Wirklich ein Neuanfang? Nachdenkliches von GM Gerald Hertneck

by Gerald Hertneck on15. Juni 2011
Da mein Artikel “Herr Präsident, bitte übernehmen Sie!“ auf erfreulich große Resonanz gestoßen ist, möchte ich das Thema noch vertiefen, und dabei auf einige Kommentare eingehen.
Zu Recht wurde die Frage aufgeworfen, ob meine Wortmeldung wirklich eine Polemik war oder nicht. Unter dem Strich wohl nicht, weil ich versucht habe, konstruktiv zur Verbesserung der Situation im deutschen Schach beizutragen. Als ich das Statement eingesendet habe, habe ich befürchtet, dass viele sich an den Vorschlägen stören würden, tatäschlich stießen die meisten Thesen aber auf breite Zustimmung.

Die größte Ausnahme war wohl meine Forderung zur Deutschen Meisterschaft. Zunächst möchte ich in Erinnerung rufen, dass mein Wunschzettel in diesem Punkt aus zwei Teilen bestand – nämlich dem Ausschluss von Spielern unter 2400 und zugleich einer kräftigen Erhöhung des Preisfonds – mir schwebte gedanklich ein Mindestpreisfonds von 10.000 Euro vor. In diesem Zusammenhang möchte ich eine aktuelle Chessbase-Meldung zitieren:

„Die diesjährige ukrainische Meisterschaft (9.-21. Juni) ist dank eines großzügigen Preisfonds die bestbesetzte in der Geschichte des Landes seit der Unabhängigkeit und wird im Ukrainischen Haus in Kiew durchgeführt. Das Turnier wird als Rundenturnier mit zwölf Spielern ausgetragen. Bis auf Vassily Ivanchuk sind  alle Topspieler des Landes am Start.“ (Chessbase, 10.06.11)

Noch eine Meldung gefällig?
„Derzeit werden im Chess Club and Scholastic Center von Saint Louis die US-Landesmeisterschaften ausgetragen. Das mit 166.000 Dollar (1. Preis 40.00 Dollar) dotierte Turnier wird in zwei Vorgruppen zu je acht Spielern mit anschließender Finalrunde ausgetragen.“ (Chessbase, 18.04.11)

Frage: wäre es nicht sinnvoll, wenn man das selbe von der deutschen Meisterschaft behaupten könnte? Und hier tönt mir unisono entgegen: „Nein! Wir sollten die Meisterschaft für die Medien, die Schachöffentlichkeit und unsere Spitzenspieler unattraktiv machen, indem wir Teilnehmer unabhängig von ihrer Spielstärke zulassen. Das Recht auf Qualifikation muss bleiben.“ OK, dann muss ich das eben akzeptieren. Man will also die Deutsche Meisterschaft gar nicht aufwerten. Da es aber auch sonst wenige Spitzenturniere in Deutschland gibt, muss man unseren Spitzenspielern wohl empfehlen, ins Ausland zu gehen, und dort ihr Glück zu versuchen.

Wie komme ich zu dieser harschen Schlussfolgerung? Ganz einfach, weil ich mit großer Betroffenheit den Kommentar von Georg Meier – immerhin dem stärksten gebürtigen deutschen Spieler seit Robert Hübner – gelesen habe. Der zentrale Satz seiner Wortmeldung lautet:

„Ich habe verstanden dass Schachdeutschland kein fruchtbarer Boden für Spieler mit großem schachlichen Potential ist.“ Und weiter: „Deutsche sind nicht blöder als Ukrainer oder Holländer,aber Schachdeutschland bietet keine weiteren Herausforderungen um sich weiterzuentwickeln wenn man als junger Spieler bei 2550-2600 angekommen ist. Kein Wunder dass reihenweise Spieler wie Baramidze, Braun, Bindrich sich dann langsam vom aktiven Schach zurückziehen. Ein Leben lang Opens zu spielen ist wirklich keine schöne Perspektive.“
Na prost Mahlzeit – nun haben wir es also geschafft, einen unserer besten Spieler zu frustrieren! Untersuchen wir nun die veröffentlichten Reaktionen auf diese schlechte - ja, für das deutsche Schach katastrophale -  Nachricht:Jusu2anzeige

Konan (08.06.) (...) Wenn die wenigen Spieler über 2550 aus finanziellen Aspekten und wegen mangelnder Unterstützung (nicht nur DSB) aufhören, was ist denn das für ein Zeichen für junge Talente?

