Tata Steel hinter den Kulissen

Dieses Jahr war in Wijk aan Zee einiges anders: zwei statt drei GM-Gruppen (zwei ist besser als null), Ausflüge nach Amsterdam und Eindhoven (zumindest Amsterdam war ein voller Erfolg), erstmals seit 1997 ein Deutscher in der A-Gruppe (zwei Erfolgserlebnisse für Arkadij Naiditsch in den letzten beiden Runden). Neu für mich war Zugang zum Pressebereich "hinter den Kulissen". Schwerpunktmässig war ich für den Schachticker tätig, daneben auch für die Lokalzeitung, unsere Vereins-Homepage (das dritte 'Artikeltje' kommt noch) und jetzt auch - nachdem Stefan Löffler mich bereits indirekt erwähnte (s.u.) - für dieses Publikum. Für mich war alles neu und faszinierend - das habe ich in meine Berichte mit einfliessen lassen. Für diverse 'Kollegen' ist es wohl Routine und "alle Jahre wieder".

banner-seminarturnier300-anz2014Ich habe meine Rolle/Aufgabe etwas anders interpretiert: vielleicht als Einziger hatte ich auch ein Interview mit Etienne Goudriaan, Letzter der B-Gruppe, sicher als Einziger eines mit Tom Adriaanse aus Den Helder der sein 23. Amateurturnier seit 1963 spielte ("jedes Jahr treffe ich jede Menge alte Bekannte!"). Auch das ist Schach in Wijk aan Zee! Ich war fünfmal vor Ort, was jetzt noch kommt sind fünf Höhepunkte (auf ein bis zwei konnte ich verzichten), aber zunächst ein kleiner Blick hinter die Kulissen. Hinter der Tür, die sich mit einer Magnetkarte öffnen lässt, befinden sich

1) ein langer Gang, in dem die meisten offiziellen Videos aufgenommen werden. Da müssen die Spieler durch - wer seine Partie verloren hat, darf sofort und wortlos verschwinden. Vor einigen Jahren warteten offenbar diverse Journalisten auf Anand, aber der fand irgendwie einen Hinterausgang. Links und rechts vom Gang sind noch einige Büros, die restlichen ca. 50 Wochen des Jahres Umkleideräume (das Spiellokal ist ja normalerweise eine Sporthalle).

2) ein grosser Analyseraum. Dort verfolgen diverse starke niederländische Amateure die laufenden Partien, mit oder ohne Computerhilfe - das ist wohl auch Grundlage für die offiziellen Rundenberichte. Nach den Partien erschienen auch einige, aber bei weitem nicht alle Spieler, es war insgesamt eher Ausnahme als Regel. Vor einigen Jahren war das offenbar noch anders, aber mittlerweile gilt "schnell zurück ins Hotel, nach der Runde ist vor der Runde, vorbereiten auf den nächsten Gegner"?

3) der Presseraum wo man seine Laptops anschliessen kann mit Internet-Zugang. Auf grossen Monitoren werden auch hier die laufenden Partien gezeigt, aber man kann sie auch (mit Houdini-Kommentar) auf dem eigenen Bildschirm verfolgen. Wer war alles da hinter den Kulissen? Bestimmt vergesse ich einige, zumindest (ich beginne mit den Einheimischen) Peter Doggers, Gert Ligterink, Hans Ree, Dirk Jan ten Geuzendam, Evgeny Surov, Joachim Schulze (Chessbase-Fotograf), Dirk Poldauf. Ausserdem das Tata-Presseteam, Live-Kommentatoren wie Yasser Seirawan, Erwin l'Ami, Lawrence Trent und Ian Rogers, Ehrengäste wie Yochanan Afek, Emil Sutovsky und Gennadi Sosonko. Witzigerweise fragte (ausgerechnet) Sosonko mich, warum ich so gut Niederländisch spreche - vielleicht hatte er nur mitbekommen, dass ich eine deutsche Website vertrete aber nicht, dass ich seit gut 15 Jahren in NL wohne. Nun Tag für Tag, insgesamt fünf von elf Runden im A-Turnier:

Tag 1 und Runde 1: Trauriger Höhepunkt war gleich zu Beginn die Schweigeminute für Vugar Gashimov - vor zwei Jahren spielte er sein letztes Turnier in Wijk aan Zee. Wie ich schon im Kommentar erwähnte: kurz davor herrschte die unvermeidliche Geräuschkulisse (ein paar hundert Amateure vor Beginn der Partien), dann war es mausestill. Schwer, danach sofort zur Tagesordnung überzugehen - "the show must go on". Aber dabei will ich es für diesen Tag belassen.

