Thomas Richter

Thomas Richter

Montag, 28 Dezember 2020 13:11

DSJ-Weihnachtsturnier amoi anders

Traditionell trifft sich die deutsche Schachjugend zwischen Weihnachten und Neujahr in relativ kleinem Kreis bei den deutschen Jugend-Vereinsmeisterschaften in Magdeburg. Das wurde dieses Jahr, warum auch immer, abgesagt bzw auf "Ende April bis Ende Juni 2021" verschoben. Stattdessen gibt es nun Turniere an einem anderen Ort, nicht ganz klar wo: der Chessbase-Server ist wohl in Hamburg, aber der Turnierleiter stammt aus dem Münchner Bezirksverband. Da durften alle Vereine melden, auch mehrere Mannschaften, und viele taten dies.

"Daten und Fakten" zum U12-Turnier stehen hier, darunter wer alles mitspielte oder mitspielen wollte und auch der Zeitplan. Nur zu ein paar Teams: Welche Schachfiguren haben mitgespielt? Blaue Springer kommen aus Paderborn. Rote Türme fehlten dagegen, auch wenn es diesen Verein in München an der Isar und Halle an der Saale gibt. Der Münchner Verein ist mir ein Begriff: da habe ich mal ein Schnellturnier gespielt - wenn auch keinen Mannschaftskampf. Weisse Damen waren an allen Partien beteiligt, bis sie abgetauscht, eingestellt oder geopfert wurden. Das zweite war wohl häufiger als das dritte, derlei gibt es aber auch unter Weltklassespielern und da heisst es dann "mouse slip". Auch danach spielten sie noch an zwölf Brettern mit Beteiligung eines Berliner Vereins. Doppelbauern waren wohl ab und bis zu einem gewissen Zeitpunkt in einigen Partien vorhanden, durchgehend nur wenn ein Kielär Verein beteiligt war. 

Welche Landesverbände waren beteiligt? Alle, mehr oder weniger. Baden nicht allzu zahlreich, dafür haben sie einen sehr lokalpatriotischen Verein - die nennen sich Baden-Baden. Bayern-Bayern hat dagegen nicht mitgespielt, aber immerhin Bayern München, in anderen Altersklassen hat auch Bavaria Regensburg gemeldet. Es gab noch mehr Fussballer im Turnier, neben Bayern München war auch Werder Bremen vertreten. Hamburger SK im HSV, das war einmal, aber auch sie haben mitgespielt. Das Bundesland Preußen gibt es meines Wissens nicht, aber auch Borussia Lichtenberg aus Berlin war mit dabei.

Der stärkste Spieler war sicher Siegbert Tarrasch (Emanuel Lasker war wohl verhindert), daher der Rest des Berichts aus der Perspektive dieses meines Münchner Vereins.

Ein Team hatten wir frühzeitig, kurz vor Meldeschluss zeigten noch zwei weitere Spieler Interesse. Also brauchte ich als Jugendleiter noch zwei für eine zweite Mannschaft, bekam fünf und brauchte noch einen für eine dritte Mannschaft. Es hat geklappt, damit verbundene Turbulenzen kurz vor Weihnachten bleiben - auch wenn andere Münchner Vereine etwas involviert waren - gerne vereinsintern. Danach noch etwas Bürokratie: Formular für Mannschaftsaufstellungen digital ausfüllen, herunterladen, ausdrucken, unterschreiben, einscannen und wieder hochladen. Auch einen Ehrenkodex habe ich unterschrieben. Da muss man u.a. hoch und heilig versprechen, dass man der Jugend ein gutes Vorbild ist betrifft (kein) Doping und (kein) Missbrauch von Medikamenten - Schach ist schließlich Sport! Zunächst konnte ich mich nicht selbst als Mannschaftsführer angeben, da dieser Teil der DWZ-Liste nur auszugsweise erscheint. Aber auch das hat sich geklärt, und dann war zunächst Weihnachten.

Da konnte ich ausschlafen, heute mussten aber alle für Ferienzeiten recht früh aufstehen: Anwesenheitskontrolle um 9:00, und vorher vereinsintern überprüfen ob auch alle da sind. Das war der Fall - die meisten wohl irgendwo in München, zwei Geschwister aus dem Weihnachtsurlaub in Ägypten zugeschaltet. Da ist es offenbar etwa 20 Grad wärmer bei niedrigeren Corona-Fallzahlen. Digitales Multitasking war angesagt: Zoom-Konferenz für das gesamte Turnier, vereinsintern GotoMeeting und noch einige Details per WhatsApp, Email oder telefonisch klären. 

Pünktlich um 9:15 begannen dann die ersten Partien - wie sich schnell herausstellte nicht alle insgesamt zweihundertzwölf Partien. Zwecks Auslosung wurden die Teams übrigens nicht etwa nach DWZ-Schnitt sortiert, sondern alphabetisch. So übernahm zunächst ATSV Oberkotzau die Tabellenführung, musste sie aber direkt an VSG 1880 Offenbach abgeben - die bekamen in Runde 1 das Freilos und gewannen so schnell 4-0. Zugzwang hat wohl nicht bereut, dass sie mit vollem Namen MSA (Münchner Schachakademie) Zugzwang heissen - schließlich will man Schach spielen und nicht kampflos gewinnen. Letzteres schafften aber dann wohl noch einige weitere Vereine. Partien sollen (mit Klarnamen) in die Chessbase-Datenbank aufgenommen werden, einige (1.e4 1-0) sind da nicht allzu aussagekräftig. SK Tarrasch 1945 München spielte so doppelt gegen den bereits erwähnten SC Borussia Lichtenberg, im ersten Fall war das Nummer 15 gegen Nummer 2 laut DWZ-Setzliste. Tarrasch3 traf auf den SC Brandeck-Turm Ohlsbach (wo ist das denn?).

Runde 2 verzögerte sich etwas: erst wiederholte Versuche, Partien doch noch zu starten, dann Meldung fehlender Ergebnisse (in einigen Partien einigte man sich auf kampflose Remisen), dann nochmals Anwesenheitskontrolle - einige Teams hatten sich bereits verabschiedet. Um 11:00 war es dann soweit. Tarrasch1 spielte nun gegen Karlsruhe aus dem Südweschten. Tarrasch2 blieb gegen Kirchseeon im Münchner S-Bahn Bereich, und Tarrasch3 machte sich auf die weite Reise nach Lübeck. Aus Lübecker Kreisen habe ich im Turnierchat erfahren, dass zwei von vier Partien zustande kamen. Ähnlich war es offenbar in einigen anderen Matches, und weitere Teams verabschiedeten sich. Längere Diskussionen, und um 11:45 wurde das Turnier abgebrochen. Gab es derlei bereits? Jaha, im Kandidatenturnier - da wurden immerhin sieben von vierzehn Runden gespielt, nun ein bis zwei (Ergebnisse der zweiten Runde nicht vorhanden) von sieben.

Woran lag es? Meine Theorie: Der Chessbase-Server wurde positiv getestet (nicht auf Stabilität unter diesen Turnierbedingungen), dann verschlechterte sich sein Zustand rapide und nun muss er beatmet werden. Ich wünsche gute Besserung, schließlich soll ab 15:00 das nächste Turnier (Altersklasse U16) stattfinden. Offiziell lag es an der schlechten Internetverbindung der Teilnehmer: wenn sie mal für einige Millisekunden ausfällt meckert das System, und wenn derlei gehäuft vorkommt bricht alles zusammen.

Sonntag, 05 Mai 2019 10:51

Umgang mit Damen in München

Vorwärts, rückwärts, seitwärts und/oder diagonal? Nein, das ist kein Tanzkurs - auch im Schach spielen Damen eine Rolle. Auf dem Brett machen sie genau das, was man ihnen vorgibt - ob es richtig ist, erfährt man oft erst nach der Partie. Neben dem Brett bzw. mir gegenüber haben sie auch in München Seltenheitswert. Multiplizität der Ereignissse motiviert mich gelegentlich zu Blogbeiträgen - vielleicht ist es ja sogar lehrreich, wobei ich bisher kaum lernfähig war.

Was soll das Titelbild? Irgendeines brauche ich eben - wenn ich bei einem anderen Münchner Großverein (erfahrener Auf- und Absteiger, jedenfalls im Schach, auch auf hohem Niveau) gelandet wäre, würde es stattdessen vielleicht ein Farbfoto irgendeines Kickers. Bei Tarrasch gibt es auch zu Mannschaftskämpfen keine Kleiderordnung, und Mannschaftskämpfe sind Thema dieses Beitrags. Turniere wären ein anderes Thema, alles kann ich nicht abdecken.

Was ist in München anders als auf Texel bzw. in Noord Holland? Einerseits wenig: auch hier wird Schach gespielt, und Partien werden anfangs eröffnet. Auch hier müssen Mannschaften absteigen, bevorzugt nicht die eigene bzw. die eigenen - das klappte dann in München diese Saison besser als bei meinem ehemaligen Verein En Passant Texel, aber spannend war es bis kurz vor Saisonende (eine Runde wird noch gespielt).

Unterschiede gibt es auch, als da u.a. wären: jede Menge Großvereine, z.B. spielen in der A-Klasse 2 neben Tarrasch 3 auch Zugzwang 3, Bayern München 6 und Garching 6. Keine Transportprobleme, jedenfalls wenn man München-regional spielt: alle Spiellokale per U-Bahn (eventuell mal S-Bahn) erreichbar. Titel sind wichtig, auch nicht-schachliche: Hier bin ich immer Dr. Thomas Richter - war auch zu Kieler Zeiten der Fall, sobald es der Fall war, zwischendrin in 20 Jahren NL nicht. Ich selbst bestehe nicht darauf. Schachliche Titelträger - siehe Turniere, nicht Thema dieses Beitrags. Neu ist auch, dass ich nach Mannschaftskämpfen nur meine eigenen Partien analysiere - natürlich mit Computerhilfe.

Und nun hinein ins schachliche Geschehen: Tarrasch bekam während der Saison zwei Spieler dazu - neben mir noch ein Münchner, der viele Jahre nur im Internet spielte. Die werden dann an den hinteren Brettern eingeordnet, je nach Bedarf in der zweiten oder dritten Mannschaft - die erste spielt überregional, da darf man während der Saison nicht nachmelden. Erstmals spielte ich für Tarrasch 3 gegen Neuhausen 1 - es gibt hier also auch kleinere Vereine. Nebenbei: Derzeit bin ich elotechnisch noch der große Unbekannte: FIDE-Elo habe ich nicht, NL-Elo wird nicht akzeptiert/übernommen. alte DWZ (bis 1998) gibt es nicht mehr, also bin ich Anfänger.

Kraus (1745) - Richter 0-1

Schon im dritten Zug wurde ich überrascht, es war dabei eine eher angenehme Überraschung: 1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.e5!? - auch das gibt es, aber es ist wohl zu Recht selten. Später verschwand dieser weisse e-Bauer ersatzlos, noch etwas später hatte Schwarz eine Qualität mehr, und kurz danach der Diagramm-Moment:

 Kraus Richter move 30

Gerade wurde ich von 30.Lxf5? überrascht, wobei Engines das mit einem Fragezeichen versehen. Was nun? Ich war froh, dass ich den Gegentrick 30.-Df7 fand, was offenbar ihn überraschte - aber nach recht langem Nachdenken fand er das einzige 31.g4 g6 32.Dd4+ - das hatte ich zwar gesehen, aber nicht dass die rezentralisierte Dame nun auch f2 deckt. Die Partie ging weiter.

Richtig war hier 30.-Dc5! (diagonal vorwärts), noch eine nette Computervariante: 31.g4 g6 32.b4 (kann man noch versuchen) 32.-Dc4!? (32.-Dxc3 ist gut genug, aber weniger spektakulär) 33. Ld7 Df7! (jetzt!) 34. Lxe8 (34.Tf1 Te1!) 34.-Dxf2+ 35.Kh1 Df3+ 36.Kg1 Dxg4+ 37.Kh1 Tf2 38.Lc6 Dh3

Kraus Richter Variante

Das wäre eine nette Schlusstellung gewesen, die in der Partie - mit gegnerischer Hilfe ab dem 40. Zug - war dabei auch nicht schlecht:

Kraus Richter final

Ein etwas durchwachsener, aber insgesamt doch relativ souveräner Sieg zu meinem Münchner Auftakt. Danach stand es 3-0 für uns, daraus wurde am Ende 3-5 - womit wir allerdings angesichts der Elo-Verhältnisse an allen Brettern rechnen mussten.

Mein Gegner murmelte nach der Partie "man sollte nach einer harten Arbeitswoche eben kein Schach spielen" - aber das Problem haben andere auch, ich zum Beispiel. Wobei mir Mannschaftskämpfe Freitag abends lieber sind als unter der Woche bis Mitternacht oder später, und tags darauf klingelt morgens ein Wecker.

Das nächste Mal hatte der falsche Umgang mit einer Dame Konsequenzen - gibt es außer im Leben auch im Schach:

Richter - Meiwald (1739) 1-0 0-1

Das war gegen die sechste Mannschaft des bereits erwähnten Großvereins - nicht nur zu Fototerminen für die Vereinsseite, auch bei Mannschaftskämfen erscheinen sie immer komplett als Fussballer verkleidet. Es begann mit Skandinavisch und dann (1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3) 3.-Dd6. Ich spielte darauf "prinzipiell", ohne immer den besten Zug zu finden, und nach Verwicklungen zuvor entstand diese Stellung:

Richter Meiwald move30

Was nun? Bei beiderseits gefährdetem König ist "Mehrbauer langsam und irgendwie-irgendwann verwerten" eher kein Thema. Ich spielte 31.De5? Ta6 32.a4 bxa4 35.Dxa5 Txa5 - weg ist der Mehrbauer, und das Doppelturmendspiel objektiv ausgeglichen.

Die (einzige) Alternative 31.Dg2! (diagonal rückwärts) hatte ich nicht einmal erwogen - es lag also nicht daran, dass ich die Konsequenzen von 31.-Ta6 32.h6 (hier geht auch zuerst 32.a4) falsch beurteilte, was - zumal bei eher wenig Restbedenkzeit - auch plausibel gewesen wäre. Meine Einschätzung zuvor "meinem lang rochierten König droht keine Gefahr" stimmte immer noch! Möglich wäre dann 32.-Dxa2+ 33.Ka1 Da1+ 34.Kd2 Txc2+ 35.Kxc2 Da2+ (35.-Tc6+ 36.Dxc6!, das kann man im Eifer des Gefechts in der Vorausberechnung übersehen) 36.Kc3 b4+ 37.Kc4! (37.Kxb4?? verliert) 37.-Tc6+ 38.Dxc6 (auch hier der einzige Zug) 38.-Dxe2+ 39.Kxb4 1-0.

Unter der Annahme, unbedingt gewinnen zu müssen, verlor ich das Turmendspiel noch sang- und klanglos - das war die unschöne Schlusstellung:

Richter Meiwald final

Die Annahme stimmte - Endstand 3-5 aus unserer Sicht, wodurch wir den vorletzten (Abstiegs-)Platz vom Gegner übernahmen - aber die Stellung war eben nicht mehr gewinnträchtig. Wir hatten nun 3-7 Mannschaftspunkte, davor vier Teams mit 4-6 Mannschaftspunkten, noch war nichts verloren.

Vor dem weiteren Saisonverlauf: diese Partie hatte eine Woche darauf noch ein Nachspiel - bei dem sich herausstellte, wie klein die Schachwelt offenbar ist. Vor einem Blitzturnier unterhielt ich mich länger mit meinem Gegner - es stellte sich heraus, dass er drei Vereine hatte bzw. nach DWZ-Liste immer noch hat. Neben Bayern München (um das Geheimnis nun zu lüften) sind das Schachverein VHS Heide und die Schachfreunde Katernberg. Heide liegt in Schleswig-Holstein - im letzten Jahrtausend (und wohl noch bis 2005, aber ich habe Kiel und Deutschland ja 1998 verlassen) musste eine Kieler Mitbewohnerin, die beim NDR in der Dokumentation arbeitete, mitunter nach "Heide ohne Simonis" suchen. Aus dieser Zeit ist er mit einigen meiner ehemaligen Kieler Vereinskollegen gut befreundet. Katernberg liegt im Ruhrgebiet - da wohnt Franz Jittenmeier, da wohnte bis zu seinem (plötzlichen aber am Ende nicht unerwarteten) Tod Bruno Müller-Clostermann, beide kennt er auch.

Dann stellte sich an diesem Abend heraus, dass ich nur bei Bayern München erfolgreich spiele. Sie waren Ausrichter des Blitzturniers und ich erreichte immerhin das A-Finale - da war ich dann allerdings gegen u.a. drei IMs und einen FM insgesamt chancenlos. Ausnahmsweise konnte ich da nicht mit Pferden Springern umgehen - gegen FM Holzhäuer (spielt für Schmiden/Cannstatt in Stuttgart, wohnt inzwischen in München) wurde ein Springerendspiel mit zwei Mehrbauern remis, im Blitz entschuldbar? Schon zuvor war ich bei einem Schnellturnier am selben Ort recht erfolgreich und nahe dran am Ratingpreis U2100, den ich allerdings als eloloser Spieler nicht bekommen hätte. Das ist erst eine Duplizität der Ereignisse, und Turniere sind ja nicht Thema dieses Beitrags.

In der nächsten Runde spielte ich für Tarrasch2, parallel gewann Tarrasch3 gegen ein stark ersatzgeschwächtes Garching6 mit 7-1 - Schritt Richtung Klassenerhalt zumal die Konkurrenten alle verloren, nun vier Teams mit 4-8 Mannschaftspunkten und davor Tarrasch3 mit 5-7.

Richter-Meltser (1774) 1/2 - ich verzichte mal auf ein durchgestrichenes 1-0, aber in einem Partiemoment war es denkbar. Es begann mit 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 c5 4.exd5 exd5 - München liegt offenbar irgendwo in Frankreich, hier spielen viele Französisch (und jeder dann was anderes auf den Richter-Tarrasch-Zug 3.Sd2). Das störte auch jedenfalls einen anderen Spieler: bei einem Mannschafts-Blitzturnier begrüsste mich mein junger Gegner mit "ich hatte schon viermal Französisch, Du spielst doch hoffentlich kein Französisch?". In der Partievariante muss Weiß versuchen, irgendwie vom Isolani zu profitieren, einmal war es möglich:

Richter Meltser move 31

Zuletzt kam 31.-Te7? - mit Tempogewinn aber doch falsch. Was nun? Offensichtlich ein Damenzug, aber welcher? Ich hatte Angst vor 32.-Sb2 bzw. wollte oder konnte das nicht berechnen, daher 32.Dc2? und er konnte sich wieder konsolidieren: 32.-Sa3 33.Dd2 Ted7 34.Dc1 Lf8 (nun hat der Läufer wieder dieses Feld).

Richtig war 31.Df3! (diagonal vorwärts, dabei eher langsamer Walzer als flotter Tango) 31.-Sb2 32.Txd5! Txd5 33.b4 - nach anderen Springerzügen fällt d5 ebenfalls, und auch dann ist es mehr als nur ein Bauerngewinn. Im weiteren Partieverlauf versuchte ich, von vorangegangenen freiwilligen gegnerischen Lockerungsübungen am Königsflügel zu profitieren, und das war dann die Schlusstellung:

Richter Meltser final

Warum war das die Schlusstellung? Weil ich - auch angesichts der Runde zuvor - hier das gegnerische Remisangebot akzeptierte. Da mein Brettnachbar plötzlich gewann und da 4-4 im Abstiegskampf ein gutes Ergebnis war, war es die richtige Entscheidung. Im Gewinnsinne müsste Weiß 40.Txf5!?? versuchen - das können nur Computer berechnen und die sagen 0.00, aber nur bei beiderseits bestem Spiel. Ich hatte danach mit 40.-gxf5 41.Dxf5 Dh6?? gerechnet, was allerdings nach 42.Lf4 (nicht gesehen) 42.-Dxh4 43.Lg5 verliert - 41.-Kg8 oder 41.-Kh8, nur so! Und wie gesagt "objektiv" 0.00, am Brett wäre danach alles möglich. Gegner war übrigens die erste Mannschaft von Schach-Union, es gibt in München also auch (relativ) kleine Vereine.

In der nächsten Runde spielten Tarrasch2 und Tarrasch3 jeweils gegen den Tabellenführer, ich wieder in der dritten Mannschaft. Die zweite verlor glatt, die dritte schaffte eine halbe Überraschung. Solln aus dem Münchner Süden hat (den Namen nach) jede Menge Ex-Jugoslawen, die mal spielen und mal nicht - zum Beispiel hat Brett 11 Miomir Terzic (für diese Liga und dieses Brett) beeindruckende DWZ 2237, was er mit 100% (1/1 in acht Runden) auch bestätigte. Mein Gegner wollte mir seinen Nachnamen offenbar nicht zumuten und hat sich mit "Hermann" (das schreibt man Germann) vorgestellt.

Richter-Quintanilla (1510) 1-0

Es begann mit 1.e4 Sc6!? 2.d4 g6!? - Freestyle, wobei er offenbar wusste was er tat oder zumindest diesen Anschein erwecken wollte, die ersten 11 Züge a tempo. Diagramm vor seinem 18. Zug:

Richter Quintanilla move 18

Nun kam 18.-Sd4 - da steht der Gaul vielleicht "schön" aber auch nicht mehr als das. Richtig war 18.-Sh4 (nebst -Sg2) oder auch 18.-Sg7 (nebst -Sh5) - jeweils bekommt Schwarz seinen Bauern zurück, und danach ist es vielleicht immer noch unklar aber ausgeglichen. So bekam ich Oberwasser. Diesmal zeige ich die Stellung vor dem letzten Zug:

Richter Quintanilla move 34

Hier fand ich ausnahmsweise den richtigen Damenzug - den darf der Leser selbst finden. Leider gab mein Gegner danach direkt auf. Es gibt (mindestens) eine Nebenlösung - vorausgesetzt der Auftrag lautet "Matt" ohne zu sagen in wie vielen Zügen.

Nach der Partie wurde ich zu verschiedenen Stellungen gefragt "warum hast Du nicht das gespielt?" - selbst hier fragte ein Kibitz (ein Gegner von Tarrasch5 im selben Lokal) "warum nicht 35.fxg7+ ?". Insgesamt spielten wir 4-4 - was den Klassenerhalt bereits absicherte, auch wenn noch eine Runde gespielt wird. Da es in dieser neunten und letzten Runde um nichts mehr geht (gilt auch für Tarrasch2) kann ich den halben Saisonrückblick bereits jetzt veröffentlichen.


 

Warum ein Bericht über ein Provinzturnier am Samstag 18. August? Nun, weil es meine Provinz und mein Verein ist und weil das Turnier schon bei der ersten Auflage (oben) wohl noch etwas stärker besetzt war als ein typischer Werder-Monatsblitz - das lag aber nicht am ausrichtenden Verein. Wohl für alle war die erste Auflage von "Mat op 't Wad" (es wird nun sicher eine zweite geben) ein Erfolg - mit einer Ausnahme, und diese Person schreibt nun über das Turnier. Ein Vereinskollege, selbst verhindert, hat hinterher vorgeschlagen, dass die letzten acht der Setzliste statt Schweizer System ein eigenes Rundenturnier hätten spielen können - meine Reaktion: "um Gottes Willen, dann hätte ich (auf dem Papier Nummer 11 von 29) ja gar keine Partie gewinnen können". Ideengeber und Hauptorganisator war übrigens unser Gastspieler Jan Willem Duijzer aus Den Haag, der dann den Turnierleiter machte und selbst nicht mitspielte.

Ein Sohn unseres Vorsitzenden und vielfachen Vereinsmeisters heisst Manuel Dros, ist aber kein Schachspieler. Gemeint ist also ein anderer, Leser ahnen vielleicht bereits wer. Insgesamt haben immerhin zweieinhalb IMs mitgespielt, und zehn Spieler mit Elo über 2000. Warum zweieinhalb, siehe gleich. Zwei der IMs wurden eingeladen, einer zögerte lange und hat seine Teilnahme dann nicht bereut - er bekam wohl nur Reisekosten erstattet, und das nicht einmal in der ersten Klasse. Der andere IM bekam noch etwas mehr (Summe kenne ich nicht und würde sie auch nicht verraten), da er nicht nur Schach spielte. Der zweieinhalbte kam zusammen mit Vereinskollegen einfach so aus Purmerend bei Amsterdam, und auch andere (relativ) starke Spieler hatten keinen ganz konkreten Grund, um mitzuspielen.

Das kam dabei heraus: IM Manuel Bosboom (der also, NL-Elo 2389) 6.5/7, (IM) Pieter Hopman (2311) 5.5, IM Yochanan Afek (2247), Warner de Weerd (2207), Simon Elgersma (2226), Dick de Graaf (2078), Hébert Perez Garcia (2035) 5, Gerard van Es (2129) 4.5, Esper van Baar (2201), Onno Elgersma (2136), Jaap Dros (1880), Rob Graaff (1620), Joanna van Schaik (1110) 4, usw. - wer unter anderem nur (oder immerhin noch) 50% erzielte, da muss der Leser sich noch etwas gedulden. Klar ist bereits, dass es keine Elo-Untergrenze gab - wobei die NL-Elo von Joanna van Schaik (hat gerade wieder mit Schach angefangen) auf nur sechs Partien beruht. In der ersten Runde konnte sie gegen mich durchaus mithalten (auch wenn ich wohl besser stand), hat dann aber die Dame eingestellt und das konnte dann selbst ich gewinnen. IM in Klammern bei Pieter Hopman sollte ich wohl erklären - noch ist er es nicht offiziell, aber er hat alle Voraussetzungen erfüllt und bewies dabei einen langen Atem: erste Norm 2005 in Wijk aan Zee (höchste Amateurgruppe), die zweite 2014 bei einem Normturnier im belgischen Eupen, die dritte nun 2017/2018 in der zweiten NL-Liga. Elo 2400+ einmal im Schachleben hatte er 2014 aufgrund desselben Turniers in Eupen.

Manuel Bosboom hat bereits drei GM-Normen (1997, 2013 und 2014), die beiden letzten allerdings jeweils über sieben Partien beim Europacup für Vereinsteams, also braucht er noch eine vierte. Außerdem - und das ist wohl eher ein Problem - braucht er für den GM-Titel einmal im Schachleben Elo mindestens 2500. Sinn der Sache, das Turnier mitten in der Urlaubszeit auszutragen, war eventuell auch Teilnahme (deutscher) Touristen. Früher hatten wir "Sommerschach" mit mal stärkeren, oft auch eher schwachen Gästen aus Duitsland. Diesmal hat es nicht funktioniert - lag vielleicht auch daran, dass Touristen meistens am Freitag (oder Samstag) anreisen, es erst dann aus der Touristenzeitung erfahren und sich dann spontan entscheiden müssen. Zwei hatte ich noch persönlich angesprochen, aber für sie war dieser Samstag Abreisetag und sie wollten oder konnten nicht noch ein paar Stunden länger auf Texel bleiben. Immerhin konnten wir zwei eigene Spieler reaktivieren: Gerard van Es spielt seit einigen Jahren sonst nicht mehr oder nur im Internet, unser über 90-jähriger Nestor Aad Bakker (3.5/7) kommt nicht mehr zum Vereinsabend.

Ein Auto mit u.a. Pieter Hopman und Warner de Weerd hatte wegen Stau die Fähre knapp verpasst, zum Glück ging die Fähre halbstündlich und wir konnten so auf sie warten - das Vorprogramm wurde etwas verlängert. Leser ahnen vielleicht bereits, was Yochanan Afek auch machte: Endspielstudien zeigen. Für dieses Publikum (mehr als die Hälfte Elo z.T. deutlich unter 2000) wählte er relativ leichte Kost - ich zeige daher nur die Diagramme, Leser dürfen selbst lösen, Weiß erzielt aus diesen drei "Partien" 2,5 Punkte:

Studie 1

Studie 2

Studie 3 Troitsky

Die letzten beiden sind nicht eigenes Werk. Zur zweiten fragte er "wer kennt das bereits?" - wenn ich nichts übersehen habe gingen nur zwei Hände hoch: Bosboom (Liebhaber von Endspielstudien) und meinereiner. Die dritte stammt vom Endspielstudien-Pionier Alexey Troitsky.

Vom Turnier habe ich, da ich selbst auch Schach spielt oder so tat als ob, eher wenig mitbekommen. Bosboom sagte hinterher in seiner Siegerrede "das letzte Mal war ich auf Texel Fallschirmspringen, heute musste ich mehr bange Momente überstehen". Ganz souverän war es also nicht immer, es wurde ja Schnellschach gespielt (hatte ich noch nicht erwähnt, aber so geht sieben Partien an einem Tag). Gegen Warner de Weerd hatte mit beiderseits weniger als einer Minute auf der Uhr (Bedenkzeit 15 Minuten plus 3 Sekunden Inkrement) erst er einen ganzen Turm eingestellt, dann sein Gegner. Mangels Material, das man nun noch einstellen konnte, einigten sie sich dann auf Remis. Wenn derlei auch am Spitzenbrett passiert, hatte ich eine Partie, in der ich mit Mehrqualität erst die Qualität einstellte (immerhin noch zwei Mehrbauern) und dann einen ganzen Turm, vielleicht voreilig aufgegeben. Gegen Pieter Hopman hatte Bosboom eine Qualität weniger für zwei Bauern, laut kompetenteren Kibitzern stand Hopman auf Gewinn - aber später überschritt er in jedenfalls unklarer Stellung die Bedenkzeit. In der letzten Runde hat Bosboom dann - das weiss ich nur vom Hörensagen - spekulativ aber zumindest für Schnellschach relativ korrekt eine Qualität geopfert und spielte dann seinen Gegner schwindlig. Laut Lokalzeitung war auch die Niederlage von Warner de Weerd in der letzten Runde gegen Pieter Hopman unnötig - "Details" entschieden, wer relativ viel Preisgeld bekam (100 Euro für Platz eins, 75 Euro für Platz zwei) und wer sich mit 10 Euro für den geteilten 3.-7. Platz begnügen musste.

Tja, und ich sollte wohl doch mein eigenes Ergebnis erwähnen: 3.5/7 auf etwas andere Weise als im September 2017: damals gegen durchgehend nominell stärkere Gegner (TPR 2166), nun gegen bis auf Warner de Weerd nominell schwache (TPR ca. 1600). Und nach dem Turnier:

Foto3b

Dieses Handy-Foto ist etwas misslungen, aber das einzige das wir haben - an der PR müssen wir noch arbeiten. Von rechts nach links der Erste im Turnier, der Erste von hinten (Calvin de Graaf, Sohn von Dick de Graaf), der erste der gar kein Preisgeld bekam (Gerard van Es) und ohne konkreten Grund meinereiner. Ich hatte mehr Bierchen als Punkte im Turnier, das hat Bosboom vielleicht auch noch geschafft. Aber ich hatte mich nach dem vierten Bier verabschiedet, und die Bar unseres Spiellokals machte zu. Bosboom und einige andere hatten allerdings bis zur letzten Fähre aufs Festland noch gut zwei Stunden Zeit und wollten noch "downtown Den Burg" erkunden.

Gesprächsthema waren natürlich Anekdoten, z.B. aus Gibraltar (nach eigener Aussage stand Bosboom gegen Kortschnoi damals auch mal auf Gewinn), vom Europacup in Rhodos 2013 und auch dem Jahr darauf in Bilbao (u.a. Bosboom-Leko 1-0, glatt und das trotz "normaler" Eröffnung). Auf meine Frage nach seiner weitesten Anreise zu einem Turnier: "Südafrika - sie hatten mich eingeladen und ich konnte Erste Klasse fliegen". Da ist er vielleicht zwischen Geschäftsreisenden aufgefallen - ähnlich wie Udo Lindenberg oder Mick Jagger, wenn sie sich derlei mal gönnen sollten? Oder hatte er da jedenfalls eine Krawatte, wie beim Interview nach dem Sieg gegen Leko?

Soviel zu diesem Turnier, das nächstes Jahr sicher wiederholt wird - Bosboom will seinen Titel verteidigen. Nächstes Schnellturnier für mich wohl das Chrysantentoernooi 2018 am 22. September. Da wäre (Elo-Untergrenze im Hauptturnier 1800) 3.5/7, egal wie es zustande kommt (wenn es zustande kommt) wieder ein jedenfalls etwas besseres Ergebnis.

 

 

 

Montag, 18 Juni 2018 13:53

Ein Bauernendspiel

Dieser Beitrag war schon eine Weile geplant - die Partie ist zwar noch nicht allzu lange her (27.6.2018) aber seither erlebten die Herren Ding Liren und Aronian einiges. Der Chinese musste bei einem Fahrradausflug am Ruhetag in Stavanger feststellen, dass es schlimmere Dinge gibt als eine Blitzpartie (in der er zuvor mal auf Verlust stand) nicht zu gewinnen, der Armenier war dagegen danach in Leuven aktiv und ist es demnächst in Paris. Thema heute mal wieder Motive in Bauernendspielen, die auch Weltklassespieler im Blitztempo nicht immer beherrschen - und im Blitzturnier vor Norway Chess waren Ding Liren und Aronian beide nicht gut drauf. Vermutlich wussten sie während der Partie, dass Weiß (Ding Liren) auf Gewinn stand - siehe Titelbild, die Mutter aller Bauerndurchbrüche im Bauernendspiel. Dagegen vermute ich, dass beide nicht einmal ahnten, dass zuvor auch Schwarz mal auf Gewinn stand. Am Ende wurde es Remis, was sich schon nach spätestens 23 von dann insgesamt 62 Zügen abgezeichnet hatte:

move 23 remis

Wie in der Eröffnung bzw. kurz danach Figuren abgetauscht wurden ist nicht Thema dieses Beitrags (und wohl auch keines anderen Beitrags). Nun erst zwei Aufgaben, deren Auflösung ich später verrate:

move 38 Schwarz gewinnt

Schwarz am Zug gewinnt - wie Weiß es zuvor schaffte, seine Bauernstruktur zu kompromittieren, kommt später. Schwarz sah es nicht und geriet dann (siehe Titeldiagramm) auf Abwege, nächste Aufgabe:

move 45 Weiss gewinnt

Weiß am Zug, was tun? Die Partiefortsetzung vergab den Gewinn nicht, aber es ging einfacher. Wie Weiß zuvor einen entfernten h-Freibauern bekam, siehe Titeldiagramm.

move 32

Nun zur Partie, spätestens nach gerade 31.Dxc5 Txc5 schien das Remis wirklich unterschriftsreif. Aber nun spielte Ding Liren das "aktive" 32.b4?! (macht man im Blitz vielleicht automatisch) und das konnte er bereuen - auch wenn es objektiv noch remis war. 32.-Tc3 33.Te3 (33.Ta1 macht man natürlich ungern, Turmendspiel ist dabei nicht Thema dieses Beitrags) 33.-Txe3 34.fxe3 Kg7 35.Kf2 Kf6

move 35

Und nun? Richtig war 36.Kf3 Ke5 37.b5 (man kann auch mit 36.b5 anfangen) 37.-Kd5 38.g4! hxg4+ 39.Kxg4 f6 40.Kf4 Kc5 41.e4 Kxb5 (41.-Kd4 ist noch ein besserer Versuch, aber auch dann am Ende ein Damenendspiel, das trotz schwarzem Mehrbauer wohl remis ist) 42.e5! fxe5+ 43.Kxe5 Ka4 44.Kf6 b5 45.Kxg6 Kxa3 46.h5 b4 47.h6 b3 48.h7 b2 49.h8D b1D+

Variante move 36

Weiß konnte zuerst umwandeln, Schwarz mit Schach - wenn Weiß nun aufpasst ist es Remis (falsch ist 50.Kg7 oder 50.Kh6, falscher 50.Kf6 oder 50.Kh5, bleiben zwei andere Königszüge).

In der Partie kam allerdings 36.e4? (auch Engines sehen nicht sofort, dass dies ein Verlustzug ist) 36.-Ke5 37.Ke3 b5! (sichert Schwarz ein Reservetempo a7-a6) 38.Kd3

move 38 Schwarz gewinnt

Dieses Diagramm hatten wir bereits - statt des Gewinnplans wählte Aronian nun den Verlustplan! Richtig war 38.-f5! 39.exf5 Kxf5 40.Ke3 Kg4 41.Kf2 g5 42.hxg5 Kxg5 43.Kf3 Kf5 44.Ke3 Kg4 45.Kf2 Kh3 46.Kf3 a6! 47.Kf2 Kh2 48.Kf3 Kg1

Variante move 38

Das muss als Variante reichen - auf diesem Umweg erobert der schwarze König dann den Bauern auf g3 und ist danach schneller am Damenflügel als sein Kollege.

