Berliner außer Rand und Band

Pokalhauptstadt Berlin Pokalhauptstadt Berlin OSt

Was ist das bloß immer alles mit Berlin? Wir wissen natürlich, dass die Stadt eine a) große und b) großartige Metropole mit einem schon in wenigen Jahrzehnten fertiggestellten c) großflächigen Flughafen ist, doch seien wir ehrlich – wer hätte vermutet, dass SpielerInnen unserer schönen Hauptstadt auch eine solche Fülle nationaler Schachtitel erringen würde, und das innerhalb von nur einem Jahr?

Schach-Welt, der Blog für die Phänomene des Turnieralltags, hat sich durch die dunklen Gewölbe des Bundes-Archivs gearbeitet und dabei eine verblüffende Serie Berliner Erfolge zutage gefördert.

Auch wenn es im Einzelfall leicht zu übersehen ist - schon seit längerem dominieren Berliner Spieler auf allen nur erdenklichen Meisterschaften:

- Ilja Schneider (Schachfreunde Berlin) sammelte kürzlich Punkt um Punkt bei den Norddeutschen Blitzmeisterschaften in Barsinghausen und fährt als einer der Vertreter des Nordens zur Endrunde nach Bayern - ebenso wie ungefähr siebzig weitere Spieler aus der Bundeshauptstadt: Dirk Paulsen (SG Lasker Steglitz-Wilmersdorf), Torsten Sarbok (König Tegel), Dennes Abel (SF Berlin) und natürlich SF René Stern, Titelverteidiger und amtierender Deutscher Meister dieser Disziplin – noch so ein Berliner, wir ahnten es bereits, immatrikuliert allerdings beim SK König Tegel.

ilja

 Ilja zaubert, Matthias Krallmann aus Bremen gerät unter Druck - schon wieder ein Punkt für Berlin!

david

Kann blitzen und gleichzeitig Figuren sortieren:
David Höffer aus Delmenhorst bietet den Berlinern die Stirn und wird Norddeutscher Vizemeister!

rene stern

 René Stern, nach Klaus Bischofff der schnellste Spieler Westeuropas und Deutscher Meister im Blitzschach

- Die deutschen Blitz-Mannschaftsmeisterschaften (was es nicht alles gibt!) entschieden unlängst ebenfalls zwei Berliner Teams für sich. Dieser von Bundesturnierdirektor Jürgen Kohlstädt ersonnene Wettbewerb hat ja eigentlich nur die Aufgabe, dem friedfertigen Sport und der Verständigung zwischen den sechzehn über das ganze Land verstreuten Bundesländern zu dienen. Doch auch hier dasselbe Muster – Berliner Teams mischten sich in Bielefeld unter die arglosen Teilnehmer, und am Ende entführte König Tegel knapp vor den SF Berlin und den renommierten, aber als Nicht-Berlinern natürlich chancenlosen Baden-Badenern den Titel in die Hauptstadt.

 - An diesem Wochenende saßen sich beim Deutschen Pokalfinale die beiden Finalisten gegenüber – und wenn wir dreimal raten dürften, aus welcher Region sie wohl anreisten, würden wir nicht verkehrt liegen, tippten wir auch hier auf die Stadt an der Spree. Dirk Paulsen, ein Berliner Urgestein und kreativer Autor hier bei der Schachwelt, setzte sich im Blitz-Entscheid gegen Ulf von Herman (König Tegel Berlin) durch und folgt damit Hagen Poetsch als Pokalsieger nach. Wir gratulieren! Mit Dirk hat nicht nur die Hauptstadt, sondern insbesondere auch die ehrwürdige Schachgesellschaft Lasker Steglitz-Wilmersdorf einen der großen Titel gewonnen. Chapeau!

 - Emanuel Lasker, den Älteren unter uns noch bekannt als einer der ersten Weltmeister, stammte zwar nicht direkt aus Berlin, aber immerhin aus Berlinchen. Erst später zog er mit seinen Tauben um in die Hauptstadt - wohin auch sonst, wenn man ein starker Spieler werden will!

laskers

Diese Laskers - und rauchen durfte man damals auch noch am Brett!

- Berliner Schachspieler machten auch mir über Jahre hinweg das Schachleben schwer – keine Schnitte und noch viel weniger Punkte für mich als Bremer in der Zweiten Liga Nord. Ein hartes Brot ist das hier im Norden - mehr zu dieser betrüblichen Serie kann man hier nachlesen.

