Spielstärke Maßzahlen

Dies soll der Beginn einer kleinen Serie werden, da mir Jörg Hickl gewisslich versichern konnte, dass ihr, liebe Leser, bevorzugt mundgerechte Häppchen gegenüber einem kompletten Menü, dies aber in einem Gang serviert, bekommt. Da ich mich nun gerne als völlig ungebildet bezeichne – und dies nicht aus Koketterie sondern aus voller Überzeugung heraus tue – überlasse ich euch die Freude, meine Ideen nicht nur als bekannt und uralt zu bezeichnen, sondern zugleich sie als weder praktikabel noch überhaupt richtig, sowie allesamt als längst verbessert, aber dennoch aus guten Gründen alsbald, von sicher weit klügeren Köpfen, verworfen, nachzuweisen.

Eine kleine Anekdote hier nur noch zum Nachweis meiner völligen Ahnungslosigkeit: als ich einen Schachfreund bei einer S-Bahn Anfahrt zu einem Schachturnier traf, welche er sich mit einem guten Buch vertrieb, ich hingegen mit dem Lösen eines Sudokus beschäftigt war, schaute ich zwar durchaus interessiert auf den Buchtitel und den Autoren, jedoch kannte ich weder dies noch jenes. Als ich dann von meinem eigenen Leseverhalten erzählte, meinte er, es gäbe dazu Vorbilder (und dies das Zitat eines mir ebenfalls namentlich nicht bekannten größeren Schriftstellers) : „Das bisschen, was ich lese, schreibe ich mir selbst.“ Genau so ist es. Wie, bitte schön, soll man nur auf diese Art den eigenen Horizont je erweitern können?

In gewisser und allmählicher Überleitung zum Thema: die Spielstärken werden in Elo-Zahlen gemessen. An dieser Stelle darf ich für mich in Anspruch nehmen, nicht völlig ungebildet zu sein, denn, ein befreundeter Schachspieler, zugleich Mathematik Professor (bei welchem ich einige Vorlesungen hörte), empfahl mir das Buch des Arpad Elo als Lektüre – und ich konnte seinen Vorschlag, welcher einer Bitte gleichkam, kaum ausschlagen. Sicher ist eine Menge Gutes daran, an diesem System.

Es ist sogar das beste mir bekannte Spielstärkemesssystem, welches wirklich und offiziell im Einsatz ist. Im Vergleich zum Tennis, dem Fußball oder noch schlimmer, dem Bridge: nur im Schach sind die Berechnungen halbwegs vernünftig (ohne die anderen Systeme an dieser Stelle mit all ihren offensichtlichen Mängeln vorstellen zu wollen).

Jedoch, man hört es  heraus, eben nur halbwegs. An dieser Stelle soll zunächst einmal die Frage aufgeworfen werden, wozu das System eigentlich verwendet wird und wozu es verwendet werden sollte. Denn: mathematisch gesehen müsste die Absicht sein, eine möglichst gute Prognose für den Ausgang einer Schachpartie zu liefern. 

An dieser Stelle beginnen bereits die erheblichen Mängel. Bevor ich jedoch darauf näher eingehe: Sicher nehme ich kaum an, dass es ein Schachspieler ernsthaft als „Prognosesystem“ auffasst?! Es wird eher als kleine, aber doch ziemlich realistische Zahlenspielerei aufgefasst, bei der man sich nach den gewissen und bekannten Gegebenheiten zu richten hat. Man muss sozusagen akzeptieren – und denkt selbst darüber nur in geringen Maßen nach --, dass man bei einer Niederlage gegen einen Schwächeren so und so viele Punkte einbüßt, bei einem Remis so viele und bei einem Sieg so wenige hinzugewinnt. So gehen die Berechnungen, so ist es halt. Was diese Veränderung in der Spielstärke für den Ausgang der nächsten Partie bedeutet, inwieweit sich die Chancen für die folgende Partie mit der eigentlich nun veränderten Zahl verschieben, das ist nun wirklich eine Frage, die nur Kleingeister interessiert. „Ich habe 10 Punkte verloren. Jetzt muss ich mich anstrengen, um die zurückzuholen.“ ist das Maximum, was einen gewöhnlichen Schachspieler interessiert. Und wenn es nicht in diesem Turnier oder in dieser Auswertungsperiode gelingt, dann vielleicht in der nächsten.