Aber es kam 38.-f6? (nur ein Fragezeichen, aber zwei für den damit verbundenen Plan - siehe nächster schwarzer Zug) 39.Ke3 g5?? 40.g4! (alles andere verliert für Weiß, aber dieser Zug gewinnt bzw. sollte gewinnen)

move 40

Das Diagramm hatten wir bereits. 40.-hxg4 (40.-gxh4 41.gxh5 h3 42.Kf2 f5 43.h6 Kf6 44.exf5 - bekanntes Motiv: die beiden weissen Freibauern schützen sich gegenseitig, Weiß kann erst auf h3 schlagen und dann seinen König aktivieren) 41.h5 Ke6 42.Kf2 Kf7 43.Kg3 Kg7 44.Kxg4 Kh6 45.Kf5

move 45

Falls nun 45.-Kxh5, dann 46.Kxf6 g4 47.e5 g3 48.e6 g2 49.e7 g1D 50.e8D+ (dieses Szenario hatten wir bereits unter umgekehrten Vorzeichen: da bekam Weiß zuerst eine neue Dame, und Schwarz seine mit Schach. Hier ist Umwandlung mit Schach partieentscheidend, da dieser Spieler weitere nützliche Schachgebote hat.) 50.-Kh4 51.Dh8+ Kg3 52.Dg7+ Kh2 53.Dxg1+ Kxg1 54.Ke5

Variante move 45

Und nun hat Weiß den aktiveren und effizienteren König! Es kam allerdings 45.-Kh7, und wir haben die zweite Aufgabe:

move 45 Weiss gewinnt

Eigentlich eine recht einfache, aber Ding Liren fand es nicht: 46.e5 und Schwarz hätte wohl (sofort oder kurz danach) aufgegeben. Es kam 46.Kxf6?! (großzügige Zeichensetzung, da Weiß im Prinzip immer noch auf Gewinn steht) 46.-g4 47.e5 g3 48.e6 g2 49.e7 g1D 50.e8D (ohne Schachgebot, daher kann Weiß noch jedenfalls zappeln) 50.-Df2+ 51.Ke7 De3+ 52.Kd8 Dxa3 53.Df7+ Kh8 54.Df6+ Kh7 55.Dg6+ Kh8 56.h6? (Damenendspiele sind nicht Thema dieses Beitrags, aber Engines sagen, dass Weiß nach 56.Dh6+ Kg8 57.Dg5+ Kh7 58.Df5+! Kg7 59.Dxb5 Kf6 60.Dc5! gewinnt) 56.-Dc3 57.Dg7+?! (der Sieg im Damenendspiel war bereits fraglich, aber hier sieht es so aus, als ob Ding Liren ein Bauernendspiel-Standardmotiv nicht würdigte) 57.-Dxg7 58.hxg7+ Kxg7 59.Kc7

move 57

59.-a5! (muss nicht unbedingt sein, auch nach 59.-Kf7 ist Schwarz schnell genug - aber da kann man sich eventuell verrechnen/verzählen, bei 59.-a5 nicht. Aronian befürchtete vielleicht auch, dass Nigel Short FIDE-Präsident wird und nach seiner Wahl Ding Liren mit rückwirkender Kraft zum Pattsieger erklärt) 60.bxa5 b4 61.a6 b3 62.a7 b2 und man einigte sich auf Remis.

Haben Aronian und Ding Liren sich diese Partie hinterher noch angeschaut, gemeinsam oder getrennt, mit oder ohne Computerhilfe? Dazu habe ich nicht recherchiert. Sie enthält jedenfalls ab dem 34. Zug diverse Motive, die Schachspieler jegliches Niveaus sehen können oder nicht und eventuell in ähnlichen Stellungen bei anderer Gelegenheit mal anwenden können. Einschlägige Quellen hatten sie dabei ziemlich ignoriert, da sie nicht "turnierrelevant" war. Die Partie komplett zum Durchklicken (mit Eröffnungsphase, mit ein paar ergänzenden Varianten) hier.

Sonntag, 18 Februar 2018 22:10

Ein Rijnfall für den Grossmeister

Nein, ich habe mich im Titel nicht vertippt - so wird der Rhein geschrieben, sobald er die Grenze zu den Niederlanden überquert hat (und ähnlich wie im Deutschen ausgesprochen). Ausserdem spielte der belgische GM Dgebuadze gegen einen gewissen Giel van Rijn. Zuvor heisst die westliche Rheinhälfte Rhin - ausgesprochen, soweit man das nasale Französisch deutsch-phonetisch beschreiben kann, "Rä". Es geht in diesem Beitrag auch um Französisch (auf dem Schachbrett), und neben "französische Katastrophen" wäre auch "Spiel doch Läufer d7!" ein alternativer Titel.

Neben "Französisch etwas anders" wird es auch ein bisschen Turnierbericht zum 78. Noteboom-Turnier in Leiden, Niederlande. Sie haben allerdings kein Foto vom Verlierer der Partie, die Anlass für diesen Artikel ist - in der ersten Runde wurde er nicht fotografiert, danach ging es nicht mehr. Fotografiert haben sie allerdings, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, den Sieger:

Giel van Rijn

Wer ist Giel van Rijn? Viel konnte ich nicht über ihn herausfinden: Jahrgang 1991, Elo 2140 (national 2086), aus Leiderdorp (Vorort von Leiden), sonst spielt er offenbar nur Mannschaftskämpfe. Alle Fotos ab Turnierseite - die offiziellen Fotografen sind Adinda Serdijn und Tymen Schoots, ausserdem machte sich auch der Groninger Harry Gielen auf die Reise nach Leiden um mal wieder bei einem Schachturnier zu fotografieren.

Von seinem Gegner Alexandre Dgebuadze - ursprünglich aus Georgien, seit 2000 spielt er für Belgien - gibt es offenbar auch sonst kaum Fotos. Wikipedia-Fotos stammen aus 2007, das Titelfoto vom Deizisauer Herbstopen 2013 ist das aktuellste das ich finden konnte. Zur Partie zunächst die Schlusstellung, langsam werde ich erklären warum Dgebuadze (Schwarz) nach 24 Zügen aufgegeben hat:

Van Rijn Dgebuadze final2

Was ist das Problem? Er hat doch eine Qualität mehr und ausserdem starke Freibauern am Damenflügel (wenn auch derzeit blockiert).

Van Rijn Dgebuadze final3

Weiss hat auch einen Freibauern (zuletzt kam 24.h4), aber auch das ist kein Grund zu Panik?

Van Rijn Dgebuadze final

Ach so, Weiss hat im Gegensatz zu Schwarz eine Dame. Die steht zwar auf h7 etwas im Abseits aber das ist nicht permanent. Da stand sie seit dem achten Zug, mit 14.-Tg6 wollte Dgebuadze sie bleibend aussperren (d.h. den typischen Zug Dh7-d3 verhindern), und nun hat auch dieser Turm demnächst ein Problem. Und nun von Anfang an:

1.d4 e6!? (Auf 1.d4 erlaubt oder will Dgebuadze eigentlich immer Französisch, auf 1.e4 spielt er auch mal Sizilianisch. Wenn Giel van Rijn sich vorbereitet hatte, ist ihm das vielleicht aufgefallen - vielleicht auch, dass Dgebuadze nach Dg4 bisher nie Dxg7 erlaubte. Wie hat er es dann hinbekommen?) 2.e4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 Se7 5.Dg4 c5 6.dxc5 (mit dieser Zugfolge der Hauptzug, wobei man auch mit 6.a3 Lxc3+ 7.bxc3 eine sehr bekannte Variante erreichen kann - so bekannt, dass selbst der theoriefaule Magnus Carlsen es in Wijk aan Zee gegen Giri spielte. Dann kann Schwarz allerdings 7.-0-0 spielen - machte Dgebuadze immer - oder auch 7.-Kf8!?). 6.-Sbc6 7.Dxg7 Tg8 8.Dxh7 d4 (geht in Hauptvarianten nicht) 9.a3 Da5 10.Tb1 dxc3 11.Le3

Van Rijn Dgebuadze move 11

Und nun? Dgebuadze, der schon zuvor gelegentlich einhielt während sein Gegner alles im Blitztempo spielte, brauchte 22 Minuten für 11.-cxb2+ - naheliegend und viel gespielt. Edwin van Haastert im offiziellen Rundenbericht: "Ich meine mich zu erinnern, dass Vitiugov hier 11.-Ld7! angibt und denkt, dass Schwarz durch seinen enormen Entwicklungsvorsprung klar besser steht. Das könnte stimmen." Engines plädieren auch für 11.-Ld7, gespielt wurde es bisher fast nur in Fernpartien. Die beiden Ausnahmen im ergänzenden Material später, jeweils gewann da Schwarz in 18 Zügen. 12.axb4 Da1?! - das ist neu und wohl nicht allzu gut. van Haastert erwähnt das hier übliche 12.-Dxb4+ 13.Ld2 Dc5 14.De4 "unklar". 12.-Da2 wurde auch einmal gespielt. 13.c3 a5 14.b5 (dafür brauchte nun Weiss 29 Minuten) 14.-Tg6?? van Haastert erwähnt 14.-Sxe5 und 14.-a4, letzteres analysiert er zum Dauerschach - wobei er im Kommentar zu einem anderen Artikel seine Analysen als "nicht allzu tiefgründig und unter Zeitdruck entstanden, glaub nicht alles was Du liest :)" bezeichnet. 15.Ld3 - ebenso erzwungen wie für Engines +5 oder mehr 15.-Sd8 - traurig, aber - mit Dank an 14.-Tg6?? - 15.-Sxe5? 16.Dh8+ und 17.Dxe5 16.Se2 a4 17.0-0 Dxb1 18.Lxb1 a3 19.La2 (sicher, dabei für Engines nicht der beste Zug - nur +12) 19.-Ld7 20.c4 Sdc6 21.bxc6 Lxc6 22.f3 Td8 23.Sd4 La4 24.h4 1-0.

"Mut zum Risiko" vom Weisspieler, der ja nichts zu verlieren hatte?! Dgebuadze teilte den Organisatoren direkt nach der Partie mit, dass sie am Samstag (und Sonntag) nicht mit ihm rechnen können. Stattdessen spielte er dann spontan ein Schnellturnier in Rotterdam, jedenfalls sechs von sieben Runden. Durchaus rhythmisch: zwei Siege, zwei Remisen und zwei Niederlagen - die zweite gegen Elo 1796, dann reichte es ihm. Ob er auf der weiteren Heimreise Sonntag noch ein Turnier in Belgien spielte, das weiss ich nicht. Um noch einmal das Chrysantenturnier in Heerhugowaard zu erwähnen: da war er erfolgreicher, belegte den Platz der ihm laut Setzliste gehörte (vor der letzten Runde noch Chancen auf mehr) und bekam etwas Preisgeld.

Bei dieser Partie musste ich auch an eine quasi spiegelbildliche Stellung in einer Nebenvariante der Hauptvariante denken:

Kukel Karabalis Saric Paehtz

Weiss spielte hier gerade 15.DxTg8+ - das gab es schon viermal auf einem Schachbrett! Die erzwungene Reaktion 15.-Sxg8 funktioniert allenfalls zusammen mit einem kleinen Trick: weisse Dame in der Hand behalten oder auf den Fussboden werfen, wenn Weiss dann 16.h7 0-0-0 (soweit richtig) 17.h8umgedrehter Turm spielt, greift der Schiedsrichter ein, bezeichnet dieses Objekt als Turm und die schwarze Welt ist wieder (mehr als) in Ordnung. Das funktioniert allerdings wohl allenfalls dann, wenn der Gegner sich bereits in heftiger Zeitnot befindet.

Zuvor hatte u.a. Harilos Karabalis (mir aus meiner hessischen Zeit vom Namen her ein Begriff) in einer Oberliga-Partie ein Brett vorm Kopf, schliesslich spielte er für den gleichnamigen Frankfurter Verein. Die hochkarätigste Partie war dann GM Saric - IM Paehtz (also Elisabeth, nicht Thomas) bei der Europameisterschaft 2017. Wie kam es jeweils dazu? 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Se7 7.Dg4 Dc7 8.Dxg7 Tg8 9.Dxh7 cxd4 10.Se2 Sbc6 11.f4 dxc3 (soweit Hauptvariante) 12.h4!? -nicht der Hauptzug, aber bereits u.a. von kreativen Schachchaoten wie Emil Sutovsky, Ian Nepomniachtchi und Peter Leko gespielt 12.-d4 (schon hier geht 12.-Ld7, oder auch im elften Zug) 13.h5

Kukel Karabalis Saric Paehtz move 15

Und nun ist 13.-Ld7 PFLICHT!, das mehrfach gespielte 13.-b6 dagegen zu langsam: 14.h6 Lb7? (14.-Kf8 relativ am besten) 15.Dxg8+ usw. .

Wenn Französisch so schlecht ist, warum tue ich mich dagegen eher schwer? Mehrere mögliche Gründe - ich bin schlecht, ich spiele immer 3.Sd2 oder vielleicht ist es doch nicht so schlecht. Angedeutet hatte ich es bereits: Schwarz verliert nicht immer. Ich habe noch ein bisschen ergänzendes, allerdings unkommentiertes Material. Bei Andersen-Strange ging vielleicht nicht alles mit rechten Dingen zu, das darf der Leser selbst untersuchen. Ivan Saric hat 12.h4!? so gut gefallen, dass er es im Schnellschach noch zweimal spielte - darunter ein glatter Sieg gegen Elo 2769 (oder habe ich mich da vertippt, und sein Erstrundengegner bei der Europameisterschaft 2017 hatte Elo 1769?). Soweit der französische Teil dieses Artikels, nun noch ein bisschen was zum Turnier insgesamt:

Warum Noteboom-Turnier? Gemeint ist nicht Gren Noteboom (*1958), der dieses Jahr in der letzten Runde der Amateurgruppe 7G in Wijk aan Zee mit 1.e4 c5 2.b4!? gegen meinen Vereinskollegen Jon van Dorsten verlor, wodurch dieser Gruppensieger wurde. Nein, geehrt wird seit 1936 Daniel Noteboom (26.10.1910 - 12.1.1932) - NL-Jungtalent bis zu seinem frühen Tod durch eine schwere Lungenentzündung. Die Turnierseite hat seine Biographie: Ausnahmsweise durfte er bereits als 15-jähriger "bartloser Knabe in kurzer Hose" Mitglied von Leidsch Schaakgenootschap (LSG) werden - dieser Verein jedenfalls damals sonst für "gesellschaftlich etablierte" Erwachsene, Philidor Leiden dagegen der Arbeiter- und Studentenverein (auch ein heutiger Vereinskollege von mir war als Student Mitglied von Philidor Leiden). Heutzutage ist die erste Mannschaft von LSG zwar vielleicht auch (komplett) "gesellschaftlich etabliert", aber - soweit ich sie von Fotos kenne - bartlos. Spitzenspieler war ja neben GM Nikolic bis zu seinem beruflichen Wechsel nach Turin IM GM Prof. Dr. Jan Michael Sprenger. Wie spätere Fotos zeigen, hatte Daniël Noteboom sich kleidungsmässig angepasst (oder trug er zu Jackett und Krawatte kurze Hose?). Als Schachspieler wird Noteboom vor allem als "sehr guter Lavierer" bezeichnet, dazu passt die nach ihm benannte Noteboom-Variante im halbslawischen Damengambit nicht unbedingt.

Das Turnier selbst ziemlich kompakt: eine Runde am Freitag ab 19:30, drei(!) am Samstag um 9:00, 14:00 und 19:30 und dann noch zwei am Sonntag um 9:00 und 14:00. Ein "bye" ist erlaubt - dafür gibt es einen halben Punkt und das machten viele, vor allem für die Runde Samstag abends. Bedenkzeit 1h40min für die gesamte Partie plus 10 Sekunden pro Zug - hierzulande auch in Mannschaftskämpfen (jedenfalls auf meinem Niveau) üblich, einmal Zeitnot immer Zeitnot. Elo-ausgewertet wird es übrigens nicht, unklar ob es bei dieser Bedenkzeit und Dreifachrunde am Samstag überhaupt ginge. Laut Turnierdirektor Rudy van Wessel, der meine email-Anfrage beantwortete, würde es Topspieler eventuell von der Teilnahme abhalten, und ist es den meisten Teilnehmern egal ("einzelne fragen es manchmal, aber für uns kein Grund um daran etwas zu ändern").

Und das quasi zum Fall Dgebuadze - auf der Turnierseite stand vor dem Turnier, dass nur Spieler mit Elo 2600+ (von den letztendlichen Teilnehmern nur Benjamin Bok) über Konditionen verhandeln können: "Zu unserer Einstellungen betrifft Konditionen äussern wir uns nicht [TR: das macht kein Turnier]. Der Hinweis auf der Webseite ist eine Einladung an 2600 GM's. Dgebuadze wird vorläufig nicht mehr beim Noteboom-Turnier mitspielen, das ist sicher."

Mitgespielt haben neben regional/mir bekannten Namen (darunter zwei Spieler des gegnerischen Teams unseres letzten Mannschaftskampfs) auch einige international bekannte Spieler - bzw. in Deutschland bekannt, da sie auch für Bundesliga-Vereine am Brett sitzen. Dgebuadze hatte ich bereits - er spielt in Deutschland für Remagen-Sinzig Rheinland-Pfalz Liga. Beim Staufer Open 2018 hatte er übrigens nach Niederlage in Runde eins gegen Volker Gassmann (Elo 2148) durchgespielt und teilte am Ende mit 7/9 noch Platz eins - die Niederlage war eher positionell, und bei neun Runden kann man derlei eher kompensieren. Benjamin Bok hatte ich bereits erwähnt, einige andere werde ich nun - vor allem fotografisch - vorstellen, aber zunächst zeige ich alle oder jedenfalls viele:

Turniersaal Leiden

Im Vordergrund nicht live übertragene Bretter - Liveübertragung gab es nur für die ersten vier Bretter des A-Turniers (viele andere Partien haben sie dann aufgrund der, mitunter dafür bedingt geeigneten, Partieformulare rekonstruiert und ebenfalls veröffentlicht). Neben dem A-Turnier gab es auch noch ein B- und C-Turnier sowie Vierkämpfe für Spieler, die keine Lust auf (fünf bis) sechs Partien hatten - jedenfalls nicht an drei Tagen. Vierkämpfe dabei übrigens nur für Erwachsene, Jugendliche mussten das volle Programm absolvieren. Dieses Foto aus Runde eins, ich springe zu Runde vier - der mit vielen "byes":

Nikolic van Meegen Round 4

Links ist Lokalmatador Predrag Nikolic fast fertig - er setzt an zu 11.Tad1 mit Remisangebot, Gegner Benjamin Bok war einverstanden. Das war übrigens das einzige GM-"Duell" im gesamten Turnier. Rechts war Ruud van Meegen (Elo 2212) wohl klar, dass er kein Kurzremis bekommt, ausserdem hatte er ja eine weitere Anreise aus der Provinz Limburg bei Deutschland (und Belgien). Dann hat er eben gegen GM Pruijssers gewonnen, der mit seinem Königsinder Schiffbruch erlitt.

Bok van Meegen Noteboom Gielen

Dieses Foto von Harry Gielen - tags darauf ab 9:00 nachts morgens kibitzt Daniël Noteboom bei Bok - van Meegen, oder ist er mit seiner eigenen Partie beschäftigt? Bok reagierte unkonventionell auf van Meegens Caro-Kann, wobei es auch das (u.a. 7.Sfg1) bereits auf hohem Niveau gab - u.a. bei Vachier-Lagrave - Anand, Sinquefield Cup 2016 und Almasi-Svane, Bundesliga 2017. Nach Zügen wurde es ein Kurzremis, nach beiderseits verbrauchter Bedenkzeit nicht - Bok kombinierte 21.Le3 mit einem taktischen Remisangebot (zu diesem Zeitpunkt stand er eher schlechter als besser), van Meegen war einverstanden.

Vor der Schlussrunde hatten (u.a. durch dieses Ergebnis) zehn Spieler 4/6 - da es nur vier Geldpreise gab mussten alle auf Gewinn spielen (jedenfalls wenn sie Geld wollten). Ab Brett sechs dagegen offenbar diverse Kurzremisen, und bevor ich die Schlussphase an den vorderen Brettern vor allem fotografisch dokumentiere erst ein (erfundener!) Beinahe-Skandal:

Emma de Vries Michaël Liempt

Emma de Vries (rechts) beschwerte sich bitterlich, dass sie an Brett 26 gegen eine Frau spielen muss. Reaktion der Turnierleitung: "Beruhige Dich! Mal abgesehen davon, dass Du nicht Hou Yifan bist, hat Dein Gegner den Vornamen Michaël." Das akzeptierte sie und verzichtete auf das eigentlich geplante 1.g4!? - das langhaarige Duell blond-braun endete dann remis. Natürlich schreibe ich Quatsch, kann mir dabei vorstellen dass beide aus optischen Gründen fotografiert wurden.

Und nun die Chronologie der Spitzenbretter - ich gehe davon aus, dass Fotos hier (separat für "Runde 6 letzte 30 Minuten") chronologisch sind, und es passt auch zu den für Brett 1-4 dokumentierten Rest-Bedenkzeiten:

van der Werf Pruijssers

Als erstes musste Lokalmatador IM van der Werf gegen GM Pruijssers aufgeben. In einem beiderseits wild-unkonventionell-riskant interpretierten Holländer (auch Weiss wollte offenbar gewinnen) hatte er das Nachsehen. Zuletzt geschah 32.-DxSg3 und die freche Dame ist wegen Damen-Rückverlust nebst Matt tabu.

Pruijssers kibitzt

Pruijssers konnte dann an anderen Brettern kibitzen - auf diesem Foto auch (ihm zugewendet) GM Arnaudov, auf ihre Partie konzentriert GM Bok und IM Ducarmon sowie weitere Kibitze, die hinter der Absperrung bleiben mussten. Pruijssers' Hoffnungen auf einen eventuellen alleinigen Turniersieg erfüllten sich nicht.

Kevlishvili Zwirts Dh7

Kevlishvili-Zwirs 1-0 - auch hier war eine (auf dem Foto gerade so sichtbare) weisse Dame auf h7 partieentscheidend. Und zwar sofort denn es war Matt. Die schwarze Niederlage zeichnete sich schon lange vorher ab: aus der Eröffnung heraus hatte er einen Bauern weniger - das war wohl Absicht, aber diese Nebenvariante im Richter-Rauzer Sizilianer (6.-g6 7.Lxf6 exf6, später schnappt sich Weiss den schwarzen Bauern auf d6) hat keinen allzu guten Ruf. Mit einem Qualitätsopfer wollte Zwirs dann im Trüben fischen, aber dieses Gegenspiel konnte Kevlishvili mühelos neutralisieren.

Arnaudov van Meegen

Petar Arnaudov und Ruud van Meegen sind ebenfalls fertig - für den Schwarzspieler in Grün (selbes Outfit wie gegen Bok kein Zufall, es war ja derselbe Tag) am Ende "nur" 1.5/3 gegen Grossmeister, "ausgerechnet" gegen den nominell schwächsten von drei nacheinander verlor er. Das Gröbste hatte er scheinbar überstanden, dann patzte er mit 34.-Sxd5? (nach gut 8 Minuten, also noch keine extreme Zeitnot) - 34.-Sb5 war für Schwarz (mindestens) OK, so aktivierte er dagegen den weissen Lf3 wodurch der weisse b-Freibauer partieentscheidend wurde (statt dass Schwarz ihn einfach fressen konnte).

Bok denkt

Benjamin Bok grübelte derweil weiterhin, Quinten Ducarmon leistete zähen Widerstand.

Nikolic Heltsel

Brett 5 GM Nikolic(2593) - Heltzel(2205) wurde remis, wobei der Grossmeister (siehe Stand auf der Uhr 0:20-0:08) offenbar alles versuchte. Damit gab es nun zu diesem Zeitpunkt drei (bis vier) geteilte Turniersieger.

Hat Heltsel gepatzt

Ist das Erschöpfung beim Schwarzspieler, oder stellte sich in der Analyse (zu der Nikolic offenbar bereit war) heraus, dass er gar gewinnen konnte? Diese Partie momentan noch nicht verfügbar, sie haben alle Partien "im Laufe der Woche" versprochen.

Bok Ducarmon Schiedsrichter Kibitze

Blieb nur noch das Spitzenbrett Ducarmon-Bok. Lange zuvor wollte Schwarz wohl Najdorf spielen, aber Weiss war (1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+) nicht einverstanden - es wurde quasi-Spanisch und da wird dann endlos manövriert. Hier haben wir bereits ein Endspiel, und in dieser Stellung gab es Diskussionen, der Schiedsrichter ist beteiligt, die Liveübertragung endete hier. Was war los? Laut Abschlussbericht reklamierte Ducarmon dreifache Stellungswiederholung - zu Unrecht: nach 54.Ld1 und 58.Ld1 stand der schwarze König jeweils auf f6, nun nach 62.Ld1 auf e7. Regelkonform bekam Bok zwei Minuten auf der Uhr - auf einem späteren Foto macht der Schiedsrichter das offenbar. Das war genug Bedenkzeitpolster, um die Partie zu gewinnen - quasi im Stil des lavierenden Daniël Noteboom. Das zeige ich noch, aber erst eine Bemerkung zum kibitzenden Publikum: Hebert Perez Garcia (mit Mütze und Schal), ursprünglich aus Südamerika, hat sich offenbar auch nach vielen Jahren nicht an winterliche Temperaturen in den Niederlanden gewöhnt, auch drinnen nicht.

Kibitze Schlussrunde

Er war allerdings nicht der einzige Wintersportler im Publikum.

Ducarmon Bok

Und das ist die Schlusstellung von Ducarmon-Bok - auf der Uhr wieder ausgeglichen (0:28-0:18), auf dem Brett für Weiss hoffnungslos. So sehen es Engines, und Ducarmon war einverstanden - materiell ist es zwar (noch) ausgeglichen, aber alles andere zugunsten von Schwarz.

R5 Robby Kevlishvili Gielen

Zum Schluss zeige ich noch (Foto Harry Gielen) den offiziellen Wertungssieger IM Kevlishvili. Denkbar knapp nach zweitem Tiebreak Sonneborn-Berger vor Bok. Um das nachzuvollziehen, musste ich tief ins Regelwerk tauchen: Wie wird ein bye, das er (wie auch Arnaudov, im Gegensatz zu Bok und - der bereute es vielleicht - Pruijssers) in Runde 4 nahm, behandelt? Als Remis gegen sich selbst, wobei dieser virtuelle Gegner dann auch in den verbleibenden Runden virtuell Remis spielt. Sonst wäre ein bye, das bei diesem Turnierprogramm auch Favoriten oft nehmen, wertungstechnisch unattraktiv. Den offiziellen Turniersieg "braucht" der IM unter GMs vielleicht am ehesten, und das Preisgeld wurde gleichmässig geteilt - alle vier bekamen 650 Euro, ein alleiniger Turniersieger hätte 1200 Euro erhalten.

Eine GM-Norm war es für Kevlishvili nicht: TPR 2598 hätte gereicht, wenn man die Elo seines ersten Gegners anhebt. Aber sechs bzw. in seinem Fall fünf Partien ist zu wenig, und null GMs in diesen fünf Runden ist auch zu wenig.

Zum Schluss noch ein kurzer Blick in andere Regionen: Wie gesagt, zwei Spieler aus dem Kader unseres letzten Gegners in Mannschaftskämpfen haben mitgespielt, beide sammelten Erfahrungen d.h. Niederlagen. Dennis Mienis hatte durchweg nominell stärkere Gegner - einer 20 Elopunkte besser, die fünf anderen knapp 150 bis fast 300 Punkte besser. Was kam dabei heraus? Mit Schwarz dreimal Remis, mit Weiss drei Niederlagen - etwas ungewöhnlich. Und den Sieger des Vierkamp1 erwähne ich noch abschliessend-nebenbei: Jeroen van den Berg, der neben seinen Rollen als Turnierdirektor in Wijk aan Zee, ACP Board Member (usw.?) auch mal selbst Schach spielt - bei dieser Gelegenheit 2.5 Punkte aus drei Partien.

 

 

Freitag, 05 Januar 2018 14:32

Blitzschach und Poesie

Zur heute besprochenen Partie zunächst die Schlusstellung: Turm gegen Turm ist generell remis, Ausnahmen bestätigen diese Regel. Die beiden beteiligten Damen haben nicht etwa nach und nach, gepflegt und freundschaftlich, Figuren und Bauern getauscht bis es soweit war - nein, auch diese Stellung wurde auf Umwegen erreicht.

Dieser Artikel, Teil zwei einer Serie, war bereits geplant bevor ich von dichterischen Aktivitäten auf Facebook erfuhr. Angefangen hatte eine Schachspielerin, die auch singen kann - derlei Ambitionen habe ich nicht. Und auch das war Teil einer Serie, zuvor bekam ein Grossmeister gleich zwei Ständchen. Nun bin ich selbst dran, vorab eine kurze Zusammenfassung dieses und des vorigen Artikels - "ein jeder wird zum Dichter, und nun auch Thomas Richter":

Paehtz zweimal mit Mehrfigur,

was machte sie dann nur?

Es war nicht souverän,

doch kurios anzuseh'n.

Weiss sagte zweimal "niemals nie",

und einmal wurde es remis.

Lela ist das nicht gelungen,

doch Marta hat es dann erzwungen.

Sie konnte Paehtz "betrügen",

nach nicht mal hundert Zügen.

War das jeweils ein Witz?

Nun ja, es war halt Blitz!

"Betrügen" natürlich nur des Reimes wegen ... . Vorab noch das: Zuvor gewann Paehtz im Schnellschach Bronze - vor allem durch einen starken Schlusspurt. Ein sehr gutes, dabei nicht unbedingt "sensationelles" Ergebnis für die Nummer elf der Setzliste. Im Blitzturnier war lange unklar, wer beste deutsche Spielerin wird: am Ende hatte Paehtz einen halben Punkt Vorsprung auf Michna - und das ist (im Schweizer System) relevanter als Turnierleistung und Buchholz. Nach dem ersten Tag waren beide punktgleich, am zweiten Tag lag meistens Michna vorne, aber nicht mehr nach 21 von 21 Runden. Punktgleich waren sie zuvor aufgrund des direkten Duells in Runde 11, dann war erst einmal Pause - Abendessen, Nachtruhe, den ersten Tag verdauen und dann nochmal 10 Partien.

Michna (2377) - Paehtz (2464) 0-1 1/2

Wieder überspringe ich die Eröffnung bzw. erwähne dazu nur, dass Marta Michna 1.e3!? entkorkte - nicht ganz neu, so spielte bereits u.a. Magnus Carlsen, von ihm inspiriert (Partien chronologisch später) seine Landsleute Simen Agdestein und Aryan Tari, ausserdem Baadur Jobava, Richard Rapport, ... . Alle kann ich nicht nennen, noch ein paar: im Alphabet direkt hinter Carlsen Jonathan Carlstedt, dreimal auch Bent Larsen (im zweiten Zug nach 1.-Sf6 oder 1.-f5!? jeweils Larsen-untypisch 2.b4!?), zweimal anno 2004 auch Marta Michna (jeweils in Warschau in der alten polnischen Heimat), grösster Spezialist offenbar ein gewisser Novotny bzw. wenn man genauer hinschaut deren drei - Jaroslaw, Jiri und vor allem Josef. Erst oder bereits 8.-Sc6 (der kam von e7) war in der heute besprochenen Partie total neu - Michna hatte allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Minute investiert.

Direkt "nach der Zeitkontrolle", nämlich nach 40.-g2, stand es so:

Michna Paehtz move 40

Noch hat Schwarz keine Mehrfigur, nicht einmal einen Mehrbauern, und steht dennoch offensichtlich besser - Weiss hat nur einen nicht allzu beeindruckenden Freibauern. Sechs Züge später stand es so:

Michna Paehtz move 46

Nun hat Weiss immerhin einen Freibauern, der die Gegnerin etwas beschäftigt (f3 meine ich nicht). Ab hier Zug um Zug: 46.-Txe4+ 47.fxe4 g1D+?! (natürlich nicht wirklich falsch, aber Schwarz konnte damit noch warten und zunächst 47.-Lxd7 spielen) 48.Txg1 hxg1D+ 49.Txg1 Lxd7

Michna Paehtz move 49

Im Prinzip aus schwarzer Sicht gewonnen genug. Michna gab nicht auf, Paehtz musste noch Technik demonstrieren - bei perfekter oder jedenfalls guter schwarzer Technik gäbe es diesen Artikel nicht. Ab hier einige Motive - Endspiel, diesmal nicht damenloses Mittelspiel, denn wir haben bereits ein Endspiel. Wieder ist es Zufall, dass diese beiden Spielerinnen beteiligt sind - allerdings kein Zufall, dass ich mir ihre Partie angeschaut habe. Derlei Stellungen haben Leser vielleicht auch mal in Blitzpartien, oder mit anfangs mehr aber inzwischen knapper Bedenkzeit. Wie zuvor erwähnt, die allermeisten Leser haben wohl Elo unter 2400 (und auch unter 2377). "Gewühlt" hatte Michna zuvor vom 40. bis zum 46. Zug - nun hat sie eher das Ende abgewartet und/oder auf ein Wunder gehofft.

50.Kd4 Le6 51.e5+ (mag Stockfish gar nicht, aber auch das laut ihm beste 51.Tb1 sollte nicht gut genug sein) 51.-Kf7 52.Tb1 Ta4 53.Tf1+ Ke7 54.Tb1

Michna Paehtz move 54

Der erste "technische" Moment: sauber war offenbar 54.-Lxc4 nebst -Lxa2 - der schwarze Turm bleibt da, wo er am besten steht: hinter dem (entstehenden) Freibauern. Dass Schwarz nur noch diesen a-Bauern behält und dazu den falschen Läufer war unvermeidlich (b6 passiv verteidigen bringt keine Fortschritte). 54.-Txc4+ war natürlich nicht falsch - Schwarz muss danach nur wieder umgruppieren, was in der Partie möglich war aber nicht geschah. 55.Ke3 Tc2 56.Txb6 (der ist weg) 56.-Txa2 (der auch) 57.Tb7+ Ld7 58.Kd4 Tb2 59.Ta7

Michna Paehtz move 59

Und hier ging nun 59.-Tb4+ 60.Kc3 Ta4 61.Txa4 (was sonst?) 61.-Lxa4

Michna Paehtz move 59 Variante

Analysediagramm - ähnlich oder analog bereits im vorigen Artikel. Wenn ja wenn Weiss zwei Freibauern hätte, die der gegnerische König nicht beide kontrollieren kann, dann wäre auch das remis. So ist die einzige "Remischance" à la Carlsen-Inarkiev 62.Kc2!??! und hoffen, dass die Gegnerin nicht reklamiert (62.Kb3 oder 62.Kb2 könnte auch funktionieren, wäre allerdings dann ein doppelter Lottogewinn). Stattdessen kam 59.-a2 (auch das sollte gewinnen, sonst nichts) 60.Kc5 Ke6 61.Kd4 Td2+ 62.Kc3 Tg2 63.Kd4

Michna Paehtz move 63

Und wieder konnte der "falsche" schwarze Läufer den richtigen Zug machen - 63.-La4!

Michna Paehtz move 63 Variante

Da ist er indirekt gedeckt, und hier könnte Weiss (bis auf ein paar Schachgebote) allenfalls noch z.B. 64.Tc1!??! versuchen. Stattdessen 63.-Lc6 (nicht falsch, aber die Ursache dessen was kommen würde) 64.Ta6! Kd7 65.e6+ Ke7 66.Kc5 Tc2+ 67.Kd4

Michna Paehtz move 67

Und nun? Am einfachsten war wohl 67.-Lb5 und erst dann 68.-Kxe6 (oder, wenn Weiss das nicht zulässt, 68.-Lxa6 bzw. 68.Tb6 a1D). Stattdessen 67.-Kxe6?? und nun ist es passiert: 68.Kd3! Tb2?! (sie konnte noch z.B. 68.-Tc1 69.Txa2 oder 68.-a1D 69.Txa1 versuchen - Turm und Läufer gegen Turm ist zwar theoretisch aber nicht immer praktisch remis, das Turmendspiel ist dagegen trivial remis) 69.Txc6+! Kd5 70.Ta6 Kc5 71.Kc3 Tf2 72.Kb3 Kb5 73.Ta8!? (73.Txa2=) 73.-Tf3+ 74.Kxa2

Michna Paehtz zum Schluss

Dieses Diagramm hatten wir bereits, dazu eine Anekdote aus eigener Praxis im letzten Jahrtausend: Kurz nach der Wiedervereinigung spielte ich für die Kieler SG Brett 4 bei der Norddeutschen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft (als Reservespieler - andere hatten den Verein qualifiziert und danach verlassen). Dabei waren Schleswig-Holstein (meerumschlungen!), Niedersachsen (etwas Küste), Mecklenburg-Vorpommern (Küste und Seenplatte), Hamburg, Bremen und Berlin (auch am Wasser) sowie Brandenburg (relativ trockenes Bundesland, Ausrichter war das dezentral gelegene Forst bei Cottbus an der polnischen Grenze).

