schlägt einen Streik nach dem Vorbild der Radprofis vor: Passt ihnen eine Regeländerung nicht, fährt beim Startschuss einfach keiner los, und man quatscht fröhlich, bis die Rennleitung ein Einsehen zeigt. Sollen die Regeldeppen, äh Schiedsrichter, sagen wir bei der nächsten Schacholympiade, doch nach einer Stunde alle Weißspieler nullen.

Es wird Zeit, dass wir erfahren, welche wesentlichen Schachfunktionäre sich der Gängelung der Spieler mit aller Kraft widersetzen.

Auch aus einiger Entfernung kann man nicht lesen, was auf dem T-Shirt steht
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Sonntag, 03 April 2011 20:32

Engelfrosch oder: Caissas neue Kleider

Man hat´s nicht leicht, und auch die Gegner werden immer stärker. Neulichs spielte ich in der Liga gegen den Rostocker Willi Skibbe, der in einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Engelfr …“ am Brett saß. Weil eine Trainingsjacke darüber hing, konnte ich den Rest des Wortes zuerst nicht ganz lesen. Erst nach einiger Zeit merkte ich, dass mein heimlicher Tip „Engelfrosch“ nicht hingehauen hatte – auf Willis T-Shirt stand tatsächlich „Engelfrost“.
War das nun der Titel eines Stephen King-Buches, der Name einer Rostocker Grunge-Band, oder doch einfach nur ein regionaler Lieferservice für Tiefkühlprodukte? Egal – denn während ich immer noch so über den „Engelfrost“ grübelte, verbaselte ich auf dem Brett auch schon eine fast aussichtsreiche Stellung. So gesehen hatte sich Willi an diesem Tag für genau das richtige Kleidungsstück entschieden:

Steffens,Olaf - Skibbe,Willi [B23]

2BLN Rostock - Werder Bremen, 20.03.2011

1.e4 c5 2.Sc3 Sc6 3.g3 e6 4.Sge2 Sd4 5.Sxd4 cxd4 6.Sb5
Bis hierher hatten wir beide schon einige Minuten verbraucht - er etwas weniger, ich etwas mehr, aber ich musste ja auch noch über das T-Shirt nachdenken.
6...e5 7.Dh5 d6 8.Lc4
Sieht irgendwie aktiv aus, und vielleicht kann ich es mal so spielen. Und wie heißt es denn nun auf seinem T-Shirt ... Engelfrucht? Engelfrosch?
8...De7?                  steffens - skibbe nach dem 8.zug von schwarz

Engelfracht? Engelfrech? Und was spiele ich nun? 9.Lc4xf7 sieht gut aus, denn nach 9... De7xf7 gewinne ich mit 10.Sb5-c7+, Ke8-e7 11. Dh5xf7, Ke7xf7 12. Sc7xa8 die Qualität, immerhin. Aber ist das auch noch gut, wenn er dann 12..... Sg8-f6 spielt? Hm. - Vielleicht kann ich vorher auch erst 9. d2-d3 spielen, denn was kann er eigentlich tun, um sich zu befreien? 9..... Sg8-f6? Aber dann spiele ich einfach auch wieder 10.Lc4xf7 und gewinne die Quali... - ( An dieser Stelle rutschte die Trainingsjacke zur Seite und endlich kam "Engelfrost" zum Vorschein.) Engelfrost - was soll das denn sein? Eine Band vielleicht, oder ein Lied von Rammstein? Na gut, ich spiele erstmal 9.d2-d3.
9.d3? Sf6!
Und schönen Dank - ich wollte nun eigentlich immer noch Lxf7 spielen, sah aber noch in der allerletzten Sekunde (klingt dramatisch, oder?), dass dann nach Kd8 bei Weiß alles mögliche hängt. FRITZ empfiehlt dann zwar noch Lg5, aber so tief habe ich es während der Partie nicht verstanden.
10.Dh4
Und die weiße Initiative, wenn es sie denn je gab, hat sich verflüchtigt. Es folgte 10..... a7-a6, 11.Sb5-a3, De7-d7, und nach einigen weiteren Abenteuern und sechs Stunden Spielzeit endete die Partie remis. –
(Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier noch ein vertraulicher Hinweis: es lag nicht wirklich an seinem T-Shirt (auch wenn das eine schöne Ausrede wäre) - ich habe einfach nur sehr schlecht gerechnet. Viele Grüße nach Rostock!)

