Mai 2019
DSIM Krause gegen Krennwurzn
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Am Rosenmontag oder Faschingsdienstag hat die Krennwurzn einen Artikel über die nun wieder geplante Einführung der Deutschen Internetmeisterschaft (DSIM) geschrieben. Nun ergab ein kurzes Email an den Präsidenten Ullrich Krause des DSB die Möglichkeit eines Streitgespräches über dieses Thema:

Krennwurzn:
Ich lese Ihnen mal was vor aus dem Jahr 2004: "Betrug im Schach" und die Disqualifikationen bei der Deutschen Internetmeisterschaft und dem ACP-Turnier sind ebenfalls Gegenstand der Betrachtung der "Kolumne" in der aktuellen Mai-Ausgabe von "Schach" (Schach 5/2004). Im April 2004 gab es zu diesem Thema auch eine Presseerklärung des DSB, aber wir sind ja nicht hier um Vergangenes aufzukochen: Meine Frage ist eine sehr einfache: warum sollte es heutzutage funktionieren, wenn es vor 15 Jahren schon nicht geklappt hat?

Krause:
Wenn Sie gestatten, würde ich zunächst gerne unsere Motivation für die Einführung der Deutschen Schach-Internetmeisterschaft (DSIM) erläutern, bevor ich auf das von Ihnen angesprochene Problem eingehe. Eines der Themen in meinem Wahlprogramm, mit dem ich 2017 angetreten bin, war Online-Schach. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Der DSB sollte Online-Schach nicht als Konkurrenz begreifen, sondern als Chance, verloren gegangene Mitglieder wieder näher an den DSB heranzuführen und neue Mitglieder für die Vereine zu gewinnen.
  2. Eine offizielle Internetmeisterschaft des DSB ist in meinen Augen längst überfällig und ich war damals sehr erstaunt, dass es dieses Turnier in unserer Turnierordnung nicht gibt.
    Ich habe mir dann erklären lassen, dass der Hauptgrund dafür die von Ihnen angesprochenen Betrugsmöglichkeiten seien, die man nicht in den Griff bekommen könne. Damit einher geht außerdem die umgekehrte Gefahr einer falschen Verdächtigung, wie ebenfalls von Ihnen dargestellt. Diese Problematik war übrigens in allen Gesprächen auch das einzige Argument gegen eine DSIM. Anders ausgedrückt: Wenn man dieses Problem in den Griff bekommt, spricht überhaupt nichts gegen ein solches Turnier, ganz im Gegenteil: Wir erhalten dadurch die Möglichkeit, Spieler zu erreichen, die noch nicht oder nicht mehr im Verein aktiv sind.
  3. Ich bin seit vielen Jahren in der IT tätig und habe deshalb im Unterschied zu vielen anderen Schachfunktionären keinerlei Berührungsängste mit dem "Neuland" Internet. 

Nun zu Ihrer etwas provokanten Frage: Ich habe mich mehrmals mit den Mitarbeitern unserer Partnerfirma für die DSIM unterhalten, und mir wurde zugesichert, dass es heutzutage ganz andere Möglichkeiten gibt als vor 15 Jahren, Betrug beim Online-Schach aufzudecken. Die Anti-Cheating Algorithmen sind heute so ausgereift und erfolgreich, dass die FIDE und zahlreiche nationale Föderationen regelmäßige Online-Turniere in ihren offiziellen Spielbetrieb integriert haben. Die Schachföderation der USA führt beispielsweise Online-Turniere durch, deren Ergebnisse die reguläre nationale Wertungszahl beeinflussen. Der entscheidende Punkt ist hier die Statistik: Wenn man nur eine einstellige Zahl von Partien betrachtet, kann man durch reines Glück ein Ergebnis erklären, das aus dem Rahmen fällt. Aber je höher die Zahl der Partien ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass reines Glück für eine Reihe von Gewinnpartien verantwortlich ist. Der Fokus bei dieser Betrachtung liegt übrigens nicht auf einzelnen sehr guten Züge, die man rein zufällig auch finden könnte, sondern auf der Anzahl dieser Züge und vor allem auf der Anzahl der Fehler: Schwächere Spieler machen nun einmal mehr Fehler als stärkere, d.h. die statistische Analyse legt den Schwerpunkt auf die Züge, die nicht so gut waren. Und wenn ein Spieler mit einer Wertungszahl von 1800 (um mal willkürlich eine Zahl zu nennen) in 25 aufeinanderfolgenden Partien mit geringer Bedenkzeit keinen einzigen Fehler macht, ist das sehr auffällig. Wie genau diese Analyse erfolgt (also welche Züge als relevant im Sinne der Analyse identifiziert werden), entzieht sich meiner Kenntnis, und ich gehe davon aus, dass dieses Geheimnis ähnlich gut gehütet wird wie der Google-Algorithmus. Auf jeden Fall kann man Computer-Betrüger dadurch spätestens zum Ende des Turniers mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit identifizieren.