Damals prallten "Schachkulturen" aufeinander: im Westen wurde mit Turm gegen Turm remis vereinbart, im Osten war es dagegen akzeptabel, bis zum Blättchenfall weiter zu zocken - jeweils zumindest Mehrheits-Ansicht? Nun vereinbarten eine Hamburger Polin und eine Thüringerin hier remis, Ursachenforschung: 1) Die Wiedervereinigung ist vollendet, und der Westen hat sich hier durchgesetzt? 2) Auch damals war es nur auf Niveau Elo unter 2400 üblich? 3) Inzwischen gibt es Inkrement, was Gewinnversuche erschwert. Übrigens hatte Michna hier noch 23 Sekunden, und Paehtz noch vier.

Wasser hatte ich bereits erwähnt - auf Texel regnet es momentan, und gleichzeitig scheint die Sonne, also ein Regenbogen. In Riad hat es vermutlich nicht geregnet, da kein Naturwunder aber aus Michnas Sicht ein schachliches Wunder.

Im nächsten Artikel werde ich mir dann vor allem Frau Gunina und Frau Goryachkina vorknöpfen, ein bisschen auch Frau Kosteniuk und Frau Batsiashvili - Partien mit deutscher Beteiligung hatten Priorität.

 

Mittwoch, 03 Januar 2018 12:06

Blitzschach mit reduziertem Material

Das - Nachlese zur Blitz-WM im umstrittenen Riad - wird Teil eins einer Serie. Diverse Blitzpartien im Damenturnier registrierte ich, weil die Spielerinnen nun einmal dabei fotografiert wurden - ob das von dem Fotografen oder der Fotografin Absicht war oder ebenfalls Zufall, kann ich nicht beurteilen. Kein Zufall allerdings, dass deutsche Spielerinnen beteiligt sind - wobei ich später zeigen werde, dass neben einer deutschen Spielerin und einer Georgierin auch andere (aus Deutschland, Georgien und Russland) diese Art, Blitzschach zu spielen, beherrschen. In diesem Artikel am Ende auch ein "turnierrelevantes" und nach Elo hochkarätiges Fragment aus dem offenen Blitzturnier.

Sinn der Sache ist nicht, mich über die Spielerinnen zu mokieren - auch wenn mir das vielleicht unterstellt wird. Nein, es geht um zwei Dinge: 1) Wie kann man (oder frau) eine Gewinnstellung effizient gewinnen? Einige Momente sind da wohl spezifisch, aber ein Motiv wird insgesamt doppelt auftauchen. 2) Wie geht Wühlen in (totaler) Verluststellung, vielleicht gar erfolgreich? Beides ist vielleicht lehrreich für das Publikum dieses Blogs, wobei die allermeisten Leser(innen) wohl Elo deutlich unter 2400 haben. Unterhaltsam ist es womöglich auch.

Ohne weitere Vorrede nun zu Javakishvili (2449) - Paehtz (2464) 0-1. Das Titelbild etwa bei Halbzeit (nach Zügen, wohl nicht nach verwendeter und verbleibender Bedenkzeit), das erste Diagramm zeigt nun die Schlusstellung:

Javakishvili Paehtz zum Schluss

Das ist - so etwas gibt es - eine gewonnene Version von Turm gegen Turm, da nur Schwarz seinen bzw. ihren König behält. So stand es nach 104 Zügen und diversen Irrungen und Wirrungen - Paehtz hatte gut 80 Züge lang eine Mehrfigur und konnte die Gegnerin sicher schon früher zur Aufgabe bewegen. Javakishvili verpasste allerdings die eine oder andere Remischance - nicht nur am Ende mit Turm gegen Turm und Läufer, auch zuvor mit Bauern und teils weiteren Figuren auf dem Brett.

Javakishvili Paehtz move 18

Das die Stellung nach 17.-e4 18.h4?? - momentan hängen zwei Figuren, dabei blieb es quasi nach 18.-Df6! allerdings waren es nun zwei weisse Figuren. "Der Rest ist Technik"?! Javakishvili weigerte sich, aufzugeben - denn durch Aufgeben wurde noch nie eine Partie gewonnen, und dafür gibt es auch keinen halben Punkt. Die nächsten 20 Züge überspringe ich, wie auch zuvor die etwas unkonventionelle Eröffnung, dazu sage ich nur "A41" - Königsindisch und irgendwie doch nicht, Schwarz spielte nie -Sf6 (sondern erst im 21. Zug -Se7). So stand es nach 38.Tc3:

Javakishvili Paehtz move 38

Bis dahin machte Schwarz Fortschritte, und nach dem ebenso gierigen wie einfachen 38.-Sxf2 - das nicht nur einen Bauern gewinnt sondern auch die weissen Springer entwurzelt - 39.Tf1 Txg3 40.Txf2 Tg4 wäre die Partie vielleicht "zur Zeitkontrolle" oder kurz danach vorbei - 0-1 ohne Umwege.

Stattdessen 38.-Lb3 "mit Tempogewinn" - allerdings tut die schwarze Mehrfigur da nichts, während Weiss nun aktive Möglichkeiten erhält: 39.Td7 (Teil von Javakishvilis Wühlerei zuvor war 34.c5 und 35.c6) 39.-Tf6 (Schwarz muss f5 decken, und wieder -Le6 funktioniert nicht: 39.-Le6?? 40.Sxe6 Txe6 41.Sxf5 und Weiss gewinnt) 40.h6 (Weg damit!) 40.-Kxh6? (40.-Tgf7 und Schwarz steht weiterhin besser, aber auch hier vielleicht nicht total gewonnen):

Javakishvili Paehtz move 40

Und schon ist es passiert!?! Weiss hat hier 41.Txg7 Kxg7 42.Sgh5+ (falsch wäre 42.Sfh5+ Kg6 43.Sxf6 Sxf6 44.b5 Sd5) 42.-Kf7 43.Sxf6 Sxf6 44.b5

Javakishvili Paehtz move 40 Variante

Analysediagramm - Weiss steht nicht mehr schlechter! Da zeigte sich, dass vom Springerquartett im Diagramm zuvor die weissen gefährlicher waren - schliesslich stand am Königsflügel unkoordiniertes bzw. gabelanfälliges schwarzes Holz!

So kam es nicht, sondern 41.Tc5? Sfe5 42.Sgh5 Sxd7 (42.-Txd7 43.cxd7 Td6 war genauer) 43.cxd7 Txd7 44.Sxf6 Sxf6 45.Txf5 Td6 46.Tc5 Td2+ 47.Kc1 Txf2 48.Sh3 Tf3 49.Sg5 Tf1+ 50.Kd2 Tf2+ 51.Ke3 Tc2 52.Ta5 - Turmtausch war hoffnungslos aus weisser Sicht, und nun stand es so:

Javakishvili Paehtz move 52

Hat Weiss mit reduziertem Material wieder Hoffnungen oder Schummelchancen? In der Partie ja, da Schwarz auf das multi-funktionale 52.-Sd5+ verzichtete - deckt für alle Fälle c7 und gewinnt nebenbei noch eine Figur. So kam es allerdings nicht, sondern 52.-Kg6 53.Sxe4 (einer weniger) 53.-Sxe4 54.Kxe4 Ta2 55.Tc5 Txa3

Javakishvili Paehtz move 55

Zu diesem Zeitpunkt, bzw. kurz davor, wurden Javakishvili und Paehtz fotografiert. Nun natürlich 56.Txc7 und Schwarz hat nur noch den falschen Randbauern bzw. den falschen Läufer - das zu gewinnen ist jedenfalls nicht mehr trivial. 56.-Ta2 (Engines sagen, dass 56.-Ta1 viel besser ist, aber alles kann ich nicht untersuchen) 57.Ta7 Td2 58.b5 (Weiss hat auch einen Freibauern) 58.-Td6??

Javakishvili Paehtz move 58

Eigentlich ist es wieder passiert, aber Schwarz spielte den Remiszug erst als er keiner mehr war: 59.Ta5? (59.Ta6! und Schwarz kann weder Turmtausch verhindern noch, dass der weisse König dann das Feld a1 erreicht) 59.-Kf6 60.Ta6 

Javakishvili Paehtz move 60

Zu spät! Und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - so kam es am Ende. 60.-Ke6? Hier gewann offenbar nur 60.-Ke7! 61.b6 Tc6 62.b7 Tc4+ - das geht mit schwarzem König auf e6 nicht - 63.Kd3 Tb4 64.Ta7 Kd6 65.Kc3 Tb5 [bitte nicht 65.-Tb6? 66.Ta6! =] usw. - Tablebases sagen, dass das für Schwarz gewonnen ist nachdem der weisse b-Bauer unweigerlich fällt, und zwar ohne Turmtausch. Trivial ist es auch dann nicht unbedingt. 61.b6 - nun muss der weisse Läufer sich um den b-Bauern kümmern. Nicht remis ist hier 61.Txd6+? Kxd6 62.Kd4 a3 63.Kc3 La4!

Javakishvili Paehtz move 61 Variante

Analysediagramm - Der weisse König kommt nicht in die Ecke, sondern muss früher oder später -a2 und -a1D zulassen. Hier konnte Weiss dieses Szenario verhindern, in der nächsten Partie (nächster Artikel, selbe Schwarzspielerin) konnte Schwarz derlei forcieren. Zurück zur Partie:

61.-Ld5+ 62.Ke3 Lc6 63.b7 Lxb7

Javakishvili Paehtz move63

64.Txa4?! - auch das ist eigentlich remis, aber einfacher und forciert war 64.Txd6+ Kxd6 65.Kd3 (65.Kd2 geht auch, aber nicht 65.Kd4?? a3 66.Kc3 Ld5! 67.Kc2 La2!)

Javakishvili Paehtz move 64 Variante

Analysediagramm - auch hier wird der weisse König dann abgedrängt. Richtig wie gesagt 65.Kd3 a3 66.Kc2! = denn der Laufspringerzug 66.-Lb7-d5-a2 ist regelwidrig.

So übten sie noch Turm und Läufer gegen Turm und Schwarz gewann doch noch. Alle Feinheiten will ich nicht besprechen - meistens war es Tablebase-remis, mehrfach für Schwarz gewonnen und dann wieder remis, nach 102 Zügen stand es so:

Javakishvili Paehtz move102

Und nun 103.Td7? (allwissende Tablebases empfehlen Kd1, Kf1 oder Tc8, sonst nichts, und sagen "remis") 103.-Ke3! 104.Txd5?! - so ist es einfach, nach 104.Kd1 oder 104.Te7+ müsste Schwarz noch Technik zeigen, was sie zuvor mehrfach nicht vollenden konnte 104.-Th1#

Javakishvili Paehtz zum Schluss

Dieses Diagramm hatten wir bereits: Matt beendet die Partie - auch wenn es materiell ausgeglichen ist (auch wenn die mattgesetzte Seite eine, zwei oder fünf Mehrfiguren hat).

Zur Partie insgesamt: Es war eine dramatische Blitzpartie ... . Eine andere kurios-vergleichbare aus dem Damenturnier habe ich nicht ganz zufällig entdeckt, wie üblich derlei insgesamt war - dazu habe ich nicht recherchiert. Endspiel Turm und Läufer gegen Turm ist ein Thema für sich - auf hohem Niveau durchaus gängig, empirisch-praktische Gewinnchancen für die stärkere Seite vielleicht 50% (d.h. die Turmseite kann etwa jede zweite Partie remis halten). Selbst hatte ich es, soweit ich mich erinnern kann, noch nie.

Mit doppelter Hilfe von Colin McGourty fand ich dazu ein Interview mit Vladimir Malakhov, u.a.: "In endgames, after all, it’s important not only to know the theory, which you can get from books, but to have intuition, which you can’t learn. It shows up with me, for instance, in the fact that all the “R + B v R” endgames that I’ve had in my life I’ve won as the stronger side, and drawn as the weaker side." [In Endspielen ist es dabei nicht nur wichtig, die Theorie zu kennen - dafür gibt es Bücher. Nein, man braucht auch Intuition, das kann man nicht lernen. Bei mir zeigt es sich zum Beispiel daran, dass ich in meinem Leben 'Turm und Läufer gegen Turm" mit Materialvorteil immer gewann, und mit materiellem Nachteil immer remis hielt.] "Immer" ist im zweiten Fall nachvollziehbar, im ersten Fall erstaunlich!?

Colins doppelte Hilfe: Im September 2010 hatte er das unter Künstlername mishanp aus dem Russischen übersetzt, daran (bzw. an so etwas von "einem" russischen GM, vielleicht Malakhov) erinnerte ich mich dunkel. Im Januar 2018 kam auf Nachfrage eine hilfreiche private email.

So, und das waren genug Aufregungen, Irrungen und Wirrungen für einen Artikel - fast. Im offenen Blitzturnier kopierten zwei Spieler mit (Blitz-)Elo 2800+ bis zu einem gewissen Grad tatsächlich Elisabeth Paehtz, Lela Javakishvili und Marta Michna (soviel verrate ich bereits: Teil zwei der Serie wird Michna-Paehtz 0-1 1/2). Wohl nicht nur ohne Absicht, sondern ohne es überhaupt zu wissen - ihre Partie aus der entscheidenden Turnierphase (Runde 19 von 21), Javakishvili-Paehtz war Runde 5, Michna-Paehtz Runde 11. Ich zeige beide zunächst - Fotos ab Turnierseite über Facebook, sie stammen aus dem Schnellturnier mit auf diese Partie bezogen jeweils der falschen Farbe:

 Aronian

MVL

Die meisten Leser (er)kennen sie wohl - oben Levon Aronian, unten Maxime Vachier-Lagrave. Der Armenier drehte am zweiten Blitztag auf, der Franzose spielte da ab Runde 16 plötzlich nicht mehr Remis - aber insgesamt in dieser Phase 2/5 war noch etwas weniger als 2.5/5.

Zu weiten Strecken der Partie nur soviel: MVL entkorkte 1.b3!?, verschmähte später eine Zugwiederholung, dennoch war es lange ausgeglichen. Ab dem 60. Zug bekam Aronian Oberwasser, später verkündeten Engines mitunter bereits Matt in weniger als 25 Zügen.

MVL Aronian move 86

Auch hier, zuletzt geschah 86.Txa3 Txd4 - Weiss hatte einen Bauern geschlagen, Schwarz einen Springer. Wesentliche Kennzeichen dieser Stellung nun spiegelbildlich zu Javakishvili-Paehtz und auch Michna-Paehtz: Schwarz hat hier einen h-Bauern und dazu den falschen schwarzfeldrigen Läufer. Wenn Tablebases sagen "Schwarz gewinnt", dann kann Schwarz das gewinnen. Livekommentator Miroshnichenko skizzierte die Gewinnmanöver, Aronian hörte zunächst auf ihn (ohne dass er ihn hören konnte). Nach genau 100 Zügen (bzw. mit dem richtigen 101. Zug) konnte MVL allerdings mal Remis forcieren:

MVL Aronian move 100

Das dürfen Leser selbst entdecken, nur ein sachdienlicher Hinweis: Wenn Nigel Short das Sagen hätte, gäbe es diesen Remisweg nicht.

MVL Aronian move 112

Nach 112 Zügen (und nun 112.-Te2) war es Matt in sieben - wie genau dürfen Leser mit (oder ohne) Hilfe von Tablebases erforschen. Aronian spielte stattdessen 112.-Ta3 was nach 113.Kh2 Le3 114.Kxh3 den h-Bauern kostete:

MVL Aronian move 114

Immer noch kein Problem - das ist eine gewonnene Version von Turm und Läufer gegen Turm! Vom 117.-123. Zug war es dann allerdings Tablebase-remis, und dann gewann Aronian doch. Da nach dieser noch zwei Runden gespielt wurden, kann man nicht genau sagen wieviele $ in dieser Partie verteilt wurden - am Ende war Aronian jedenfalls mit 14/21 geteilter Vierter bis Fünfter mit Wang Hao, und MVL teilte mit 13/21 Platz zwölf mit sechs anderen Spielern.

Und nun sage/schreibe ich "Fortsetzung folgt"!

 

 

 

Freitag, 01 Dezember 2017 12:59

Goliath gegen David remis

Die Schlusstellung (Titelbild) suggeriert bereits, dass es eine turbulente Partie war - Schwarz konnte nun das bunte Treiben mit Dauerschach beenden und war damit wohl zufriedener als sein Gegner. Ein paar Hinweise auf das zuvor Geschehene liefere ich vorab. Die Damen wurden früh getauscht - im dreizehnten Zug, objektiv war das aus schwarzer Sicht unglücklich. Viel später (nach 47 Zügen) bekamen beide wieder eine Dame - das gibt es im Schach, im Leben (man heiratet mehrfach) ja auch mitunter. Die weisse Dame konnte sofort wieder vom Brett verschwinden, dann hätte Schwarz gar gewonnen! Eine andere Gewinnchance hatte er direkt zuvor: seinen König aktivieren, was Weiss bereits viel früher und nicht unbedingt absichtlich oder freiwillig tat. Objektive Wahrheit ist, dass Weiss zuvor auch gewinnen konnte - dann gäbe es diesen Artikel eher nicht. Beide hatten mal eine Qualität mehr - das sagt vielleicht wenig über die Qualität der Partie, aber u.a. dadurch war sie (auch unabhängig vom "Goliath gegen David" Motiv) unterhaltsam bzw. spektakulär.

Das Ganze in einem Mannschaftskampf am 7. Oktober in Heerhugowaard - dieser Beitrag war seither geplant, nun isses soweit. Zunächst dokumentiere ich das Gesamtergebnis doppelt:

07-10-2017 Heerhugowaard  -  En Passant 4½ - 3½
1 7838963  Kevin Tan  2187  -  7145039  Co van Heerwaarden  1507 1-0
2 6286907  Piet de Haas  2107  -  8570430  Jon van Dorsten  1436 ½-½
3 8241464  Dennis Keetman  2010  -  7779233  Abe Zijm  1460 1-0
4 6172914  Gerrit van Oostrum  1951  -  8039955  Thomas Richter  1970 1-0
5 7643053  Rob Spaans  1870  -  6435528  Kees de Best  1861 0-1
6 7640798  Johan Wester  1836  -  6244502  Jaap Dros  1918 ½-½
7 8290678  Kasper van der Meulen  1813  -  7698317  Gerard Postma  1710 ½-½
8 8285563  Sandra Keetman  1768  -  7602177  Jaap de Wijk  1659 0-1
   1942    1690  
  wl. Piet Konijn

So steht es hier - drei Namen in meinem Team nicht fett gedruckt, da keine Stammspieler. In den Niederlanden darf man die Brettreihenfolge frei wählen, wir stellten taktisch auf und konnten das nominell im Schnitt klar bessere Team damit fast ärgern. Dass es nicht für einen Mannschaftspunkt reichte lag daran, dass ein gewisser Thomas Richter nach abgelehntem Remisangebot gegen einen nominell ziemlich gleichwertigen Gegner überzog - ich dachte, dass ich unbedingt gewinnen muss (diese Partie nur in vereinsinternen Datenbanken).

20171007 172013

Und so wurde es vor Ort dokumentiert - wir haben also die gegnerische Vorbereitung durchkreuzt: eigenes Team und unsere Stammspieler vorab ausgedruckt, drei Reservisten handschriftlich ergänzt. Offenbar wussten sie, dass unser drittes Gelegenheitsbrett im Golfclub Arie heisst, im Schachverein und für den Schachverband allerdings Abe. Zu den beiden an der besprochenen Partie beteiligten Spielern zeige ich noch Archivfotos:

20170401 135653

Links hinten Piet de Haas beim Mannschaftskampf der letzten Saison auf Texel - damals bekam er einen anderen nominell klar unterlegenen Gegner und gewann glatt. Diesmal haben wir die hier gezeigten eigenen Spieler - Gerard Postma damals gegen Kevin Tan, Jaap de Wijk damals gegen Piet de Haas  - an Brett 7 und 8 aufgestellt. de Haas ist Jahrgang 1952, also durchaus ein erfahrener Spieler. Fotografiert hatte mein Vereinskollege Frans Eijgenraam, ich spielte ja selbst.

Jon van Dorsten 1

Und das (eigenes Handyfoto) ist Jon van Dorsten im Januar im Amateurbereich in Wijk aan Zee. Er ist Jahrgang 1978, hat erst als Erwachsener mit Schach begonnen und macht seither durchaus Fortschritte - mit Elo 1436 ist er wohl etwas unterbewertet.

Ich konnte diese beiden Fotos eventuell mit Photoshop kombinieren. Schwierig allerdings, da eine Stellung aus der nun besprochenen Partie und den dazu gehörenden Hintergrund Cafe de Swan in Heerhugowaard einzubauen. Dieses Cafe kenne ich, Ilja Schneider kennt es auch, Leser dieses Blogs haben vielleicht hier bereits Fotos gesehen. Am 25.11. war ich da zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen zur 50-jährigen Jubiläumsfeier des SV Heerhugowaard. Noch ein bisschen Geplauder bevor ich endlich zur Sache komme: Der Vorsitzende Gerrit van Oostrum (ja, mein Gegner in diesem Mannschaftskampf) erwähnte u.a., dass einige Mitglieder schon seit 1967 dabei sind, dass sie fünf Jahre lang einen Grossmeister hatten (Harmen Jonkman) und trotzdem nie überregional spielten, und dass sie seit 1979 jährlich ein starkes Schnellturnier haben.

Sie haben zwei Kaninchen im Verein - die vermehren sich bekanntlich rapide, aber Piet M Konijn und Piet C Konijn sind nicht miteinander verwandt. Zwei Hasen haben sie auch - Piet de Haas und sein Bruder Maarten de Haas (*1947). Im kleineren und schwächer besetzten Schnellturnier spielte ich, diesmal Nummer zwei der Setzliste, dann nicht gegen Piet de Haas aber immerhin gegen Maarten de Haas. Drei Keetmänner haben sie auch, zwei davon (Maaike, die für einen anderen Verein höherklassig spielt, und Sandra) weiblich, Dennis männlich - auch das sind Geschwister, wohl nicht verwandt mit Karel Keesman oder hat sich da mal jemand vertippt?

Im dritten Mannschaftskampf dieser Saison wollte Heerhugowaard auch mal mit einer anderen Aufstellung antreten statt mit der vom Gegner erwarteten, also haben sie ihre Brettreihenfolge ausgelost - Kevin Tan an eins, aber Piet de Haas an fünf und Dennis Keetman an sieben kam dabei heraus. Und nun wirklich zur Sache:

Piet de Haas (Heerhugowaard, Elo 2107) - Jon van Dorsten (En Passant, Elo 1436)

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 Jon kopiert schon wieder "meine" Eröffnung! Kurz zuvor spielte er in der Vereinsmeisterschaft plötzlich Grünfeld (nicht gegen mich, ich spiele ja 1.e4), und nun Sveshnikov - was ich auch jahrzehntelang spielte, allerdings (es wurde zuviel Wiederholung) seit gut zwei Jahren nicht mehr. Diesmal hatte er es vereinsintern vorab angekündigt, und ich habe ihn ein bisschen vorbereitet - dazu später mehr. 6.Sdb5 d6 7.Lg5 a6 8.Sa3 b5 9.Sd5 Le7 10.Lxf6 (2002 spielte Piet de Haas gegen Elo 1649 hier 10.c3 Sxe4 11.Sxb5 axb5 12.Lxb5 und gewann später - dennoch vermute ich nicht unbedingt Absicht, eher einen Fingerfehler: Lxf6 vergessen) 10.-Lxf6 11.c4 (1984 spielte de Haas hier 11.c3 und darauf war Jon vorbereitet - natürlich immer die Frage, wie "relevant" einzelne Partien vor vielen Jahren sind. Ich informierte Jon, dass 11.c4 hier inzwischen auch 'bekannt' ist - das wurde vielleicht nicht registriert - und dass Schwarz dann 11.-b4 spielt. Laut Datenbanken 20334 Partien mit 11.c3 und nur 4684 mit 11.c4 (Stand kurz nach dieser Partie - das Schachleben geht weiter, derzeit sind es 20364 und 4711). Zu 11.c4 gibt es weniger Theorie, wobei das relativ ist: in seinem 2014 erschienenen Sveshnikov-Buch bespricht GM Kotronias c4 in Kapitel 26-28 und das traditionelle c3 in Kapitel 29-37) 11.-Sd4!?

move 11

Dieses Bauernopfer fand er am Brett! Auch das gab es bereits, allerdings nur 162-mal (wieder Stand nach der Partie, seither wurde es noch zweimal in anderen Ligen gespielt - deutsche Bundesliga und britische 4NCL). Elobeste Schwarzspieler sind Moiseenko, Sutovsky und Kryvoruchko, weiter unten vor allem Damen - fünfmal Muzychuk (einmal Mariya, also viermal Anna), Harika und Paehtz. Spielerinnen mit Elo unter 2600 sind dabei bekannter als vergleichbare Spieler: Roiz kennt man eventuell, da er sich seit 2004 auf Elo über 2600 verbesserte, Shomoev und Sulava kennt man nicht unbedingt, den Fernschachspieler Jueri Siigur erst recht nicht. Nur einer wurde später bekannt: der Georgier Gaioz Nigalidze, der es mal gegen den bereits erwähnten Kotronias spielte. Aber das ist nicht Thema dieses Artikels. Ich habe mir danach noch diverse Partien mit 11.-Sd4 angeschaut: schwarze Kompensation im Stile des Wolga-Gambits mit einer Prise Wodka - oft wilde Stellungen.

12.cxb5 Da5+ (das ist nun fast neu - noch vier Partien, Schwarz hatte Elo 1873-2108 und verlor viermal. Üblicher ist 12.-0-0 [inzwischen vielleicht widerlegt], 12.-Lb7 oder 12.-Le6. Das reicht nun was Vorgeschichte betrifft, die die Spieler wohl ohnehin nicht unbedingt kannten) 13.Dd2 Dxd2+ (siehe erster Absatz) 14.Kxd2 Lg5+ 15.f4 (noch eine Partie mit 15.Kd1, aber 15.f4 ist der Computerzug) 15.-Lxf4+ 16.Kc3 Se6 Hier konnte Schwarz durchaus eine Qualität opfern/anbieten: 16.-axb5 17.Sc7+? Ke7 18.Sxa8? b4+! 19.Kd3 (19.Kxb4 Ld2+ 20.Kc4 La6+ 21.Kd5 Tc8 nebst -Lb7# oder -Tc5# - Stockfish ist sich nicht sicher, welches Matt er bevorzugt, z.B. 22.b3 Lb7# aber 22.h3 Tc5#) 19.-bxa3 20.Sb6 axb2 21.Tb1 Lc1 -+). Stand Schwarz bereits auf Gewinn? Nein, Weiss kann einfach 17.Sxb5 Sxb5 18.Lxb5+ Kd8 19.a4 ± spielen. 17.Sc4 0-0

move 17

Hier ist 18.b6± wohl der Grund, warum 12.-Da5+ selten gespielt wird. Aber es kam 18.Sxd6 axb5 19.Se7+ Kh8 und schon wieder ein Diagramm:

move 19

Weiss kann nun wieder eine Qualität gewinnen, aber beide haben - offenbar richtig - eingeschätzt, dass Schwarz dann ausreichende Kompensation hat: 20.Sxc8 (egal welcher zuerst) 20.-Txc8+ (auch egal welcher zuerst) 21.Sxc8 Txc8+ 22.Kb4 (oder nach 22.Kd3 z.B. 22.-Lc1 droht -Sf4# 23.Ke2 Lxb2 24.Tb1 Ld4) 22.-Sd4=. Immer noch ging hier 20.Lxb5 La6 21.a4±, aber es kam 20.Td1 Sd4 (20.-La6) 21.Lxb5? (Nun musste Weiss wohl mit 21.Sxc8+ Txc8+ 22.Sxc8 Txc8+ 23.Kb4 Tc2 eine Qualität erobern, wobei Schwarz nach wie vor Kompensation hat. Stattdessen opfert/verliert er nun eine Qualität:) 21.-Lg4! (der Se6 hatte ja wieder Platz gemacht) 22.Lc4 Lxd1 23.Txd1 Ta7! (Röntgenverteidigung von f7) 24.Sef5

move 24

Nun nehmen Computer auf h2 und haben viel lieber Schwarz, aber es kam 24.-g6 25.g3! Lg5 (die Staubsauger-Fortsetzung 25.-gxf5 26.gxf4 fxe4 27.fxe5 Sf3 usw. gibt Schwarz vielleicht noch etwas Vorteil, im Gewinnsinne wohl zu wenig) 26.Sxd4 exd4+ 27.Kxd4= Lf6+? (Tempoverlust) 28.e5 Td7 29.Kd5!

move 29

Das ist nun ein Endspiel, in dem der weisse König nicht mehr verwundbar ist, sondern aktiv. 29.-Le7? 30.Kc6 Lxd6? (30.-Ta7 und das Beste hoffen) 31.Kxd7?! (31.exd6! und die weissen Freibauern sind partieentscheidend, Analysediagramme immer in metallisch-grau:)

move 31 Variante

Ein Schachfreund, dem ich die Partie vorab schickte, schrieb "Warum Weiß nicht exd6 statt Kxd7 gespielt hat, erschließt sich mir nicht. Es liegt doch auf der Hand, dass der d-Bauer und die beiden freien a- und b- schnell gewinnen werden?!". Er hat nochmals fast 300 Elopunkte mehr als Piet de Haas und einen Schachtitel - Weiss war wohl froh, dass er die Qualle zurück bekommt. 31.-Lxe5 32.b4

move 32

Wobei man auch hier sagen könnte "der Rest ist Technik". 32.-h5 33.b5 h4 34.gxh4 Lxh2 (ging bereits 12 Züge zuvor, da war es vorteilhaft) 35.Ke7 zunächst dachte ich hier "warum?", aber es konnte zum nach Spielerelo und derzeitiger Stellung "richtigen" Partieergebnis führen 35.-Kg7 36.h5?! (36.Td8! Txd8 37.Kxd8)

move 36 Variante

und dieses Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern ist glatt für Weiss bekommen: Schwarz bekommt zwar den weissen h-Bauern, aber die weissen Freibauern sind, vom König unterstützt, viel gefährlicher. Engines glaube ich das, während einer Partie wäre ich mir auch nicht unbedingt 100% sicher. Aber Weiss spielte ja 36.h5?! und es folgte 36.-gxh5 37.Td2?! (37.Th1 Lg3 38.Txh5+-) 37.-Lg3 38.Tg2 h4

move 38

Hatte Weiss nicht gesehen, dass Schwarz mit dieser Konstruktion seinen Laden beieinander hält? 39.a4?! (nur nach 39.Ld5! hat Weiss offenbar noch Gewinnchancen) 39.-f5?! (39.-Tc8! - Turm aktivieren hier wichtiger als zweiten Freibauern laufen lassen - 40.Ld5 Tc7+ 41.Kd8 Tc3 = u.a. kann nun der schwarze h-Bauer weiter laufen, da er nicht mehr den Lg3 decken muss. Leser denken vielleicht, dass Zeitnot eine Rolle spielte und könnten recht haben - es gibt in dieser Spielklasse allerdings nur eine Zeitkontrolle für die gesamte Partie: 1h40min plus 10 Sekunden Inkrement ab dem ersten Zug. Wie knapp die Bedenkzeit hier bereits beiderseits war weiss ich nicht - später wurde sie jedenfalls knapp und dabei blieb es bis Partieende.) 40.a5 (wieder 40.Ld5!) f4 41.b6 f3 42.Tg1 Tc8 43.a6??!

move 43

Sicher mit Idee gespielt - Weiss war davon überzeugt, dass nun ein Freibauer (und zwar ein weisser) durchlaufen wird. Das stimmt wohl auch, aber Schwarz hat auch Freibauern. 43.-Txc4 44.a7 Ta4 45.Kd7 f2 46.Tb1 Tb4?!

move 46

Ausrufezeichen für den Showeffekt, Fragezeichen für den objektiven Wert dieses Zuges. Hier ging stattdessen 46.-Kg6 47.Kc6 h3 48.Kb7 h2 49.a8D Txa8 50.Kxa8 Kg5 51.b7 Kg4 52.b8D Lxb8 53.Kxb8 Kf3

move 46 Variante

Weiss hat in der Partie zweimal geheiratet (die erste Dame bekommen ja beide, ohne sich darum zu bemühen) und wurde jeweils sofort Witwer - dieses Schicksal erwartet nun Schwarz, aber die zweite Ehe ist dann glücklich bis zum Ende der Partie.

Nach 46.-Tb4 kam 47.Txb4? (47.Ta1 Ta4 48.Txa4 f1D 49.a8D)

move 47 Variante

Unterschied zur Partie ist, dass der weisse Ta4 die Da8 deckt - wenn Schwarz nicht sofort Dauerschach gibt, kann Weiss wieder Gewinnversuche unternehmen. 47.-f1D 48.a8D?? Logisch, aber es sollte verlieren! Letzte (Remis-)Chance für Weiss war 48.Tg4+ Kf6 49.Txg3! Dh1 (nach 49.-hxg3 50.a8D g2 hat Weiss Dauerschach) 50.Tc3! Db7+ 51.Tc7 Dd5+ 52.Kc8 Da8+ 53.Kd7 h3 54.Tc6+

move 48 Variante

Kann Schwarz das gewinnen? In der Partie konnte er forciert gewinnen, aber nach 48.a8D??

move 48

(hatten wir bereits als Analysediagramm, mit dem einerseits kleinen andererseits grossen Unterschied weisser Turm auf a4) kam 48.-Dh3+?? - 48.-Df5+ 49.Ke7 Df7+ 50.Kd8 Df8+ 51.Kd7 Dxa8 -+ war, wenn man es sieht, einfach! 48.-Df7+ 49.Kc8 Df8+ 50.Kb7 Dxb4 (Turm- statt Damengewinn) ging eventuell auch, ist allerdings danach noch technisch kompliziert. 49.Ke7?! (nach 49.Kd8 De6 50.Da1+ kann Weiss wieder auf Gewinn spielen!) 49.-Df5 (Zeitnot, also in zwei "kurzen" Zügen von f1 nach f5 - hier der einzige Remiszug) 50.De4 (nach 50.Da1+ ist 50.-Kg8! der einzige Remiszug, aber Weiss kann dann noch weiterspielen. So kam hier Dauerschach:) 50.-Df6+ 51.Kd7 Dd6+ 52.Ke8 Df8+ 53.Kd7 Dd6+ 54.Ke8 Df8+

Schlusstellung

Dieses Diagramm hatten wir bereits. Im 52. oder 54. Zug konnte sich Weiss auch Kc8 Db8+ zeigen lassen, aber auch das ist (Teil von) Dauerschach.

Wie immer die gesamte Partie auch zum Durchklicken. Eventuell bot es sich an, im Artikel nur die Diagramme zu überfliegen - aber ich setze den Link bewusst erst am Ende.

Fazit: Wie hat David gegen Goliath eher eine Chance? Mit Komplikationen oder wenn er eher passiv abwartet, dann hat der Gegner eine "Bringschuld"? Man kann natürlich auch "so wie immer" spielen ... . Bei allem Respekt für meinen Teamkollegen wundert es mich durchaus, dass der nominell klar überlegene Gegner den Sack nicht zumachen konnte. Elo gewinnt dabei nicht automatisch, und auch eine Gewinnstellung muss man (egal op Computer +3, +10 oder +50 sagen oder am Horizont bereits ein Matt sehen) noch gewinnen. Letzteres gilt dabei für beide Spieler.

Sonntag, 12 November 2017 21:26

Drei Springerendspiele

Das Schöne am Schach ist, dass für alle dieselben Regeln gelten. Es wäre auch unfair, wenn man erst ab Elo 2000 rochieren dürfte, dann müsste ich - mal darüber, mal darunter - ständig an meinem Eröffnungsrepertoire arbeiten. Wenn es Rochaderecht nur für FMs oder besser gäbe, hätte ich dieses Problem nicht (braucht Olaf Steffens in diesem Fall und dafür eigentlich den FM-Titel?).