Tag 2 und Runde 4 - nicht in Wijk aan Zee, sondern im Rijksmuseum Amsterdam. Höhepunkt war vor Beginn der Runde das Gruppenfoto vor Rembrandts Nachtwache:

Gruppenfoto Nachtwache

Dieses Motiv wurde zigmal fotografiert, ich hatte keine eigene Kamera und übernehme es mit freundlicher Genehmigung von Evgeny Surovs Bericht mit vielen anderen bunten Bildern. Ähnlich erschien es in fast allen grossen niederländischen Tageszeitungen (siehe dazu auch Johan Huts Artikel auf schaaksite.nl), und abends war "Schach im Museum" auch Thema im Fernsehprogramm 'Nieuwsuur' (etwa vergleichbar mit Heute-Journal oder Tagesthemen). Johan Hut schrieb dazu: "Turnierdirektor Jeroen van den Berg war bei dieser Gelegenheit genauso wichtig wie Clarence Seedorf, neuer Trainer von AC Mailand". Live habe ich das nicht gesehen, an meinen Turniertagen war ich von 10-22 Uhr unterwegs - eigentlich gerade rechtzeitig zu Hause um den Fernseher anzuschalten, aber ich musste noch was essen und dann noch was schreiben. Was Medieninteresse betrifft: der Ausflug ins Rijksmuseum war ein Volltreffer!

Aus meiner Sicht: ich war gerade rechtzeitig im Pressebereich angekommen, schon sagte Pressechef Tom Bottema "wir gehen zur Nachtwache!". Diverse normale Museumbesucher wunderten sich vielleicht "was ist hier denn los?". Die Partien selbst wurden in 'neutraler' Atmosphäre gespielt, im Auditorium unten im Keller - mit Platz für 250 Zuschauer, das reichte gerade so. Später gab es für 'VIP's' (Journalisten und Tata-Gäste) noch eine Führung durch das Museum - dadurch habe ich das Ende einiger Partien verpasst aber war rechtzeitig zurück zur Analyse von van Wely und Harikrishna:

Foto Amsterdam

Auch dieses Foto stammt von Evgeny Surov (Link oben). Der Herr im dunkelblauen Jackett passt elomässig nicht dazu und heisst Thomas Richter. Qua Kleiderordnung habe ich mich an die Gepflogenheiten angepasst, das ist nicht mein tägliches Outfit. Irgendwann habe ich mich ein bisschen eingemischt - in einem Katalanen wollte van Wely Lg5 und Lxf6 spielen, ich fragte "hat Schwarz die Zeit, um das mit -h6 zu verhindern?". van Wely: "Who knows?", und dann haben sie das ziemlich lange untersucht.

Noch eine Anekdote: Macauley Peterson (offenbar speziell für diesen Tag angereist) wunderte sich, warum ein Schachjournalist ausgerechnet auf Texel wohnt - später wunderte Dirk Jan ten Geuzendam sich auch. Die Antwort: Ich bin kein Journalist - jedenfalls nicht nach der Definition der deutschen, niederländischen und französischen Wikipedia (auf Englisch ist es unklar). Demnach ist Journalist zwar kein geschützter Beruf, aber ein Beruf - man darf sich nur als solcher bezeichnen, wenn man damit (weitgehend) seinen Lebensunterhalt verdient. Für mich ist es Hobby, ich habe einen anderen Beruf.

Tag 3 und Runde 7: Höhepunkt war die Analyse von Gelfand und Aronian hinter den Kulissen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie Russisch sprachen was ich nicht beherrsche - in der Hinsicht bin ich genauso gut oder schlecht wie die ebenfalls kibitzenden Dirk Jan ten Geuzendam und Erwin l'Ami, nur Surov hat mehr verstanden. In hohem Tempo flogen die Figuren übers Brett ... . Bei einem anderen Postmortem (van Wely-Gelfand) hat ein Journalist fleissig Varianten mitgeschrieben - das war, soweit ich es mitbekommen habe, das einzige Mal, dass auch ein Verlierer (van Wely) im Pressebereich erschien. Gelfand-Aronian endete remis, offenbar habe ich die Tendenz der Analyse verstanden. Als ich hinterher fragte: "What's the conclusion, it was a correct draw?" meinten beide "more or less" und Aronian "We had some fun in the opening". Gelfand war, trotz unbefriedigendem Turnier, recht gut gelaunt. In seiner langen Karriere hat er schon diverse Höhen und Tiefen erlebt, heute hatte er ein halbes Erfolgserlebnis, und mit Aronian versteht er sich ausgezeichnet.