2019DSIM 01

Neben den programmgesteuerten Möglichkeiten gibt es aber andere Maßnahmen, die die Anzahl der potentiellen Betrüger von vorneherein stark reduziert: Man muss bei der DSIM unter seinem Klarnamen antreten und wir lassen nur Spieler zu, die Mitglied in einem Schachverein sind oder über eine DWZ-Lizenz verfügen, d.h. wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Außerdem wird die Endrunde zentral gespielt, d.h. die qualifizierten Spieler versammeln sich an einem Ort (möglicherweise auch an mehreren, um die Reisekosten zu reduzieren) und spielen dort an ihrem Notebook. Idealerweise verknüpfen wir das mit einem anderen Event, um die Sichtbarkeit der DSIM zu erhöhen. Spätestens dann wird die Spreu vom Weizen getrennt, denn es wird quasi unter Aufsicht gespielt. Dadurch fliegen auch die Spieler auf, die in der Vorrunde unter falschem Namen gespielt haben bzw. sich während der Partien von einem stärkeren Spieler beraten ließen.

Krennwurzn:
Darf ich, bevor wir zu den technischen Fragen kommen, noch auf einen Widerspruch hinweisen: Sie möchten Spieler erreichen, die noch nicht in einem Verein spielen und wollen nur Spieler unter Klarnamen, die im Onlinebereich zudem eher unüblich sind, spielen lassen, die einem Verein angehören oder eine DWZ-Lizenz haben. Hört sich für mich jetzt nicht nach dem großen Fischen im Neulandteich an.

Krause:
Wir reden hier über eine Deutsche Meisterschaft, die vom Deutschen Schachbund ausgerichtet wird. Die Mitgliedschaft im Deutschen Schachbund (bzw. indirekt über einen Schachverein) ist insofern eine selbstverständliche Teilnahmevoraussetzung. Neu ist in diesem Fall die DWZ-Lizenz, die wir zeitgleich zur DSIM eingeführt haben und die einen Versuch darstellt, ehemalige Mitglieder zurückzugewinnen. Ich spiele seit meinem 13ten Lebensjahr für meinen Verein Schach und habe in all den Jahren etliche Mitglieder kommen und leider auch wieder gehen sehen. Einige wenige finden irgendwann den Weg zurück zum Vereinsschach, aber für die allermeisten gilt das nicht. Ich sehe trotzdem viele dieser ehemaligen Mitglieder regelmäßig wieder, und zwar auf einem Schachserver, entweder als Zuschauer bei einem live kommentierten Turnier oder eben mit der Hand an der Maus beim Schachspielen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die DWZ-Lizenz als günstige Möglichkeit, wieder eine offizielle DWZ zu erwerben, für diese Spieler ein erster Schritt zurück zum Vereinsschach sein kann. Wir haben die DWZ-Lizenz so konstruiert, dass niemand deswegen aus seinem Verein austreten wird, denn eine Bedingung für den Erwerb einer solchen Lizenz ist, dass die letzte Mitgliedschaft in einem Schachverein mindestens zwei Jahre zurückliegt. Die Lizenz ist außerdem im ersten Kalenderjahr kostenlos, so dass die Hürde sehr niedrig ist. Ob uns auf diese Art und Weise viele Fische ins Netz gehen, werden wir sehen.

Krennwurzn:
Und dann wäre noch, dass die Österreicher so eine Serie in den 2010-Jahren mit ähnlichen Zugangs- und Betrugsprüfungen auch starten wollten. Dies ging in die Geschichte dann als Turnierserie ohne Teilnehmer ein, weil eben auch damals die Hürden für die Teilnehmer zu hoch waren.