Ebenso gilt "gleiches Recht für alle" für andere Regeln, z.B. "der Randbauer ist der grösste Feind des Springers". Das steht nun nicht im FIDE-Handbuch, allerdings wohl in einigen Lehrbüchern und ansonsten kann man es aus eigener Erfahrung lernen. Nun auch - falls es nicht schon einmal erwähnt wurde - hier auf diesem Schachblog. Gelernt haben es - falls sie es noch nicht wussten - im Januar 2016 ein titelloser Spieler sowie gestern (Samstag) in der Bundesliga ein IM und ein GM.

Thema heute sind drei Springerendspiele, wobei ich nur eines ausführlich bespreche. Das stammt aus unserem Mannschaftskampf im Januar 2016 - die Partien habe ich mir gerade nochmals angeschaut, da wir nächstes Wochenende auf denselben Gegner treffen.

Peter van Schee (Groene Zes, Elo 1895) - Gerard Postma (En Passant Texel, damals elolos)

Ich überspringe Eröffnung und Mittelspiel, nach 36.Sxb6 Sxb6 stand es so:

van Schee Postma move 36

Wie ist dieses Springerendspiel zu beurteilen? Beide haben eine suboptimale Bauernstruktur am Damenflügel, Weiss hat die aktiveren Figuren. Es folgte 37.Sc4 und schon gibt es die erste Variante. Wie ist das Bauernendspiel einzuschätzen? 37.-Sxc4 38.Kxc4 (nach 38.bxc4 natürlich remis) 38.-f5! 39.Kc5 g5! 40.exf5 (40.hxg5?? f4! 41.exf4 h4 -+) 40.-gxh4 41.gxh4 Ke7 42.Kxc6 Kf6

van Schee Postma Analyse 0

 Analysediagramme immer in grau - nicht weil sie weniger interessant sind als Partiestellungen, aber um es abzuheben. Das musste man sehen und richtig beurteilen, eigentlich auch noch wie es weitergeht: 43.Kb7 Kxf5 44.b4 Kf4 45.Kxa6 Kxf3 46.b5 e4 47.b6 e3 48.b7 e2 49.b8D e1D und nun wird entweder b2 oder h4 fallen und das Damenendspiel ist remis. Übergänge in andere Endspiele sind immer möglich. So kam es allerdings nicht, sonst gäbe es diesen Artikel nicht.

Stattdessen geschah 37.-Sd7 38.Sa5 Sb8. Die weissen Bauernschwächen sind nun irrelevant. Warum sagte ich eigentlich "der Randbauer ist der grösste Feind des Springers"? Dazu komme ich noch, bzw. das wird in der Partie ein Thema. 39. Kc4 Ke7 40. f4?! - Weiss sollte am Königsflügel nichts tun! Richtig war 40.Kc5 f5 41. Sxc6+ Sxc6 42. Kxc6 Ke6 (42.-g5 43. hxg5 f4 44. gxf4 exf4 45. g6 h4 46. g7 Kf7 47. e5 h3 48. e6+ Kxg7 49. e7 h2 50. e8D h1D 51. De5+ Kh7 52. Dxf4 mit jedenfalls klar besserem Damenendspiel)

van Schee Postma Analyse 1

43.exf5+! gxf5 44.Kc5! e4 45.Kd4! Hier breche ich mal ab, sage dass das Bauernendspiel für Weiss gewonnen ist und dass die letzten drei Züge ein Ausrufezeichen bekamen, da in diesem Sinne die einzigen.

Zurück zur Partie: 40.f4?! 40.-f6 41.Kc5? Kd7? (41.-exf4! 42.gxf4 g5!) 42.Kb6? (42.fxe5 fxe5 43.Nc4 Ke6 44.b4 Zugzwang und Bauerngewinn) und ab hier läuft es besser für meinen Teamkollegen: 42.-exf4 43.gxf4 g5!

van Schee Postma move 43

44.fxg5 fxg5 45.hxg5 Ke6 und schon hat Schwarz einen h-Freibauern! Hier eine lange verzweigte Variante, nichts davon kam aufs Brett: 46.Kc7 h4 47.g6 Sd7 (47.-Kf6?

van Schee Postma Analyse 2

48.e5+!! Kxg6 49.e6 Kf6 50.Kd6 h3 51.e7 Kf7 52.Sb7!! [Zwei Ausrufezeichen nicht unbedingt dafür, dass Weiss es nun sieht - aber dafür dass er es bei 48.e5+ gesehen hatte] 52.-h2 53.Sd8+ Ke8 54.Se6 h1D 55.Sc7+ Kf7 56.e8D+ Kf6 57.Dxb8 - Dame und Springer gegen Dame sollte gewonnen sein, da Weiss ja auch noch Bauern hat.)

Zurück zu 47.g6 Sd7 48.Sxc6 h3 49.e5 Sf6!

van Schee Postma Analyse 3

Desperado! Allerdings geht auch 49.-Sxe5 50. Sxe5 Kxe5 51. g7 h2 52. g8D h1D 53. Dg5+ Kd4 54. Dd2+ Ke4 55. De2+ Kd5 56. Dxa6 Dc1+ 57. Kb7 Dxb2 58. Dc4+ Ke5! (58.-Kd6? 59. b4 +-) 59. b4 Kf5!

van Schee Postma Analyse 4

Denn das ist, wenn Schwarz auch weiterhin Tablebases kennt, remis - 58.-Ke5 und (ohne gegnerische Aufforderung) 59.-Kf5 war dafür nötig. Aber Damenendspiele sprengt nun den Rahmen dieses Beitrags, und aus schwarzer Sicht musste es nicht sein.

Zurück zu 49.-Sf6! 50.exf6 Kxf6 51.Se5! Kg7! 52.Sg4 Kxg6 53.Kb6 Kg5 54.Sh2 Kf4 55.Kxa6 Kg3 56.Sf1+ Kg2 57.Se3+ Kf3 58.Sf1 Kg2

van Schee Postma Analyse 5

Mehrbauer und Mehrfigur nützt Weiss nichts, es ist remis. In der Partie konnte er allerdings weniger bekommen, zuerst nochmal die Partiestellung nach 45.-Ke6:

van Schee Postma move 45

Es folgte 46.Sc4 h4 47.Se3 h3 48.Sg4?! (besser 48.Sf1, da Schwarz dann länger braucht, um diesen Springer anzugreifen) 48.-Sd7+ 49.Kxa6 (dieser Bauer ist unwichtig, der auf c6 natürlich vergiftet - 49.Kxc6?? Se5+, auch ein Springer kann Opfer einer Springergabel werden! Besser war allerdings 49.Kc7) 49.-Se5 50.Sh2?! (50.Sf2 h2 51.Kb6 Kf7 52.Kc7 Kg6 53.Kd6 Sf7+ 54.Kxc6 Kxg5 55.b4 Kf4 56.b5 Kf3 57.Sh1 Kg2 58.b6 Kxh1 59.Kc7 Kg1 60.b7 h1D 61.b8D ist remis, beiderseits am einfachsten nach 61.Dxe4 62.Dg8+ Kh1 63.Dxf7 De5+ 64.Kc6 Dxb2) 50.-Kf7 51.Kb7?

van Schee Postma move 51

Das war nun eigentlich ein Tempoverlust zu viel, immer noch remis war (mit König auf a6) 51.b4 Kg6 52.b5 cxb5 53.Kxb5 Kxg5 54.b4 Kf4 55.Kb6 Kg3 56.b5 Kxh2 57.Kc7 Sc4 58.e5! Sxe5 59.b6 Sd3 60.Kc6!

van Schee Postma Analyse 6

Aber zum Schluss nicht (statt 60.Kc6) 60.b7?? Sc5 61.b8D Sa6+

Zurück zur Partie: 51.-Kg6 52.b4 Kxg5 53.Kc7 Kf4 54.Kb6 Kxe4 (Diesen Bauern kann Schwarz sicherheitshalber verhaften, musste allerdings nicht sein: 54.-Kg3 55.Sf1+ Kf2 56.Sh2 Kg2 -+) 55.b5 cxb5 56.Kxb5

van Schee Postma move 56

Nun war 56.-Ke3, 56.-Kf4 oder 56.-Sf3 am einfachsten, 56.-Sd3 verdarb noch nichts, erst nach 57.b3 Kd4? war der Sieg dahin. Ein paar Züge wurden noch gespielt, allerdings in beiderseitiger Zeitnot nicht mehr notiert. Wir brauchten auch nicht unbedingt einen Sieg, Stand im Mannschaftskampf zuvor 4-3 für uns.

Alles gibt es hier zum Durchklicken, und auch die beiden Bonuspartien aus der Bundesliga zu denen ich mich kürzer fasse:

GM Naumann (2563) - IM Thiede (2411) 1-0

Das ist der Anfang des Springerendspiels nach 47.-Txd1 48.Sxd1

Naumann Thiede move 48

Weiss hat den etwas aktiveren König und die bessere Bauernstruktur am Damenflügel. Stand im Match Solingen-Berlin 3,5-3,5 (u.a. wegen IM Baldauf - GM van Wely 1-0), Naumann musste also gewinnen. Später drohte (mit weissen Bauern auf g4 und h5, Springer auf f5 und schwarzem Springer auf e6) eventuell mal Sxg7! Sxg7 g5! hxg5 h6 +- aber die Entscheidung fiel am Damenflügel, das ist die Schlusstellung nach 76.b5+:

Naumann Thiede move 76 final

Ich kann nicht beurteilen (auch nicht mit Computerhilfe, natürlich hat Stockfish bei diesem Beitrag geholfen), wo Schwarz den entscheidenden Fehler machte - vielleicht war es von Anfang an zumindest sehr schwierig, jedenfalls auf Dauer: Geradlinig war Naumanns Gewinnführung nicht unbedingt, er versuchte eben dies und das und jenes und war am Ende erfolgreich. Viel früher in der Partie - einzige Variante die ich hier zeige - konnte Schwarz wohl unter Bauernopfer ausgleichen, da hatten beide neben Springern auch noch zwei Türme.

GM Kindermann (2502) - GM Adams (2727) 0-1

Das musste aus Mannschaftssicht nicht unbedingt sein, Baden-Baden hatte bereits zuvor gegen MSA Zugzwang mehr als vier Brettpunkte, aber Mickey Adams interessiert eben auch seine eigene Elozahl. Hier mehr als zwei Diagramme, da relativ klar ist, wo Weiss den entscheidenden Fehler machte. So stand es nach 48.Lxb3 axb3 - auch dieses Endspiel also ab dem 48. Zug:

Kindermann Adams move 48

Da steht Schwarz zwar besser, aber musste er einen h-Freibauern bekommen? Wohl eher nicht, so stand es nach 53.-Kc8:

Kindermann Adams move 53

Hier kam 54.Ke2? g4 55.hxg4 Sxg4 -+. Springerschach und wieder zurück war möglich, 54.Sb2 war möglich, 54.Kg2 ging, sogar 54.Ke3 - kurze Anmerkungen nur was den Unterschied zwischen 54.Ke3 und 54.Ke2? betrifft. Wenig später stand es dann so (nach 61.Kxh2 Kxc6):

Kindermann Adams move 61

Nun ist der weisse König auf gut österreichisch (Stefan Kindermann ist ja Schach-Österreicher) a bisserl langsam - mit König auf g2 (allerdings nicht g1) oder noch näher dran am schwarzen b-Freibauern wäre es Tablebase-remis. Am Ende stand es so:

Kindermann Adams move 70 final

Weiss am Zug gab auf.

 

 

 

Aus gut informierten Kreisen habe ich erfahren, dass eine Rückkehr des Schachbloggers Ilja Schneider offenbar ausgeschlossen ist. Einmalig berichte ich nun über sein Turnier, bzw. nebenbei oder vor allem über mein Turnier. Beim Nico Dekker Chrysantentoernooi in Heerhugowaard bei Alkmaar gab es Blumen für alle - der Sponsor kommt aus dieser Branche. Preisgeld natürlich nicht für alle - Ilja S. rechnete wohl damit, Thomas R. absolut nicht. Letzterer profitierte davon, dass er der schlechtere Schachspieler ist - auch wenn der definitive Beweis nicht zustande kam: bei 7 Runden Schweizer System und 34 Teilnehmern gab es kein direktes Duell.

Ein Vereinskollege hatte vorgeschlagen, dass Heerhugowaard eine Reise wert ist - Achtkampf gegen etwa gleichwertige Gegner für Spieler mit Elo unter 1800, Schweizer System in der Hauptgruppe mit GMs und IMs für Elo >1900, Elo 1800-1900 konnte wählen (Deutschland gestern ja auch, aber das ist nicht Thema dieses Artikels). Ich zögerte zunächst, u.a. da Fähre um 8:00, also Treffpunkt 7:30, also Wecker klingelt um 6:30 für mich jedenfalls am Wochenende ziemlich früh ist. Aber dann habe ich doch beschlossen, zum ersten Mal seit vielen Jahren ein relativ starkes Schnellturnier zu spielen - generell spiele ich sonst nur vereinsintern, Mannschaftskämpfe und ein bisschen im Internet. Einige frühere Auflagen des Crysantenturniers waren noch stärker besetzt, z.B. waren letztes Jahr auch Ivan Sokolov, Benjamin Bok (beide spielen nun auf der Isle of Man) und Vladimir überall Epishin dabei - diesmal immerhin fünf GMs und vier IMs.

Das Teilnehmerfeld war vorab bekannt und änderte sich dann mehrfach. Gewissenhaft oder auch neugierig wie ich bin, hatte ich mich auf diverse mögliche Gegner der ersten Runde vorbereitet. Zwei Spieler aus meinem Netzwerk (Elo 1710 und 2391) nannten das Unsinn, aber ich wollte - wenn möglich - jedenfalls die Eröffnung überleben. Hohe Erwartungen hatte ich als Nummer 27 der Setzliste nicht - angesichts zuvor schlechter Form und wenig Spielpraxis bzw. Turniererfahrung rechnete ich durchaus mit 0/7. Mögliche Gegner in der ersten Runde waren, der Reihe nach: 1) FM Jasel Lopez - Jahrgang 1994, spielt für Aruba aber wohnt offenbar im europäischen Teil der Niederlande. Datenbank-Urteil bzw. meine Interpretation: unternehmungslustig. 2) FM Sybolt Strating, Jahrgang 1970, extrem solide. 3) Mariska de Mie - bei Frauen verrät man das Alter nicht. Datenbank-Urteil "unklar" da kaum neuere Partien (dazu später mehr). Nachdem sich weitere mir bekannte Spieler anmeldeten (Manuel Bosboom, Harmen Jonkman, Yochanan Afek) wurde es Freitagabend vor dem Turnier am Samstag 4) IM Piet Peelen, den hatte ich bereits mal "durchleuchtet". Und dann kam es doch anders.

Anreise wie gesagt mit Fähre um 8:00 - die Fähre geht stündlich, damit sind wir oft mal sehr früh am Ziel aber eben weniger als 60 Minuten zu früh. Anwesenheitskontrolle war um 9:45, um 9:15 war noch kaum jemand da. Vorteil war, dass wir einen Parkplatz direkt hinter dem Cafe de Swan bekamen - die sind begrenzt, andere Parkplätze ca. fünf Minuten Fussweg entfernt. Auf der Hinreise kein Problem, auf der Heimreise eventuell der Unterschied zwischen Fähre erwischen und knapp verpassen. Noch leicht schlaftrunken dachte ich "warum spielen wir eigentlich nicht in Cafe de Zwaan?" - das ist auf Texel, für mich zwei Minuten zu Fuss. Drinnen gab ein junger Herr einer jungen Dame Eröffnungstips, und zwar auf Deutsch - aha, das ist Ilja Schneider (ich wusste auch ungefähr, wie er aussieht) mit Freundin. Wieviel davon Olga Ivanova (Elo 1298) dann in ihrem Achtkampf anwenden konnte, dazu habe ich nicht recherchiert - war dann ja auch mit meinen eigenen Partien beschäftigt. Nach und nach kamen andere Spieler, einige (er)kannte ich, z.B. Piet Peelen, Harmen Jonkman mit seinen beiden Töchtern und Yochanan Afek. Ich schüttelte Afeks Hand da ich ihm zuvor schon mehrfach in Wijk aan Zee und anderswo begegnete - noch wusste ich nicht, dass ich ihm später innerhalb (auch für Schnellschach) relativ weniger Minuten noch zweimal die Hand schütteln sollte. Mariska de Mie verbreitete gute Laune - "derlei Turniere sind immer sehr gezellig !"Das kann man nicht direkt aus dem Niederländischen übersetzen - nett, gemütlich, sozial, ... usw. ?

Ilja Schneider sprach ich auch und meinte "ich schreibe hinterher vielleicht über das Turnier, Du vermutlich nicht?!". "Nee, keine Zeit, ich bin ja berufstätig. Derlei Turniere sind für mich Urlaub. Morgen schauen wir uns noch Alkmaar an, wo ist eigentlich ein schöner Strand hier in der Nähe?" Texel war ihm zu weit weg, ansonsten sind Strände in der Provinz Noord-Holland überall ähnlich - es sei denn, ein Schiff landet auf dem Trockenen (gab es mal auf Texel und mal in Wijk aan Zee) oder ein Walfisch wird angespült (gab es mehrfach auf Texel, zuletzt vor einigen Tagen). Mariska de Mie, ursprünglich aus Zaandam bei Amsterdam, hatte dann noch konkretere Tips. Dann stellte sich heraus, dass ein vorangemeldeter IM doch nicht mitspielte: erst Freitag abends fiel ihm auf, dass die Anreise für ihn 2 1/2 Stunden dauert, das war ihm zu viel bzw. zu früh. Wieder war meine Vorbereitung hinfällig, bzw. Teil 2-4) war hinfällig. Manuel Bosboom erschien pünktlich zur ersten Runde, keine Minute zu früh - offenbar kam er mit dem Fahrrad aus Zaandam (nach Heerhugowaard ca. 35km - Schach ist Sport!). Mein Turnier vorab zusammengefasst: Ich erzielte 2/2 gegen mir bekannte Gegner, und noch drei Remisen gegen mir unbekannte die durchaus auch Schach spielen können - insgesamt deutlich mehr als 0/7. Bzw. einen weiteren Gegner kannte ich durchaus, aber zuvor nicht als Schachspieler. Nun zunächst zu meinen Partien.

Runde 1 Richter (1970) - FM Lopez (2303) 1/2 - also doch Jasel Lopez. Meine konkretere Vorbereitung bestand aus "er spielt Französisch", so kam es dann auch. Er griff am Damenflügel an, ich am Königsflügel. In (mir) unklarer Stellung hatte ich Dauerschach - bzw. er konnte abweichen aber dann stünde er sicher schlechter. Darauf spekulierte ich ein bisschen, aber er war (nun) mit Remis zufrieden und ich auch. 0/7 hatte sich bereits erledigt.

Runde 2 Hans Groffen (2102) - Richter 1-0 - ein Eröffnungsdebakel, kann passieren wenn man Grünfeld spielt und nicht Vachier-Lagrave oder Svidler heisst. Danach zwei mir bekannte Gegner:

Runde 3 Richter - Marc Helder (2044) 1-0. Marc Helder ist in Noord-Holland bekannt wie ein bunter Hund, auch wenn er oft in Schwarz gekleidet ist - so auch auf diesem Foto (von Alina l'Ami):

Marc Helder AKA Herman Brood

Der ausrichtende Verein hat auf seiner Homepage noch keine Fotos - kommt offenbar demnächst aber ich bemühe mein eigenes Archiv. Dieses Foto stammt aus dem Amateurbereich in Wijk aan Zee anno 2016. Vor der Partie meinte Marc, dass er früh aufstehen musste. Gemeint war 8:30 - generell nicht sooo früh, aber tags zuvor dauerte der Vereinsabend bzw. die Vereinsnacht für ihn bis 6:00. Auch er spielte dann Französisch - das wusste ich und auch, dass es dann chaotisch wird, diesmal mit dem besseren Ende für mich.

Runde 4 Enrico van Egmond (2114) - Richter 0-1. In der Eröffnung kam mir ein Bauer abhanden - da ich dafür immerhin das Läuferpaar bekam und seine Königsstellung etwas schwächen konnte, kann man es als Opfer bezeichnen. Korrekt war es wohl nicht, aber ich konnte wühlen. Irgendwann das Läufermanöver -Le6xa2-b1-c2-d1xf3. Wenn das so geplant war, wäre es genial - aber ich versuchte eher, jedesmal einen guten oder zumindest nicht schlechten Zug zu spielen, mit dem er nicht unbedingt rechnete. Seine Bedenkzeit war bereits knapp, später überschritt er ebendiese - in inzwischen wohl ohnehin für ihn verlorener Stellung. Danach meinte er "da bist Du gut weggekommen, Thomas" - mag sein, so ist Schnellschach mitunter. Nun war ich voll im Rennen um den Ratingpreis Elo unter 2050, was die restlichen Partien vielleicht etwas beeinflusste.

Runde 5 Richter - Richard Schelvis (2078) 1/2. Meine experimentelle Eröffnung (was genau verrate ich nicht, zukünftige Gegner lesen ja vielleicht mit) funktionierte diesmal ziemlich gut - zuvor im Internet-Blitz generell eher nicht. Einmal konnte er mich auch überraschen, aber das war nicht fatal. Jedenfalls gefühlt stand ich klar besser, aber er konnte diverse taktische Drohungen parieren. Dann sah ich nicht, wie es weitergeht und bot remis - ich befürchtete ein bisschen, dass ich irgendwann (mangels korrekter Opfer) inkorrekt opfern würde.

Runde 6 Colin Stolwijk (2240) - Richter 1/2. Ich spielte quasi doch gegen Piet Peelen, oder etwa gegen Vishy Anand? Beide spielen gerne mit Springerpaar gegen Läuferpaar, und wir hatten irgendwann diese Stellung:

Stolwijk Richter

Wer steht besser? Mein einer Läufer ist auf e8 nicht allzu aktiv, der andere steht auf e5 schön aber - da ungedeckt - etwas anfällig. Springer sind trickreich, ständig drohen Gabeln oder andere Motive - hier z.B. keinesfalls -Tc8 spielen. Computer sagen dazu "ausgeglichen". Nach "gefühlt" insgesamt 60-80 Zügen (mitgeschrieben haben wir ja nicht) ergab sich ein Endspiel mit für ihn Springer und a-Bauer, und für mich schwarzfeldrigem Läufer. Beide Könige hatten zuvor am Königsflügel aufgeräumt und rannten dann so schnell es ging zum Damenflügel, es wurde remis.

Der 19-jährige Colin Stolwijk spielte früher für Heerhugowaard, nun höherklassig für Amstelveen (quasi Vorort von Amsterdam). Dass er Schach spielen kann, zeigte er (falls die Elozahl kein ausreichender Beweis ist) mit einem Sieg in der Schlussrunde gegen GM Ikonnikov.

Runde 7 Richter - IM Afek (2278) 0-1. Vor der Partie sagte ich "taktisch", dass ich für den Ratingpreis noch einen halben Punkt brauche - gemeint war "ich werde Remis zwar nicht anbieten, aber jederzeit akzeptieren". Auf Niederländisch, und das hat er vielleicht nicht verstanden (sonst reden ich und andere mit ihm Englisch - jedenfalls wenn sie Hebräisch nicht beherrschen). Oder er wollte unbedingt gewinnen, da er mit einem Sieg noch etwas "reguläres" Preisgeld bekommen sollte. Zuerst wird er "fotografiert":

Yochanan Afek Groningen 2012

Dieses Foto stammt aus Groningen 2012 - seither hat er sich äusserlich kaum verändert, ein paar Kilo mehr oder weniger fallen nicht unbedingt auf. Bekannt ist er weniger als Schachspieler, diverse andere Rollen hatte ich hier erwähnt und gewürdigt.

Zur Partie: Ich verwechselte in der Eröffnung die Züge - nach 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 g6 5.c4 Lg7 6.Le3 Sf6 7.Sc3 0-0 spielt Weiss Dd2, Le2 und f3 - das wusste ich, aber in welcher Reihenfolge? 8.Dd2?! hatte den Vorteil, dass er nun erstmals nachdachte, und den Nachteil dass ich nach 8.-Sg4 bereits Probleme habe. So wurde es nicht remis sondern ging rapide bergab - später hatte ich mit drei Minusbauern genug gesehen.

Zusammenfassend zu meinen Partien: Ich hatte durchaus etwas Glück, das braucht man im Schnellschach? Generell spielte ich schnell aber nicht zu schnell, kämpfte, verteidigte wenn nötig und nutzte die Chancen die ich bekam.

Wenn meine eigenen Partien schnell beendet waren - vor allem Runde 2 und 7 - kibitizte ich ein bisschen bei meinen Vereinskollegen, aber vor allem bei den Spitzenbrettern der Hauptgruppe. Das bekommt man nur fragmentarisch mit, einige Momente: Ilja Schneider habe ich nur in Runde 2 gegen Mariska de Mie mitbekommen, Diagramm aus dem Gedächtnis (alle Details stimmen nicht unbedingt):

Schneider de Mie

Weiss steht ohnehin gut (ich bin mir relativ sicher, dass er einen Mehrbauern hatte), ausserdem steht der schwarze Le5 etwas anfällig. Sofort Txe5 Kxe5 Ld4+ bringt nichts, wie ging es weiter? 1.b3 Txc3, und nun? Ich sah es nicht, sie vielleicht auch nicht: 2.f4! und nach vielleicht einer Minute gab Schwarz auf - egal was sie nun spielt, es kostet Material.

In derselben Runde gewann Piet Peelen (2319) überraschend gegen den Elofavoriten GM van den Doel (2585). Der Anfang vom Ende war ein "verbotenes" Schachgebot: Der schwarze König stand auf f6, Df5+ (auf diesem Feld gedeckt) ging trotz schwarzem Bauern auf e6 - wegen fesselndem weissem Tc6. Danach noch zwei Damenschachs, und zwar die richtigen, und Schwarz gab auf. Zuvor war die Partie lange "unklar" - soweit ich es mitbekommen hatte und soweit ich es beurteilen kann. In derselben Runde musste GM Ikonnikov sich gegen FM Strating mit Remis begnügen - G ist eigentlich mehr wert als F, und 2533 mehr als 2297, aber nicht in jeder einzelnen Partie. Was Ikonnikov betrifft ja auch in der Schlussrunde, aber das hatte ich nicht mitbekommen. Das waren bereits leichte Vorentscheidungen, wer das Turnier am Ende nicht gewinnen sollte.

In einer Runde verlor Mariska de Mie vorübergehend ihre gute Laune: in einem Damenendspiel mit zwei Mehrbauern überschritt sie beim Versuch, gegnerisches Dauerschach zu verhindern, die Bedenkzeit - auch das ist Schnellschach. Bei Manuel Bosboom öfters Chaos auf dem Brett, einmal ging es gegen einen nominell unterlegenen Spieler offenbar schief - das Ende hatte ich nicht mitbekommen.

Dann noch die (halbe) Entscheidung in der Schlussrunde. GM Pruijssers hatte gegen GM van den Doel einen nicht leicht zu verwertenden Mehrbauern. Er hatte irgendwann noch etwa drei Minuten, sein Gegner noch ungefähr 30 Sekunden (jeweils plus 5 Sekunden Inkrement). Er überlegte ca. 2 1/2 Minuten, dann ging es in hohem Tempo weiter und er konnte zu einem gewonnenen Bauernendspiel abwickeln. In einer ähnlichen Situation war Pruijssers bereits in Runde 1 gegen (den bereits erwähnten) Richard Schelvis - Mehrbauer, aber wie geht es weiter? Er fand, eventuell mit etwas gegnerischer Hilfe, den Dosenöffner und meinte direkt nach der Partie "war nicht einfach, da durch zu kommen".

Pruijssers Limburg Open 2017

Zu Roeland Pruijssers ein Archivfoto vom Limburg Open 2017, von Ilja Schneider habe ich keines. Das war der Endstand: GM Pruijssers und IM Schneider 6/7, GM Dgebuadze und IM Peelen 5.5, GM van den Doel, GM Jonkman, Stolwijk, de Roda Husman (Freund von Mariska de Mie, das war offensichtlich) und IM Afek 4.5, usw. - komplett hier. 3,5/7 hatte neben GM Ikonnikov, IM Bosboom und FM de Ruiter u.a. auch Thomas Richter - natürlich spielten wir unterschiedliche Turniere. Noch ein nacktes Faktum: Schneider und Pruijssers remisierten gegeneinander, Schneider ausserdem gegen Dgebuadze, Pruijssers ausserdem gegen Ikonnikov.

Erwähnenswert vielleicht noch, dass es - jedenfalls soweit ich es mitbekommen habe - keinen Streitfall gab, alles verlief freundschaftlich. Wenn Figuren mal umgekegelt wurden, dann wurden sie auf Kosten der eigenen Bedenkzeit wieder aufgestellt - fünf Sekunden Inkrement reicht dabei, um totales Chaos zu vermeiden. Anfangs gab es dazu übrigens 18 Minuten.

Nach dem Turnier sagte Mariska de Mie, dass sie zusammen mit Juan de Roda Husman viele Turniere in Deutschland spielt - "da sind wir vielleicht das bekannteste Schachpaar". Er ergänzte: "In Deutschland treffen wir auf unbekannte Gegner - interessanter als z.B. Spa (Science Park Amsterdam Open), das ist quasi eine erweiterte Vereinsmeisterschaft von Caissa Amsterdam." Turniere in Deutschland, das wusste ich da Teil meiner (dann unnötigen) Vorbereitung - Korbach, Paderborn, Bad Zwischenahn, .... . In Deutschland gibt es ja auch jedenfalls Melanie und Nikolas Lubbe, aber die spielen wohl andere (gemeinsame) Turniere.

Früher war Mariska de Mie mal Jungtalent, mein Vereinskollege (der ältere von beiden auf dem letzten Foto unten) sagte: "Ich hätte sie nun nicht erkannt - ich kannte sie als junges Mädchen, damals hatte ihre Mutter auf einem Barhocker sitzend das Geschehen 'streng' beobachtet." Dann spielte sie viele Jahre gar kein Turnierschach - Korbach im Herbst 2016 war das erste Turnier mit klassischer Bedenkzeit. In der ersten Runde traf sie da auf einen Spieler aus meinem südhessischen Heimatverein SC Gross-Zimmern - jedenfalls früher spielte er für diesen Verein. Schachlich ist er von Gross-Zimmern nach Darmstadt und Rossdorf umgezogen - alles im Umkreis von 10km - während ich insgesamt fünf Vereine in drei Ländern hatte.

Dann die Preisausreichung, nochmals hatte ich Glück: Der Ratingpreis <2250 wurde zwischen Stolwijk und de Roda Husman geteilt, dann hiess es "Vier Spieler mit Elo unter 2050 waren punktgleich. Da bliebe zu wenig übrig, also bekommt ihn der Spieler mit der besten Wertung - Thomas Richter." Etwas voreingenommen bin ich ja, aber es war durchaus nachvollziehbar, da ich nach allen Kriterien die klar bessere Wertung hatte als meine drei letztendlichen Konkurrenten. Fotografisch von meinem Vereinskollegen Gerard Postma (per Handy) dokumentiert:

Prijsuitreiking

Im Umschlag waren immerhin 50 Euro (bei 10 Euro Startgeld) - Ilja Schneider war als Titelträger startgeldfrei und bekam für den geteilten Turniersieg wohl 400 Euro - aber er hatte ja auch die weitere Anreise.

Was ich noch erwähnen sollte: 38 Jahre lang hiess das Turnier nur "Chrysantentoernooi", dieses Jahr erstmals "Nico Dekker Chrysantentoernooi". Nico Dekker, alle Jahre Sponsor und Teilnehmer, verstarb 2016 plötzlich zwei Wochen nach dem Turnier. Dekker Chrysanten ist offenbar ein Familienbetrieb, sein Bruder Jan Dekker (rechts auf dem Foto) macht weiter. Er erwähnte, dass Nico Beruf und Hobby kombinierte - eine neue Züchtung bekam den Namen "Timman-Chrysante". Er versprach auch, dass das Turnier nächstes Jahr - dann die 40. Auflage - in grösserem Rahmen stattfinden soll. Links auf dem Foto Gerrit van Oostrum, Vorsitzender des SV Heerhugowaard - an diesem Tag hatte er Geburtstag, dafür bekam er ein Ständchen aus dem Publikum und eine Flasche Whisky von einem Vereinskollegen. Auf dem Foto auch erkennbar, dass das Turnier in einem Cafe ausgetragen wurde - Bier trank jedenfalls ich erst nach der letzten Runde, Bitterballen (ungesund-schmackhafte Snacks) gab es schon vorher.

Das Siegerfoto (von Piet Konijn, erschien am 26.9. um 23:45 neben anderen Fotos auf der Vereinsseite) reiche ich noch nach:

Sieger

Roeland Pruijssers (links) bekam als Wertungsbesserer auch einen Blumenstrauss, rechts Ilja Schneider. Ilja macht auch Reklame für G-Star und bekommt dafür wohl - wenn überhaupt etwas - weniger Geld als ein norwegischer Grossmeister (der momentan auch auf der Isle of Man spielt).

Was meine Vereinskollegen betrifft: Sie erzielten in ihren Achtkämpfen zusammen mein Ergebnis - einer begann mit 1,5/3 und verlor nach der Mittagspause viermal, der andere begann mit 0/3 bzw. 0/5 und gewann seine beiden letzten Partien. Blumen gab es für alle - auch das (draussen) fotografisch dokumentiert:

Bloemen

Dann die Heimreise - obwohl wir die Preisausreichung abwarten mussten (ich hatte darauf bestanden) erreichten wir problemlos die Fähre um 18:30.

 

Sonntag, 17 September 2017 22:19

Weltcup-Quiz

Beim Weltcup in Tbilisi/Tiflis leeren sich die Reihen: nach dem heutigen nicht allzu dramatischen Tiebreak kann der 124. von anfangs 127 Spielern (einer war gar nicht erst angereist) seine Koffer packen und für März 2018 andere Pläne schmieden als Kandidatenturnier in Berlin - es sei denn, er qualifiziert sich noch anderweitig, oder hat das bereits geschafft, oder ist dann als Sekundant beteiligt, oder er bekommt die wildcard. Das betrifft die Zukunft, und schon die nahe Zukunft - wer nimmt die letzte Hürde Halbfinale und qualifiziert damit sich selbst (und eventuell auch definitiv andere) für das Kandidatenturnier ist "unklar". Thema heute ist ein kleines Quiz zur Weltcup-Geschichte, kleiner Hinweis vorab: teilweise sind mehrere Antworten richtig, einige Fragen sind vielleicht Fangfragen bzw. die vorgeschlagenen Antworten sind Fang-Antworten. Die Lösungen findet man in den ganzen Wikipedia-Artikeln zum Weltcup seit 2005, eventuell auch anderswo. Und los geht's:

In welcher Hinsicht ist der - noch laufende - Weltcup 2017 einmalig?

a) Noch nie wurde, jedenfalls bis einschliesslich Viertelfinale, kein einziges Match im Armageddon entschieden.

b) Noch nie stand kein einziger Russe im Halbfinale.

c) Noch nie waren vier verschiedene Länder im Halbfinale vertreten.

d) Noch nie erreichte (mindestens) ein Asiate das Halbfinale.

e) Noch nie ist ein Spieler zur ersten Runde nicht angetreten.

Was gab es in der Weltcup-Geschichte bisher nur einmal?

a) Alle vier Halbfinalisten sind unter den ersten zehn der Setzliste.

b) Die Nummer eins der Setzliste steht im Halbfinale.

c) Nur ein Spieler aus der top10 steht im Halbfinale.

d) Ausgerechnet die Nummer 11 der Setzliste steht im Halbfinale.

Wieviele Spieler konnten bisher mehrfach das Halbfinale erreichen?

a) einer

b) drei

c) fünf

d) acht

Wieviele Spieler erreichten das Halbfinale ohne einen einzigen Tiebreak?

a) einer

b) zwei

c) fünf

d) das gab es noch nie

Wieviele Spieler aus der aktuellen top10 standen noch nie im Weltcup-Halbfinale (egal ob sie zum damaligen Zeitpunkt top10 waren)?

a) zwei

b) drei

c) vier

d) sechs

Dieselbe Frage für die aktuelle top20

a) acht

b) zehn

c) zwölf

d) sechzehn

Mitunter erreichten Spieler überraschend das Halbfinale. Wer von diesen vier (alphabetisch sortiert) hatte den niedrigsten Platz in der Setzliste?

a) Andreikin

e) Eljanov

m) Malakhov

t) Tomashevsky

Ein Spanier, ein Israeli, ein Niederländer und zwei US-Amerikaner erreichten bisher das Weltcup-Halbfinale. Was haben sie gemeinsam?

a) Alle waren unter den ersten zehn der Setzliste.

b) Alle waren zum Zeitpunkt ihres Erfolgs noch nicht 40 Jahre alt (oder immer noch jung).

c) Alle kamen in einem anderen Land auf die Welt.

d) Alle haben oder hatten (mindestens) eine Ehefrau oder Freundin aus einem anderen Land.