Eigentlich jedoch dient die Berechnung der Erwartung, welche im Anschluss mit dem tatsächlichen Ergebnis abgeglichen wird (und somit die Veränderungen der Zahlen der beiden Spieler bewirkt), als eine Prognose. Da es sich jedoch um eine Prognose handelt, bestünde ja die Möglichkeit, die Qualität dieser Prognose zu überprüfen. Eine mögliche Absicht davon wäre: die Berechungsformel der Veränderungen zu optimieren. Nun, die Qualität dieser Prognose kann auf zwei Arten überprüft werden – welche beide später vorgestellt werden sollen. Jedoch gibt es diese, und darauf möge sich der Leser zunächst verlassen.

Bevor ich aber auch darauf näher eingehe, möchte ich die im verwendeten System bereits verankerten „Korrekturparameter“ untersuchen. Tatsache ist nämlich, dass es offensichtlich als bekannt gilt, dass die Ergebnisse für jeden Spieler und dessen Entwicklung unterschiedliche Bedeutungen haben. Hierbei werden zwei Größen – welche, zugegebenermaßen am besten objektiv sein sollten, und nicht individuell (selbst dazu viel später ein paar Ideen) – verwendet: die eine ist die Spielstärke, die andere das Alter. Ohne ganz genau die Bedingungen dafür zu kennen, kann ich nur so viel gesichert sagen, dass die Folge diese ist, dass sich jüngere Spieler rascher entwickeln sollen (sicher der Realität entsprechend), und dass sich höher eingestufte Spieler, die einen gewissen Nachweis der Qualität ihres Spieles erbracht haben, sich danach langsamer entwickeln sollen. Sprich: der Einfluss des letzten Ergebnisses ist unterschiedlich je Spieler, jedoch ausschließlich abhängig von diesen beiden Größen.

Abgesehen davon gibt es, so weit mir bekannt, nur drei verschiedene Anpassungswerte, mit welchen gerechnet wird. Wenn dies der einzige Mangel wäre: nach meiner Einschätzung sind diese Werte eines Tages völlig willkürlich festgelegt worden. Selbst wenn sich ein vernünftiger Grund dahinter verbirgt – welchen ich nicht in Abrede stelle --, so wäre die Größe der Werte dennoch zunächst zu ermitteln und nicht einfach festzulegen. Im Internet Chess Club beispielsweise wird, rein zur Unterhaltung und, nach Ansicht der Veranstalter zum größeren Spielspaß, ein wesentlich höherer Anpassungsparameter verwendet, nur damit sich die Zahlen schneller bewegen und verändern. Hier wäre sogar der Nachweis, dass die reine Willkür Einzug gehalten hat, in der (anerkannten) Absicht, den Spielspaß zu erhöhen. Ob das wirkt ist die eine Frage, ob die Anpassungen etwas mit der Realität zu tun haben die andere, welche an dieser Stelle schlichtweg und ziemlich überzeugt sowie garantiert mit „Nein“ beantwortet werden kann.

Ob man nun mit diesen einleitenden Worten einen Vertrauensvorschub verdient hat, welcher den Verzehr des nächsten kleinen Häppchen schmackhaft macht, bleibt abzuwarten (und dem Leser überlassen). Dennoch soll dieser Text zunächst, quasi als Aperitif, genügen.


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Spielstärke Maßzahlen

Spielstärke Maßzahlen -- Teil 2

Spielstärke Maßzahlen -- Teil 3

Spielstärke Maßzahlen -- Teil 4

Kommentare   

#1 Gerhard 2012-01-13 15:43
Herr Paulsen, welchen Vorteil könnte es mit sich bringen, wenn man behauptet, nicht gebildet zu sein?
Ein naheliegender Vorteil könnte sein, daß jemand, der dies hört, konstatieren kann, ja muß: Was! Wie? Trotz fehlender Bildung hast Du ein riesiges Allgemeinwissen. Man kann Dich trotz Unbelesenheit eigentlich über alles profund befragen. Dein Schriftdeutsch ist wahrlich exzellent, obwohl Du keine Bücher liest! Usw.
Also ginge es um einzufangende Schmeicheleien.
Ich selbst lese auch keine Bücher, was ich im Übrigen sehr bedauere. Ich lese eher „Fragmente“ : Kleine Schriftstücke, Meinungsäusserungen, Artikel. Und dies viel und häufig. Und daraus ergibt sich m.E. eine ordentliche Bildung. Ich brauche hierzu keine Bücher – OBWOHL ich es, wie gesagt bedauere, nicht die Lebensweise eines Literaten zu führen – denn diese böte eine Veredelung meines Daseins – wie sie etwa auch Kunst und Musik bieten kann.