Krause:
Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen dieser Meisterschaft und der DSIM: Wir erheben kein Startgeld, weil uns gesagt wurde, dass das bei einem Online-Turnier nicht nur unüblich, sondern geradezu schädlich ist. Ich vermute, dass das eine Lehre ist, die man aus der von Ihnen benannten österreichischen Meisterschaft gezogen hat. Online-Spieler wollen spontan entscheiden, ob sie an einem Turnier teilnehmen oder nicht, d.h. eine vorherige Anmeldung inklusive Startgeld-Überweisung ist extrem kontraproduktiv.

Krennwurzn:
Kommen wir zum technischen Aspekt der Sache und das ist meiner Meinung nach jener, der die meisten potentiellen Teilnehmer eher abschrecken wird, wenn man sich die Diskussion in diversen Foren und unter den Schachspielern ein wenig anhört. Natürlich hat sich die Welt weitergedreht und die Algorithmen sind besser und treffsicherer geworden – aber das ist nicht nur ein Vorteil, denn viele ehrliche Spieler haben die unterschwellige Angst ungerechtfertigterweise als Betrüger „überführt“ zu werden. Und je besser die Software, desto schlechter die Chancen dann zu beweisen, dass man ein „false positive“ ist – daher verliert man auch hier potentielle Teilnehmer und zwar nicht nur jene, die sich vor Betrug fürchten, sondern um ihren guten Namen Angst haben.

Krause:
Diese Argumentation ist nicht schlüssig: Je besser die Software, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler zu Unrecht beschuldigt wird. Und im Falle schlechterer Software hätte man ebenso wenig die Chance, dieses Ergebnis zu widerlegen. Uns wurde versichert, dass die Algorithmen eine extrem hohe Trefferquote haben und sehr zuverlässig sind. Ich spiele seit 15 Jahren Online-Schach und habe schon sehr lange nicht mehr das Gefühl gehabt, dass ich gerade gegen einen Computer gespielt habe. Meine Freunde spielen ebenfalls aktiv im Internet und das Thema "elektronischer Betrug" spielt in unseren Gesprächen über Online-Schach keine Rolle mehr.

Krennwurzn:
Ebenso wie Sie sehe ich Cheating nicht als wirkliches Thema im Onlineschach solange es nicht um Geld und/oder Titel geht. Zahlreiche meiner Schachfreunde glauben viel öfter betrogen zu werden als dies tatsächlich der Fall sein kann. Und ebenfalls geht es bei den „false positive“ nicht um Wahrscheinlichkeiten, sondern um Ängste. Und um die DSIM zu einem Erfolg werden zu lassen, muss man gegen diese „beiderseitigen“ Ängste ankämpfen, denn beide drücken auf die Teilnehmerzahlen.

Krause:
Fragen zum Themenkomplex „Cheating“ waren wie erwähnt in allen Gesprächen zum Thema DSIM die ersten und meistens auch die einzigen, wenn es darum ging, ob die Einführung einer Internetmeisterschaft sinnvoll ist. Wir beide haben das Thema jetzt ziemlich erschöpfend behandelt und ich hoffe deshalb, dass dieses Interview von möglichst vielen Schachspielern mit einer Affinität zum Online-Schach gelesen wird!

Krennwurzn:
Aber nun wirklich zu den Betrügern und den technischen Möglichkeiten gegen diese vorzugehen. Brutalocheater – also Leute, die nur mit Engine spielen, haben heutzutage praktisch keine Chancen unentdeckt zu bleiben. Aber potentielle Betrüger müssen ja nicht ohne Intelligenz vorgehen uns so geheim sind die Algorithmen zur Cheatingerkennung nun auch wieder nicht. Außerdem arbeitet hier der Fortschritt auch wieder gegen uns und nicht für uns! Denn die Leistungsfähigkeit der Rechner ist so gestiegen, dass es locker möglich ist neben der einfachen Zugberechnung durch die Engine einen statistischen Check des Spielstiles einzubauen. Gerüchteweise hört man, dass dies auch schon an die eigenen gespielten Partien angepasst werden kann. Betrüger und Betrugserkenner arbeiten also mit dem gleichen Datengrundmaterial und damit liegen die Vorteile wohl eher bei den Betrügern – wie so oft im realen Leben.

Krause:
Noch einmal: Die Endrunde wird zentral gespielt, also unter Aufsicht. Spätestens dann sind auch die intelligenten Betrüger am Ende ihrer Weisheit angekommen. Ich glaube nicht, dass man in der Vorrunde das Risiko in Kauf nimmt, als Cheater gebrandmarkt zu werden, wenn man bei der Endrunde sowieso nicht mitspielen kann, weil man spätestens dann auffliegen würde.