Wieviele der insgesamt 28 Weltcup-Halbfinalisten kamen in der Sowjetunion auf die Welt?

a) sechzehn

b) achtzehn

c) einundzwanzig

d) zweiundzwanzig

Welches Land - bei Mannschaftskämpfen durchaus mal erfolgreich - hatte noch nie einen Spieler im Weltcup-Halbfinale?

a) Aserbaidschan

b) Ungarn

c) Deutschland

d) Indien

Was geschah nur 2013?

a) Die Nummer eins der Setzliste schied bereits in der zweiten Runde aus.

b) Drei Russen stehen im Halbfinale.

c) Nakamura verlor gegen einen Spieler im Bereich 20-30 der Setzliste.

d) Drei Spieler ausserhalb der top20 der Setzliste erreichen das Halbfinale.

Was geschah nur 2009?

a) Die Nummer eins der Setzliste gewann am Ende.

b) Zwei Ukrainer stehen im Halbfinale.

c) Ein Match dauerte 18 Partien.

d) Die Nummer 50 der Setzliste erreichte die vierte Runde.

 

Zum Schluss doch noch eine Frage zur nahen Zukunft:

Viele Weltcup-Teilnehmer spielen direkt danach ein Open auf der Isle of Man (es sei denn, sie erreichen das Finale in Tiflis). Aronian allerdings nicht, was macht er stattdessen?

a) Er spielt ein Dame-Turnier (Rematch gegen Ivanchuk).

b) Er macht Reklame für G-Star.

c) Er spielt Fussball für einen guten Zweck.

d) Er heiratet.

Freitag, 28 Juli 2017 12:04

Sieg in 29+100 Zügen

Die heutige Partie vorab kurz zusammengefasst: Nach (scheinbar) harmloser Eröffnung bekam Weiss doch starken Königsangriff und konnte ab dem 26. Zug vierzügig mattsetzen. Das Titeldiagramm setze ich schon vorher - was ist hier der beste (und in der Partie gespielte) Zug für Weiss? Ähnlichkeiten zu einem anderen Titeldiagramm vor kurzem im deutschsprachigen Schach-Internet sind vorhanden. Matt wurde es nicht, dann gewann Weiss eben auf Umwegen - nach genau 100 weiteren Zügen im Damenendspiel. Zwischendurch war erst das Mittelspiel unklar-ausgeglichen, und dann auch das Endspiel mehrfach (Tablebase-)remis.

Erst ein bisschen Kontext: Die Protagonistinnen sind Zhao Xue (Elo 2499) und Zhang Lanlin (Elo 2080) - Elozahlen jeweils vor Beginn der chinesischen Mannschaftsmeisterschaft. Zhao Xue, Jahrgang 1985, ist relativ bekannt - aufgrund ihrer sicher für Damenverhältnisse respektablen Elo (war auch mal oberhalb der "damen-magischen" 2500) und da sie auch ausserhalb Chinas spielt, z.B. Weltmeisterschaft, Mannschaftskämpfe nicht nur für Beijing sondern auch für China sowie in der deutschen Damen-Bundesliga für Bad Königshofen, usw. . Zhang Yanlin ist Jahrgang 1999, inzwischen hat sie - da sie vor kurzem für die Juni-Liste mächtig von K-Faktor 40 profitierte - bereits Elo 2262. In der chinesischen Liga ist sie allerdings etwas überfordert - mittlerweile (einschliesslich Niederlage gegen Kateryna Lagno tags nach dieser Partie) 1/6. Auf der Habenseite immerhin ein Sieg gegen Ju Wenjun, die in für sie zumindest klar besserer Stellung einen Turm einstellte.

Die chinesische Liga wird mit drei Herren- und zwei Damenbrettern an mehreren langen Wochenenden ausgetragen, morgen (29.7.) ist die elfte von elf Runden. Wie bereits erwähnt, auch Ausländer(innen) spielen mit, allerdings relativ wenige. In Runde 8-11 - Ladies first - neben Kateryna Lagno auch Olga Girya, Anastasia Bodnaruk und Antoaneta Stefanova. Bei den Herren in diesen Runden Grischuk, Malakhov, Moiseenko und Naiditsch. Sagte Arkadij Naiditsch nicht anlässlich seines Verbandswechsels nach Aserbaidschan "Nun bin ich finanziell abgesichert und muss nicht mehr mal eben nach China düsen um in der dortigen Liga Geld zu verdienen"? Gut, diesmal kombinierte er es offenbar mit der Teilnahme an einem chinesischen Superturnier.

Nächster Punkt um auch das zu erwähnen: In China wird momentan nonstop und quasi überall Schach gespielt: erst das Superturnier in Danzhou (19ºN 109ºE), danach ein Match Grischuk - Yu Yangyi in Jiayuguan (39ºN 98ºE) [auch Grischuk hat also zwei, vielleicht - siehe gleich - drei Termine in China], nun die chinesische Liga in Ningbo (30ºN 121ºE), dann ein Match Russland-China in Quinghuangdao (40ºN 119ºE) und zum Schluss ein Match Ding Liren - Giri in Wenzhou (28ºN 120ºE). Ich hatte erwogen, eine Karte in diesen Artikel einzubauen, aber empfand das dann doch als zu mühsam. Jiayuguan liegt im Landesinneren nahe der chinesischen Mauer und der Grenze zur Mongolei, alle anderen Orte an der Küste aber auch recht weit voneinander entfernt. Grischuk war bisher recht erfolgreich - 3-1 im Match gegen Yu Yangyi und dann 2.5/3 in der chinesischen Liga (Remis gegen Ding Liren, Siege gegen Elo 2438 und 2385). Naiditsch remisierte dreimal gegen Elo 2425, 2606 und 2585. Und nun zur Partie:

Zhao Xue (2481) - Zhang Lanlin (2262) 1-0 (nun mit den aktuellsten Elozahlen)

1.Sf3 d5 2.d4 Sf6 3.Lf4 e6 4.e3 - schon kommt das erste Diagramm:

Zhao Zhang move 4

So hat u.a. auch Carlsen bereits gespielt, Komplikationen - bzw. in Carlsen-Partien bevorzugt gegnerische Fehler - kommen später. 4.-Le7 (4.-c5 5.c3 und 4.-Ld6 5.Lg3 ist üblicher, auf hohem Eloniveau und überhaupt) 5.Sbd2 0-0 6.Ld3 b6 7.0-0 Lb7 8.Se5 (Sinn des weissen Aufbaus, oft bereits im 7. Zug gespielt und dann rochierte Weiss vielleicht lang oder auch gar nicht) 8.-Sbd7 9.Df3 Se8 (Ursachenforschung warum Schwarz schnell in einer Verluststellung landete sollte vielleicht hier beginnen - das ist an dieser Stelle neu und eventuell zu langsam und gekünstelt) 10.Dh3 f5 11.g4

Zhao Zhang move 11

Doch nicht so harmlos!? 11.-Sd6 12.Sdf3 Se4 13.Sxd7 Dxd7 14.Se5 Dc8 15.f3 Sd6 16.Kh1 c5 (konnte man - oder frau - auch schon früher spielen, z.B. im vierten Zug) 17.gxf5 exf5 (17.-c4? funktioniert aus diversen Gründen nicht, Weiss spielt jedenfalls nicht brav 18.Le2) 18.Tg1 Lf6 19.Sg4!? c4 20.Lxd6 cxd3 21.Sxf6+ Txf6 und nun haben wir wieder das Titeldiagramm:

Zhao Zhang move 21 Titel

22.Txg7+! Kxg7 23.Le5 dxc2 (bekommt von Computern ein Fragezeichen, die 23.-Kf8 24.Lxf6 dxc2 25.Dxh7 [muss nicht sein, 25.Dh6+ Ke8 26.Dh5+ Kf8 27.Tc1 oder gleich 25.Tc1 ist auch etwa +2] 25.-c1D+ 26.Txc1 Dxc1+ 27.Kg2 Dxe3 28.Dg7+ Ke8 29.Dxb7 De2+ 30.Kg3 f4+ 31.Kh4 vorschlagen - das wird dann allerdings ein für Weiss glatt gewonnenes Damenendspiel. Nachvollziehbar, dass Zhang Lanlin die Gegnerin mit ihrem entstandenen Freibauern zumindest etwas beschäftigen oder ablenken wollte, und in der Partie funktionierte es.) 24.Tg1+ Kf8 25.Dxh7 Tf7? wieder ein Computer-Fragezeichen, die Alternative 25.-c1D 26.Dh8+ Kf7 27.Dxf6+ Ke8 28.Dh8+ Kf7 29.Dh7+ Ke8 30.Dg6+ Ke7 31.Lf6+ - einmal ist der Läufer dran - 31.-Kd6 32.Dg3+ Kc6 33.Txc1+ - jetzt aber! - 33.-Kb5 34.Txc8 - auch das noch - war allerdings auch hoffnungslos:

Zhao Zhang move 25 Variante

Diagramm nach dem Partiezug 25.-Tf7:

Zhao Zhang move 25 Matt in 4

Weiss am Zug, Matt in vier - der Leser ist am Zug! In der Partie geschah 26.Ld6+?? - so nicht!! 26.-Ke8 27.Dg8+ Kd7 28.Dxf7+ Kc6! (dachte Zhao Xue, dass man hängende Figuren immer schlagen muss und berechnete nur 28.-Kxd6?? 29.Tg6+ De6 30.Txe6# ?) 29.La3 Kb5! - nun droht tatsächlich 30.-c1D

Zhao Zhang move 29 Partie

Und diese Stellung nach dem 29. Zug von Schwarz ist unklar, im Gegensatz zur möglichen Stellung nach dem 29.Zug von Weiss ab 26. "Leser am Zug". Ein paar Züge notiere ich noch: 30.b3 a5 31.Tc1 Ka6 32.Dg6 Ka7

Zhao Zhang move 32

Nun hat sie ihren König definitiv versteckt. Die nächsten gut zwanzig Züge überspringe ich - es wurde manövriert und auch mal einmal wiederholt - und steige nach dem 55. schwarzen Zug wieder ein:

Zhao Zhang move 55

55.-Td2 war kein Turmeinsteller, sondern ein berechtigter Versuch, dem bunten Treiben ein (Remis-)Ende zu bereiten. 56.Dxd2 Dh3+ 57.Kg1 Dxg3+ 58.Kh1 Dxh4+ 59.Kg2 Lh3+ 60.Kg1 Dg3+ 61.Kh1 Lg2+

Zhao Zhang move 61

62.Dxg2 (muss sein, wenn Weiss weiterspielen will - nach 62.Kg1 geht 62.-Lh3+ oder auch 62.-Lxf3+ 63.Kf1 Le4) 62.-Dxe1+ und nun haben wir ein ausgeglichenes Damenendspiel. Ich zeige nun, wie da im weiteren Partieverlauf aufgeräumt wurde:

Zhao Zhang move 82

Nach zuletzt 80.Ke4 Dh1+ 81.Kxd4 Da1+ 82.Ke4 Dxa2

Zhao Zhang move 89 Tablebase

Nach zuletzt 88.Kg6 a4 89.bxa4 bxa4 - ab hier wissen Tablebases Bescheid. 90.Dc4+ - "mein Stockfish" sagt +3, Tablebases sagen remis, änderen ihre Meinung allerdings nach 90.-Kd8? - 90.-Kb6!, nur so! Dann bekommt Weiss zwar auch einen Mehrbauern, kann allerdings offenbar den schwarzen König nicht entscheidend abdrängen - paradoxerweise geht das nach dem schwarzen Partieversuch, in der Nähe des Umwandlungsfelds zu bleiben. 91.Dd4+ (richtig, Matt in 54, genauer war 91.Dd5+ Matt in 52) 91.-Kc7 (Matt in 38, nach 91.-Kc8 Matt in 53 muss Weiss erst mit 92.Dc4+ wiederholen). Und nun?

Zhao Zhang move 91

92.Dxa4? - so nicht! Richtig war nur 92.Da7+ - zuerst die einfachere Variante: 92.-Kd8 (92.-Kc8?? ist natürlich noch einfacher für Weiss) 93.Db8+ Ke7 94.Db4+ Ke8 95.Dxa4+ Ke7 96.Da3+ Ke8 97.Dxf8+ Kxf8 98.Kf6

Zhao Zhang move 92 Variante Bauernendspiel

Alles mit Schach, und am Ende ein gewonnenes Bauernendspiel. Weniger kooperativ ist 92.-Kd6 93.Db6+ Ke5 94.Db5+ Kd4 95.Dxa4+

Zhao Zhang move 92 Variante

Auch hier nimmt Weiss den a-Bauern mit Schach, und sie kann den schwarzen König weit abdrängen = Gewinnstellung. Experte in Damenendspielen bin ich wahrlich nicht, aber anhand neuerer Beispiele auf hohem Niveau (Diagramme in abweichendem Design) bilde ich mir ein, ansatzweise zu verstehen was Sache ist. Da war zunächst am 23.6. Carlsen-Karjakin 1-0 1/2, Schnellschach bei der Chess Tour in Paris:

Carlsen Karjakin

Aus einem Springerendspiel wurde zuvor ein Bauernendspiel, zuletzt geschah 56.h8D b1D, und nun? Richtig war 57.De8+! Kd6 58.De5+! Kd7 59.Kg3! usw. (Matt in 52, also noch viel Technik notwendig). Carlsen spielte sofort 57.De5? und Karjakin fand 57.-Dd3! was Kg3 zunächst verhindert (57.-Db3 ging auch), nun war es remis und dabei blieb es. Am Ende stand der schwarze König vor dem weissen Freibauern, und so war es nach Damentausch sofort remis. Dann war da Riazantsev - Li Chao 1/2 1-0 am 13.7. beim GP-Turnier in Genf (zuvor Turm- und Bauernendspiel), Stellung nach 71.Dh7+

Riazantsev Li Chao

Wohin mit dem schwarzen König? Li Chao spielte 71.-Kf3? (71.-Ke3 oder 71.-Kd4 ist remis) und Riazantsev fand 72.Df5+! Kg2 73.Dd5+! Kh3 74.g6 usw. 1-0 . Lehre aus diesen Beispielen; Es kann zumindest nicht schaden, ein Tempo zu gewinnen, die Dame gleichzeitig zu zentralisieren (im dritten Beispiel unter Chinesinnen nicht der Fall) und den gegnerischen König abzudrängen. Dann steht der eigene König vor dem Freibauern gut (das musste Carlsen noch erreichen) und letztendlich kann er sich da vor Schachgeboten verstecken. Natürlich ist das vereinfacht dargestellt, ob ich es in eigener Praxis hinbekommen würde sei dahingestellt. "Die russische Schachschule" (neben Karjakin auch Riazantsev) machte es richtig, ein Norweger und ein Chinese machten es falsch, zurück zur aktuellsten Partie: zwei Chinesinnen fanden auch im weiteren Partieverlauf nicht immer die besten Züge. Nach dem Exkurs erst nochmals das letzte Partiediagramm:

Zhao Zhang move 91

Wie gesagt, sofort 92.Dxa4? - im weiteren Verlauf Zeichensetzung nach Tablebase-Definition: Einzige Gewinn- bzw. einzige Remiszüge bekommen ein Ausrufezeichen, Züge die das Stellungsurteil verändern ein Fragezeichen. 92.-Dg8+! 93.Kf6 Df8+ 94.Kg5 Dg7+! 95.Kf4 Dh6+ (hier musste Schwarz nicht unbedingt Schach geben, 95.-Df6, 95.-De7 und 95.-Kd8 ist/bleibt auch remis) 96.Ke5 De3+ 97.Kd5 Dd3+ 98.Ke6 Dd6+! 99.Kf7 Dd5+! 100.Kf6 Dd8+! 101.Kg6 Dg8+! - das hatten wir bereits nach dem 92. Zug, Zhao Xue versuchte nun 102.Kh5 Dh7+ 103.Kg5 Dg7+ 104.Kf4 Dh6+ 105.Ke5 - auch das hatten wir schon nach dem 96. weissen Zug, und diesmal entschied Schwarz sich für 105.-Dg7+? (105.-De3+ wäre Zugwiederholung, das dürfte aus weisser Sicht - wenn Schwarz reklamiert - nicht ein weiteres Mal passieren. 105.-Dh8+, 105.-Dd6+ und auch 105.-Kd8 bliebe auch remis)

Zhao Zhang move 105

Weiss am Zug, was tun? 106.f6! (Ausrufezeichen nach Tablebase-Konvention, wobei hier gilt "was sonst im Gewinnsinne?") 106.-Dg5+ 107.Ke6! (wieder Tablebase-Konvention, wobei die Alternativen 107.Ke4?? oder 107.Kd4?? viel schlechter sind) 107.-Dg8+ 108.Ke7 Dd8+ 109.Kf7 Dd5+ 110.Kf8? - falsch, aber Zhao Xue sollte noch eine weitere Chance bekommen, die Partie zu gewinnen - insgesamt die vierte. 110.-Dc5+! 111.Kf7

Zhao Zhang move 111

Schwarz am Zug, was tun? Nun hatte sie Remis mit 111.-Dh5+! 112.Ke6 De2+! 113.Kd5 Dh5+ 114.Kc4!? (sonst Dauerschach) 114.-Dg4+ 115.Kb3 und nun gibt es 13 Remiszüge, am einfachsten und forciert 115.-Dxa4+ 116.Kxa4 Kd7 nebst Endspiel König gegen König. Stattdessen wiederholte Zhang Lanlin mit 111.-Dd5+? und Zhao Xue fand diesmal 112.Kg6! Dg8+ 113.Kh6 Df8+ 114.Kg5 Dg8+ 115.Kf4 - vorläufiges Ende der schwarzen Schachgebote. 115.-De6 116.Da5+ Kd7 117.Df5

Zhao Zhang move 117

117.-Kd6 - am zähesten, das Bauernendspiel nach 117.-Dxf5+ wäre verloren, das nun nach 118.Dxe6+? dagegen remis. 118.Kg5 Df7 119.Dd3+ - technisch am saubersten, schwarzen König etwas abdrängen 119.-Kc6 120.Dg6 und nun Damentausch anbieten, sowie danach den König hinter dem Freibauern verstecken 120.-Dd5+ 121.Kh6 Kd7

Zhao Zhang move 121

122.f7?? Ke7 wäre nun voreilig, Zhao Xue spielte richtig 122.Dh7+ Kc8 (122.-Ke8 um in der Nähe des Freibauern zu bleiben scheitert an einem kleinen Detail) 123.f7 aber jetzt! 123.-Dh1+ 124.Kg7 Da1+ (124.-Dg1+ ist zäher, verliert allerdings auch) 125.Kg8 Da2 so kann Schwarz f8D noch verzögern 126.De4 Db3 127.Kg7 Dg3+ 128.Kf6 Dc3+ 129.De5

Zhao Zhang move 129 resigns

Genau 100 Züge nach dem möglichen Matt hab Zhang Yanlin auf da sie keine effizienten Schachgebote hat. Möglich war noch 129.-Df3+ 130.Df5+ Dxf5+ 131.Kxf5 und nur das regelwidrige 131.-Kc8-e7 könnte 132.f8D verhindern (bzw. entschärfen).

Die komplette Partie (auch die hier nicht genannten Züge) mit Varianten und Kommentar zum Durchklicken hier.

Und die Moral der Geschichte? Machen Leser egal welchen Niveaus oder ein Autor mit Elo ca. 1950 es bei nächster Gelegenheit besser als Spieler mit Elo knapp 2500 bis über 2800? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der Artikel zeigt auch mal wieder: Es reicht nicht, im Endspiel (oder auch im Mittelspiel) eine Gewinnstellung zu haben, man oder frau muss sie dann noch gewinnen. Gilt natürlich ebenso für Remisstellungen, auch das ist erst offiziell wenn der Gegner es akzeptiert oder akzeptieren muss.

 

 

Sonntag, 23 April 2017 18:17

En Passant bleibt erstklassig!?

Das bezieht sich wieder nicht auf unseren Vereins-Namensvetter aus Bunschoten, wobei auch die den Klassenerhalt in der Meesterklasse geschafft haben. Nachdem sie, im Gegensatz zu den letzten Jahren, ohnehin nicht oben mitspielten traten sie in Runde 8 von 9 fast ohne Grossmeister ein (eher der Vollständigkeit halber: Zhaoqin Peng hat den männlichen GM-Titel, allerdings auch Elo 2378). War das, gespielt wurde am 1.4.2017, ein Aprilscherz? Vielleicht auch das, jedenfalls verloren sie gegen den voraussichtlichen Vizemeister aus Leiden 1,5-8,5, haben aber auch danach 3 Mannschaftspunkte Vorsprung auf den vorletzten Platz - und in der höchsten Liga steigen immer zwei Vereine ab, nie mehr. Meister wird voraussichtlich Kennemer Combinatie aus Haarlem, da neben Neuzugang Loek van Wely auch diverse Eigengewächse fleissig punkteten.

Thema dieses Artikels ist aber ein Rückblick auf unsere Saison. Da wurde ebenfalls am 1. April gespielt, da war es allerdings die letzte Runde - wobei die definitive Entscheidung im Abstiegskampf noch nicht gefallen ist. Hup Wijker Toren! Hup Witte Paard! Was soll das denn? Später werde ich das erklären, erst unsere eigenen Ergebnisse. Letzte Saison waren wir zum dritten Mal aufgestiegen, diesmal wollten wir erstmals nicht absteigen, und es wurde - so schien es - eine Punktlandung. Das war die Tabelle direkt nach dem letzten Spieltag:

1  EP:Beerepoot Magnus-Anna Paulowna Chess  * 5 6 5 14 38
2  Heerhugowaard 3  * 6 12 33½
3  K.T.V. 2  * 4 5 8 7 30½
4  Bergen  * 4 5 6 7 29
5  Aartswoud 2 4 * 5 4 6 27
6  En Passant 4 3 3 * 5 26
7  De Waagtoren 4 3 3 4  * 5 26
8  Castricum 2 2 0 2  * 0 14

 

Unter der Annahme, dass zwei Vereine absteigen, sicherten wir den Klassenerhalt aufgrund Sieg im direkten Duell gegen Waagtoren 4. Später wurde dann das Ergebnis Aartswoud 2 - Waagtoren 4 in 5-3 geändert (nicht spielberechtigter Spieler bei Waagtoren) und wurde unser sechster Platz souveräner. Warum der überlegene Aufsteiger so einen langen Vereinsnamen hat (und warum er überlegen aufstieg und wohl nächste Saison jedenfalls keine Abstiegssorgen hat), siehe dieser Beitrag. K.T.V. ist dagegen schön kurz und bedeutet "Kan tegen verlies" (Kann mit Niederlagen umgehen).

K.T.V. war unser Gegner in Runde 1: K.T.V. - En Passant 4-4 - für uns ein Erfolg, da sie im Schnitt etwa 100 Elopunkte besser waren. In diesem Match war für uns sowohl mehr als auch weniger drin. Schon diesmal könnte ich mehrere kuriose Momente zeigen, stattdessen ein Fragment nebst nicht gespielter Computervariante:

Jaap de Wijk (1663) - Marco Groot, K.T.V. (1812)

de Wijk GrootKTV

Weiss steht prächtig, Computer spielen hier 23.Sxf6!! Kxf6 24.Dxh6+!! mit zwei Varianten:

24.-Sxh6 25.Lxe5 matt

de Wijk GrootKTV mat1

 

 

 

 

 

 

 

Oder auch, etwas zäher, 24.-Sg6 25.Lxe5+ Ke7 26.Lf4+ Kd7 27.Lxf5#

de Wijk GrootKTV mat2

 

 

 

 

 

 

 

Stattdessen kam (ab dem ersten Diagramm) 23.Sxe5 fxe5 24.Lxf5 Sxf5 25.Txe5 f6 26.Txf5 - auch gut genug, immerhin zwei Mehrbauern. Die behielt er dann auch im Damenendspiel, wobei Damenendspiel eigentlich nicht sein musste - zwar objektiv gewonnen, aber latent kompliziert. Zwischendurch konnte Schwarz dann mal Dauerschach geben, und auch die überlieferte Schlusstellung war eigentlich Tablebase-remis. "Überliefert", da bei der verwendeten Zeitkontrolle (1:40 für die Partie plus pro Zug zehn Bonussekunden) irgendwann nicht mehr mitgeschrieben wird. Für Jaap de Wijk, romantischer Angriffsspieler, blieb es im Saisonverlauf der einzige Sieg, dabei ein wichtiger.

Ich selbst war schon lange fertig, da ich mit Schwarz ein "Grossmeister-remis" spielte - nach 25 Zügen war es quasi unterschriftsreif, nach 33 Zügen war es offiziell. Da ich Elo 1968 habe und mein Gegner 2050, war es aus meiner Sicht in Ordnung und mannschaftsdienlich. Ausserdem war ich zweimal zuvor gegen K.T.V. als Letzter fertig: 2015/2016 eine Klasse tiefer gegen deren zweite Mannschaft - Sieg aus Verluststellung, Endstand 4,5-3,5 für uns. 2014/2015, da waren wir zuletzt erstklassig, Niederlage aus Remisstellung da ich, in der falschen Annahme unbedingt gewinnen zu müssen, überzog - Endstand dann 4,5-3,5 für K.T.V. eins. Zuvor spielten wir in der Saison 2004/2005 gegen K.T.V. 2:

26-02-2005

  K.T.V. 2  -  En Passant 4 - 4
1 7386203  Theo Weel  1616  -  7602177  Jaap de Wijk  1762 ½-½
2 8029813  Jack Glas  1565  -  8039955  Thomas Richter  1950 ½-½
3 7945003  Alex Brouwer  1514  -  6244502  Jaap Dros  1922 ½-½
4 8108782  Jan Baars  1728  -  7040814  Gerard van Es  2056 ½-½
5 8151000  Mirsad Dzanic  1641  -  6244546  Rinus Vittali  1649 1-0
6 7622010  Marco Groot  1727  -  7295134  Piet Cornelisse   1-0
7 7707645  Koen Hoffer  1643  -  8030803  Willem Otten  1617 0-1
8 7724618  Peter Stam  1570  -  7842340  Dick van Barneveld  1766 0-1

 

Was damals genau los war, weiss ich aber nicht mehr - ich habe ein einigermassen gutes Langzeitgedächtnis, aber das habe ich vergessen bzw. verdrängt. Am Ende dieser Saison sind wir damals trotzdem aus der dritten in die zweite regionale Liga aufgestiegen.

Runde 2: En Passant - Castricum 2 4,5-3,5

Gegen den - erwartungsgemäss - souveränen Absteiger taten wir uns schwer, aber zwei Mannschaftspunkte sind zwei Mannschaftspunkte. Noch war nicht klar, dass am Ende jeder halbe Brettpunkt relevant wurde. Beim Stand von 4-3 für uns lief noch eine Partie:

Anish Hidde Brugman, Castricum 2 (1789) - Jaap Dros (1953)

Schachfreund Brugman hat zwar etwa tausend Elopunkte weniger als Schachfreund Giri, aber mindestens genauso viel Talent in Gewinnstellungen einen Remisweg zu finden:

BrugmanCastricum Dros move 69

 

 

 

 

 

 

 

70.Td7! (nicht etwa 70.Td8+?, wobei man das nach 70.-Txd8 71.c7+ Kb7 72.cxd8D g3 noch mit 73.fxg3!! korrigieren kann) 70.-Kc8 71.Tc7+ Kb8 72.Tb7+ Kc8 73.Ka6 g3 74.fxg3 Txg3

BrugmanCastricum Dros

 

 

 

 

 

 

 

75.c7!! Ta3+ 76.La5 Txa5+ 77.Kxa5 Kxb7 1/2. Da war natürlich die Bedenkzeit bereits knapp - vor allem beim Weisspieler der zunehmend nervöser wurde.

Runde 3: En Passant - Aartswoud 2 3-5

Das war ein Dämpfer gegen einen Abstiegskonkurrenten. Wie der Gegner einen von fünf Brettpunkten genau erzielte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.

Kees de Best (1870) - Peter Roskam, Aartswoud 2 (1866)

de Best RoskamAartswoud

 

 

 

 

 

 

 

So stand es nach 36 Zügen - aus weissem Königsangriff entstand letztendlich dieses Endspiel. Nun war die weisse Bedenkzeit knapp (unter fünf Minuten) und es wurde nicht mehr notiert. Weiss spielte nicht 37.h5 Sf4 38.Lxf4 exf4 39.b4 Kg7 40.c4 Kf6 41.Kc2 Kg5 42.c5 mit gewonnenem Bauernendspiel, sondern etwas anderes und verlor noch. Auch aus diesem Mannschaftskampf nur ein Fragment, wobei mehrere veröffentlichungswürdig waren oder auch nicht.

Runde 4 EP usw. - En Passant 5,5-2,5 hatte bereits einen eigenen Artikel, muss ich hier nicht wiederholen.

Runde 5 En Passant - Bergen 3-5 wird ignoriert. Da ich diesen Artikel schreibe, muss ich das furchtbare Gegurke eines gewissen Thomas Richters nicht zeigen.

Runde 6 Waagtoren 4 - En Passant 2,5-5,5 war Abstiegskampf pur. Vorab stellte sich heraus, dass das halbe gegnerische Team Jahrgang 1947 oder älter ist - durchaus aktive Turnierspieler (dafür haben sie ja auch, da nicht mehr berufstätig, Zeit) aber einige brachen mit knapper Bedenkzeit ein. Ich spielte mein zweites GM-remis mit Schwarz - mein Gegner hatte zwar nur (oder immerhin) Elo 1899, aber wenn Weiss nichts riskiert und betont solide spielt, kann Schwarz dagegen nichts machen. So konnte ich den Rest live mitbekommen und nebenbei auch nebenan kibitzen - im selben Saal spielten auch Waagtoren 1 und Waagtoren 2 höherklassig. Da unser Brett 4 platt stand, musste unser Brett 3 remis ablehnen - dessen Gegner wollte dann durch Figurentausch remis forcieren und landete in einem schlechten Turmendspiel. Zwischenzeitlich war dieses Endspiel dann doch remis, aber dann gewannen wir an diesem Brett - und auch am Nachbarbrett 4 wurde aus einem glatt verlorenen irgendwie ein gewonnenes Springerendspiel.

Noch ein Endspiel mit dem objektiv vielleicht falschen, aber aus unserer Sicht dem richtigen Ergebnis:

Johan Plooijer, Waagtoren 4 (1767) - Gerard Postma (1662)

Plooijer Waagtoren Postma

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt geschah 55.Kb3 Tc4?? (55.-Ta7 56.Txa3 Tb7+ ist wohl noch remis, aber das gewinnt Schwarz jedenfalls nicht). Und nun 56.Kxa3?? (offenbar war seine Hand in Zeitnot noch am König, 56.Txa3 gewinnt forciert da Weiss dann auch Turmtausch erzwingen kann) 56.-Txc3+ 57.Kb2 Kd4 58.Tg1??! (58.Td1+ Td3 59.Kc2! Txd1 60.Kxd1 Ke3 61.Ke1 ist immerhin noch "knapp" remis) und Schwarz gewann im weiteren Partieverlauf. Statt 5,5-2,5 war aus unserer Sicht auch 3,5-4,5 möglich, dabei brauchten wir einen hohen Sieg den wir dann auch bekamen.

Die Runden werden nicht parallel gespielt, sondern am jeweiligen Vereinsabend der Heimmannschaft - bzw. für uns immer Samstag mittags, da sonst wir oder unser Gegner die letzte Fähre nach/von Texel verpassen würden. Wir waren in der letzten Runde als letzte dran und kannten daher die Ergebnisse der Konkurrenz bereits. Eine Stunde lang schien der Klassenerhalt bereits gesichert, denn im Internet stand das Ergebnis K.T.V. - Castricum 2 0-8. Hatte K.T.V. etwa den Vereinsnamen geändert in W.W.D. (wij willen degraderen - wir wollen absteigen)? Dann verschwand dieses Ergebnis wieder und später erschien dann K.T.V. - Castricum 2 8-0. Wer sich da einen Scherz erlaubt hatte oder was da sonst los war, dazu habe ich nicht recherchiert. Mit den Ergebnissen der Konkurrenz brauchten wir noch ein 3,5-4,5 gegen ein nominell klar überlegenes Team, und so kam es dann auch:

Runde 7 En Passant - Heerhugowaard 3,5-4,5

Zwei Dinge halfen dabei: Beim Gegner fehlte ein Spieler mit Elo 1900 (hatten sie uns freundlicherweise vorab mitgeteilt), und wir entschieden uns für eine taktische Aufstellung und opferten die beiden Spitzenbretter:

01-04-2017

  En Passant  -  Heerhugowaard 3½ - 4½
1 7698317  Gerard Postma  1662  -  7838963  Kevin Tan  2199 0-1
2 7602177  Jaap de Wijk  1663  -  6286907  Piet de Haas  2097 0-1
3 8383694  Mohamed Al-Rawy  1938  -  8241464  Dennis Keetman  1953 ½-½
4 8039955  Thomas Richter  1968  -  8285563  Sandra Keetman  1709 1-0
5 6244502  Jaap Dros  1953  -  7640798  Johan Wester  1846 ½-½
6 6435528  Kees de Best  1870  -  8290678  Kasper van der Meulen  1793 ½-½
7 8496213  Joop Rommets  1899  -  8075089  Mats Bakker  1640 1-0
8 7842340  Dick van Barneveld  1780  -  6041574  Piet Konijn  1770 0-1

 

Das geht hierzulande, man kann die Aufstellung nach Belieben durchwürfeln - und sie hatten damit offenbar nicht gerechnet bzw. für sie war dieses Match irrelevant. Ich spielte, vielleicht zum zehnten Mal in über 30 Jahren Turnierschach, gegen eine (junge) Dame. Zuvor in Deutschland in meinem südhessischen Heimatverein wohl mal gegen die Töchter des Vorsitzenden, zu Kieler Zeiten dann in Schnell- und Blitzturnieren mehrfach gegen WIM Anja - die erst Dahlgrün hiess, später Ehrke, noch später Hegeler [warum sie nie Hickl hiess, das ist a) lange her und b) Privatsache]. Ansonsten weiss ich es nicht mehr, selten war es jedenfalls. Ich bin ja kein Weltklassespieler der gelegentlich gegen Hou Yifan spielen darf oder muss, und spiel(t)e auch recht wenige offene Turniere bei denen man(n) auch, wenn es die Auslosung will, mal eine Gegnerin bekommt. Sondern vor allem vereinsintern und regionale Mannschaftskämpfe.

Elo 1709 sollte man nicht unterschätzen, da sie zuvor immerhin 4,5/6 erzielt hatte. Ausserdem stammt sie aus einer Schachfamilie, Schwester Maaike spielt höherklassig und war auch mit der NL-Damenmannschaft bei der Olympiade in Baku dabei. Dann wurde es aber eine "sechsy" Partie:

Thomas Richter (1968) - Sandra Keetman, Heerhugowaard (1709)

Richter Keetman

 

 

 

 

 

 

 

16.Sd2?! war eigentlich nicht besonders gut (16.-e5!), aber es folgte 16.-Lg5 17.Ld6 Lxd2?! 18.Dxd2 Te8 19.Dh6 f5 20.Ld3 Df6?! 21.La6 - mit Qualitätsgewinn. Der Rest war Technik, die ich allerdings während der Partie nicht als trivial empfand - später gewann ich doch im direkten Königsangriff.