Obwohl noch nichts bzw. wenig zur „Elozahl“ gesagt wurde, ein kleiner Hinweis zur „Realität“ einer Elozahl als Beigabe von meiner Seite.: Vor kurzem hat der Bruder eines Weltklassespielers, mit 2351 Elo als Schwächster einer Gruppe von 10 meist Großmeistern, ein Blitzturnier gewonnen. Was es bedurfte, war wohl die „Realität“ der Elozahl zu vergessen „und so zu tun“, als wäre man spielstärkemässig ebenbürtig. Man selbst hat das auch schon so erfahren.
#2 Gausdal72 2012-01-13 16:45
Ich hätte einen etwas schlankeren Aperitif bevorzugt, der Artikel ähnelt vin Umfang und Verdaulichkeit eher einem Hauptgang.
Inhaltlich ist zu erwähnen, dass für die meisten Schachspieler die ELO kein Prognose-, sondern vielmehr ein Selbstbefriedigungs- oder Selbstdarstellungsinstrum ent ist.
#3 Dirk Paulsen 2012-01-13 16:47
Lieber Gerhard, ich schrieb mit einigem Bedacht, dass "ich gerne behaupte", völlig ungebildet zu sein. Weiterhin ist die von Ihnen beschriebene, angeblich erhoffte Folge jene, welche ich als Absicht in Abrede stellte. Es handelt sich EBEN NICHT um Koketterie, sondern um ein pures Wahrheitseingeständnis.
Im Gegensatz zu Ihnen mühe ich mich nicht einmal darum, meine unendlichen Wissenslücken zu schließen. Ich lese einfach nicht, ich höre und schaue keine Nachrichten, habe nicht die leiseste Ahnung von Politik, von Geschichte, von Geographie, Biologie oder Chemie, ebenso wenig wie von Literatur oder Wirtschaft, falls diese keineswegs als vollständig beabsichtigte Aufzählung zunächst genügen mag, wobei ein Nachweis der Ahnungslosigkeit recht schwer zu führen wäre.
Vorenthalten -- jedoch genau nur bis hierher -- habe ich dem Leser bisher diese kleine Geschichte, die ich eigentlich im Text erzählen wollte: nicht einmal extrem lange her, da LAS ICH, ja, Sie haben richtig gehört, ICH LAS, in einer Schachzeitung, und zwar den gesamten Artikel. Überschrieben war dieser mit der Zeile: "Der Selbstdenker". Dies hat mich nämlich genau animiert, den Text zu goutieren. Die Rede war vom "Selbstdenker" Emanuel Lasker. Erzählt wurde über ihn, dass er sich in alle möglichen Wissensgebieten kompetent fühlte und sich gar mit Einstein ein Duell lieferte, aus welchem er nach eigener Ansicht gar als Sieger hervorging -- Zweifel bleiben angebracht.
Fakt ist, dass ich nicht nur im Schachclub namens Lasker spiele, sondern dass ich auch sonst direkt eine hohe Identifikation damit aufbauen konnte. So sehe ich mich auch.

Fakt ist daran aber auch, dass ich mit dieser Art vielen ein Dorn im Auge bin. Ein richtiger Journalist -- so die hinter vorgehaltener Hand sicher ab und an geäußerten Bedenken -- recherchiert wenigstens, bevor er sich irgendwo wagt, eine Meinung oder ein Wissen vorzutragen. Auch das tue ich nicht. Ich habe mir mein System für die Spielstärkeberechnung einfach so ausgedacht, ohne jegliche Ahnung, wie weit mit einem vernünftigen System bereits andere vorgedrungen sind. Und: ich wage mich, darüber zu erzählen.

Es gibt sogar einen Grund, warum ich es so sehr ablehne: es ist wie im Schach, wo ich niemals Eröffnungen studieren wollte, aus der Sorge heraus, meine eigene Kreativität zu ersticken. Ich schaue auch im Nachhinein niemals nach, wie andere Menschen die von mir gewählte Eröffnung spielen, nein, so etwas tue ich nicht und werde es wohl auch nie tun. Ich spiele so vor mich hin. Genau dies tue ich, und zwar aus dem gleichen Grund, auch im wahren Leben. Wenn ich wüsste, wie weit andere wären, würde mein Mut und mein Ehrgeiz womöglich direkt erlahmen.

Falls Sie, lieber Gerhard, eine kleine Geschichte zu diesem Thema lesen wollen -- und zugleich staunen werden, dass ich diese kenne, sicher nur, bis ich den Grund dafür angebe, nämlich den, dass ich mit 16 Jahren noch gerne las, dort aber praktisch nur Hemmingway und Tucholsky --, hier sei sie genannt: Es ist die Geschichte "Es gibt keinen Neuschnee", von Kurt Tucholsky, unter einem seiner Pseudonyme, Theobald Tiger, Peter Panter oder Ignaz Wrobel.