Krennwurzn:
Das klingt ja logisch – aber denken Leute, die dem DSB und/oder dem Serverbetreiber aus welchen Gründen auch immer negativ gesonnen sind, immer logisch? Oder wollen die nur irgendwie stören oder zeigen, dass Störungen möglich sind?

Krause:
Wenn man immer Rücksicht auf die potentiellen Störenfriede nimmt, kann man gar keine Schachturniere mehr ausschreiben. Nach meiner Erfahrung wollen eigentlich alle Teilnehmer an einem Schachturnier in erster Linie das schönste Spiel der Welt spielen und in zweiter Linie den sportlichen Erfolg suchen – manchmal auch in umgekehrter Reihenfolge. Ich glaube deshalb nicht, dass wir ernsthafte Störungen bei der DSIM erleben werden.

2019DSIM 02

Krennwurzn:
Ein kleines Problem – eher als Abschreckung von der Teilnahme für stärkere Spieler könnte sein, dass diese fürchten in den Vorrunden intelligenten Cheatern ausgesetzt zu sein und daher schlechter abschneiden könnten – also einfache Zufallsopfer sein zu können.

Krause:
"Intelligente Cheater" sind für alle Gegner ein Problem, oder? Insofern verstehe ich die Fokussierung auf die "stärkeren" Spieler nicht. In unserem Konzept sind diverse Freiplätze für die Endrunde vorgesehen (davon übrigens einige für die DSJ), d.h. die wirklich starken Spieler brauchen nicht durch die Mühle der Vorrunden zu gehen - ähnlich wie bei den Deutschen Einzelmeisterschaften.

Krennwurzn:
Ungelöst bleibt auch das Problem, dass desto stärker die Spieler werden, desto weniger Hilfe brauchen sie von der Maschine und desto schwieriger wäre es Betrug nachzuweisen. Hätte Fabiano das Matt in 35 „gefunden“ in dem berühmten Endspiel, wäre er möglicherweise Weltmeister geworden und keine statistische Methode der Welt hätte das als Betrug erkennen können.

Krause:
Peter Svidler hat sich bei einem Live-Kommentar wie folgt zum Thema E-Doping geäußert: Er sagte sinngemäß, dass es für einen Spieler seiner Stärke vollkommen ausreichend ist, wenn man dreimal pro Partie in den kritischen Stellungen einen Computer zu Rate ziehen dürfte. Das ist nicht weiter überraschend, aber seine nächste Aussage war es schon: Die Stellungsbewertung als solche ohne Angabe von Varianten würde in den allermeisten Fällen reichen, weil der Spieler den potentiell starken Zug auch selber entdeckt, aber eben nicht sicher ist, ob ein Opfer durchschlägt, um ein Beispiel zu nennen. Der von Ihnen genannte Fall ist ganz anders gelagert: Für dieses Matt hätte es einer ganzen Reihe sehr genauer Züge bedurft, und das wäre dann vielleicht doch aufgefallen. Außerdem ist es ein Unterschied, ob man in einer Turnierpartie einen Tipp bekommt, über den man dann noch in Ruhe nachdenken kann oder ob man sich in einer Blitzpartie innerhalb von Sekunden für einen Computerzug entscheiden muss. Der einzig valide Betrugsversuch ist deshalb der mit einem Schachprogramm, das "menschliche Züge" aufweist und idealerweise noch an geeigneten Stellen unkritische Fehler einbaut wie von Ihnen oben beschrieben. Dieses Problem lösen wir wie gesagt durch die zentrale Endrunde, bei der man live Farbe bekennen muss.

Krennwurzn:
Ich möchte das Projekt DSIM ja nicht schlecht reden, aber ich denke schon, dass hier sehr, sehr viele Gefahren lauern, die nicht so einfach zu umschiffen sind. Außerdem fehlt dem Projekt auch ein wenig der Pep. Es gibt ja schon erfolgreiche Konkurrenzveranstaltungen, die das live streamen und viel mehr Aktion bieten als reines Onlineschach auf einer Plattform. Könnte es nicht sein, dass der DSB mit einer altbackenen DSIM im Teich der neuen Zeit einfach baden geht?