- Marc Lang, der bekannte Blind-Simultan-Weltmeister aus dem Süden, hatte schwer zu kämpfen, als er im kühlen April gegen eine vom Schachbullen Frank Hoppe kühn komponierte Berliner Auswahl zu spielen hatte. Die Berliner verweigerten dem Gast aus dem Süden dabei offenbar jegliche Ansicht von Schachbrett und Figuren, was schon ansich ja ein unglaublicher Vorgang ist. Ob das so üblich ist beim Berliner Schach? Hoffentlich hat es zumindest Kaffee gegeben? Wir bleiben dran.

coffee

Für manchen wichtiger als die eigene Königsstellung: der Kaffeebecher

- Last but not least: wie Chronist Ralf Mulde mit dem gewohnt freundlichen Blick für einzelne Teilnehmer berichtet, wurde auch die Endrunde der Deutsche Amateurmeisterschaft 2014 in den letzten Tagen ausgetragen und entschieden. Fünf intensive Runden Turnierschach im von Berlin aus ziemlich fernen und unpreußischen Wiesbaden, und auch hier … wie hätte es anders sein können … and the title goes toMichael Schulz vom SC Empor Potsdam! Nun ist Potsdam wohl nicht mehr so ganz Berlin, auch wenn man sich das als Bremer immer gerne so denkt, aber Michael spielte, kämpfte und taktierte mit seinem gefährlichen Schach bis vor kurzem noch für Zitadelle Spandau, und das ist zweifelsfrei und auf jeden Fall tiefstes, ehrlichstes Berlin. Glückwunsch zum Titel, Herr Schulz!
Wer steckt hinter Berlin?

Die Faktenlage ist also erdrückend. Wir fragen, auch wenn das Muster noch nicht ganz einheitlich ist – was bahnt sich dort an, zwischen Charlottenburg und dem Hoppegarten? Woher kommt diese plötzliche unwiderstehliche Spielstärkemassierung der Berliner, und wie lange wird es noch dauern, bis auch Baden-Baden höchstselbst seine Vormachtstellung in der Bundesliga einbüßen wird?

Liegt es möglicherweise am monatlichen Schnellturnier, dass die Berlin Schachfreunde regelmäßig in starker Runde durchführen?

Hat die Berliner Schachschule von Michael Richter etwas mit dieser unheimlichen Ballung von starken Turnierergebnissen zu tun? Vielleicht nicht ohne Grund lehnt sich der Name des Instituts eng an die erfolgreiche Russische Schachschule von Michail Tchigorin an, und auch die Namen der beiden Hauptdozenten, Michael Richter und Michail Tchigorin, bieten auffällige Parallelen. Vertreter der Russischen Schachschule von Michail Botwinnik über Tigran Petrosian bis hin zu Bobby Fischer brachten es bis zur Weltmeisterschaft. Werden wir gerade Zeuge, wie nun eine neue, eine Berliner Schach-Ära des Schachs beginnt?

Oder steckt am Ende wie so oft doch wieder nur der Deutsche Schachbund hinter dieser ganzen Berlin-Sache? Bekanntermaßen hat der DSB sein Hauptquartier mitten in Berlin aufgeschlagen, und tja, wer weiß schon, wie das alles immer zusammenhängt.

Vielleicht haben ja auch unsere Leser in nah und fern (Österreich) weitere plausible Erklärungsansätze? Die Kommentarfunktion steht bereit: Wer oder was steckt hinter Berlin? Wir jedenfalls halten die Augen offen.

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Frank Hoppe 2014-06-24 07:17
Also erstens: ICH habe GAR KEINEN GARTEN! Aber okay, meine Mutter. Und sie wohnt dort auch!

Zweitens sind einige der Genannten keine gebürtigen Berliner. So sind z.B. René Stern und Michael Schulz waschechte Rostocker, also Leute von der Küste. Michael schlug nach einigen Jahrzehnten in Berlin kürzlich sein Haus in Falkensee bei Berlin auf. Seine Tochter, die Deutsche Schnellschachmeisterin 2012, ging übrigens dieses Jahr zurück an die Küste. Nach Hamburg.
#2 Holger Hebbinghaus 2014-06-24 16:50
Dann nutze ich doch mal direkt die Gelegenheit, kostenlos Nachhilfe zu erteilen:
Erstens findet die deutsche Blitzmeisterschaft nicht in Bayern, sondern in Rheinland-Pfalz statt.
Zweitens liegt Hamburg nicht an der Küste (mal abgesehen von der Exklave Neuwerk).
Drittens dauert die Fertigstellung des neuen Flughafens bestimmt keine Jahrzehnte mehr, schließlich kann man es der Kanzlerin nicht zumuten, zur Eröffnung der Elbphilharmonie mit dem Zug anzureisen. :-*

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.