Bravo – da macht sich jemand Sorgen um die Zukunft des deutschen Schachs!


Krennwurzn (08.06.) (...)Weil dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die bessere Entscheidung ist und eine existenzsichernde noch dazu! sage ich als Schachliebhaber mit einem weinenden Auge dazu.

OK da gebe ich ihm absolut Recht, allerdings bietet er keine Lösung für das Problem an. Seine Lösung lautet: auch die besten deutschen Talente sollten es gar nicht erst als Profi versuchen.


Gerhard Riewe (09.06.) Vorschlag: Der DSB organisiert einmal im Jahr einen Wettkampf Deutschland-Welt. Dazu werden für die "Welt" sechs Weltklassespieler verpflichtet, vielleicht ein Top 5-Spieler als Zugpferd und 5 weitere aus dem Bereich 20-50 der Weltrangliste. Diese spielen doppelrundig Scheveninger System (mit Sofia Rules) gegen die sechs ersten der Deutschen Meisterschaft.

Bin mir nicht sicher, ob bei Umsetzung dieses Vorschlags Georg Meier in Deutschland bleiben würde. So ein Turnier wäre nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Herbert Bastian (10.06.) „Georg Meier unterstützt im Prinzip das Modell einer internationalen Meisterschaft, mit der unseren Spitzenleuten entsprechend stärkere vorgesetzt werden könnten, die sie nach oben ziehen, wie von Georg gefordert. Mit ist klar, dass das nur ein Modell ist, es sind auch andere denkbar. Letztlich kommt es darauf an, was finanzierbar sein wird.“

Interessanter Vorschlag, aber immer noch kein Wort des Bedauerns für die Entscheidung von Georg Meier und die damit verbundene Schwächung des deutschen Schachs – und das vom neugewählten Präsidenten des DSB! Ich würde mir an Herberts Stelle jetzt große Sorgen um die Zukunft des deutschen Schachs machen...

Thomas Oliver (10.06.) (...) Neben schwachen Open kann man ja auch starke Open im Ausland spielen, z.B. Aeroflot und Gibraltar. Klar, das kostet (zunächst) was - worin genau bestand eigentlich Georg Meiers durchaus vorhandene Förderung durch den Schachbund? Ich vermeide mal Worte wie "grosszügig" ode "üppig" ... . (...)

Da kann ich nur sagen - ja man kann ins Ausland gehen und dort Turniere spielen (was Georg ja auch tut), man könnte aber auch im eigenen Land als Vorbild angesehen und gefördert werden. Und schon klingt im zweiten und dritten Satz Missgunst über die doch durchaus erfolgreiche Förderung eines der größten deutschen Talente an.


Gausdal (10.06.) (...) Für viele der hier im Forum gemachten Vorschläge ist eine Menge Geld vonnöten - ich wünsche Herrn Bastian, dass er die richtigen Maßnahmen herausfiltert und dann mit einem klaren Konzept auch entsprechende Geldgeber findet. M.E. können dies auch die Breitensportler via Beitragserhöhung sein, wenn diesen das Gefühl vermittelt wird, dass die Erhöhung für sinnvolle Maßnahmen verwendet wird.

Jetzt sind wir endlich beim entscheidenden Punkt angekommen, den ja unser neuer Präsident bereits angesprochen hat. Das Grundproblem des Schach in Deutschland ist die chronische Unterfinanzierung, die meiner Meinung nach in erster Linie auf mangelnde Medienpräsenz des Schachsports zurückzuführen ist. Natürlich ist es extrem schwierig Sponsoren zu finden, wenn Schach in den Massenmedien (wobei ich das Internet in dieser Klassifikation nicht als Massenmedium mit einrechne) praktisch kaum noch vorkommt. Schach im Fernsehen? – Fehlanzeige! Schach im Rundfunk? – Fehlanzeige! Schach in den führenden Tageszeitungen? – Fehlanzeige bis auf die obligatorische und eher beliebige Schachecke! Also haben wir uns schmollend in das Internet zurückgezogen, was zwar ein Klasse Medium für Schach ist, aber auch nicht mehr. Sprich, das haut keinen Sponsor vom Hocker! Aber macht ja nichts, wir könnten ja mehr Geld über die Mitgliedsbeiträge erheben - und bitte nicht nur für das Spitzenschach oder die deutsche Meisterschaft ausgeben, wie mir zu Unrecht unterstellt wurde (aber manche Leute lesen eben nur die Absätze, an denen sie sich reiben möchten).