Krause:
Wir haben die DSIM bewusst noch nicht in der Turnierordnung verankert, weil wir uns eine einjährige Probezeit verordnen wollten. Wir werden auf Basis der Erfahrungen des ersten Jahres dann entscheiden, wie es weitergeht. Wie schon erwähnt: Eine Deutsche Schach-Internetmeisterschaft gehört zum Turniertableau meines Erachtens einfach dazu und ich würde mich deshalb sehr darüber freuen, wenn die Probezeit erfolgreich verläuft und wir danach jedes Jahr einen Deutschen Schach-Internetmeister ermitteln. Österreicher können übrigens auch gerne mitspielen, wenn sie die Teilnahmevoraussetzungen erfüllen.

Krennwurzn:
Am Ende des Interviews möchte ich noch zur Frage zurückkommen: Ist die Konzeption der DSIM nicht etwas konservativ und altbacken? Freiplätze lösen altbekannte Debatten aus, eine „analoge“ Endrunde, kein Videostream, usw. Sorry, aber ich sehe da nichts Innovatives mit dem man junge moderne Schachschichten ansprechen könnte.

Krause:
Wir wollen Schachspieler aller Altersklassen ansprechen. Zu viel Innovation kann auch abschreckend wirken – ein gutes Beispiel war das Ambiente, in dem das Kandidatenturnier im vergangenen Jahr gespielt wurde. Mir hat das sehr gut gefallen, aber ich habe auch viele Stimmen gehört, denen das Kühlhaus zu modern war. Die DSIM 2019 ist ein erster Schritt, um den manchmal etwas konservativen DSB mit dem innovativen Online-Schach zu verknüpfen. Die Idee mit dem Video-Stream nehme ich gerne mit, wenn Sie gestatten!
Alles in allem bin ich optimistisch, dass wir Ende 2019 den ersten Deutschen Internetmeister ermittelt haben und dass dieser ein Jahr später auch die Möglichkeit haben wird, seinen Titel zu verteidigen.

Krennwurzn:
Ich danke für das Gespräch und wünsche alles Gute für die Wahl 2019 und die DSIM – auch wenn ich bei beidem ein wenig Bauchschmerzen habe.

Siegbert Tarrasch ca. 1900
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Vorwärts, rückwärts, seitwärts und/oder diagonal? Nein, das ist kein Tanzkurs - auch im Schach spielen Damen eine Rolle. Auf dem Brett machen sie genau das, was man ihnen vorgibt - ob es richtig ist, erfährt man oft erst nach der Partie. Neben dem Brett bzw. mir gegenüber haben sie auch in München Seltenheitswert. Multiplizität der Ereignissse motiviert mich gelegentlich zu Blogbeiträgen - vielleicht ist es ja sogar lehrreich, wobei ich bisher kaum lernfähig war.

Was soll das Titelbild? Irgendeines brauche ich eben - wenn ich bei einem anderen Münchner Großverein (erfahrener Auf- und Absteiger, jedenfalls im Schach, auch auf hohem Niveau) gelandet wäre, würde es stattdessen vielleicht ein Farbfoto irgendeines Kickers. Bei Tarrasch gibt es auch zu Mannschaftskämpfen keine Kleiderordnung, und Mannschaftskämpfe sind Thema dieses Beitrags. Turniere wären ein anderes Thema, alles kann ich nicht abdecken.

Was ist in München anders als auf Texel bzw. in Noord Holland? Einerseits wenig: auch hier wird Schach gespielt, und Partien werden anfangs eröffnet. Auch hier müssen Mannschaften absteigen, bevorzugt nicht die eigene bzw. die eigenen - das klappte dann in München diese Saison besser als bei meinem ehemaligen Verein En Passant Texel, aber spannend war es bis kurz vor Saisonende (eine Runde wird noch gespielt).

Unterschiede gibt es auch, als da u.a. wären: jede Menge Großvereine, z.B. spielen in der A-Klasse 2 neben Tarrasch 3 auch Zugzwang 3, Bayern München 6 und Garching 6. Keine Transportprobleme, jedenfalls wenn man München-regional spielt: alle Spiellokale per U-Bahn (eventuell mal S-Bahn) erreichbar. Titel sind wichtig, auch nicht-schachliche: Hier bin ich immer Dr. Thomas Richter - war auch zu Kieler Zeiten der Fall, sobald es der Fall war, zwischendrin in 20 Jahren NL nicht. Ich selbst bestehe nicht darauf. Schachliche Titelträger - siehe Turniere, nicht Thema dieses Beitrags. Neu ist auch, dass ich nach Mannschaftskämpfen nur meine eigenen Partien analysiere - natürlich mit Computerhilfe.