Das war der erste Schritt zum (möglichen) Klassenerhalt, für ein Foto erwischte ein Spieler unserer zweiten Mannschaft zufällig einen passenden Moment:

20170401 142531

 

 

 

 

 

 

 

Gerade als er abdrückte spiele ich 19.Dh6. Lag es vielleicht auch daran, dass fast alle Kaffee oder Tee trinken, sie dagegen Orangensaft? Das hat Magnus Carlsen sich inzwischen abgewöhnt, das Glas war zu diesem Zeitpunkt auch schon leer. Die Spitzenbretter zeige ich auch noch, schliesslich haben sie zum Erfolg beigetragen:

20170401 135653

 

 

 

 

 

 

 

Rechts jeweils En Passant. Mit (vorne links) Kevin Tan unterhielt ich mich hinterher und meinte "laut Internet warst Du ein vielversprechendes Jungtalent". "Das ist lange her, reden wir nicht darüber ...". Aus seiner Generation wurde IM Robert Ris Schachprofi (dabei alles mögliche neben Schach spielen: Trainer, Chessbase-DVDs, Kommentator, ...), GM Erwin l'Ami (ebenfalls Schachprofi) und GM Jan Smeets (nicht mehr Schachprofi) erreichten schachlich noch mehr.

Der zweite Schritt zum (möglichen) Klassenerhalt:

Mats Bakker, Heerhugowaard (1640) - Joop Rommets (1899)

Bakker Rommets

 

 

 

 

 

 

 

Weiss steht gut, was tun? Es kam 33.Lb3!! (die Ausrufezeichen aus unserer subjektiven Sicht, es ist ungefähr sechzehnte Wahl von Stockfish noch hinter z.B. 33.Dxh8. Gut ist alles das die leicht - aber nur leicht - versteckte schwarze Drohung pariert, z.B. 33.De7+, 33.Df5 oder auch 33.Ld1) 33.-Sf4+ 34.Kh1 Dxg4 35.f3 Txh2+ 0-1. Speziell für Schachfreund Giri hat Stockfish übrigens hier noch die nette Remisvariante 35.-Sxe4 36.Dxh8 Dxg3 37.Lxg3 Sxg3+ 38.Kh2 Sxf1+ 39.Kh1 Sg3+ 40.Kh2 Sf1+ usw. :

Bakker Rommets Variante

 

 

 

 

 

 

 

Zum Schluss liefen noch drei Partien. Ich schrieb mit an Brett 6, da Kees de Best mal wieder weniger als fünf Minuten hatte. Ich selbst war diese Saison nie in dieser (dann quasi-permanenten) Situation - ich bin zwar im Schnell- und Blitzschach etwa und relativ genauso gut oder schlecht wie im Normalschach, hätte aber Probleme mit der Umstellung während einer Partie. Parallel lief (ausser Sichtweite) noch Brett 1, das wir bereits abgehakt hatten (schon vor dem ersten Zug) sowie, etwa fünf Meter entfernt, Brett 3. Kann Mohamed sein schlechteres Turmendspiel remis halten? Das konnte Kees, da dort nur noch weinge Klötze auf dem Brett waren, auch ohne aufzustehen beurteilen. Als es soweit war, gab er auch seine Partie remis.

Hinterher warnte uns der Gegner, dass unser Klassenerhalt eventuell doch noch nicht gesichert ist: Wenn mehrere noord-holländische Teams aus nationalen Ligen absteigen, hat das Folgen für alle regionalen Spielklassen. Letztes Jahr mussten sie, da vier Teams von oben dazu kamen, als Siebter von Zehn (7-9 Mannschaftspunkte) aus der Promotieklasse (höchste regionale Liga) absteigen. Sie rechneten mit dem direkten Wiederaufstieg, dann wurde aus Magnus-Anna Paulowna EP Beerepoot usw. .

3,5-4,5 war vielleicht doch notwendig, so sind wir (5 Mannschafts- und 26 Brettpunkte) nämlich besser als SC Aalsmeer (Sechster der Parallelklasse 1B mit 5 Mannschafts- und nur 25,5 Brettpunkten). Damit dürfen aus unserer Sicht zwei noord-holländische Teams aus nationalen Ligen absteigen (Aalsmeer sieht das vielleicht anders). Deshalb Hup Wijker Toren! Hup Witte Paard!

Ein noord-holländisches Team ist bereits abgestiegen, diese beiden aus Wijk aan Zee (da wird nicht nur im Januar Schach gespielt!) und Haarlem sind noch abstiegsgefährdet. Fast-Deutschland entscheidet mit über unser Schicksal, da sie in der letzten Runde gegen Teams aus Nijmegen und Arnhem spielen. Ein Turm ist hierzulande ein toren, ein Springer heisst so wie er aussieht, nämlich paard (Pferd). Ist es ein gutes Zeichen, dass ich diese Saison mit Schwarz viermal 1.Sf3 vorgesetzt bekam? Ist es ein schlechtes Zeichen, dass niemand - nicht einmal IM Piet Peelen - auf 1.-c5 mit 2.Tg1!? fortsetzte? Wie dem auch sei: Hup Wijker Toren! Hup Witte Paard!

Sonntag, 01 Januar 2017 13:28

David-Goliath 1-1

Zunächst ein paar Worte zum Titeldiagramm: Weiss am Zug würde natürlich gewinnen, Schwarz am Zug (wie in der Partie): wie ist die Stellung zu beurteilen? So stand es nach 46 Zügen, fünf Züge davor stand die weisse Dame noch auf e1, der weisse Turm auf b1 und ein schwarzer Turm auf a8.

Thema dieses Artikels ist ein Mannschaftskampf der sechsten NL-Liga, den es so wohl nächste Saison nicht wieder geben wird - eine Mannschaft steigt sehr wahrscheinlich auf, die andere womöglich ab (vielleicht/hoffentlich auch nicht). Am 17.12.2016 spielte mein Verein En Passant gegen EP:Beerepoot Magnus-Anna Paulowna Chess. Hinterher stand dazu in der Lokalzeitung "Helderse Courant" "Magnus-AP Chess uit Schagen en Texelse En Passant verschillen werkelijk in álles" - in etwa: "die Vereine sind total unterschiedlich". Reporter Peter Couwenhoven (spielt selbst für einen anderen Verein in der noord-holländischen Provinz) brachte dazu ein paar Daten/Fakten, ich bringe nun eigene. Vorher stand es, jeweils aus unserer Sicht, 9-34, 1772-2030 und 0-12. Wofür steht das jeweils, und wie hängt es zusammen? 9-34 ist Länge der Vereinsnamen in Buchstaben - beim Gegner ist EP:Beerepoot (ein) Sponsor, Magnus (hat übrigens nix mit einem Norweger zu tun, den Verein gibt es schon seit 1953) und Anna Paulowna sind die Stammvereine die miteinander fusionierten. 1772-2030 klingt noch erträglich, aber das war der Eloschnitt der beiden Teams. 0-12 bezieht sich auf Anzahl Sponsoren, was den Gegner betrifft siehe hier rechts - einer zahlt wohl am besten, deshalb wird er da auch oben erwähnt sowie im offiziell-kompletten Vereinsnamen. Wir hatten mal einen Sponsor, der pro Saison einen dreistelligen Betrag spendierte. Davon könnte man eventuell einen IM für einige (wohl nicht alle sieben) Mannschaftskämpfe anheuern - wir verwendeten es für unvermeidliche Kosten (Saalmiete) und für Jugendarbeit. So hoch würden wir jedenfalls nicht verlieren, gespielt wird an acht Brettern.

Vorab noch, beim deutschen Publikum nicht unbedingt bekannt: In den Niederlanden ist die Aufstellung total flexibel - derselbe Spieler kann mal am ersten Brett spielen, mal am fünften, mal am achten oder auch an jedem anderen Brett. "Taktische" Aufstellungen sind möglich - wir sorgten dafür, dass wir an Brett 6-8 etwa gleichwertig waren und erzielten da dann auch 50%, ausserdem noch ein nicht eingeplanter Punkt am Spitzenbrett. Das war für uns ein akzeptables Ergebnis, im Abstiegskampf sind/werden eventuell auch Brettpunkte relevant. So lief es insgesamt:

17-12-2016

  EP:Beerepoot Magnus-Anna Paulowna Chess  -  En Passant 5½ - 2½
1 7464754  Warner de Weerd  2206  -  7698317  Gerard Postma  1662 0-1
2 7227462  Enrico van Egmond  2114  -  6238177  Aad Bakker   1-0
3 7196013  Wim Boom  2064  -  8570430  Jon van Dorsten  1389 1-0
4 6758686  Piet Peelen  2328  -  8039955  Thomas Richter  1968 1-0
5 8040714  David de Visser  1870  -  7602177  Jaap de Wijk  1663 1-0
6 6050891  Siem Roet  1911  -  8496213  Joop Rommets  1899 0-1
7 8157237  Jan-Pjotr Komen  1892  -  6244502  Jaap Dros  1953 1-0
8 6966366  Wim Smit  1855  -  6435528  Kees de Best  1870 ½-½
   2030    1772  

 

Unser 90-jähriger Nestor Aad Bakker spielt nur noch sporadisch und hat daher gar keine NL-Elo. Schwerpunkt dieses Artikels werden die Partien Goliath Piet Peelen gegen David Thomas Richter und David Gerard Postma gegen Goliath Warner de Weerd (alles natürlich relativ, diese Goliaths sind gegen Grossmeister Davids, und jedenfalls ich bin gegen andere Gegner auch mal Goliath). Peelen und de Weerd sind eventuell auch in Deutschland etwas bekannt, da beide auch in der NRW-Liga spielen. Über den Artikel verteilt (so ist zwischendurch eventuell der Leser am Zug) auch ein Moment aus der Partie Smit - de Best, damit beginne ich nun: 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 c6 5.e3 Ld6 6.Dc2 Sbd7 7.Ld2 (selten, fünfte Wahl laut Datenbank - aber so spielten auch Grossmeister mal, einschliesslich der K-Klasse Kramnik, Karpov und Krasenkow) 7.-b6!? (ebenfalls selten und provokativ) 8.cxd5 exd5 und schon gibt es ein Diagramm:

Smit de Best move 8

 

 

 

 

 

 

 

Was wollen Computer, die bei 7.-b6 laut protestieren, hier spielen? Weiter geht es später in diesem Beitrag. Nun noch etwas Vorgeschichte zu den David-Goliath Partien. Vereinsintern hiess es vorab "wenn einer gegen Peelen was reissen kann, dann Thomas" - das kommentiere ich mal nicht bzw. sage nur "I did my very best" (gestern war ja Silvester und damit lief auch Dinner for One im Fernsehen). Datenbanken kennen Peelen und ich bekam einen Tip zu Partien aus der NRW-Liga, also habe ich mich vorbereitet - mit Weiss jedenfalls für meine Verhältnisse recht ausgiebig auf Caro-Kann, das macht er mit Schwarz immer gegen mein 1.e4 und dann generell dieselben Varianten. Nebenbei habe ich Gerard Postma ein bisschen auf Katalanisch von Warner de Weerd vorbereitet, das ging ungefähr so: "Du kannst hier 6.-dxc4 spielen, dann gibt es mehrere Varianten, oder 6.-c6 mit etwas passiver aber solider Stellung". "OK, ich spiele 6.-c6". Dann kam es anders: Postma hatte gegen de Weerd Weiss, ich hatte gegen Peelen Schwarz.

Üblich ist hierzulande, dass beide Mannschaftsführer ein leeres Formular ausfüllen, dann werden diese kombiniert und ermittelt, wer an welchem Brett (mit welcher Farbe) gegen wen spielt. Der Gegner überreichte unserem Mannschaftsführer sein halb ausgefülltes Formular zwecks Ergänzung, und unser Captain sorgte dafür, dass Postma gegen de Weerd spielte und Richter gegen Peelen - in der Eile beachtete er nicht, dass die Farben im Vergleich zur Vorbereitung vertauscht waren. Ich zeige zunächst Piet Peelen:

PietPeelen Cultural Village 2011

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Foto (hier - Bericht zu Runde 7 - gefunden) ist etwas älter, es stammt vom Cultural Village Turnier 2011 in Wijk aan Zee. Gewonnen hatte damals übrigens der Inder Baskaran Adhiban, der sich so für die C-Gruppe von Tata Steel Chess 2012 qualifizierte - in ein paar Wochen und insgesamt fünf Jahre später spielt er am selben Ort gegen die absolute Weltklasse. Peelen hat sich äusserlich kaum verändert, spielt aber inzwischen kaum noch Turniere sondern fast nur noch Mannschaftskämpfe und ist daneben (oder vor allem?) Schachtrainer. Letzte Saison spielte er noch für Purmerend in der zweiten NL-Liga, aber die mussten dann finanziell kürzer treten und sein heutiger Verein zahlt besser. Zur Partie:

IM Peelen (2328) - Richter (1968)

1.Sf3!? Hoppla, ich hatte mir auch Peelens Partien mit Weiss angeschaut, laut Datenbanken spielt er immer 1.d4. Aber 2016 - Jahr des Brexits, Jahr in dem Donald Duck Trump US-Präsident wurde - konnte man sich auf gar nichts verlassen! Auch 1.Sf3 kenne ich ein bisschen, schliesslich hatte ich es diese Saison schon zweimal mit Schwarz in Mannschaftskämpfen (lockeres "GM-remis" gegen Elo 2050, Angriffssieg gegen einen mit Elo 1688 womöglich etwas unterbewerteten Jugendspieler). Aber was Weiss genau vorhat, weiss Schwarz hier nicht - Idee von 1.Sf3. 1.-c5 2.g3 Sc6 3.Lg2 Sf6 4.d4 cxd4 5.Sxd4 e6 6.0-0 Zu dieser Stellung ein kleiner Trialog aus der späteren Analyse. van Egmond: "Das ist nun quasi Sizilianisch". Richter: "Ja, aber ohne e4". Peelen: "Und e4 werde ich nicht spielen, auch wenn der Gegner das vielleicht gerne will!". 6.-a6?! ein "sizilianischer" Zug, hier aber wohl suboptimal - gängig ist 6.-Db6 oder 6.-Lc5 7.c4 Db6 hier offenbar zu provokativ (7.-Dc7) 8.Sb3 nach etwa 10 Minuten (Bedenkzeit in dieser Liga: 1h40min für die Partie plus 10 Bonussekunden pro Zug) 8.-d6 (bei 8.-Le7 gefiel mir 9.Le3 nebst c5 nicht) 9.Lf4 nach 30 Minuten - Stand auf der Uhr 0:55-1:28 9.-Se5 fast á tempo, ich hatte mit 9.Lf4 gerechnet und nutzte natürlich seine Bedenkzeit. Ich dachte, dass das quasi erzwungen und dabei gut/akzeptabel ist. 10.c5 Dc7 11.Dd4 hoppla, ziemlich direkt (und gut)! 11.-Sh5 ein bisschen tricksen ... 12.cxd6 Lxd6 13.Tc1 Sxf4 14.gxf4 Sc6 15.Dxg7

Peelen Richter move 15

 

 

 

 

 

 

 

Da haben wir den Salat - irgendwas ging bei Schwarz in der Eröffnung schief (ich wollte den Elo-überlegenen Gegner aktiv provozieren, Postma - s.u. - machte es anders). Immerhin Stand auf der Uhr inzwischen 0:26-1:09. Ansonsten: Habe ich mit dem Läuferpaar Kompensation? Ich mag generell das Läuferpaar, aber hier kann ich es kaum aktiv einsetzen. Wenn ich zu -Ld7 und -0-0-0 (lange Rochade war eher nicht geplant, aber was sonst?) komme geht vielleicht noch was. Peelen wollte allerdings später (Analyse-Ideen) gelegentlich auch noch Lxc6 spielen und war sich sicher, dass dann seine Springer besser sind als meine Läufer. Richter: "Du bist wie Anand?" (der auch gerne mal mit Springern gegen Läufer spielt). Peelen: "Ja, aber nur wenn es gut ist!". 15.-Tf8 muss natürlich sein 16.e3 auch jedenfalls naheliegend, er ver(sch)wendete dafür wieder sechs Minuten 16.-Ld7 17.Sc3 weitere 10 Minuten f5 (17.-0-0-0 18.Se4 wollte ich nicht) 18.Dg5 hatte ich nicht auf der Rechnung 18.-Dd8 Idee von Enrico van Egmond in der Analyse war 18.-Kf7!? um nach h8 zu laufen. Stockfish ist einverstanden, sagt aber auch dann "Weiss steht klar besser". 19.Dxd8+!? Mit noch 7 Minuten auf der Uhr (plus Inkrement) tauscht er die Damen, statt sie mit 19.-Dh5+ Tf7 auf dem Brett zu behalten. In diesem Fall wollte ich danach -De7 und -0-0-0 spielen, aber 20.Sa4 ist recht unangenehm. 19.-Kxd8

Peelen Richter move 19

 

 

 

 

 

 

 

Hurra, ich lebe noch!? Was ist der weisse Mehrbauer wert? Wie ist dieses (Semi-)Endspiel zu beurteilen bzw. zu behandeln? Peelen schlug in der Analyse eine aktive Methode vor - bei Gelegenheit -e5, aber das entdoppelt doch seinen Mehrbauern? 20.Kf1 Ke7 21.Ke2 Tab8 22.Sd2 Tfc8 erst mal alles decken, 22.-b5 hatte ich erwogen aber fürchtete wohl zu Unrecht 23.Sxb5 Txb5 24.Lxc6 Lxc6 25.Txc6 Txb2 26.Txa6? Lb4 mit ausgleichendem Gegenspiel (Peelen: "So hätte ich nicht gespielt.") 23.Sc4

Peelen Richter move 23

 

 

 

 

 

 

 

23.-Sd4+?! Aktiv aber sicher falsch! 23.-Lc7, kann man das "keepen"? 24.Kd3 (den Gefallen 24.exd4 Txc4 = tut er mir natürlich nicht) 24.-Sb5 25.Sxd6 Sxd6 26.b3 b5 27.Se2 b4 28.Txc8 Txc8 29.Tc1 Lb5+ (das wollte ich unbedingt, aber es ist Schein-Aktivität) 30.Kd2

Peelen Richter move 30

 

 

 

 

 

 

 

Hier hatte er noch 2 Minuten plus Bonussekunden, und nun spielte ich 30.-Lxe2? Jedenfalls besser war 30.-Txc1 31.Sxc1 Se4+!? 32.Lxe4 fxe4

Peelen Richter Analyse

 

 

 

 

 

 

 

[Analysediagramm] - das ist sicher gut für Weiss, ist es gut genug? Ich sehe keinen klaren Gewinnplan, aber das muss nichts heissen (und das war nicht Teil des Postmortems). In der Partie folgte (30.-Lxe2?) 31.Txc8 Sxc8 32.Kxe2 Sb6

Peelen Richter move 32

 

 

 

 

 

 

 

Und das ist sicher für Schwarz verloren. 37 weitere Züge wurden gespielt - in einem Mannschaftskampf sollte man eher zu spät als zu früh aufgeben. Seine Bedenkzeit war und blieb knapp, mehrfach hatte er noch fünf Sekunden auf der Uhr und dann wieder fünfzehn. Seine "Technik" war wohl deshalb nicht perfekt im Sinne von "schnellster Gewinnweg". Noch zwei Momente:

Peelen Richter move 46

 

 

 

 

 

 

 

Nach 46 Zügen: Remis wird es hier, wenn ich meinen Springer für b- und f-Bauern opfern kann und mit dem König nach h8 laufe. Dieses Motiv hatte ich gar nicht auf der Rechnung, sehe allerdings auch nicht wie ich es realisieren könnte.

Peelen Richter move 67 1 0

 

 

 

 

 

 

 

Nach 69 Zügen. Hier wäre weiterer Widerstand allenfalls dann angebracht, wenn es keine Bonussekunden gäbe und er 10-20 Sekunden hätte um mich matt zu setzen. Dem war nicht so, also 1-0.

Hinterher wurde ich von "Freund und Feind" (natürlich ist das gegnerische Team nicht Feind, nur Gegner) für eine gute Partie gelobt, ich selbst habe jedenfalls gemischte Gefühle zu dieser Partie. Warum zeige ich sie? Erstens interessieren mich kompetente Lesermeinungen, wie reell meine zwischenzeitlichen Remischancen waren, zweitens als Kontrast zur anderen David-Goliath Partie.

Zwischendurch wieder zu Brett acht:

Smit de Best Analyse 1

 

 

 

 

 

 

 

[Analysediagramm] 9.Sxd5!? ist der Computerzug. In fünf Datenbank-Partien spielte Weiss einmal so, der Gegner antwortete mit 9.-Lb7 und hatte einen Bauern weniger. Viermal geschah stattdessen 9.Ld3, in zwei Fernpartien anno 1976 (der Weisspieler Manfred Kahn, aus der damaligen DDR, war offenbar im Nah- und Fernschach recht gut), von Kamil Miton (2000 hatte er Elo 2425, später wurde er Grossmeister) sowie von Valentina Gunina (2003 bei der russischen Damenmeisterschaft U20 - damals hatte sie Elo 2213, aktuell hat sie mehr). Wie sollte Schwarz reagieren? Ist 9.Sxd5 wirklich quasi ein Gewinnzug? Computerprogramme (jedenfalls meine) gehen davon aus, bis man sie mit der richtigen schwarzen Antwort füttert.

Nun zeige ich, wie mein Mannschaftskollege gegen Warner de Weerd gewann - in grossem Stil, dabei eher nicht zur Nachahmung empfohlen. Zuerst zeige ich Warner de Weerd - auch er spielte vorige Saison für Purmerend, landete aus beruflichen Gründen in Schagen und nahm Piet Peelen mit zu seinem neuen Verein.

de Weerd Jussupow Caissa Eenhoorn

 

 

 

 

 

 

 

Nicht der Herr rechts, für diesen oder vergleichbare Spieler hat EP:Beerepoot usw. wohl doch nicht genug Geld, bzw. sie sind erst interessant/nötig nachdem sie ein paar Mal aufgestiegen sind. Artur Jussupow gab im März 2016 eine "Clinic" für Mitglieder von Caissa-Eenhoorn (aus Hoorn am Ijsselmeer), Warner de Weerd (links) war als Reporter vor Ort - Foto hier gefunden, eines von vielen im Artikel. de Weerd ist beruflich Journalist, damit kann er elf Sponsoren auch Medienaufmerksamkeit bieten (der zwölfte ist "de Weerd Tekst & Media"). Peelen-Richter war ein Duell etwa auf Kilo-Augenhöhe, Gerard Postma traf dagegen auf ein auch körperliches Schwergewicht.

Postma (1662) - de Weerd (2206)

1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 e5 Aha, Philidor - de Weerd spielt wie in seinen neueren Datenbank-Partien 4.Sf3 4.dxe5 dxe5 5.Dxd8+ Kxd8 geht, aber das kennt Schwarz wohl besser als Weiss Sbd7 5.Le2 Postma: "Ich wusste, dass 5.Lc4 üblich ist und 5.Le2 passiv, aber nach 5.Lc4 bekommt er was er wohl will" 5.-Le7 6.h3 muss (noch) nicht sein. 6.g4!? ist hier neumodisch, aber passt nicht zur Strategie, die Weiss in dieser Partie anwendet 6.-c6 7.Le3 b5 8.a3 0-0 9.0-0 Lb7 10.dxe5 Weiss betritt die gegnerische Bretthälfte! Allerdings nur für einen halben Zug 10.-dxe5 11.Sd2 Sc5 12.Lf3 Dc7 13.De2 a5 14.Tfc1!! Super-prophylaktisch - Weiss deckt den Bauern auf c2, acht Züge bevor Schwarz ihn angreift. Dass der andere Turm nach b1 gehört, ist Teil seines tiefen Konzepts. (Zwei Ausrufezeichen sind natürlich grosszügig, und auch nicht ernst gemeint) 14.-La6 15.De1 das musste nun sein

Postma de Weerd move 15

 

 

 

 

 

 

 

Die weisse Strategie wird deutlich - Schwarz darf kommen. Ich springe zur Stellung nach dem 30. weissen Zug - zwischendurch konnte Weiss sich mehrfach befreien, tat es aber nicht.

Postma de Weerd move 30

 

 

 

 

 

 

 

Wie gesagt, ein weisser Turm gehört nach b1. Sein Läufer stand auf f3 zu aktiv, d1 ist schliesslich auch ein Feld. Dito für einen Springer, der in die Ecke hüpfte (der andere wurde abgetauscht). Zuletzt war 30.g3 allerdings ungenau, warum? Hier ruft Stockfish 30.-d3! 31.cxd3 Dc3! 31.Txc3 bxc3 - Schwarz gewinnt! Ähnlich kam es später in der Partie, aber da bekam Weiss plötzlich Gegenspiel. Stattdessen geschah 30.-Lc6? (Fragezeichen von Stockfish) 31.Sf2 Lb5 32.Sh1 - konsequent aber objektiv schlecht. Hier hatte Weiss noch weniger als 5 Minuten, Schwarz noch etwa 11 - später wurde es eine wilde Zeitnotschlacht 32.-Ld6?! (32.-d3! 33.dxc3 Dd6 -+) 33.Sf2 Kg7? (genauso schlecht ist 33.-Kf8, warum?)

Postma de Weerd move 33

 

 

 

 

 

 

 

34.Sg4?! (34.Le2! geht, da 34.-Lxe2 35.Dxe2 Txc2?? [35.-Tc8 36.Kg2 Txc2?? 37.Sd3 Dc7 38.Txc2 Dxc2 39.Tc1] an 36.Txc2 Dxc2 37.Lh6+ ooops scheitert) 34.-f5 zweite Front 35.exf5 gxf5 36.Sf2 Kh8 (36.-e4! nebst -Sxg3 oder -e3) 37.Sd3 Lxd3 38.cxd3 Dc3!?!

Postma de Weerd move 38

 

 

 

 

 

 

 

Nun also doch - hier war z.B. 38.-Db5 einfach und gut. 39.Txc3 bxc3 40.Kg1? 40.f4! Txd2+ 41.Dxd2! cxd2 42.fxe5 Lb4 43.Lxh5 Ta5

Postma de Weerd Analyse

 

 

 

 

 

 

 

[Analysediagramm] Kann Schwarz das gewinnen? Verlieren kann er es jedenfalls nicht, also verdient das weisse 40.Kg1 angesichts des weiteren Partieverlaufs kein Frage-, sondern ein Ausrufezeichen!?

40.-Txd2 41.g4 Sf4 42.Dh4

Postma de Weerd move 42

 

 

 

 

 

 

 

Weiss wird frech! Und es funktioniert! 42.-Tf8?! 42.-Taa2 gewinnt glatt - in Zeitnot allerdings kaum zu sehen (ohne Zeitnot schwer genug), dass Weiss dann kein Dauerschach hat. Die Schlussphase dieser Partie offenbar vor vielen Kibitzern - ich war nicht dabei, da ich in einem anderen Raum meine Partie analysierte. 43.Dh6 erstmals seit dem 10. Zug betritt Weiss die gegnerische Bretthälfte, und diesmal bleibt er da länger 43.-Sg6?! wieder rückwärts, nach 43.-Le7 steht Schwarz offenbar immer noch gewonnen (warum, da müsste man lange Computervarianten betrachten oder gar selbst analysieren ...) 44.Ta1 fxg4? (44.-Le7!) 45.Ta7! die zweite weisse Figur in der gegnerischen Bretthälfte, den Ld1 wirft er über Bord 45.-Txd1+ 46.Kg2

Postma de Weerd move 46

 

 

 

 

 

 

 

Das ist nun das Titeldiagramm: Weiss droht offensichtlich Matt, Schwarz kann das nur mit Schachschachschachschach verhindern und eventuell dabei selbst mattsetzen. 46.-Sf4+?? So nicht!! Am einfachsten macht Schwarz mit 46.-Td2+ 47.Kg1 Td1+ usw. remis. Der weisse König darf weder auf die f-Linie (-Txf3+) noch nach g3 oder h2 (-e4+), da Schwarz dann tatsächlich schachforciert mattsetzen kann. Das wollte de Weerd wohl (und eben kein remis), aber dabei hat er sich in beiderseitiger Zeitnot selbst ausgetrickst. 47.Kg3! (bloss nicht 47.Kf2/h2 g3+ 48.Kxg3 Tg8+ usw. - Schwarz gewinnt) 47.-Tg1+ 48.Kh2! wieder nur so: 48.Kf2? Sxh3+ 49.Ke2 gxf3#; 48.Kh4? Sg6+ 49.Kh5 Tf5+ - letzteres hätte Postma nach eigener Aussage beinahe gespielt 48.-Tg2+ 49.Kh1

Postma de Weerd move 49

 

 

 

 

 

 

 

Nun hat Schwarz nur noch ein Desperadoschach, aber Weiss muss immer noch aufpassen: 49.-Tg1+ 50.Kxg1 Sxh3+ 51.Kh2 (nur Remis ist 51.Kf1?? Txf3+ nebst immer Dauerschach) 51.-e4+

Postma de Weerd move 51

 

 

 

 

 

 

 

Kurioser Moment: Postma wollte á tempo 52.Dxh7 "matt" spielen, dann sah er doch dass 51.-e4 ein Abzugsschach ist. Was wäre passiert, wenn Weiss das schwarze Abzugsschach ignoriert hätte? Da es keine Blitzpartie war, hätte Schwarz wohl (nach zunächst etwas "Theater"?) den Regeln entsprechend nur eine Zeitgutschrift bekommen und dann doch verloren. Aber wenn Weiss (der von Bonussekunden lebte) im entstehendn Chaos die Bedenkzeit überschreitet, gewinnt Schwarz diese Verluststellung. 52.Kh1!? (nun spielt Weiss "für die Galerie"? 52.Dxd6 ging auch, aber das hatte er in der Eile und Aufregung gar nicht gesehen) 52.-Sf2+ 53.Kg2 exf3+

Postma de Weerd move 53

 

 

 

 

 

 

 

Immer noch "ging" 54.Kxf2?? g3+ - Schwarz bekommt eine neue Dame und setzt Matt, bevor Weiss Zeit hat für Dxh7matt oder Dg7matt. Aber: 54.Kf1 1-0 So gewinnt man also gegen einen Elo-übermächtigen Gegner! Manchmal funktioniert es, sicher nicht immer - nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen (jedenfalls ich könnte so nicht spielen), aber Postma hatte ohnehin nichts zu verlieren.

Bleibt noch Smit - de Best Teil drei: Nochmals das erste Analysediagramm:

Smit de Best Analyse 1

 

 

 

 

 

 

 

Falsch ist hier 9.-Sxd5 10.Dxc6 Sb4 11.De4+ Kf8 12.Dxa8 Sc2+ 13.Kd1 Sxa1 14.Ld3 nebst 15.Ke2 und 16.Txa1 - auch wenn Computerprogramme das als Hauptvariante vorschlagen. Richtig ist 9.-cxd5! 10.Dc6 Dc7!

Smit de Best Analyse 2

 

 

 

 

 

 

 

Das sehen "meine" Computerprogramme erst, wenn ich sie damit füttere! Dann berechnen sie 11.Dxa8 0-0 12.Tc1 Sc5! (Kees de Best dazu: "das hatte ich vor gut zehn Jahren schon einmal auf dem Brett) 13.b4 Ld7 14.Dxf8+ Lxf8 15.bxc5 bxc5 16.dxc5 Se4 17.Le2 Lxc5 18.0-0

Smit de Best Analyse 3

 

 

 

 

 

 

 

Ich hätte hier doch etwas lieber Weiss, aber das mag Geschmackssache sein. 7.-b6!? ist jedenfalls wohl spielbar - ob es gar eine als grober Fehler verkleidete Eröffnungsfalle ist, sei dahingestellt. Später hatte übrigens Schwarz in dieser Partie einen Mehrbauern, aber erlaubte in Zeitnot eine Zugwiederholung. Vielleicht spielte, zumindest im Unterbewusstsein, eine Rolle, dass er diese Saison bereits zweimal Stellungen mit Mehrbauer in Zeitnot (die hat er eben öfters) noch verlor.

Ich könnte zu fast jedem Mannschaftskampf ähnlich ausführlich berichten (generell analysiere ich hinterher mit Computerhilfe alle Partien), aber das ist doch die Ausnahme. Stand in der Liga momentan:

 1  EP:Beerepoot Magnus-Anna Paulowna Chess  X 5   5   6   8 21½
2  Heerhugowaard 3  X       6 17½
3  Bergen    X     6 4 17½
4  De Waagtoren 4 3  X       4 16½
5  Aartswoud 2        X 5 4 15½
6  K.T.V. 2      X 4   3 15
7  En Passant       3 4  X 3 14
8  Castricum 2     2    X 0 10½

 

EPBMAPC (um es mal so abzukürzen, selbst nennen sie sich "MACH") ist praktisch bereits aufgestiegen, auch wenn sie selbst noch etwas tiefstapeln. Heerhugowaard stieg letzte Saison unglücklich ab und wollte wohl direkt wieder aufsteigen, aber das ist nun unwahrscheinlich. Immerhin ist Abstieg für sie wohl kein Thema, im Gegensatz zum Rest der Liga - zwei Teams steigen ab, Castricum2 kann wohl bereits für eine Etage tiefer planen (das wussten sie, zusammen mit uns aufgestiegen, schon vor der Saison). Da K.T.V. gegen Castricum2 wohl jedenfalls nicht verliert, brauchen wir irgendwie-irgendwo-irgendwann noch mindestens einen Mannschaftspunkt. Weiter geht's im Februar - im Januar wird hierzulande praktisch nur in Wijk aan Zee Schach gespielt.

Montag, 05 September 2016 13:24

Endspiele aus Baku

Ich bin ja nicht z.B. Mark Dvoretsky, der auf chess24 Endspiel-Videos veröffentlicht hat, u.a. zwei (34+38 Minuten) zur "Vancura-Position" - irgendwas in Turmendspielen, viel mehr habe ich ehrlich gesagt aktuell nicht parat. Trotzdem habe ich hier gelegentlich zu Endspielen geschrieben, heute ist es mal wieder soweit. Das Titelfoto bekommt aber nicht Dvoretsky sondern Melanie Lubbe - die sich da wohl besser auskennt als meinereiner, aber in einer praktischen Partie (mit tickender Uhr und knapper Bedenkzeit) auch nicht immer perfekt ist. Thema sind Turm- und auch Bauernendspiele, aus dem ersten wird manchmal das zweite, umgekehrt passiert es eigentlich nie. Allenfalls wird ein Bauern- ein Damenendspiel, und nur dann ist es (aus praktischer Sicht) gelegentlich "unklar" - sonst kann man "objektiv" immer sagen "Weiss gewinnt" oder "Schwarz gewinnt" oder "Remis".

Es gibt einen konkreten Anlass für diesen Beitrag: Vereinsintern üben wir derzeit Endspiele, und einige Praxis-Beispiele von der Olympiade in Baku passen wunderbar dazu. Der Artikel richtet sich dann auch an die Schachfreunde Postma, van Dorsten und van Heerwaarden, aber andere dürfen ihn auch lesen. Noch klafft eine Lücke von gut 1000 Elopunkten zwischen den Texelschen vans und andererseits van Wely und van Foreest. Die soll etwas kleiner werden, wobei ich bezweifle ob Loek (um seine eigenen Worte zu gebrauchen) irgendwann den "heissen Atem" meiner Vereinskollegen spüren wird.

Schwerpunkt im Beitrag sind deutsche Damen, einerseits Zufall andererseits nicht - ich habe nicht alle olympischen Matches beobachtet ... . Aber ich beginne bei den Herren: In Runde 1 gab es an Tisch 2 die Paarung USA-Andorra - die Amis waren (nicht nur weil sie sich zuletzt verstärkt haben) favorisiert und gewannen dann auch 4-0, aber an Brett zwei war Oscar De La Riva Aguado (immerhin GM mit Elo 2503) gegen Wesley So (ebenfalls GM, Elo 2782) sehr nahe am Remis. Oscar spielte Schottisch - etwa von Jorden van Foreest oder gar Sonja Maria Bluhm inspiriert? Eröffnung ist nicht Thema dieses Beitrags, und das ist auch die letzte Anspielung auf die NL-Meisterschaft und meinen Artikel dazu. Endspiel ist Thema dieses Beitrags - nach 44.-Kc6 stand es so:

So De la Riva

 

 

 

 

 

 

 

Aus einem Turmendspiel kann ein Bauernendspiel entstehen. "Wohin mit dem (hier weissen) König?" wird ein Leitmotiv dieses Beitrags. In der Partie geschah 45.Kf3?? Txg5 46.fxg5 d5 47.cxd5+ Kxd5 48.Kg4 (48.Ke3 Ke5 - hier wird Schwarz die weissen f- und g-Bauern verspeisen und anschliessend einen seiner nun beiden Freibauern umwandeln) 48.-b5 49.f4 b4 50.f5 b3 0-1. Weiss hat einen ungefährlichen Freibauern, Schwarz einen unaufhaltsamen.