Ich hatte das fast verpasst, zwischendurch war ich im Turniersaal und auch beim Livekommentar vor Ort (in einer Grundschule nebenan). Dann war die Partie Gelfand-Aronian vorbei, sind sie etwa schon verschwunden? Nein, sie sassen im Analyseraum. Später wurde van Wely Held des Tages aus (zumindest) niederländischer Sicht mit seinem spektakulären Sieg gegen Nakamura. Sein offizielles Video-Interview ist vielleicht nicht ganz jugendfrei, und einiges was er im Pressebereich sagte war auch nicht unbedingt zitierfähig.

Tag 4 und Runde 10: Schach war zunächst Nebensache gegenüber Schachpolitik und auch Politik - Pressekonferenz von Garry Kasparov. Da niemand die erste Frage stellen wollte, hab' ich das eben gemacht: "Was sind Ihre genauen Pläne zum Elosystem?" Die Antwort war etwa fünf Minuten lang, angefangen mit "this requires lots of preparation". Im Prinzip lief es darauf hinaus: mehr Spieler mit Elozahl = mehr Sponsoren fürs Schach. Hmm, warten potentielle Sponsoren nur darauf, dass jede Vereinsmeisterschafts-Partie und jeder Monatsblitz Elo-ausgewertet wird? Danach war es vor allem Wahlkampf, und zur Situation in der Ukraine und zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi hatte Kasparov auch eine Meinung. Irgendwann auch noch Fragen und Kommentare zum laufenden bzw. beinahe beendeten Turnier in Wijk aan Zee.

Auf diesen Höhepunkt konnte ich tendenziell auch verzichten - Politik interessiert mich durchaus, aber nicht unbedingt in diesem Rahmen, Schachpolitik eher weniger. Obwohl es durchaus nett war, diesen Zirkus vor Ort mitzuerleben. Schachlicher Höhepunkt war: Aronian sicherte sich den Turniersieg eine Runde vor Schluss (wie auch Saric in der B-Gruppe). Die fällige Pressekonferenz wurde auf morgen verschoben, heute stünde er zu Unrecht im Schatten von Kasparov.

Daher gab es für mich auch noch (was ansonsten nicht geplant war)

Tag 5 und Runde 11: Kurz nach Rundenbeginn fiel auch die Entscheidung in der Amateurgruppe 4H - ein Vereinskollege akzeptierte nach 10 Zügen das gegnerische Remisangebot und war damit Wertungssieger. Was das noch bedeutete bzw. welchen Wunsch ich ihm erfüllen konnte, behalte ich exklusiv für unsere Club-Homepage. Mein journalistischer Höhepunkt war vielleicht dieser: es gab Gerüchte, dass Wesley So einen Verbandswechsel anstrebt und Amerikaner werden will. Aus gut informierten Kreisen (Wesley So) wurde das bestätigt, "but it is going to be a long process".

Das hat sich eher zufällig ergeben, gekommen war ich ja für Aronians Pressekonferenz. Die war aus meiner Sicht kürzer (11 statt 49 Minuten), kurzweiliger und gehaltvoller als die von Kasparov. Auf meine vielleicht dumme Frage "How will you keep your form?" hatte er eine interessante Antwort.

Und dann war alles vorbei, vom Tata-Pressedienst und von einigen 'Kollegen' habe ich mich verabschiedet mit "bis nächstes Jahr!". Es war interessant, es hat Spass gemacht, es war aber auch anstrengend.

Kommentare   

#1 marcchan 2014-02-10 10:41
danke für den schönen Bericht!
Was war denn die interessante Antwort von Aronian?
#2 Thomas Richter 2014-02-10 18:06
Aronian sagte zunächst "I will keep it in a bottle" und dann "Ich glaube nicht an sowas wie Form. Man spielt nicht gut, weil man viel Spinat gegessen hat, sondern weil der Gegner es zulässt und weil man selber gut drauf ist. Aber das kann sich vom einen auf den anderen Tag ändern, siehe meine Partie gegen van Wely."

Die gesamte Pressekonferenz mit noch diversen anderen Pointen gibt es als Video auf der Turnierseite (Runde 11).
#3 Gerhard 2014-02-10 23:31
Schöner Bericht!

Da hast Du mehr Erfolg gehabt, als ich im WM-Kampf Kasparov-Anand, als ich Seirawan bei der Analyse einen Zug vorschlug. Da ging er absolut nicht drauf ein. Er analysierte da m.E. mit Mestel, genau weiß ich es aber nicht.

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