Und nun hinein ins schachliche Geschehen: Tarrasch bekam während der Saison zwei Spieler dazu - neben mir noch ein Münchner, der viele Jahre nur im Internet spielte. Die werden dann an den hinteren Brettern eingeordnet, je nach Bedarf in der zweiten oder dritten Mannschaft - die erste spielt überregional, da darf man während der Saison nicht nachmelden. Erstmals spielte ich für Tarrasch 3 gegen Neuhausen 1 - es gibt hier also auch kleinere Vereine. Nebenbei: Derzeit bin ich elotechnisch noch der große Unbekannte: FIDE-Elo habe ich nicht, NL-Elo wird nicht akzeptiert/übernommen. alte DWZ (bis 1998) gibt es nicht mehr, also bin ich Anfänger.

Kraus (1745) - Richter 0-1

Schon im dritten Zug wurde ich überrascht, es war dabei eine eher angenehme Überraschung: 1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.e5!? - auch das gibt es, aber es ist wohl zu Recht selten. Später verschwand dieser weisse e-Bauer ersatzlos, noch etwas später hatte Schwarz eine Qualität mehr, und kurz danach der Diagramm-Moment:

 Kraus Richter move 30

Gerade wurde ich von 30.Lxf5? überrascht, wobei Engines das mit einem Fragezeichen versehen. Was nun? Ich war froh, dass ich den Gegentrick 30.-Df7 fand, was offenbar ihn überraschte - aber nach recht langem Nachdenken fand er das einzige 31.g4 g6 32.Dd4+ - das hatte ich zwar gesehen, aber nicht dass die rezentralisierte Dame nun auch f2 deckt. Die Partie ging weiter.

Richtig war hier 30.-Dc5! (diagonal vorwärts), noch eine nette Computervariante: 31.g4 g6 32.b4 (kann man noch versuchen) 32.-Dc4!? (32.-Dxc3 ist gut genug, aber weniger spektakulär) 33. Ld7 Df7! (jetzt!) 34. Lxe8 (34.Tf1 Te1!) 34.-Dxf2+ 35.Kh1 Df3+ 36.Kg1 Dxg4+ 37.Kh1 Tf2 38.Lc6 Dh3

Kraus Richter Variante

Das wäre eine nette Schlusstellung gewesen, die in der Partie - mit gegnerischer Hilfe ab dem 40. Zug - war dabei auch nicht schlecht:

Kraus Richter final

Ein etwas durchwachsener, aber insgesamt doch relativ souveräner Sieg zu meinem Münchner Auftakt. Danach stand es 3-0 für uns, daraus wurde am Ende 3-5 - womit wir allerdings angesichts der Elo-Verhältnisse an allen Brettern rechnen mussten.

Mein Gegner murmelte nach der Partie "man sollte nach einer harten Arbeitswoche eben kein Schach spielen" - aber das Problem haben andere auch, ich zum Beispiel. Wobei mir Mannschaftskämpfe Freitag abends lieber sind als unter der Woche bis Mitternacht oder später, und tags darauf klingelt morgens ein Wecker.

Das nächste Mal hatte der falsche Umgang mit einer Dame Konsequenzen - gibt es außer im Leben auch im Schach:

Richter - Meiwald (1739) 1-0 0-1

Das war gegen die sechste Mannschaft des bereits erwähnten Großvereins - nicht nur zu Fototerminen für die Vereinsseite, auch bei Mannschaftskämfen erscheinen sie immer komplett als Fussballer verkleidet. Es begann mit Skandinavisch und dann (1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3) 3.-Dd6. Ich spielte darauf "prinzipiell", ohne immer den besten Zug zu finden, und nach Verwicklungen zuvor entstand diese Stellung:

Richter Meiwald move30

Was nun? Bei beiderseits gefährdetem König ist "Mehrbauer langsam und irgendwie-irgendwann verwerten" eher kein Thema. Ich spielte 31.De5? Ta6 32.a4 bxa4 35.Dxa5 Txa5 - weg ist der Mehrbauer, und das Doppelturmendspiel objektiv ausgeglichen.