Das war also falsch, richtig war 45.Kg3 Txg5 46.fxg5 d5 47.cxd5+ Kxd5 - soweit wie gehabt, und nun 48.f4 mit zwei Möglichkeiten: a) 48.-b5 49.Kf3 b4 50.Ke3 b3 51.Kd3 b2 52.Kc2 Ke4 53.Kxb2 Kxf4 usw. - der weisse König ist gerade rechtzeitig zurück, um den schwarzen h-Freibauern aufzuhalten; b) 48.-Ke4 49.Kg4 b5 50.f5 - hier ist der weisse Freibauer genauso stark wie der schwarze.

De La Riva investierte immerhin gut 6 Minuten für 45.Kf3??, dann nochmals - aber es war bereits zu spät - knapp 6 Minuten für 47.cxd5+. Also noch keine extreme Zeitnot, dennoch hatte er sich verrechnet. Dass Andorra Schach spielen kann, zeigten sie übrigens tags darauf durch ein 2,5-1,5 im Derby gegen San Marino.

Ein etwa vergleichbares GM-Duell in Runde drei im Match China-Brasilien - Weiss (GM Barbosa) ist mit Elo 2509 etwas besser als der Andorraner, Schwarz (GM Yu Yangyi) mit 2725 (noch?) nicht ganz so gut wie Wesley So. Nach 36.-Ta3+ stand es so:

Barbosa Yu Yangyi

 

 

 

 

 

 

 

Wohin mit dem (wieder weissen) König? In der Partie geschah 37.Ke4?? Ke6 0-1. 37.Kg4 Kg6 war auch nicht gut, der weisse König muss zurück (nach f2 oder g2). Auch in Endspielen droht mitunter Matt, hier war es Selbstmatt.

Diese beiden Partien wurden auch anderswo erwähnt, die nun folgende auch. Wesley Sos ehemalige Landsfrauen von den Philippinen spielten gegen die favorisierten Georgierinnen, und diesmal gewann (in Partie und Match) nicht das nominell bessere Team - unter anderem aufgrund dieser Partie, Stellung in Fronda(2128) - Khotenashvili(2463) nach 29.cxb3:

Fronda Khotenashvili move 29

 

 

 

 

 

 

 

Hier konnte und musste die favorisierte Schwarzspielerin die Türme auf dem Brett behalten - dann hat sie durchaus Gewinnchancen und kann jedenfalls kaum verlieren. Aber es kam 29.-d5 30.Txf4 gxf4+ 31.Kxf4 Ke6??

Fronda Khotenashvili move 31

 

 

 

 

 

 

 

Mal wieder das falsche Feld für den König, nun den schwarzen, warum? 32.b4! axb4 33.Ke3 b3 34.Kd2 c5 35.a5 usw. - ich bringe das nicht bis zum (für Schwarz bitteren) Ende: zwei entfernte weisse Freibauern (a- und f-) waren hier stärker als drei verbundene schwarze. Nach 31.-Kd6 hätte der Durchbruch übrigens nicht funktioniert, dann können die drei schwarzen Freibauern auch ohne königliche Hilfe marschieren - was genau der Unterschied ist habe ich nicht näher untersucht, aber Engines haben da sicher Recht. "Sicher" war aus schwarzer Sicht 31.-c5 - danach glaubten die Livekommentatoren an (weiterhin) schwarze Gewinnchancen, aber Engines sagen 0.00 also remis.

Nun zwei am Ende glückliche deutsche Damen. In Runde zwei hatte Melanie Lubbe (2324) Weiss gegen die Turkmenin Gozel Atabayeva (2021) - für Gozel eine leichtere Gegnerin als für ihre Verwandten(?) Maksat Atabayev, Yusup Atabayev und Saparmyrat Atabayev (bei den Herren Tisch eins gegen Russland), dennoch war sie Aussenseiterin bei etwa vergleichbarem Elo-Unterschied. Nach 50.Kc4 stand es so:

Lubbe Atabayeva move 50

 

 

 

 

 

 

 

Weiss am Zug, das wäre trivial - natürlich Turmtausch und gewonnenes Bauernendspiel. Schwarz am Zug, was tun? Richtig war auch hier der Turmtausch - danach hätte Weiss zwar einen entfernten Freibauern, aber Schwarz einen gedeckten. Der schwarze Gewinnplan nur grob skizziert: Der König nähert sich dem weissen a-Bauern und "befragt" diesen, dann im richtigen Moment d4-d3, diese beiden Bauern verschwinden vom Brett - und später auch alle anderen weissen Bauern, da Schwarz den aktiveren König hat und den weissen Monarchen immer weiter abdrängen kann. Nach viereinhalb Minuten (sie hatte Turmtausch wohl erwogen aber dann darauf verzichtet?) spielte Atabayeva 50.-Txe4?! - sieht auch gut aus aber gewinnt nicht. Nach drei Minuten spielte Lubbe das aktiv-richtige 51.Th3! - ab hier war die Bedenkzeit womöglich durchgehend beiderseits knapp (nach dem 40. Zug gibt es 30 Minuten Zugabe, danach - wie von Anfang an - 30 Sekunden Inkrement pro Zug, mehr nicht). Es folgte 51.-Tf4 52.Th7 Txf5 53.Txg7+

Lubbe Atabayeva move 53

 

 

 

 

 

 

 

Wieder eine Stellung mit drei verbundenen schwarzen Freibauern und zwei voneinander entfernten weissen, was ist besser? Engines sagen "ausgeglichen", wenn Schwarz das richtige Feld für ihren König wählt. Jedenfalls nicht auf die Grundreihe, dann kann Weiss seinen g-Bauern umwandeln, z.B. 53.-Kd8 54.Ta7 Tg5 55.g7 - Schwarz hat dann zwar 55.-Ke8 56.g8D Txg8 57.Ta8+ Kf7 58.Txg8 Kxg8aber Weiss gewinnt dann das Bauernendspiel: sein König steht im Quadrat der drei schwarzen Freibauern, der schwarze König steht nicht im Quadrat des weissen a-Bauern! Das hatte Atabayeva vielleicht gesehen, aber von den drei Feldern auf der sechsten Reihe wählte sie das falsche, nämlich 53.-Kd6??. Warum ist das falsch? Hier gewinnt 54.Tg8!, z.B. 54.-Ke7 55.Ta8 Tg5 56.g7 Txg7 57.Ta7+ Kf8 58.Txg7 Kxg7 siehe oben. Nach 53.-Kc6 oder 53.-Kb6 hat Schwarz, wenn/sobald nŽtig, den Zug -Kb7.

Aber Lubbe spielte 54.a4? - Stand im Elfmeterschiessen weiterhin 0-0. Es folgte 54.-Tf1 55.a5 Tc1+ 56.Kd3 Tc3+ 57.Ke2 Tc8 58.a6 e4 59.a7 Kc6 - Weiss steht wieder auf Gewinn, da Schwarz (ich verzichte auf Details) zwischenzeitlich nicht die richtige Balance fand zwischen beobachten/kontrollieren der weissen und mobilisieren der eigenen Freibauern. Nun 60.Tf7 (gut genug, 60.Th7 war offenbar noch besser) 60.-d3+ 61.Kd2 Td8:

Lubbe Atabayeva move 61

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz droht 62.-e3+ 63.Kxe3 d2, was tun? Richtig war (nur) 62.Te7! mit quasi Zugzwang nach 62.-f5 63.g7: Nach 63.-f4 kommt einfach 64.Txe4, nach einem Turmzug auf der achten Reihe kommt 64.Tf7 nebst Tf8, und nach 63.-Kb6 64.Td7! was den Turm von der d-Linie bzw. der achten Reihe vertreibt. Am besten sollte man dann die nette Variante 64.-Txd7 65.a8S+!!? Kb7 66.g8D e3+ 67.Kxe3 d2 68.Db3+ Kxa8 69.Da4+ Ta7 70.De8+ Kb7 71.Kxd2 sehen, da Dame gegen Turm und drei verbundene Freibauern sonst vielleicht nicht trivial gewonnen ist (und Dame gegen Turm muss man danach immer noch gewinnen). Falsch war Lubbes 62.Txf6+? Kb7 - wieder sagen Engines 0.00. 63.Tf7+ Ka8 64.Te7

Lubbe Atabayeva move 64

 

 

 

 

 

 

 

Zugzwang wie oben nach (nicht gespielt) 62.Te7 ? Nein, der schwarze f-Bauer ist nicht mehr auf dem Brett, und der schwarze König steht eingeklemmt auf a8. Das sollten eigentlich genug Tips sein, um die schwarze Verteidigung selbst zu finden - ich nenne sie daher erst später, stattdessen erst die Partiefortsetzung: 64.-e3+ 65.Txe3 Kxa7 (den hat sie erwischt, aber den g-Bauern nicht) 66.Txd3 Tg8 67.Td3

Lubbe Atabayeva move 67

 

 

 

 

 

 

 

- also nun Turm und Bauer gegen Turm, manchmal ist das remis - aber hier nicht, da der schwarze König zu weit vom Geschehen entfernt ist. Beide Könige bewegten sich Richtung g-Freibauer, der weisse ist schneller: 67.-Kb6 68.Ke3 Kc6 69.Kf4 Kd6 70.Kg5 Ta8 (nach 70.-Ke5 wird der schwarze König mit 71.Te3+ wieder auf die d-Linie geschickt) 71.Kf6 Tf8+ 72.Kg7 Tf2

Lubbe Atabayeva move 72

 

 

 

 

 

 

 

Melanie Lubbe studiert(e) zwar Psychologie und nicht Bauingenieurwesen, aber eine Brücke bauen kann sie, jedenfalls diese: 73.Te3 Tg2 74.Kf7 Tf2+ 75.Kg8 Tg2 76.g7 Kd7 77.Te4 Tg1 78.Kf7 Tf1+ 79.Kg6 Tg1+ 80.Kf6 Tg2 81.Te5 Tf2 82.Tf5

Lubbe Atabayeva move 82

 

 

 

 

 

 

 

1-0

Im 64.Zug musste Schwarz 64.-Tg8 spielen, und erst nach 65.g7 Material über Bord werfen: 65.-e3+ 66.Kxe3 (66.Txe3 Txg7) 66.-d2 67.Kxd2 Txg7 68.Txg7

Lubbe Atabayeva Variante

 

 

 

 

 

 

 

Abweichendes Borddesign, da es eine Variante ist und da das Melanie Lubbe wohl nicht gefallen hätte.

Tags darauf gewann Marta Michna(2383) im Match Deutschland-Aserbaidschan 2 ebenfalls in 82 Zügen gegen Khayalla Abdullah (2214), aber da steige ich erst im 75. Zug ein:

Michna Abdulla move75

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz am Zug, was tun? Richtig war 75.-Th7! und Weiss kann keine (weiteren) Fortschritte machen. Aber Frau Abdullah tat mir einen Gefallen und erzeugte mit 75.-Txa4? eine Tablebase-Stellung - da weiss auch ich genau was Sache ist. Frau Michna tat sie damit auch einen Gefallen, aber die sah es nicht und spielte 75.b6? - 75.Te7+, nur so! 75.-Kc8 76.Kb6 Tb4 (sonst 77.Ka7 - der weisse König versteckt sich hinter dem schwarzen a-Bauern - nebst b6-b7-b8D) 77.Kxa5 und auch hier kann Weiss dann eine Brücke bauen. In der Partie geschah dann 76.-Ta1 77.Te7+ (zu spät, da der weisse König nun nicht mehr vor seinen Bauern kommt) 77.-Kc8?? 78.b7 SCHACH 78.-Kb8 79.Kb6 Tb1+ 80.Ka6 (im grauen Diagramm oben hätte Weiss gerne einen a-Bauern heimlich entfernt, hier Schwarz) 80.-Tb2 81.Te8+ Kc7 82.Tc8+ 1-0. Natürlich war 77.-Kb8 oder auch 77.-Ka8 (78.b7+ Ka7) aus schwarzer Sicht besser, noch schlechter war übrigens 77.-Ka6 78.Ta7 matt.

Lubbe-Atanbayeva war übrigens nicht matchentscheidend, aber 3,5-0,5 war aus deutscher Sicht besser als 3-1 oder 2,5-1,5. In Runde 3 sicherte Marta Michna so ein 2-2 Remis für Deutschland (immer noch etwas enttäuschend, aber 1,5-2,5 wäre schlechter gewesen).

 

 

Freitag, 02 September 2016 21:52

Olympischer Blick nach Belgien

Vor zwei Jahren hatte ich die damalige Olympiade (auch) "von unten" betrachtet - ein kleiner Bericht zum Team aus Bhutan. Diesmal etwas zu einem Land, das nur im Alphabet relativ nahe bei Bhutan liegt, allerdings weder schachlich noch kulturell noch geographisch. Belgien ist Nummer 64 der Setzliste, damit oberes Mittelfeld knapp hinter Schottland und recht knapp vor Mazedonien (politisch korrekt heisst das FYROM). Nach Elo besser sind unter anderem Portugal, Singapur, Bangladesch (schon sind wir wieder in der Nähe von Bhutan) und die Mongolei. Das musste nicht unbedingt sein - in Bestbesetzung wäre Belgien immerhin etwa Nummer 41, auf Elo-Augenhöhe mit Österreich, Bosnien-Herzegovina und Dänemark. Aber sie spielen nicht in Bestbesetzung, sondern mit der Nummer 1 (immerhin), 13, 15, 21 und 46 ihrer aktuellen Eloliste. Ersatzspieler FM Roel Hamblok ist nebenbei auch Kapitän, auch die Belgierinnen haben mit Sarah Dierckens eine Kapitänin die selbst auch mitspielt. Wie kam das zustande? Dazu habe ich ein bisschen recherchiert - bei zwei Quellen die womöglich anonym bleiben wollen, eine nannte auch öffentliche Quellen die ich (der niederländischen Sprache mächtig, Französisch ginge auch) verstehe.

Natürlich ist Belgien ohnehin ein eher kleines Schachland, schachlich am ehesten denen ein Begriff die (darunter mindestens ein Leser dieses Blogs) in der belgischen Liga spielen. Ein paar GMs und IMs haben sie doch, sowohl einheimische als auch zugereiste (dieser Aspekt bleibt nun aussen vor). Was hat der belgische Schachverband nicht oder nur sehr begrenzt? Geld. Dafür gibt es offenbar mehrere Gründe: Seit Jahren wird eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge blockiert, Sponsoren wohl Fehlanzeige - und es gibt noch einen dritten Grund den beide Quellen erwähnten, den ich aber mangels Details nicht direkt nenne. Womöglich hat es aber damit zu tun, dass der Haushalt nun auf der Verbandsseite detailliert dokumentiert wurde. Es gibt drei Einnahmequellen: Mitgliedsbeiträge pro Jahr ca. 50.000 Euro, Subvention vom BOIC/COIB (was ist das denn und warum zwei Akronyme? dazu komme ich gleich) 1500 Euro, sowie die belgische Liga die pro Jahr ca. 20.000 Euro einbringen soll. Neben Meldegeldern von gut 15.000 Euro waren im Haushalt 2013/2014 auch Geldbussen in Höhe von 3800 Euro vorgesehen - die Vereine haben sich dann zwar daneben benommen (Details kenne ich nicht) aber nicht genug, so kam nur 3107,50 Euro in die Verbandskasse. Daran lag es aber kaum, dass sie 2013/2014 etwa 28.000 Euro Verlust machten, statt der einkalkulierten Bilanz von minus 12.000 Euro (der geplante Haushalt 2014/2015 war solider, nur 11.000 Euro Verlust). Entscheidend waren wohl vor allem höhere Kosten für die Olympiade in Tromso (geplant 8.000 Euro, es wurden 15.300 Euro) sowie für internationale Jugendturniere (geplant 12.000 Euro, tatsächlich gut 32.000 Euro).

Wer oder was ist das BOIC/COIB? Das bedeutet Belgisch Olympisch en Interfederaal Comité bzw. Comité Olympique et Interfédéral Belgique, alles in Belgien schön doppelt, auf Deutsch hiesse es Belgisches Olympisches Komitee. Die müssen vorhandene Gelder breit verteilen, da fast alle Sportarten drei Landesverbände haben - einen nationalen, einen frankophon-wallonischen und einen flämischen. Das kleine bisschen deutschsprachiges Belgien ist da übrigens recht bescheiden - eigene Verbände nur für Boxen, Wintersport und Ringen. Wie das Titelbild zeigt, ist der Schachverband dreisprachig.

Klar war, dass sie (Halb-)Profis keine Konditionen bieten konnten. Bei der Olympiade 2014 in Tromso war Belgien (GM Winants, GM Michiels, IM Ringoir, IM Docx, FM Vandenbussche) noch an 44 gesetzt, übrigens wurden sie dann - nach Niederlage in Runde 10 gegen Kanada und (zu) knappem 2,5-1,5 Sieg gegen Luxemburg in der Schlussrunde - 67. . Zufriedener waren sie wohl mit dem ebenfalls knappen 1,5-2,5 gegen Deutschland. Bei der Europa-Mannschaftsmeisterschaft 2015 in Reykjavik spielten dann vier IMs, Ersatzspieler Fehlanzeige - an 32 gesetzt wurden sie 33. . Und wie kam diesmal das Team (GM Winants, IM Vandenbussche, IM Soors, FM Capone, FM Hamblok) zustande? Man konnte ja kaum die Eloliste nacheinander von oben bis relativ weit unten befragen, bis endlich fünf Spieler ja sagen. Machten sie auch nicht, stattdessen eine Einladung auf der Verbandsseite - eine meiner Quellen meinte: "da die Verbands-Webseite selten aktualisiert und daher kaum gelesen wird, haben viele das wohl gar nicht gesehen". Jedenfalls konnte jeder, der die Voraussetzungen erfüllt (oder eventuell auch nicht alle Voraussetzungen) sich um einen Platz in der Nationalmannschaft bewerben. Welche Voraussetzungen? 1) Belgischer Staatsbürger oder "FIDE-Belgier" mit seit zwei Jahren Wohnsitz in Belgien. 2) Elo (April 2016) mindestens 2250 für Herren bzw. 1800 für Damen (auf Basis aktueller Elozahlen konnten sich 62 Herren und immerhin 13 Damen bewerben). 3) mindestens 20 Elo-ausgewertete Partien in Belgien im Zeitraum Juni 2014 bis Mai 2015. 4) mindestens einmal Teilnahme an der belgischen Landesmeisterschaft (geschlossenes "Experten"-, offenes bzw. Damenturnier) in den letzten 3 Jahren. Wer nicht alle Voraussetzung erfüllte, konnte sich auch bewerben und musste dann begründen, warum er besondere Verdienste für das belgische Schach aufzuweisen hat - wobei Spieler die alle Kriterien erfüllen dennoch bevorzugt werden. Was gab es dafür? Reisekosten, Unterbringung mit Vollpension im Einzel- oder Doppelzimmer sowie 150 Euro Pauschale für andere Kosten - kein Startgeld, keine Erfolgsprämien, damit ist es für (Halb-)Profis eher nicht interessant. Die "ewige" belgische Nummer eins Luc Winants hat anscheinend einen "Privatsponsor".

Wenn ich richtig gezählt habe, hat Winants übrigens Kriterium 3) knapp verfehlt - 19 Partien in Belgien im relevanten Zeitraum, alles Mannschaftskämpfe, keine Turniere. Ich weiss nun nicht, ob er vom Verband gar nichts bekommt, ob sich insgesamt gerade mal fünf Spieler beworben haben, oder ob es für ihn eine Ausnahmeregelung gab (wenigstens ein GM sollte dabei sein). Demnach kam die belgische Nummer 2 Gurevich nicht in Frage - er spielte die letzten Jahre zwar ab und zu, aber gar nicht in Belgien. Womöglich gibt es noch einen anderen Grund: zwischendurch war er ja Schachtürke, und falls der belgische Verband die "transfer fee" von 5000 Euro an die FIDE nicht gezahlt hat, ist er (siehe hier) erst ab 1.10.2016 wieder für Belgien spielberechtigt. In Baku ist er übrigens doch bzw. nun doch nicht - er war als Kapitän des komplett elolosen Teams aus Djibouti vorgesehen, aber Djibouti ist zur ersten Runde nicht erschienen und wurde für die zweite Runde nicht gepaart. Die belgische Nummer 3 Chuchelov kam auch nicht in Frage - er ist vor allem Schachtrainer und spielt fast gar nicht mehr selber (eine Partie in der belgischen Liga im relevanten Zeitraum, das war's). Die nächsten vier GMs (Michiels, Malakhatko, Dgebuadze, Ringoir) und diverse IMs verzichteten offenbar.

Das geschwächte belgische Team war in Runde eins gut genug für ein 4-0 gegen Sao Tome & Principe - etwas schwächer als Texel in Bestbesetzung, aber wir sind ja nicht unabhängig und daher nicht spielberechtigt. Schade eigentlich, auch mit den niederländischen Antillen, Jersey, Guernsey und San Marino könnten wir etwa mithalten, und gegen einige andere Gegner wären wir Favorit. In Runde 2 steht Belgien nun im Rampenlicht - Tisch 3 gegen Titelverteidiger China! Die Damen hatten es in Runde eins noch leichter und gewannen locker-kampflos gegen Djibouti, in Runde zwei sind sie gegen Usbekistan Aussenseiter.

Dienstag, 12 Juli 2016 12:04

Zum Heulen für Lev Yankelevich

"Om te janken" (Niederländisch für "heulen") passt eigentlich besser, aber dies ist nun einmal eine deutschsprachige Seite. Was war passiert? Er hatte Schwarz, vom 20.-80. Zug lautete das Computerurteil (fast) durchgehend -2 bis -3, dann ein paar Züge lang "remis", dann kippte die Partie im 88. Zug nochmals zu seinen Gunsten, dann im 89. Zug und nun definitiv zu seinen Ungunsten - 1-0 statt 0-1. Das ist immer ärgerlich, vielleicht erst recht wenn der Gegner ein bekannter (oder jedenfalls nicht "unbekannter") Grossmeister ist. Hier, gespielt beim Najdorf Memorial in Warschau, war es der beste Spieler aus den Vereinigten Arabischen Emiraten - Salem Saleh oder auch Saleh Salem, da widersprechen sich diverse Quellen (und das hatte ich ihn selbst, als ich 2015 in Wijk aan Zee die Chance hatte, nicht gefragt).

Derlei Elo-ungleiche Duelle gibt es oft in offenen Turnieren oder auch Mannschaftskämpfen - hier knapp 200 Elopunkte Unterschied, manchmal noch mehr. Wenn der Favorit das souverän gewinnt, ist es eher nicht Stoff für einen Artikel. Aber nicht immer gewinnt der Favorit souverän, mitunter gewinnt er nicht oder nur mit dem Glück des Grossmeisters. Dies ist quasi Teil drei einer Trilogie (Fortsetzung folgt eventuell irgendwann wenn es sich ergibt): 1) Ivan Sokolov, übrigens Trainer von Salem Saleh oder Saleh Salem, zappelte bei der französischen Mannschaftsmeisterschaft 2015 gegen den titellosen Sebastien Tranchant und dann wurde es remis. 2) Markus Ragger besiegte dieses Jahr bei der Europameisterschaft den ebenfalls titellosen Kosovaren Perparim Makolli, aber wie ... .

Lev Yankelevich (*1997) ist ein etwas anderes Kaliber als Tranchant oder Makolli, immerhin Elo 2415 (wobei er seit gut einem Jahr auf diesem Niveau stagniert) und demnächst offiziell IM - vier Normen hat er erzielt, die letzte beim eingangs erwähnten Grenke Open, der nächste FIDE-Kongress ist bei der Olympiade in Baku. Er spielte früher Bundesliga für Trier, da gab es dann offenbar Meinungsunterschiede betrifft seine weitere Förderung. Aktuell spielt er für Eppingen eine Etage tiefer, daneben auch in Luxemburg sowie Turniere in Deutschland und Umgebung, nun in Polen. Seinen Gegner will ich auch noch fotografieren, bzw. das tat Alina l'Ami für mich 2015 in Wijk aan Zee:

Saleh

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt noch viele andere Fotos von ihm, teils auch in traditionell arabischem Outfit, und Bart hat er mal mehr mal weniger. Auch beim Najdorf Memorial wurde fotografiert - darunter viele junge Spieler (wohl noch jünger als Yankelevich und vermutlich sind es Polen). Das muss hier nicht sein, aber ein Turniersaal-Panorama:

Turniersaal Warschau

 

 

 

 

 

 

 

Und nun zur Partie - komplett will ich sie nicht besprechen, wobei ich alle 96 Züge und ein paar knappe Varianten im Internet deponiert habe. Die Eröffnung ignoriere ich mal und steige ein nach 20.-Ld6:

Salem Yankelevich move 20

 

 

 

 

 

 

 

Zuvor war 18.Lc3 La3 19.Ta1?! (19.Lb2 =) 19.-Sb6 20.Sb1 (äh) Ld6 nicht unbedingt das Gelbe vom Wüstensand, nun entkorkte der Favorit 21.La5?. Guter Rat war im Vorteilssinne ohnehin teuer, aber im Ausgleichssinne besser war 21.g3 um zu verhindern was nun kam: 21.-Dh4! befragte zusammen mit dem nächsten Zug den ebenso "aktiven" wie ineffektiven Lh3: 22.Sd2 (Springer wieder entwickeln ist schon naheliegend) 22.-Lc8 23.Lxc8 Lxh2+ (Computer bevorzugen 23.-Dxh2+, warum wird gleich klar) 24.Kf1 Txc8 25.Dc5(?) [hier "ging" 25.Sxe4 Dxe4 26.Dxe4 Txe4 27.g3 Lxg3 28.fxg3 - wobei das auch wahrlich nicht toll ist aus weisser Sicht] 25.-Ld6 (nun behält Schwarz diesen Läufer doch) 26.Dc6 Dh1+ 27.Ke2 Dh5+ 28.Ke1 Sd5 (war natürlich bei 19.-Sb6 bereits geplant) 29.g4 Dg5 30.Tdc1

Salem Yankelevich move 30

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Computer plädieren für 30.-Sxe3 31.fxe3 Dxe3+ 32.Kd1 Dxd4 und schreiben die Todesanzeige für den re-zentralisierten weissen König - plausibel, aber muss Schwarz so spielen? Was, wenn Weiss doch noch Ressourcen haben sollte? Yankelevich dachte (falls er das überhaupt erwogen hat) "warum opfern, wenn ich auch Material gewinnen kann?" und spielte 30.-Lb4 31.Lxb4 Sxb4 32.Dd7 Sd3+ 33.Ke2 Tcd8 34.Df5 Sxc1+ 35.Txc1 Dxf5 36.gxf5 Te7

Salem Yankelevich move 36

 

 

 

 

 

 

 

Das sieht auch gut aus, "der Rest ist Technik"!? Er wusste sicher, dass der Grossmeister zumindest noch weiterspielen wird und dass die Verwertung des materiellen Vorteils nicht trivial ist. Wie gewinnt man eine Gewinnstellung am "einfachsten", im Mittelspiel oder im Endspiel? Dann wurde manövriert, vielleicht teilweise auch nur hin und her gezogen, ich steige wieder ein nach 62.-a5?!

Salem Yankelevich move 62

 

 

 

 

 

 

 

Er wollte seinen a-Bauern behalten und nun konnte Weiss Gegenspiel bekommen mit 63.e5! Txd5 64.Txf6+ Kg5 (bitte nicht 64.-Kg7?? 65.Se6+ nebst 66.Tf8 matt) 65.Tf5+ Kg4 66.Tf4+ Kg3 67.Te4 - der schwarze König musste (um Dauerschach zu vermeiden) ins Abseits flüchten, der weisse e-Freibauer ist potentiell gefährlich. Ob das aus weisser Sicht (zum Remis) reicht, sei dahingestellt. Nachdem der Weisspieler diese Chance verpasste (63.Kf4) blieb Schwarz weiterhin am Drücker, wobei Saleh (ich entscheide mich nun für diese Version) weiterhin alles versuchte - so stand es nach 76.Kf5 um den Bauern auf f6 nun doch zu verhaften:

Salem Yankelevich move 76

 

 

 

 

 

 

 

Am besten war nun 76.-Th3 - Tempogewinn durch Angriff auf den Springer bevor dieser wieder ins Geschehen eingreifen kann, Platz machen für den b-Bauer. Yankelevich spielte 76.-Tb1?! und ab hier bringe ich das dramatische Finale komplett: 77.Txf6+ Ke8 78.Ke6 Te7+ 79.Kd6

Salem Yankelevich move 79

 

 

 

 

 

 

 

Schon wieder ein Diagramm, denn hier kippte die Partie erstmals (abgesehen von dem einen Moment im 63. Zug). Was spricht gegen 79.-Txe4 ? Nichts, sagen Computer die das mit 80.Sg6 Kd8 (muss natürlich sein) 81.Tf8+ Te8 82.Tf7 Kc8 usw. näher erläutern - hier kann Weiss seine Figuren (und den verbliebenen d-Bauern) nicht effizient koordinieren. Das war nicht der einzige schwarze Gewinnweg, das gespielte 79.-b3? war objektiv ein Remisweg: 80.Sg6! (das hätte 76.-Th3! verhindert) 80.-Tf7 81.Te6+ Kd8 82.Se5 Tc7 83.Th6 Kc8 84.Th8+ Kb7 85.Sc6 Tg7 86.e5 b2 87.Tb8+ Ka6 88.e6??

Salem Yankelevich move 88

 

 

 

 

 

 

 

Aber so "eigentlich" nicht, wollte Saleh tatsächlich gewinnen? Der e-Bauer wird zwar zum weissen Helden der Partie, aber nur dank doppelter gegnerischer Hilfe. 88.Tb3 oder 88.Ta8+ ist weiterhin remislich. 88.-a4?? - so nicht! Nach 88.-Tb7 entscheidet nicht der weisse e-Bauer, sondern in die andere Richtung der schwarze b-Bauer. Es gibt diverse Varianten, aber alles will ich nicht rezitieren (falls irgendjemand daran zweifelte, natürlich befrage ich Computer statt selbst zu analysieren!). 89.e7 - spätestens hier bereute Schwarz, dass er 79.-Txe4 verworfen hatte.

Salem Yankelevich move 89

 

 

 

 

 

 

 

Nun gibt es diesen Bauern nicht mehr gratis, Pflicht war 89.-Txe7 90.Sxe7 a3 91.Ta8+ Kb5 92.Txa3 Kc4 - und der jederzeit einzugsbereite b-Bauer sichert immerhin das Remis. Aber ... 89.-Tg6+?? 90.Kc7 (droht 91.Tb6 matt, also) 90.-Txc6+ 91.dxc6 Te1 92.e8D Txe8 93.Txe8. Nun geht zwar 93.-b1D, aber Weiss kann das mit 94.Ta8+ nebst 95.Tb8+ nebst 96.Txb1 entkräften - das hatte Yankelevich wohl übersehen. Es folgte noch 93.-Ka7 94.Te4 Ka6 (94.-b1D 95.Txa4 matt, auch das noch ...) 95.Txa4+ Kb5 96.Ta8 1-0.

Die Moral der Geschichte? "Nichts ist schwieriger, als eine gewonnene Partie zu gewinnen" - aber das wusste das Publikum bereits aus früheren Artikeln, der eine oder die andere (ich selbst gehöre zu diesem Kreis) wohl auch aus eigener Praxis. "Durch Aufgeben wurde noch nie eine Partie gewonnen" - noch so ein Spruch. Beiderseits chronisch knappe Zeit mag eine Rolle gespielt haben: Zeitkontrolle ist 90 Minuten für 40 Züge, dann nochmal 30 Minuten mit 30 Sekunden Zugabe pro Zug von Anfang an. Mehr als zwei Minuten pro Zug konnten beide letztmals im 56. Zug investieren. Vergleiche zwischen Schach und Fussball hinken immer, aber auch bei der EM der Kicker galt mitunter "Man gewinnt, indem man ein Tor schiesst (bzw. mindestens eines mehr als der Gegner), nicht unbedingt indem man die Partie über weite Strecken dominiert ohne dabei Tore zu schiessen." Elfmeterschiessen - bzw. in einem Viertelfinale munteres Elfmeterverschiessen - ist eher mit Armaggedon im Schach vergleichbar.

P.S.: Diverse andere (oft junge) Deutsche spielen derzeit ebenfalls in Warschau, aber das kann oder will ich in diesem Artikel nicht auch noch besprechen.

Sonntag, 22 Mai 2016 13:15

Ende gut, alles gut für Markus Ragger

Im heutigen Bericht sieben Diagramme - darunter ein Analysediagramm - zu einer Partie der laufenden Europameisterschaft. Im Titel erwähne ich den Sieger, da er beim Publikum wohl bekannter ist - aus diversen Gründen: Österreicher, Grossmeister mit Elo fast 2700 (live-aktuell 2693.3, konnte durchaus etwas weniger sein), deutscher Mannschaftsmeister mit Solingen (jedenfalls mit klassischer Bedenkzeit, im Blitzschach gestern war er nicht dabei und dann hat Bad Emstal/Wolfhagen - liegt offenbar irgendwo in Russland - gewonnen), Harikrishnas Sekundant in Norwegen, Interview-Partner der Krennwurzn, ... . Sein Gegner Perparim Makolli ist dagegen titelloser Kosovare mit Elo 2261. Das Titeldiagramm (Schwarz am Zug gewinnt, aber das darf der Leser selbst finden, Ragger fand es) deutet einen souveränen und schön herausgespielten Sieg des klaren Favoriten an, dem war nicht so. Ich hatte die Partie weitgehend live verfolgt, und Weiss stand deutlich besser bis gewonnen. Dann habe ich mich ausgeklinkt, und am Ende gewann doch Schwarz.

Ragger spielt, wie bereits erwähnt, in der deutschen Bundesliga, daneben auch z.B. in der österreichischen Liga und diverse Turniere. Makolli spielt vor allem in der Balkan-Region und daneben europäisch, sowohl individuell als auch beim Europacup für Vereinsteams. Im Kosovo ist er immerhin Nummer 4 (bei der aktuellen Europameisterschaft spielen noch diverse Landsleute, die teilweise gar keine Elozahl haben), Jahrgang 1965 also nicht unbedingt ein Jungstar. Tags zuvor hatte er Sebastian Bogner besiegt, vielleicht der grösste Erfolg seiner bisherigen Karriere - denn Bogner ist (Deutscher oder auch Schweizer und) immerhin GM, wenn auch nicht so nominell gut wie Ragger. Das war ausserhalb der Liveübertragung und ist daher nicht überliefert. Ragger verlor dagegen gegen den Armenier Ter-Sahakyan - da war es vermutlich ein Patzer, der zwei Leichtfiguren für einen Turm kostete, in der hier besprochenen Partie hat er sicher absichtlich geopfert.

Makolli (2261) - GM Ragger (2696)

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.a4!? - und schon das erste Diagramm:

Makolli Ragger move 6

 

 

 

 

 

 

 

Nicht gerade die prinzipiellste Fortsetzung gegen Najdorf, aber so bekommt Schwarz nicht die von ihm eher angestrebten Stellungen mit bei Gelegenheit -b5. In der Weltklasse spielten das die positionell ausgerichteten und etwas theoriefaulen Adams und Kamsky mehrfach, andere auch sporadisch. 6.-e5 7.Sf3 Le7 8.Lg5 0-0 9.Lxf6 Lxf6 10.Sd5 da steht der Springer gut - wie kann Schwarz sein Läuferpaar benutzen und überhaupt aktiv werden? 11.c3 g6 12.a5 Tb8 13.b4 Lg7 14.Lc4 Kh8 15.h4!? h6 16.Dd3 Le6 17.Td1 f5 18.Sd2 Se7 19.Sb6 d5 20.exd5 e4 unter Bauernopfer wird er aktiv und will dem weissen König an den Kragen - egal ob der in der Mitte bleibt oder doch noch kurz rochiert. Vielleicht nicht ganz korrekt, aber unter dem Motto "kalkuliertes Risiko"!? 21.Dh3 Lg8 22.0-0 Dd6 23.Sb3 Sc8 24.Sa4! schaut nach c5 24.-de7 25.Sbc5 Sd6 26.Le2 Lf6 27.De3 Kg7 28.g3 Tbe8 29.Sb6

Makolli Ragger move 29

 

 

 

 

 

 

 

Und nun gewinnt Schwarz seinen Bauern zurück, allerdings auf Kosten einer Figur: 29.-Lxh4!? 30.gxh4 [Engines bevorzugen 30.Se6+!? (kontrolliert zunächst Feld f4) 30.-Lxe6 31.dxe6 (nun droht auch 32.Dd4+) 31.-Lf6 32.Dc5 Td8 33.Sd7 Txd7 34.exd7. Das ist zwar nur eine Qualität, aber übersichtlicher, zumal der Bauer auf d7 jedenfalls zunächst auf dem Brett bleibt.] 30. - f4 31.Dd4+?! [So ist das schwarze Opfer im Ausgleichssinne korrekt, richtig war 31.Dh3 f3 32.Lc4 Tf4 33.Se6+ wieder dieser legale und starke Zug 33.-Lxe6 34.dxe6 Txh4 35. Dg3 Dg5 (35.-Sf5 36.Td7, bloss nicht 36.De5+?? Kg8 -+) 36.Td5 Sf5 37.Td7+ Kh8 38.Dxg5 hxg5 39.Tfd1 Tg4+ 40.Kf1 Th4 42.Ke1 e3 42.fxe3 g4 - wie weit kann/muss man diese und andere Varianten berechnen? Und es ist immer noch etwas unübersichtlich:]

Makolli Ragger analyse move 31

 

 

 

 

 

 

[Analysediagramm zum 31. Zug]

31.-Kh7 32.Lg4??