½-½

www.fussball.de Kann man also durch geschickt gewählte Kleidungsstücke Macht über den Gegner gewinnen? Wie steht es zum Beispiel mit Frauen, die auf Schachfestivals durch sommerlich knappe Tops den Blick des Gegners von der Partiestellung und der Uhr weglenken, um am Ende dann durch Zeitüberschreitung zu gewinnen? Es passiert ja immer wieder. Dennoch erscheint es vielleicht übertrieben, wollte man nun aufgrund solcher Begebenheiten die Kleiderwahl im Turniersaal genauer regeln. Andernorts in der Schachwelt sieht man die Sache jedoch ein bisschen anders.

Well-dressed as always, hat sich in der vergangenen Woche Silvio Danailov, der Präsident des Europäischen Schachverbandes ECU, für einen europäischen Dresscode am Brett starkgemacht (Quelle: Schachbund). Genaue Regelungen sollen bis zum November im Detail ausgearbeitet werden. Noch weiß man also nichts Genaues - aber ich fürchte, es wird bald schlecht aussehen für Willi Skibbe und sein Engelfrost T-Shirt. Zwar ist diese Reform möglicherweise nur für Profis gedacht und zielt noch gar nicht auf den Amateurbereich unseres Sports – doch wer weiß das schon so genau? Die Verkürzung der Karenzzeit auf dreißig Minuten erlaubter Verspätung zu Partiebeginn nagte sich ja auch von oben nach unten durch die Ligen, und auch über das Handyklingeln am Brett konnten wir am Anfang nur deshalb schmunzeln, weil die Partien damals (schon lange ist das her!) noch nicht gleich verloren waren.

Aber Ordnung muss wohl sein, und das richtige Outfit kann für den (schachlichen) Erfolg wichtig sein. Das belegt unter anderem ein Ausschnitt aus dem Karriere-Ratgeber der Computerwoche:

Kleidung ist ein Spiegel der Seele

Bei nachlässiger Kleidung - einem Fleck auf der Krawatte oder abgelatschten Schuhen - schließen wir auf Unzuverlässigkeit und Willenlosigkeit. Ordentliche Kleidung dagegen lässt uns in den Augen anderer zielstrebig und sorgfältig erscheinen. Männern im Anzug wird eher Kompetenz zugesprochen, als Männern in Cargohose mit T-Shirt.“

Prüfen wir darum also mal ganz konkret, wie sich Schachspieler in der Öffentlichkeit so präsentieren:

a) GM Jan Gustafsson, seit einigen Monaten mit einer sehenswerten Homepage im Netz vertreten. Der Meister präsentiert sich dort schick, légère und elegant – auch ohne europäische Kleiderordnung.

b) IM Ilja Schneider dagegen zeigte sich in seinem legendären Schachzoo fast niemals mit Bild - aber das war auch völlig ok!

c) Und auch Jörg Hickl, der Präsident der Schach-Welt … aber ich schreibe jetzt nicht weiter, er ist ja sozusagen mein Chef hier. Ich wollte auch nur sagen, dass ich noch kein Bild von ihm im Blog gesehen habe, aber zu verbergen hat er glaube ich nichts.

d) Die Niedersächsische Schachjugend – diese gefürchtete norddeutsche Untergrundorganisation kleidet sich gerne in rot-weißen Shirts mit entsprechendem Logo. Und wirklich – es hinterlässt nicht wenig Eindruck, wenn man beim Nord-West-Cup in Bad Zwischenahn gegen den einen oder anderen Schachjugendlichen spielt, und in einer vierstündigen Partie kommen ständig rot-weiß gekleidete Jugendkollegen vorbei und gucken auf das Brett. Allein die Farbe signalisiert dem Gegner dann schon „Wir stehen hier nicht wegen Dir“, und ich glaube, das hat unterbewusst schon eine große Wirkung.

e) Silvio Danailov - Es gibt ja in der europäischen Öffentlichkeit bereits einen bekannten Silvio –  und auch der neue europäische Schachpräsident heißt nun so. Vielen ist er schon bekannt als umtriebiger und in mancherlei Hinsicht kreativer Manager von Vesselin Topalov. Tatsächlich habe ich ihn bisher immer nur gut gekleidet gesehen – und das machte durchaus Eindruck. (So gibt es zum Beispiel ein schönes Video von ihm vom Corus-Turnier 2006, bei dem er sich in der Nähe der Bühne mit Blickkontakt zu Topalov aufhält.) Allerdings: auch sein schöner Anzug und selbst seine Krawatte hielten ihn nicht davon ab, beim WM-Kampf Topalow - Kramnik wegen eines angeblich auf Kramniks Toilette verlegten Datenkabels massiv (und vermutlich unberechtigt) Ärger zu machen. Gut, dass Kramnik damals trotzdem gewonnen hat! -


Sollte eine einheitliche Kleiderordnung nun tatsächlich kommen, wären wir Schachspieler damit nicht alleine in Europa. Auch Fußball und andere Sportarten nehmen die Sache mit der Kleidung durchaus ernst.