Jetzt sind wir natürlich neugierig geworden, wie unser neuer Präsident zu dem Thema Beitragserhöhung steht – ich zitiere: „Dass der DSB mehr Geld braucht, steht außer Frage. Eine kräftige Beitragserhöhung wird derzeit nicht durchsetzbar sein.“

Es ist genau dieser Satz, der mich bis ins Mark getroffen hat, und zwar aus zwei Gründen.

ritterErstens, ist das die präsidiale Bestätigung, dass „Steuererhöhungen“ nicht machbar sind. Nun dann ziehen wir doch mal einen Vergleich. Meine Heimatstadt München hat vor ein paar Jahren die Zweitwohnungsteuer eingeführt, im letzten Jahr die Grund- und Hundesteuer (moderat) erhöht, und strebt des weiteren die Einführung einer Übernachtungssteuer an – all das spült jährlich zweistellige Millionenbeträge in die Kasse. Dies wurde vom Kämmerer vorgeschlagen und vom Stadtrat beschlossen, damit die Stadt München ihre zahlreichen Aufgaben erfüllen kann, ohne sich immer mehr verschulden zu müssen. Man sieht, ich bin als Beamter der Stadtkämmerei gut informiert. Aber es ist natürlich völlig klar, dass ein analoges Handeln im Deutschen Schachbund nicht möglich ist, weil:
  • Man keine Verantwortung für die Zukunft übernehmen möchte,
  • Schach immer der Billigsport bleiben soll, der es schon immer war,
  • und weil man die sauer abgeführten und exorbitant hohen Mitgliedsbeiträge ja auch für die privilegierten Großmeister verwenden könnte, die doch lieber ins Ausland gehen sollten, um dort ihr Geld zu verdienen!
Entschuldigung, wie konnte ich so naiv sein, anzunehmen, dass der DSB die Beiträge erhöhen würde – und zwar für den Bundesverband und die Landesverbände, um deren Handlungsfähigkeit wieder herzustellen.

Der zweite Grund, weshalb ich peinlich berührt bin, ist eher noch gravierender. Sollte ein neugewählter Präsident nicht den ernsthaften Vorsatz haben, die bestehenden Defizite im DSB anzugehen? Ich will Herbert Bastian nicht unterstellen, dass er diesen nicht hat, ganz im Gegenteil, ich kenne ja sein jahrelanges Engagement, und bin mir sicher, dass er seine Anstrengungen noch verdoppeln wird! Aber ich meine, dass er sich mit diesem Satz in eine Ecke manövriert, die daran zweifeln lässt, welcher Erfolg seiner Amtszeit beschieden sein wird. Denn es ist uns doch wohl allen klar, dass die Aufrechterhaltung des kläglichen finanziellen status quo dazu führen wird, dass sich fast nichts von all dem ändert, was ich gefordert habe:

Unsere Nationalmannschaft wird nicht immer die stärkste sein, die Deutsche Meisterschaft wird keinen Preisfonds von mindestens 10.000 Euro haben, die Homepage des DSB wird nicht auf Vordermann gebracht, die Öffentlichkeitsarbeit bleibt wie sie ist, es gibt keine Zuschüsse für Jugendarbeit, und vor allem es lebe das obligatorische Ehrenamt im DSB bis hoch ins Präsidium – mit anderen Worten: wir haben es geschafft - es bleibt es alles so wie es ist! An dieser Stelle denke ich, dass Herbert entschiedenen Widerspruch anmelden wird, und ich hoffe, das tut er auch.

Lieber Herbert, was ich mit all diesen Ausführungen sagen will: du hast bereits innerlich akzeptiert, dass sich im DSB nichts groß ändern lässt. Tatsächlich sollte es aber dein oberstes Ziel sein, die überfällige Beitragserhöhung durchzusetzen!!! Ich weiß natürlich, dass die Beitragserhöhung nicht die Lösung aller Probleme ist, es gibt noch viele andere Baustellen im DSB. Aber am Ende geht es doch fast immer um das Geld, und deshalb muss man JETZT einen Anfang machen. Lass es uns doch wenigstens versuchen!

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