Makolli Ragger move 32

 

 

 

 

 

 

 

Und schon das nächste Diagramm - hier war nun 32.-Dxh4 aus weisser Sicht "kaputt". Ich verzichte auf Varianten. Aus weisser Sicht richtig war 32.Sbd7, 32.Se6 oder 32.f3 - jeweils 0.00, auch hier verzichte ich auf Varianten (oft zum Schluss Dauerschach). 32.-f3?? Ragger verzichtet auf die Chance, für seinen (Über)Mut belohnt zu werden. 33.Se6 jetzt spielt er das, musste auch sein 33.-Tf4??! Was ist das denn? Natürlich scheiterte 33.-Dxh4 am Zwischenmattt 34.Dg7, und 33.-Lxe6 34.dxe6 Dxh4 35.Dxd6 Dg4+ 36.Dg3 Dxg3+ 37.fxg3 e3 38.Sd7 e2 39.Sxf8+ Txf8 40.Td7+ Kg8 41.Kf2 exf1D 42.Kxf1 Te8 43.Txb7 Txe6 ist ein für Weiss klar besseres (gewonnenes) Turmendspiel. 34.Sxf4 Man nehme 34.-Dxh4 Man nehme - ist allerdings ein ungleiches Geschäft:

Makolli Ragger move 34

 

 

 

 

 

 

 

Und hier hat Weiss einen ebenso spektakulären wie überzeugenden Zug, nach dem Ragger wohl seine Gewinn- und Remisversuche eingestellt hätte. Das darf der Leser selbst finden (kleiner Tip am Ende des Artikels), Makolli fand es nicht und spielte 35.Lxf3 (der zweitbeste Zug, der auch zum Sieg ausreichen sollte [wie auch 35.Lh3]) 35.-exf3 36.Se6 (wieder der zweitbeste Zug, der auch zum Sieg ausreichen sollte) 36.-De7 (muss sein, es drohte ja wieder Dg7 matt, und der Damentausch 35.-Dxd4 36.Sxd4 ist hoffnungslos, da danach der Bauer auf f3 verschwinden wird) 37.Df4 Sf5 38.Dc7?! (das Bedürfnis, bei luftigem eigenem König die Damen zu tauschen, ist verständlich. Aber nun kann Schwarz noch wühlen ...) 38.-Dxc7 39.Sxc7 Te4!

Makolli Ragger move 39

 

 

 

 

 

 

 

40.Td4! Im Gewinnsinne der einzige Zug - immerhin behält Weiss eine Mehrfigur und den potentiell starken d-Freibauern. Ausserdem ist nun die Zeitkontrolle geschafft. Wie knapp die Bedenkzeit zuvor beiderseits war, lässt sich nicht rekonstruieren (Weiss investierte nur 10 Sekunden für 38.Dc7?!). Hätte Makolli gewusst oder geahnt, was später passieren würde - dann hätte er wohl das Dauerschach mit -Tg4+ und -Th4+ zugelassen/akzeptiert. 40.-Sxd4 41.cxd4 Txd4 "Der Rest ist Technik" aus weisser Sicht - allerdings nicht trivial, und er sollte daran komplett scheitern. 42.Kh2 g5 vorwärts! 43.Te1 Lf7 44.Te7 Kg6 45.Te3 g4 vorwärts! Dagegen gilt ja für den weissen Bauern auf d5 wegen Turm auf d4 "bis hierher und nicht weiter" 46.Kg3 h5 vorwärts! 47.Se6 Td1 48.Kf4 Td2 49.Kg3 Kf5 50.Sc8 Kf6 51.Sb6 Kf5 52.Sg7+ Er will keine Zugwiederholung mit 52.Sc8 - objektiv immer noch zu Recht 52.-Kg5

Makolli Ragger move 52

 

 

 

 

 

 

 

Hier ist der Gewinn allerdings keinesfalls trivial - Weiss muss wohl auf Kosten seiner Mehrfigur den Bauern auf h5 vernichten und dann auf seinen d-Bauern setzen. Stattdessen 53.Se6+?? (zuvor war das mehrfach gut, nun ist es total falsch!) 53.-Lxe6 54.dxe6 h4+ 55.Kh2 g3+ 56.Kh3 gxf2 57.Tf3

Makolli Ragger move 57

 

 

 

 

 

 

 

Das Diagramm hatten wir bereits, nach 57.- (das darf der Leser selbst finden) gab Makolli auf. Zwei Tips zu den Taktikaufgaben: Beim fünften Diagramm geht es weniger darum, noch einen Bauern zu gewinnen, sondern darum Damentausch zu günstigen Bedingungen zu forcieren. Und im Titel- und letzten Diagramm geht es darum, die Umwandlung des Freibauern zu ermöglichen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir nicht darum, Markus Ragger vorzuführen - wobei der Artikel vielleicht öfter gelesen wird, wenn im Titel ein bekannter Name steht? Es geht mir eher um zwei Dinge: Wieviel riskiert ein etwas unter Zugzwang stehender Favorit? Durch die Niederlage tags zuvor brauchte Ragger einen Sieg im Sinne von (wohl sein erstes Ziel im Turnier) Weltcup-Qualifikation recht dringend. Und: Wie schwierig ist es, eine gewonnene Partie tatsächlich zu gewinnen? Vor allem gegen einen klar favorisierten Gegner ... . Der eine oder andere Leser (oder jedenfalls ich selbst) kennt das wohl aus eigener Praxis, wobei es gegen einen 400+ Elopunkte stärkeren Gegner ziemlich selten vorkommt - schon weil die meisten Amateure derlei Gegner selten bis nie bekommen.

Die komplette Partie zum Durchklicken auch hier.

Bei der traditionellen Limburg Open Nachlese (sieben Höhe- oder auch Tiefpunkte aus sieben Runden) wähle ich diesmal einen sehr allgemeinen Titel; die Teilnehmer haben mir und anderen zwar alles mögliche geboten aber dieses Jahr keinen "roten Faden". Deutsche Spieler sind mitunter beteiligt, und fast alle der insgesamt nicht ganz vierzehn (einige erscheinen mehrfach) spielen auch für irgendeinen deutschen Verein. Das Titelbild gebe ich Hing Ting Lai und Christian Bauer, da sie bereits in Runde eins und danach beide nochmals eine Rolle spielten. Hing Ting hat seinen Vornamen zwar noch nicht assimiliert (Henk Theo ist in den Niederlanden gängiger), aber wurde kurz vor dem Turnier zum zweiten Mal NL-Meister der Altersklasse U20. Offiziell hatte er beim Limburg-Open Elo 2332, in der Juni-Liste kommen 49 Punkte die er bei der Jugendmeisterschaft gewann dazu (und auch einige vom Limburg Open, wo er am Ende 5/7, TPR 2524 erzielte). In der NL-Liga (für Zukertort Amstelveen bei Amsterdam) ist er offenbar nicht ausgelastet, daher spielt er auch in Belgien sowie in Deutschland Oberliga NRW für Wattenscheid. Betrifft Christian Bauer: In Bundesliga-Matches des Hamburger SK gab es, wenn auch sporadisch, Partien an denen anfangs siebzehn Bauern beteiligt waren. Bauer kannte seine Elozahl von 2634 und hatte zum Schluss 5,5/7, TPR 2638.

FM Hing Ting Lai - GM Bauer in Runde eins begann mit 1.c4 b6 2.Sc3 Lb7 3.e4 e6 4.g3 f5 - das hatte Bauer bereits 1999 und 2008, das nächste Mal also ca. 2023. Schwarz opferte (oder verlor?) später eine Qualität, hatte dafür aber genug Druck am Königsflügel, und irgendwann vor dem Diagramm ging es beiderseits nicht mehr richtig weiter.

Hing Ting Lai Bauer move 30

 

 

 

 

 

 

 

Zuvor geschah 25.h4 Kh6 26.Lh1 Kh7 27.Lg2 Tf7 28.Lh3 Tf8 29.Lg2 Tf6, bzw. aus weisser Sicht Lg2-h1-g2-h3-g2 und von Schwarz Kh7-h6-h7 und Tf6-f7-f8-f6. Nun war 30.Lh3 richtig, aber es kam 30.Lh1? Dg4 (richtig) 31.Lg2 Tg6? - falsch, nach dem forcierten 31.-Td6 32.Df3 Sxg3 33.Sxg3 Dxh4+ 34.Lh3 Dxh3+! (deshalb musste die weisse Dame erst nach f3 gelockt werden) 35.Kxh3 Sg5+ nebst Sxf3 hat Schwarz drei Bauern für die Qualle, und die Partie hätte wohl das zur Elo-Hackordnung passende Ergebnis. Weiss spielte wieder 32.Lh3:

Hing Ting Lai Bauer move 32

 

 

 

 

 

 

 

Oops - die Dame sitzt in der Falle! Das kenne ich aus leidiger eigener Erfahrung - ich war mal in einem Mannschaftskampf durchgehend am Drücker, und dann spielte Weiss irgendwann h2-h3 und gewann angesichts der tödlich-unparierbaren Drohung hxDg4. Ganz so schlimm war es hier nicht: 32.-Dxe2 33.Dxe2 Lxg3+ 34.Kg1 Lf2+ 35.Kh2 Lg3+ 36.Kg1 1/2 (der Leser darf selbst untersuchen, warum 34./36. Kg2 oder Kh1 nicht ging).

Da beschleunigt gepaart wurde, gab es bereits in Runde 2 GM-Duelle, u.a. das bulgarisch-niederländisch-Aachener Lokalderby GM Chatalbashev - GM Dambacher. Chatalbashev spielt für Zweitliga-Aufsteiger SV Würselen (quasi Vorort von Aachen), Dambachers Verein DJK Aufwärts Aachen ist mal wieder in die erste Bundesliga aufgestiegen und macht es nächste Saison auch. Dambacher spielte patriotisch Holländisch und dann Stonewall, die Stellung wurde ziemlich verrammelt. All das geduldige Manövrieren lasse ich unkommentiert, nach 79.Sg6 stand es so:

Chatalbashev Dambacher move 79

 

 

 

 

 

 

 

Ein doppelter Stonewall mit nicht allzu tollem weissem Mehrbauern auf f3, aber nun: 79.-Sd6? (79.-Sb6 oder 79.-Kd7) 80.Sf8 Sb7+ 81.Kb5 Kd6 (ob 81.-Sd6+ 82.Kb4 Kc6 83.Sxe6 Sc4 84.e4 Se3 85.e5 Sg2 86.Sg7 Sxh4 87.Sxh5 Sxf3 für Weiss gewinnträchtig ist, müsste man näher untersuchen) 82.Ka6! Sd8 83.Kb6 - Schwarz muss immer mehr Raum preisgeben: 83.-Sf7 84.Sg6 Sh6 85.Kb7 Kd7 86.Se5+ Kd6 87.Kc8 Ke7 88.Kc7 Sg8 89.Sc6+ Kf7 90.Kd6 Kf6 91.Kd7 Kf7, und nun konnte Weiss ernten:

Chatalbashev Dambacher move 92

 

 

 

 

 

 

 

92.Sd8+ usw., 1-0 nach 102 Zügen.

Nach dieser Seeschlang eine etwas kürzere Partie aus Runde 3: Bei Watzlawek (2106) - GM Bauer erwähne ich alle achtzehn Züge. Watzlawek spielt für Eichlinghofen, ein Vorort von Dortmund. Es begann mit 1.d4 d6 2.c4 e5 3.g3 (selten) 3.-exd4 4.Dxd4 Sc6 5.Dd2 Le6 6.e4 Sf6 7.Sc3 a5!? 8.b3?!

Watzlawek Bauer move 8

 

 

 

 

 

 

 

Schon ist es Zeit für ein Diagramm. Diese Stellung gab es zuvor 13-mal im Zeitraum 1983-2009 und auf Eloniveau ca. 2200-2600. Achtmal spielte Schwarz das bereits angedeutete 8.-a4, fünfmal einen besseren Zug - zuletzt 2003 und alle Partien in eher unbedeutenden Turnieren. Was machte Bauer? Er spielte 8.-Sxe4! 9.Sxe4 d5 10.cxd5 (10.Sc3 d4) 10.-Lb4 11.Sc3 Lxd5 12.f3 Df6 13.Lb2 0-0-0 14.Le2 The8 15.0-0-0 Lxf3 16.Sxf3 Txd2 17.Kxd2 Dh6+ 18.Ke1 De3

Watzlawek Bauer move 18

 

 

 

 

 

 

 

0-1. Ob Bauer das kannte oder am Brett fand, ist (sieben Minuten Bedenkzeit für 8.-Sxe4) nicht ganz klar.

Aus Runde 4 GM Fridman - FM Hing Ting Lai. Den Weisspieler muss ich nicht vorstellen, den Schwarzspieler habe ich bereits vorgestellt. Sie spielten einen theoretisch bekannten Katalanen, und nach zuletzt 20.e3 Ke7 stand es so:

Fridman Hing Ting Lai move 20

 

 

 

 

 

 

 

Und hier investierte Fridman knapp 22 Minuten für 21.Txc6 - Moment mal, ist der Bauer nicht vergiftet? 21.-Sb4 22.Txc7+ Kd8 23.Txf7 Sxa2 24.Sc5! Ke8 24.Txg7 Sb4 25.Sxe6

Fridman Hing Ting Lai move 26

 

 

 

 

 

 

 

Anfänger lernen, dass ein Turm fünf Bauern wert ist - hier waren die fünf Bauern besser, 1-0 nach 39 Zügen. Das war wohl Fridmans beste Partie im Turnier - weniger gelungen Runde 3 mit Schwarz gegen Sarah Hoolt (wo er nach 17 Zügen in schlechter Stellung erfolgreich die Notbremse Remisangebot einsetzte) und Runde 6 mit Weiss gegen Jorden Van Foreest, wo er ab dem 14. Zug Schiffbruch erlitt. Am Ende 5/7, dafür gab es 22,50 Euro Preisgeld (aber vermutlich auch Antrittsgeld) und es kostete bei nicht allzu starken Gegnern (Van Foreest war der einzige Grossmeister) ein paar Elopunkte.

War Fridman - Hing Ting Lai eröffnungstheoretisch relevant? Vielleicht, auf jeden Fall war es Neuland - im Gegensatz zum Höhe- oder Tiefpunkt aus Runde 5: GM Chatalbashev - Beeke (2244) stand wieder unter dem Motto "Amateur tappt in eine Eröffnungsfalle, Grossmeister kennt diese oder findet die richtige Fortsetzung am Brett" - anhand der verwendeten Bedenkzeit (5 1/2 und 7 Minuten für den 12. und 13. Zug) nicht ganz klar. Vielleicht will man das am Brett ja nochmal überprüfen, oder betrachtet es als unnötig arrogant, derlei Züge im Blitztempo zu spielen. Auch diese Partie von Anfang an: 1.c4 c6 2.Sf3 d5 3.g3 Sf6 4.Lg2 dxc4 5.0-0 Sbd7 6.Dc2 Sb6 7.Sa3 Le6 8.Sg5 Lg4 9.Sxc4 Lxe2 10.Se5 Lh5 11.Te1 e6? (besser u.a. 11.-h6)

Chatalbashev Beeke move 11

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? 12.Lf3! Lg6 13.Lxc6+! bxc6 14.Dxc6+ Sfd7 15.Sexf7 Lxf7 16.Sxf7 Df6 17.Sxh8

Chatalbashev Beeke move 17

 

 

 

 

 

 

 

Das Massaker ging noch bis zum 32. Zug weiter, aber das zeige ich mit Rücksicht auf Schachfreund Beeke nicht. 11.-e6? 12.Lf3 Lg6 13.Lxc6+ wurde im Zeitraum 2011-2016 zuvor immerhin sechsmal gespielt, darunter auch von deutschen Schachfreunden (Mons-Kramer, DEM U18 2012 und Huschenbeth-Oparin, WM U20 2012). Bob Beeke spielt für Arnhem bei Deutschland, aber - als einziger der hier und heute ausgewählten Sieger und Verlierer - für keinen deutschen Verein, das rächte sich vielleicht. Spass beiseite, alles muss ein Amateur nicht unbedingt kennen, aber dann verliert er eben mal derlei Partien. In Runde 1 hatte Bob Beeke übrigens GM Wirig besiegt - Brett 12 ausserhalb der Liveübertragung, daher nicht verfügbar.

Ob das Duell aus Runde 6 eröffnungstheoretisch relevant ist, sei dahingestellt - immerhin kopierten FM Van Dooren - GM Socko bis zum 8. Zug zwei Weisspartien von Shirov und Huschenbeth, auch diese Herren entkorkten mal 1.e4 e5 2.f4!?. Dirk Van Dooren aus der Provinz Zeeland spielt für die zweite Mannschaft von DJK Aufwärts Aachen, der Pole Bartosz Socko hat eine vergleichbare Anreise zu Bundesliga-Heimspielen von USV TU Dresden (er spielte letzte Saison alle fünfzehn Partien, d.h. auch Auswärtsspiele). Nach 11.-Sc6 stand es so:

Van Dooren Socko move 11

 

 

 

 

 

 

 

Nach später 19.Dd3 Dxd3+ Kxd3 0-0-0 hatten sie diese Stellung:

Van Dooren Socko move 20

 

 

 

 

 

 

 

Hier geben Engines Weiss volle Kompensation für zwei Minusbauern - auch ohne Damen bleibt es turbulent. Im weiteren Verlauf bekam der Grossmeister doch Oberwasser - die Silikonhirne kritisierten u.a. Van Doorens zögerliches 26.Ke2 (26.Kc4!), aber auch Socko behandelte die Stellung nicht engine-perfekt und so stand es nach 46.-Lf3:

Van Dooren Socko move 46

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz bastelt an einem Mattnetz, der König hilft dabei. Aber Weiss hat einen einzugsbereiten Freibauern. Wer steht besser? Ein Mattnetz ist gewinnbringend, wenn man tatsächlich mattsetzen kann. Ein Freibauer ist selbiges, wenn man ihn ungestraft umwandeln kann - aber hier scheitert 47.c8D? an 47.-Kd3+ nebst Matt. Weiss fand das einzig richtige 47.Tfb8, und Schwarz hatte danach nicht mehr und nicht weniger als Dauerschach (47.-Lf4+ 48.Kg1 Le3+ usw.).

In Runde 7 gab es unter anderem das GM-Duell Schroeder-Gharamian. Beide hatten zuvor 4,5/6 und brauchten den vollen Punkt, um noch attraktives Preisgeld zu erhalten. Die Vorgeschichte: Jan-Christian Schroeder (Hofheim) hatte, soweit bekannt (mitunter spielte er knapp unterhalb der Liveübertragung), alle Partien ausgekämpft, der Franzose Tigran Gharamian (u.a. Schwäbisch-Hall) eher nicht: in Runde 4-6 drei Remisen gegen Fier, Bauer und Chatalbashev in 11, 12 und 17 Zügen - so sind Doppelrunden wie in Maastricht (und bei anderen Wochenendturnieren) erträglich? Klar wurde es nun kein Kurzremis. Auch hier verzichte ich darauf, die lange Manövrierphase, in der Gharamian zwischenzeitlich klar besser bis gewonnen stand, zu untersuchen. Später entstand ein Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern:

Schroeder Gharamian move 119

 

 

 

 

 

 

 

Und nun nicht etwa 119.Kc2 =, sondern 119.Le8?? a3 0-1.

Dumm gelaufen für den hessischen Nachwuchsspieler. Nicht unbedingt Thema dieses Beitrags ist der Endstand des Turniers. Gharamian hatte demnach 5,5/7 - was oft für den Turniersieg beim Limburg-Open reichte, und er war Wertungsbester von fünf punktgleichen Spielern. Aber einer war besser: Axel Bachmann aus Paraguay, der ab der zweiten Runde an Brett eins spielte (der Leser weiss bereits, warum der leicht elobessere Christian Bauer nur in Runde eins da spielte) und nach anfangs 5/5 am Ende 6/7 auf seinem Konto hatte. Dass sein gegnerischer Eloschnitt relativ niedrig ausfiel, lag auch daran, dass er in einer Runde gegen Tom Bus (Elo 2178) spielte - neben Hing Ting Lai und Van Dooren eine der positiven Turnierüberraschungen (4,5/7, TPR 2467), am Ende landete er punktgleich mit und nach Wertung direkt vor Jan-Christian Schroeder. Bus spielt für Voerendaal aus der Provinz Limburg und die zweite Mannschaft von Mülheim aus NRW.

In Runde 3 hatte Bus gegen IM Aljoscha Feuerstack durchaus etwas Glück, dass sein nominell überlegener Gegner ein Remisendspiel unbedingt gewinnen wollte und dadurch verlor. Feuerstack hat - wenn man so will - Glück, dass ich aus dieser Runde Watzlawek-Bauer auswählte. Vielleicht hatte er nach dieser Partie dennoch einen Kater wie sonst (er spielt für St. Pauli) nach einem Besuch auf der Reeperbahn. Auf der Habenseite für Feuerstack in Runde 2 ein Remis gegen Fridman (der zwar Dame gegen Turm und Läufer gewann, aber nicht die Partie) und in Runde 7 ein Endspielsieg gegen GM Sipke Ernst. Das Limburg Open bot also noch mehr, als ich im Rahmen dieses Beitrags beleuchten kann oder will - sicher auch in Partien der A-Gruppe ausserhalb der Liveübertragung sowie in der B- und den beiden C-Gruppen.

 

 

 

 

 

Sonntag, 20 März 2016 16:44

En Passant kampioen!

Baden-Baden schafft es dieses Jahr womöglich ausnahmsweise nicht - Schuld ist dann Werder Bremen, genauer gesagt unter anderem der Ur-Bremer David Smerdon, laut anderen Quellen ist er Australier mit Wohnsitz Amsterdam. Wie dem auch sei, in der Bundesliga gewann er überraschend gegen einen anderen Weltenbummler (aktueller Wohnsitz Baku), und das auch noch mit Schwarz.

Unser Vereins-Namensvetter aus Bunschoten, den ich hier bereits einmal vorgestellt hatte, schafft es vielleicht, vielleicht auch nicht. Entscheidend ist das Duell gegen den Konkurrenten SISSA aus Groningen am 2. April. En Passant muss gewinnen, SISSA reicht voraussichtlich ein 5-5. Wieder ist Werder Bremen beteiligt, denn im Groninger Kader sind, neben u.a. den Groningern Jorden und Lucas Van Foreest auch diverse deutsche Spieler, darunter Matthias Bluebaum und Thorben Koop. En Passant Bunschoten hat dagegen aus Deutschland nur Igor Khenkin, der bisher einmal mitspielte, ansonsten vor allem Spieler die Niederländer sind oder jedenfalls in NL wohnen (Sopiko Guramishvili, Alina l'Ami). Alinas Ehemann spielt auch mit, Sopikos Ehemann hat keine Zeit bzw. der Verein hat nicht (mehr) genug Geld für ihn. Dann sah ich auf der Vereinshomepage, dass Giri immerhin im Aufgebot ist, nur hat er bisher noch nicht mitgespielt - für Solingen in der deutschen Bundesliga auch nicht, eventuell werden ein bis zwei Vereine Landesmeister ohne ihr Spitzenbrett einzusetzen? Mannschaftsführer Guido de Romph fragte, ob ich beim Spitzenduell zuschaue ("Wir spielen mit einem starken Team" - das darf SISSA, wenn sie hier mitlesen, wohl wissen bzw. das wissen oder vermuten sie ohnehin). Aber es geht nicht, da ich am 2. April einen eigenen Mannschaftskampf habe, auch wenn dieser für uns unwichtig ist, denn ....

En Passant kampioen stimmt trotzdem, bereits eine Runde vor Saisonschluss. Die aktuelle Tabelle zeigt, dass es einerseits souverän war, andererseits nicht unbedingt:

Tabelle2

Warum wir die Tabellen-Ästhetik etwas ruinierten (gegen Bergen2 reichte auch 4,5-3,5 oder 4-4), dazu später mehr. Das ist die regionale Klasse 2A des nord-holländischen Schachbundes. Der (Wieder-)Aufstieg war nicht unbedingt geplant, vielleicht sollten wir unseren Verein umbenennen in "Par hazard" (Aus Zufall). Viermal 4,5-3,5, oft konnte es auch anders ablaufen. Wie angedeutet, letzte Saison waren wir in der Provinz Noord-Holland (ohne Amsterdam, das hat seinen eigenen Schachverband) erstklassig - abgesehen davon, dass es darüber noch die "Promotieklasse" gibt (und dann noch vier überregionale Ligen). Da haben wir uns angewöhnt, Partien aus Mannschaftskämpfen hinterher zu analysieren, und "der Journalist" (ein gewisser Thomas Richter) darf das vorbereiten und koordinieren. Für En Passant Bunschoten macht das FM Richard Vedder und teilt seine Entdeckungen dann mit einem breiteren Publikum, was er kann das kann ich auch (auf meinem Niveau, wobei schlaue Computer mithelfen). Bevor ich einige Momente der gesamten Saison auswähle, ein paar Worte zu unserem Team: Nachdem unser irakischer Asylant a) Niederländer wurde und b) den Verein verlassen hat, bin ich der einzige Nicht-Niederländer - aber kein 'Söldner', sondern mit Wohnsitz auf der Insel. Laut Texelscher Definition ist allerdings nur etwa das halbe Team 'geboren en getogen Texelaar', die anderen sind vom Festland angespült - einer gar aus der Region Arnhem bei Deutschland. Zwei Gastspieler wohnen auf dem Festland, sind allerdings öfters im Urlaub auf Texel und boten an, unser Team zu verstärken (die Inselsituation hat Vorteile, allerdings auch Nachteile).

Und nun wird es diagrammatisch Runde für Runde - Schwerpunkt meine eigenen Partien, da ich diese am besten kenne und (wobei alles relativ ist) am besten verstehe. In Runde 1 war ich aber nicht dabei. An diesem Wochenende hatte ich potentiell drei Termine: ein Software-workshop auf Korsika, als Reporter in Berlin bei der WM im Blitz- und Schnellschach oder ein Mannschaftskampf in der noord-holländischen Provinz. Aus beruflichen Gründen wurde es Korsika. Eine Partie aus diesem Match hatte ich bereits besprochen, das muss ich hier nicht wiederholen.

In Runde 2 das Derby gegen unseren Nachbarn M.S.C. aus Den Helder (Fährhafen am Festland). Das gab es im Laufe der Jahre öfters, mal gewann das eine, mal das andere Team - und mal gab es dieses Derby nicht, da einer von beiden Vereinen höherklassig spielte. Diesmal gewannen wir 4,5-3,5 - ich bin unschuldig da ich zwar mitspielte aber am Ende verlor.

Richter (1959) - Bergman (1798) 0-1 - Zwei Momente aus dieser Partie:

Richter Bergman move 12

 

 

 

 

 

 

 

Ein sizilianischer Drachen, Schwarz spielte gerade 11.-b5? . Das gab es laut Datenbank bereits 13-mal (und womöglich auch noch in Partien wie dieser, die nicht in Datenbanken auftauchen). Dreimal fand Weiss den besten Zug, die Elobesten Ivan Rozum (2297), Uros Krstic (2270) und Yuri Kozin (2197) schafften es nicht, im Gegensatz zum mit mir etwa gleichwertigen Sebastian Voelker (1989). Bei Ivan Rozum, aktuell Grossmeister, war es eine Jugendsünde (gespielt bei der WM U14 in Belfort 2005), bei den anderen weiss ich es nicht, bei mir war es keine Jugendsünde. Der Leser darf selbst die Lösung finden, nur ein Hinweis: das von mir gespielte 12.h5? war nahe dran und doch daneben. Danach verschoss ich noch zwei klare Elfmeter, vergab dann meinen Vorteil und hatte im zweiten Diagramm gerade 31.Dh6?? gespielt:

Richter Bergman move 31

 

 

 

 

 

 

 

31.-De3+ 32.Kb1 Dxg1! 33.Txg1 Te1+ 34.Ld1 Txg1 35.Kc1 Tee1 0-1 - Moment mal, ICH wollte doch mattsetzen!

Runde 3 gegen das zweite Team van K.T.V. aus Enkhuizen am Ijsselmeer. Letztes Jahr hatten wir eine Liga höher gegen K.T.V. eins knapp 3,5-4,5 verloren (ich hatte eine leicht bessere Stellung überzogen - davon ausgehend dass ich unbedingt gewinnen musste), diesmal das aus unserer Sicht richtige 4,5-3,5. Entscheidend war Richter (1959) - Beel (1643) 1-0:

 Richter Beel move 38

 

 

 

 

 

 

Weiss hat hier eine glatte Gewinnstellung, die er nun souverän verwertet. Engines sehen das anders, aber Stockfish hat von Schach keine Ahnung, auch meine Partie in Runde 6 hat ihn überfordert. Es folgte 39.Kd1 Sb7+ 40.Ke2 Sd6 41.Ke3 Tc8 42.Txc8 Sxc8 43.Kxe4 Sd6+ 44.Kd5 Ke7 45.Se6 h6 46.Sxg7 Kd7 47.Se6 Sb7 48.Sc5+ Kc7 49.Sxb7 Kxb7 50.Kc5

Richter Beel move 50

 

 

 

 

 

 

 

1-0, inzwischen kapiert es auch Stockfish. Spass beiseite, natürlich war mein Sieg in dieser Partie (und damit unser Sieg im Mannschaftskampf) ausgesprochen glücklich, bzw. mein Gegner hat im Endspiel total den Faden verloren - ist es etwa doch (endlich) der Spielstärkeunterschied? Vielleicht hatte ich zu diesem Zeitpunkt zu Recht 50% - Gewinnstellung verloren, Verluststellung gewonnen. Andererseits: für Niederlagen ist man immer selbst verantwortlich, für Siege nicht unbedingt. Der Gegner (meiner und das gesamte Team) sah es locker, schliesslich steht K.T.V. für "Kan tegen Verlies" (Kann mit Niederlagen umgehen).

Runde 4 gegen Groene Zes-Schaaklust (Fusionsteam zweier Vereine) wurde wieder 4,5-3,5 für uns - diesmal hatte ich einen nominell gleichwertigen Gegner und gewann eine kuriose Partie:

van Waert Richter

 

 

 

 

 

 

 

van Waert (1943) - Richter (1959), Stellung nach 34.-Le4. Zuvor geschah dieses: Mein rochierter König spazierte dann über f7, e7 und d6 (zuvor Damentausch) nach c7 und wieder d6. Wir wussten beide nicht so recht, wie wir die Stellung Springerpaar gegen Läuferpaar behandeln sollen - Läufer sind mir lieber, aber hier kontrollierte Weiss wichtige Felder und hatte eine Art 'bind'. Nun folgte 35.g5? Lxe5 36.Sxe5 Kxe5 37.f3 Td7 38.fxe4 d4 39.cxd4 cxd4 - dieses Turmendspiel hatte ich zu Recht als klar besser bis gewonnen eingeschätzt: Mein König steht nun auf e5 goldrichtig, ich habe einen starken Freibauern und die zersplitterten weissen Bauern am Königsflügel sind, wie ich damals (da war es aktuell) schrieb "verwundbar wie Walfische in der Nordsee". 0-1 nach 47 Zügen (mit schwarzem Bauern auf d2 und König auf e3). Warum bekommt 35.g5 ein Fragezeichen, was war aus weisser Sicht besser? Stockfish, der manchmal doch Ahnung vom Schach hat, überraschte mich in der Analyse - womit? Das darf der Leser selbst herausfinden, Lösung am Ende dieses Beitrags.

Runde 5 gegen einen Abstiegskandidaten, der auch so spielte, lasse ich mal weg - sie konnten mit aus ihrer Sicht 2-6 leben.

Runde 6 - wir brauchten noch ein 4-4, und es wurde 5-3. Warum? Beim Stand von 3-2 für uns und glatter Verluststellung an Brett 8 dachten Brett 3 und 4 beide "ich muss gewinnen", und beide schafften es - daher die hässliche 5 in der Tabelle. In der Analyse ergeben sich mitunter erstaunliche Parallelen, gleich zwei Partien standen - für einen Moment - unter dem Motto "Opfer kann man auch ablehnen". Jeweils hatten wir Weiss:

Rommets Greve

 

 

 

 

 

 

 

Rommets (1828) - Greve (1731) nach 15.Sxf7!? (später 1-0). Weiss dachte, da einige Partien zu diesem Zeitpunkt für uns schlecht standen, "ich muss etwas probieren/riskieren". Nach 15.-Kxf7 16.f5 exf5 17.Sxf5 Kg8 usw. war die Stellung unklar, wie gesagt später 1-0. Nach 15.- 0-0! 16.Sg5 Sxf4 17.Sf3 usw. steht Schwarz besser.

van Heerwaarden Rijnveld

 

 

 

 

 

 

 

van Heerwaarden (1453) - Rijnveld (1650) nach 10.b4 Scxb4 (später 0-1). Sofort kann Weiss das Opfer natürlich nicht annehmen, er entschied sich für 11.Lb2 0-0 12.axb4 Lxb4 und die Fesslung kostete später Material. Die Computervariante lautet 11.e4! Da5! 12.Ta2! Sc3! 13.Sxc3 (13.Dxc3? Tc8 14.Dd2 Txc1+ 15.Dxc1 Sd3+) 13.-Sxa2 14.Sxa2 Dxd2+ 15.Lxd2 (15.Kxd2!?) 15.-Lxa3 und das, zwei Springer gegen Turm und zwei Bauern, ist - sicher auf diesem Niveau - "unklar". Wiederum ist die Frage müssig, ob man von Spielern dieses Niveaus erwarten kann, dass sie jeweils zwei quasi-einzige und nicht unbedingt naheliegende Züge finden.

Meine eigene Partie bringe ich komplett und kommentarlos. Es war ein "Giri-style" Taimanov-Sizilianer (oder so ähnlich) - Giri hat(te) im Taimanov auch eine Variante im Repertoire, zu der Carlsen sagte "it's not as ridiculous as it looks". Mein Gegner spielte ultra-prophylaktisch: 3.c4!! diente dazu, seinem König auf c3 etwas Bauernschutz zu verschaffen, am Ende war es unzureichend. Stockfish versteht, jedenfalls auf Anhieb, gar nichts - wenn man ihn länger rechnen lässt ändert er oft seine Meinung. Eine ausgiebige Analyse wäre Stoff für einen eigenen Artikel. [Giri holte übrigens parallel beim Kandidatenturnier in Moskau ein supersolides Weissremis gegen Anand]

Zum Schluss die Auflösung zum fünften Diagramm: Richtig war 35.Txe4! dxe4 36.Txe4. So behält Weiss seinen 'bind', und die schwarze Bauernstruktur ist keine mehr. Ich sehe nicht, wie Schwarz dann auf Gewinn spielen kann - in der gemeinsamen Analyse versuchten wir es ein bisschen, aber erfolglos. Was für ein Qualitätsopfer ist das denn?? Defensiv, destruktiv (was die schwarze Struktur betrifft) und zugleich konservativ (wesentliche Stellungsmerkmale bleiben bestehen). Ich kann mich nicht an vergleichbares erinnern, ich hatte das nicht einmal ansatzweise gesehen/erwartet, mein Gegner (wobei wir uns hinterher zwar unterhielten, aber nicht analysierten) vermutlich auch nicht. Vielleicht findet man so etwas mangels Alternativen - aber er hatte das Doppelturmendspiel nicht richtig bewertet. Ab welchem Eloniveau kann man das finden? Leser jeglichen Niveaus (auch Grossmeister) dürfen das gerne kommentieren!

P.S.: Im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Teams werden wir ziemlich sicher nicht zweimal hintereinander Meister - nächste Saison ein Niveau höher wird wieder Abstiegskampf.