Die (einzige) Alternative 31.Dg2! (diagonal rückwärts) hatte ich nicht einmal erwogen - es lag also nicht daran, dass ich die Konsequenzen von 31.-Ta6 32.h6 (hier geht auch zuerst 32.a4) falsch beurteilte, was - zumal bei eher wenig Restbedenkzeit - auch plausibel gewesen wäre. Meine Einschätzung zuvor "meinem lang rochierten König droht keine Gefahr" stimmte immer noch! Möglich wäre dann 32.-Dxa2+ 33.Ka1 Da1+ 34.Kd2 Txc2+ 35.Kxc2 Da2+ (35.-Tc6+ 36.Dxc6!, das kann man im Eifer des Gefechts in der Vorausberechnung übersehen) 36.Kc3 b4+ 37.Kc4! (37.Kxb4?? verliert) 37.-Tc6+ 38.Dxc6 (auch hier der einzige Zug) 38.-Dxe2+ 39.Kxb4 1-0.

Unter der Annahme, unbedingt gewinnen zu müssen, verlor ich das Turmendspiel noch sang- und klanglos - das war die unschöne Schlusstellung:

Richter Meiwald final

Die Annahme stimmte - Endstand 3-5 aus unserer Sicht, wodurch wir den vorletzten (Abstiegs-)Platz vom Gegner übernahmen - aber die Stellung war eben nicht mehr gewinnträchtig. Wir hatten nun 3-7 Mannschaftspunkte, davor vier Teams mit 4-6 Mannschaftspunkten, noch war nichts verloren.

Vor dem weiteren Saisonverlauf: diese Partie hatte eine Woche darauf noch ein Nachspiel - bei dem sich herausstellte, wie klein die Schachwelt offenbar ist. Vor einem Blitzturnier unterhielt ich mich länger mit meinem Gegner - es stellte sich heraus, dass er drei Vereine hatte bzw. nach DWZ-Liste immer noch hat. Neben Bayern München (um das Geheimnis nun zu lüften) sind das Schachverein VHS Heide und die Schachfreunde Katernberg. Heide liegt in Schleswig-Holstein - im letzten Jahrtausend (und wohl noch bis 2005, aber ich habe Kiel und Deutschland ja 1998 verlassen) musste eine Kieler Mitbewohnerin, die beim NDR in der Dokumentation arbeitete, mitunter nach "Heide ohne Simonis" suchen. Aus dieser Zeit ist er mit einigen meiner ehemaligen Kieler Vereinskollegen gut befreundet. Katernberg liegt im Ruhrgebiet - da wohnt Franz Jittenmeier, da wohnte bis zu seinem (plötzlichen aber am Ende nicht unerwarteten) Tod Bruno Müller-Clostermann, beide kennt er auch.

Dann stellte sich an diesem Abend heraus, dass ich nur bei Bayern München erfolgreich spiele. Sie waren Ausrichter des Blitzturniers und ich erreichte immerhin das A-Finale - da war ich dann allerdings gegen u.a. drei IMs und einen FM insgesamt chancenlos. Ausnahmsweise konnte ich da nicht mit Pferden Springern umgehen - gegen FM Holzhäuer (spielt für Schmiden/Cannstatt in Stuttgart, wohnt inzwischen in München) wurde ein Springerendspiel mit zwei Mehrbauern remis, im Blitz entschuldbar? Schon zuvor war ich bei einem Schnellturnier am selben Ort recht erfolgreich und nahe dran am Ratingpreis U2100, den ich allerdings als eloloser Spieler nicht bekommen hätte. Das ist erst eine Duplizität der Ereignisse, und Turniere sind ja nicht Thema dieses Beitrags.

In der nächsten Runde spielte ich für Tarrasch2, parallel gewann Tarrasch3 gegen ein stark ersatzgeschwächtes Garching6 mit 7-1 - Schritt Richtung Klassenerhalt zumal die Konkurrenten alle verloren, nun vier Teams mit 4-8 Mannschaftspunkten und davor Tarrasch3 mit 5-7.

Richter-Meltser (1774) 1/2 - ich verzichte mal auf ein durchgestrichenes 1-0, aber in einem Partiemoment war es denkbar. Es begann mit 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 c5 4.exd5 exd5 - München liegt offenbar irgendwo in Frankreich, hier spielen viele Französisch (und jeder dann was anderes auf den Richter-Tarrasch-Zug 3.Sd2). Das störte auch jedenfalls einen anderen Spieler: bei einem Mannschafts-Blitzturnier begrüsste mich mein junger Gegner mit "ich hatte schon viermal Französisch, Du spielst doch hoffentlich kein Französisch?". In der Partievariante muss Weiß versuchen, irgendwie vom Isolani zu profitieren, einmal war es möglich:

Richter Meltser move 31

Zuletzt kam 31.-Te7? - mit Tempogewinn aber doch falsch. Was nun? Offensichtlich ein Damenzug, aber welcher? Ich hatte Angst vor 32.-Sb2 bzw. wollte oder konnte das nicht berechnen, daher 32.Dc2? und er konnte sich wieder konsolidieren: 32.-Sa3 33.Dd2 Ted7 34.Dc1 Lf8 (nun hat der Läufer wieder dieses Feld).