So empfiehlt zum Beispiel die (wow!) German Golf Academy auf Teneriffa:

Kopfbedeckung: Kappen und Schirmmützen müssen mit der Spitze nach vorne getragen werden. Alle sonstigen golfüblichen Kopfbedeckungen werden ebenfalls akzeptiert.

Lange Hosen: Blue Jeans sind untersagt, Hosen aus Jeansstoff und anderer Farbe als Blau entsprechen der Kleiderordnung. Shorts und andere Hosen müssen bis zum Knie reichen.

Socken: Socken in Verbindung mit kurzen Hosen sollten über Fußgelenkshöhe enden und neutrale Farben aufweisen. Kurze Trainingssocken (bis unterhalb Fußgelenk) sind nicht erlaubt.

Damen: Kragenlose Hemden und Tops müssen über Ärmel verfügen. Ärmellose Hemden und Tops müssen einen Kragen aufweisen. Der Ausschnitt muss maßvoll sein. Rückenfreie Oberteile sind nicht erwünscht. Golfröcke sind erlaubt.“

Na bitte, so könnten wir das beim Schach doch auch haben! Aber was würde beim Golf passieren, wenn man sich dem herrschenden Dresscode nicht fügt? Droht auch dort eine Verwarnung vom Schiri, und eine Zeitgutschrift für den Gegner?

Der Golfclub Aukrug appelliert in solchen Fällen zunächst an die Einsicht:

Nach vielen Jahren mit teilweise sehr legeren Outfits, möchten wir ab 2010 beginnen, in unserem Golfclub ein wenig mehr auf die Golf-Kleidung zu achten. Bitte helfen Sie mit, dieses Vorhaben zu realisieren und sprechen Sie ruhig auch mal die "Fehlgekleideten" an.“

Kein Problem, auch beim Schach würden wir dann unsere fehlgekleideten Gegner einfach ansprechen. Beim Golfclub Motzen (den es wirklich gibt) wird die Sache dagegen ganz offiziell geregelt:

Die Kleiderordnung ist zu beachten. Den Anweisungen der Marshals ist Folge zu leisten.“

Das klingt schon etwas bedrohlicher. Aber warum auch nicht – es geht ja auch um die Etikette.

Lensbest – Deutschlands größter Kontaktlinsenversender!

Ebenso wie beim Golf gibt es auch beim Dart eine Kleiderordnung – wenn auch eine relativ lockere, denn ein T-Shirt mit einem Kragen scheint dort die Mindestanforderung zu sein, damit sich die Gegner nicht provoziert fühlen. Glückliche Dartspieler!

Beim Pokern dagegen (was ja vielleicht und aus unserer Sicht nicht ganz so sehr ein Sport ist wie Schach) sieht man, yeah baby, das alles recht entspannt:

Poker clothing

Once you enter the hall to play the game, you will find different groups of people, following different style and dress code.“

Ok, soweit nicht viel anders als auf einem Schachturnier. Aber wie geht es weiter?

Keeping in mind the comfort of young poker players, casuals and poker accessories like hats, sunglasses, gold chains including other things have become an integral part of the game. […] … there should be no restriction on the clothes worn by players of certain age group. All you need is a cool attitude and you can look smart.

[…] The whole idea is that the players should look professional.“

Die Pokerspieler – professionell und ganz entspannt an ihren Tischen! Wir dagegen als bisher eher unstrukturiert gekleidete Schachspieler werden nun wohl noch einige Diskussionen vor uns haben. Es bleibt dabei natürlich die Frage, ob wir einen Verband wollen, der den Spielern einen wie auch immer gearteten Dresscode vorschreiben will.
Vielleicht müssen wir aber einfach auch erstmal abwarten, welche Regeln konkret im November zur Abstimmung gestellt werden sollen, und ob diese dann nur für Profis oder auch für Amateure gelten sollen.

Letztlich spielen die meisten von uns ja „für umsonst“ und in unserer Freizeit, und vielleicht wollen wir uns da als Nicht-Profis gar nicht so sehr in unsere Kleidung reinreden lassen.

Ein Dart-Spieler aus Ontario hat das so in Worte gefasst:

„I'm sorry, but we're not playing darts in front of crowds of people who have paid good money to watch. Darts is played in bars by people having pints. To have a dress code is ridiculous. […]
If they'd let me, I'd play in my underwear and socks."

Wie schon gesagt – glückliche Dartspieler!