SchuhSchautSchach: The Modernized Nimzovich Defense (1...Sc6!)

1...Sc6 - mehr kann man ja eigentlich nicht wollen 1...Sc6 - mehr kann man ja eigentlich nicht wollen

Von IM Dirk Schuh!

Wer schon die eine oder andere Rezension von mir gelesen hat, weiß um meine Launen, wenn es um die Eröffnungsphase geht. So spiele ich nach 1.e4 manchmal längere Theorievarianten, unter anderem in den offenen Spielen nach 1. ...e5 oder diversen sizilianischen Abspielen nach 1. ...c5, bin aber auch für allerlei seltenere Systeme empfänglich. Mir gefallen dann vor allem frühe Springerzüge sehr. Neben dem etablierten 1.e4 Sf6, von dem ich viel halte und das mir trotz schlechter Form immerhin eines meiner wenigen Bundesligaremisen einbrachte, packe ich dann auch gerne 1.e4 Sc6 aus.

Die Nimzowitschverteidigung wird aus mir unerfindlichen Gründen extrem selten gespielt und begleitet mich als Überraschungswaffe bereits seit über 20 Jahren. Nun gibt es mit "The Modernized Nimzovich Defense 1.e4 Nc6" von Großmeister Christian Bauer aus dem Hause Thinkerspublishing ein neues Werk zu dem Thema. Der Autor spielt diese Variante selbst, weiß also, wovon er schreibt.
Er schätzt, wie er zugibt, Stellungen, die nicht so gut erforscht und recht flexibel sind. Die Nimzowitschverteidigung kann in dem Bereich gut überzeugen. In vielen gut kommentierten Modellpartien zeigt er sehr gut die Ideen, die Schwarz nach den Abspielen nach 1.e4 Sc6 haben kann. Dabei wird kein enges Eröffnungsrepertoire, sondern eher ein Potpourrie aus verschiedenen Strukturen und Möglichkeiten geboten, bei denen Schwarz die Partie oft in die Stellungen lenken kann, die ihm gefallen.

bundesarchiv bild 102 14194 emanuel lasker
Spielte noch selbst gegen den Namensgeber von 1...Sc6: Chief Lasker

Nach 1.e4 Sc6 2.d4 beginnt es bereits, da Schwarz sowohl den klassischen Nimzowitschzug d5 wählen oder mit e5 im Zentrum gegenschlagen kann. Nach ersterem kann 3.e5 Lf5 zu einer interessanten Blockadestellung führen, in der Schwarz häufig eine Französischstellung mit einem guten weißfeldrigen Läufer erreichen kann.
3.Sc3 kann nach e6 direkt in ein Abspiel der Französischen Verteidigung übergehen, das im Buch nicht näher erläutert wird, man kann aber auch mit 3. ...dxe4 4.d5 Sb8 5.Sxe4 c6 ganz schnell eigene Wege beschreiten, die GM Bauer analysiert, oder nach 3. ...Sf6 4.e5 Sd7 5.f4 Sb6 6.Sf6 Lg4 wieder eine blockiertere Stellung anstreben, in der Schwarz versucht, erst den weißfeldrigen Läufer zu aktivieren, ehe er mit e6 eine Französische Struktur baut. 3.exd5 Dxd5 riecht hingegen sehr Skandinavisch!

Nach 1.e4 Sc6 2.d4 e5 hingegen landet Schwarz nach 3.Sf3 in den offenen Spielen, hat aber natürlich viele Weißvarianten ausgespart. Nach 3.d5 Se7 kann Schwarz früher oder später auf den Hebel f5 spielen und am Königsflügel angreifen und nach 3.dxe5 Sxe5 4.Sf3 wird die Stellung wieder offener, aber auch schnell unerforscht. Dieses Abspiel ist in den Augen des Autors allerdings recht kritisch und etwas besser für Weiß, auch wenn das in der Praxis der meisten Spieler wohl kaum eine Rolle spielen wird.

Ein wenig problematisch finde ich persönlich für Schwarz die Variante nach 1.e4 Sc6 2.Sf3. Objektiv am besten ist hier wohl der Übergang in die offenen Spiele nach 2. ...e5, aber das ist etwas unkreativ. Im Blitzschach vertraue ich auf das Colorado Gambit nach 2. ...f5, das in dem Buch leider keine Erwähnung findet. Stattdessen werden die Züge 2. ...Sf6 und 2. ...d5 ein wenig unter die Lupe genommen.

Nach 2. ...Sf6 3.e5 kann Schwarz entweder mit Sd5 in eine seltene Variante der Aljechinverteidigung übergehen, die ich ganz nett finde, oder sogar 3. ...Sg4 spielen, das nach 4.d4 d6 5.h3 Sh6, das zu sehr eigenem Spiel führt. Beides wird aber nur sehr kurz abgehandelt. 2. ...d5 mit einem Übergang in eine seltene Skandinavische Verteidigung findet GM Bauer noch ganz ok, aber seine Hauptempfehlung ist hier 2. ...d6 3.d4 Sf6 4.Sc3 g6 mit dem Übergang in eine Art Pirc-Verteidigung. Das Chamäleon hat wieder zugeschlagen! Für Schwarz spricht hier aber, dass die gefährlichsten Pircabspiele solche mit f4 oder f3 sind und Weiß sich schon auf Sf3 festgelegt hat.

Nimzo Christian Bauer

Insgesamt kann sich der Leser hier selbst ein schönes Schwarzrepertoire nach 1.e4 Sc6 basteln, wobei Vorkenntnisse in den offenen Spielen, der Französischen Verteidigung oder allgemein Blockadestellungen, der Skandinavischen Verteidigung oder auch der Pirc-Verteidigung sicher sinnvoll sind, um die flexible Nimzowitschverteidigung optimal zu beherrschen.

Man kann sich die Ideen aber auch von GM Bauer erklären lassen und dann eigene Schlüsse ziehen. Ich denke, dass das Buch ab 1700 DWZ für jeden Leser verständlich sein sollte. Man sollte allerdings hier und da später vielleicht etwas nacharbeiten, da durch die Fülle an Ideen auf nur 261 Seiten einige Oberflächlichkeiten in den Variantenbäumen aufkommen. In den wichtigen Abspielen bekommt man als Leser aber ein gutes Rüstzeug geliefert, um mit Schwarz einige Punkte zu sammeln!

IM Dirk Schuh, Schachtrainer, November 2020

Christian Bauer, The Modernized Nimzovich Defense bei Schach Niggemann (wir grüßen ins Münsterland!)

 

Anmerkung der Redaktionsassistenz:

Wir umranken diese Rezension mit drei kämpferischen Partien der jüngeren Schachgeschichte - eine aus dem Wirken von Dirk dem Schachschuh, eine Weitere von IM Christoph Scheerer (früher Wisnewski), der zu 1...Sc6 ebenso wie GM Christian Bauer ebenfalls ein bemerkenswert schönes Buch geschrieben hat, sowie eine Dritte aus regionalem Anbau.

 

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.