Richtig war 31.Df3! (diagonal vorwärts, dabei eher langsamer Walzer als flotter Tango) 31.-Sb2 32.Txd5! Txd5 33.b4 - nach anderen Springerzügen fällt d5 ebenfalls, und auch dann ist es mehr als nur ein Bauerngewinn. Im weiteren Partieverlauf versuchte ich, von vorangegangenen freiwilligen gegnerischen Lockerungsübungen am Königsflügel zu profitieren, und das war dann die Schlusstellung:

Richter Meltser final

Warum war das die Schlusstellung? Weil ich - auch angesichts der Runde zuvor - hier das gegnerische Remisangebot akzeptierte. Da mein Brettnachbar plötzlich gewann und da 4-4 im Abstiegskampf ein gutes Ergebnis war, war es die richtige Entscheidung. Im Gewinnsinne müsste Weiß 40.Txf5!?? versuchen - das können nur Computer berechnen und die sagen 0.00, aber nur bei beiderseits bestem Spiel. Ich hatte danach mit 40.-gxf5 41.Dxf5 Dh6?? gerechnet, was allerdings nach 42.Lf4 (nicht gesehen) 42.-Dxh4 43.Lg5 verliert - 41.-Kg8 oder 41.-Kh8, nur so! Und wie gesagt "objektiv" 0.00, am Brett wäre danach alles möglich. Gegner war übrigens die erste Mannschaft von Schach-Union, es gibt in München also auch (relativ) kleine Vereine.

In der nächsten Runde spielten Tarrasch2 und Tarrasch3 jeweils gegen den Tabellenführer, ich wieder in der dritten Mannschaft. Die zweite verlor glatt, die dritte schaffte eine halbe Überraschung. Solln aus dem Münchner Süden hat (den Namen nach) jede Menge Ex-Jugoslawen, die mal spielen und mal nicht - zum Beispiel hat Brett 11 Miomir Terzic (für diese Liga und dieses Brett) beeindruckende DWZ 2237, was er mit 100% (1/1 in acht Runden) auch bestätigte. Mein Gegner wollte mir seinen Nachnamen offenbar nicht zumuten und hat sich mit "Hermann" (das schreibt man Germann) vorgestellt.

Richter-Quintanilla (1510) 1-0

Es begann mit 1.e4 Sc6!? 2.d4 g6!? - Freestyle, wobei er offenbar wusste was er tat oder zumindest diesen Anschein erwecken wollte, die ersten 11 Züge a tempo. Diagramm vor seinem 18. Zug:

Richter Quintanilla move 18

Nun kam 18.-Sd4 - da steht der Gaul vielleicht "schön" aber auch nicht mehr als das. Richtig war 18.-Sh4 (nebst -Sg2) oder auch 18.-Sg7 (nebst -Sh5) - jeweils bekommt Schwarz seinen Bauern zurück, und danach ist es vielleicht immer noch unklar aber ausgeglichen. So bekam ich Oberwasser. Diesmal zeige ich die Stellung vor dem letzten Zug:

Richter Quintanilla move 34

Hier fand ich ausnahmsweise den richtigen Damenzug - den darf der Leser selbst finden. Leider gab mein Gegner danach direkt auf. Es gibt (mindestens) eine Nebenlösung - vorausgesetzt der Auftrag lautet "Matt" ohne zu sagen in wie vielen Zügen.

Nach der Partie wurde ich zu verschiedenen Stellungen gefragt "warum hast Du nicht das gespielt?" - selbst hier fragte ein Kibitz (ein Gegner von Tarrasch5 im selben Lokal) "warum nicht 35.fxg7+ ?". Insgesamt spielten wir 4-4 - was den Klassenerhalt bereits absicherte, auch wenn noch eine Runde gespielt wird. Da es in dieser neunten und letzten Runde um nichts mehr geht (gilt auch für Tarrasch2) kann ich den halben Saisonrückblick bereits jetzt veröffentlichen.