Viel Spaß dabei und bis bald zur nächsten Folge...
#4 Gerhard 2012-01-13 17:39
Jetzt muß ich doch darauf antworten!
Mein Versuch, zu erklären, wieso Sie sich als „ungebildet“ bezeichnen, war nur ein VERSUCH, nichts weiter. Ich wusste einfach keine Antwort. DAS hatte ich nicht eigens dazugeschrieben. Mein Fehler.
Danke für das Tucholksy-Gedicht. Ich kenne Tucholsky vom Namen her und auch von seiner Bedeutung, habe aber wohl noch nichts von ihm gelesen. Ich weiß nur, daß viele mir wertvolle Menschen „ Auf Tucholsky schwören“.

Und noch etwas: Woher wissen Sie, daß ich alle meine Wissenslücken schliessen möchte?? Wissen als Waffe ist mir fremd bzw. strebe ich nicht an, also häufe ich hier nicht. Wissen ist mir eher zu-ge-fallen und es muß keinesfalls komplett sein, wozu auch. Wissen ist ein Faß mit Boden…man kommt nie an.

Aber sie hatten alles Recht auf diese Annahme…ich hatte ja auch eine gemacht!

Wenn Sie Eröffnungen und das Wissen in Ihnen nicht studieren (ich auch nicht) – wieso verfolgen Sie Großmeisterpartien? Genehmigen sich also die Zeit, bei einer Bundesligapartie oder auch sonstwo live das Wirken eines starken Großmeisters zu verfolgen?
Da Sie offenbar die Technik des Meisters nicht interessiert, auch seine Eröffnungsbehandlung oder seine Sicherheit im Endspiel, was ist es dann? Es müsste Ihnen ja eigentlich auch allen Mut nehmen. Oder studieren Sie nur das Abschneiden eines Vereinskollegen gegen diesen GM - um ihm danach zu raten? Das könnte ich mir eher vorstellen!

Entschuldigung für die Nachfragen..
#5 Dirk Paulsen 2012-01-14 18:35
Lieber Gerhard, Sie bedauerten nur, nicht mehr zu lesen, woraus ich schloss, dass Sie lieber Wissenslücken schließen würden. Von ALLEN habe ich sicher nicht gesprochen, was ja, spätestens seit Sokrates oder wer es auch immer war, unsinnig wäre, da er erkannte, dass er, je mehr er wisse, umso mehr erkenne, dass er in Wahrheit nichts wisse.

Auch sprach ich keineswegs davon, dass ich keine Großmeisterpartien verfolgen würde, geschweige denn, dass ich nicht bereit wäre, etwas daraus zu lernen. Ich habe nur den Teilaspekt des Weltklassespiels erwähnt, welchem ich NICHT folge. Ich weigere mich, Eröffnungen zu ERLERNEN. Ich spiele, was mir in den Sinn kommt. Wenn ich einen Zug schon einmal gesehen habe, schließt es jedoch lange nicht seine Ausführung aus.
Abgesehen davon, wenn Sie mehr meiner Berichte zu lesen bekommen und bereit sind, sie zu lesen, werden Sie sicher bald feststellen, dass das Niveau einer Partie, in Elo-Zahlen gemessen, für mich KEIN hervorragendes Auswahlkriterium ist. Ich schaue, wo auch immer mein Blick hinfällt. Ab und dan fällt er jedoch auch auf eine Spitzenpartie, dies schließe ich ebensowenig aus.
Nebenbei verbreite ich gerne meine Überzeugung, dass eine fehlerhafte Partie keineswegs weniger lehrreich sein muss gegenüber einer Meisterpartie. Dies hat verschiedene Gründe, welche ich jedoch für den Moment nicht anführen möchte.
#6 Dirk Paulsen 2012-01-14 18:38
"Es gibt keinen Neuschnee" ist kein Gedicht sondern eine Kurzgeschichte. Demnach hätten Sie nicht gelesen? Hier ein möglicher Link zu dem Text: http://www.textlog.de/tucholsky-neuschnee.html
#7 Gerhard 2012-01-14 23:54
Lieber Herr Paulsen,
es ist meine "Unwissenheit", daß ich Tucholskys "Es gibt keinen Neuschnee" als Gedicht bezeichnete." Ein Gedicht ist für MICH eine bestimmte Kurzform, mit oder ohne Vers. Ich denke, ohne es konkret zu wissen, daß man das mit Gedicht bezeichnen kann. Wenn nicht, dann nicht.
Gelesen habe ich diese Kurzform freilich, so gewissenhaft bin ich schon.

Ein Literat zu sein wäre eine Erfahrung, die ich noch nicht hatte....in Grenzen möchte ich also schon "wissen".

Gruß
Gerhard

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