Remistod des Fernschachspiels

In der Ausgabe 7-2013 der Zeitschrift Schach hat sich Arno Nickel, Publizist, Verleger und Großmeister im Fernschach, in einem Artikel intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Fernschach der Remistod droht. Am Beispiel eines aktuellen Spitzenturniers und auf der Basis statistischer Daten aus dem Spitzenfernschach zeigt er auf, dass der Anteil der mit Sieg und Niederlage beendeten Turniere in der Ära der immer stärker werdenden Engines deutlich gesunken ist. Nickels Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Aber unterstützen sie alle Rückschlüsse, die er daraus zieht? Ich denke, dass dies nicht der Fall ist.

Nickel meint: „Die Zukunft des Fernschachs wird von seinen Leistungsträgern geprägt.“ Gerade im Fernschach ist der Einfluss der Elite kaum festzustellen. Worin auch sollte er bestehen? Der bestmögliche Einsatz der Hilfsmittel, insbesondere der Engines, könnte eine Domäne der Leistungsträger sein. Gerade dieser Wissensvorsprung aber wird gehütet wie ein Schatz, zumeist zumindest.

Die Zukunft des Fernschachs wird viel weniger von seinen Leistungsträgern geprägt als die Zukunft des Nahschachs von seinen.

Nickel zieht aus dem stark gewachsenen Remisanteil in den Spitzenturnieren den Schluss, dass dem Fernschach generell der Remistod droht. Auch diese These geht zu weit, da sie nicht zwischen Leistungsgruppen differenziert und als Definition von Fernschach nur das herkömmliche Schach zulässt, in dem dann auch Engines erlaubt sind. Fernschach aber ist nicht nur das Schachspiel innerhalb der Elite und auch nicht so eng definiert. Zum Fernschach zählt heute auch das Spielen in Turnieren unter Engineverbot, im Rapid-Modus, in Chess960 und mehr. Nickels Herleitung für den drohenden Remistod lässt sich nicht als Universalbegründung gebrauchen. Der hohe Remisanteil in Spitzenturnieren im Normalschach rechtfertigt es nicht, den Remistod des Fernschachs schlechthin zu sehen.

Nickel meint, dass die Fernschachorganisationen gefordert sind, etwas gegen den Remistod zu tun. Es sind aber die Spieler selbst in den Spitzenturnieren, die nach dem Motto „die Null muss stehen“ ihre Partien anlegen. Wenn Nickel den zu vorsichtigen Stil vieler Spitzenspieler kritisch sieht, so ist es aber gerade auch dieser, der die Remisquote nach oben drückt. Die Organisationen könnten die Regeln für das Schachspiel ändern, aber ist das gewollt? Sie können auch die Regeln für Turniere ändern und Turniere schaffen, die den Einfluss der Engines verringern bzw. ausschließen. Letzteres ist im nationalen deutschen Fernschach passiert - enginefreie Turniere -, hat Erfolg und ist nicht vom Remistod bedroht.

Zu begrüßen ist Nickels Aussage, dass „vom Standpunkt des Fernschachs das Partieergebnis eigentlich nur von sekundärer Bedeutung ist, solange der Partieverlauf interessante Fragen aufwirft und die Auseinandersetzung insgesamt spannend ist.“ Der wissenschaftlich orientierte Ansatz der Suche nach dem besten Zug in jeder Stellung ist unabhängig vom Partienergebnis und damit unabhängig vom Remistod. Allerdings wird er allein auf Dauer das Spitzenfernschach nicht stützen können. Hier müssen sportlicher Erfolg und Misserfolg hinzutreten.

Arno Nickels Beitrag ist die Chance, in eine fachlich qualifizierte Diskussion über die Möglichkeiten, den Anteil der nicht mit einem Remis endenden Partien im Fernschach zu beeinflussen, einzusteigen. Ob diese Chance genutzt wird, hängt besonders auch davon ab, wie sie von den Fernschachspielern selbst aufgegriffen wird. Zu befürchten ist aber, dass der Beitrag im Wesentlichen wieder nur den Anlass für ein Wiederholen gepflegter Vorurteile gegenüber dem Fernschach gibt. Hierzu fühlen sich oft genug Schachfreunde berufen, die das Fernschachspiel selbst nie betrieben haben und nicht wirklich wissen, worüber sie schreiben. In einem Beitrag, der auf der Website von SGEM Rochade Kuppenheim zu lesen ist, versteigt sich der dortige Autor in einer Reaktion auf Nickels Beitrag zu der Aussage „die Stellvertreter neutralisieren sich, wenn trotz menschlicher Unterstützung schlussendlich "Houdini" gegen "Houdini" spielt.“ Abfälliger kann man kaum über Fernschachspieler schreiben, als sie wie Marionetten der Engines darzustellen und nicht wirklich selbst zu spielen. Der Fernschachspieler weiß, dass der Verfasser nicht verstanden hat, aber die angestrebte sachliche Diskussion wird auf diese Weise wieder erschwert.

Kommentare   

#1 Roggenossi 2013-07-21 19:24
Ich weiß auch nicht wirklich, worüber ich hiermit schreibe :-) aber

"Engineverbot", "enginefreie Turniere"...

Ich schmunzle.
#2 Krennwurzn 2013-07-22 15:41
Zitat:
„die Stellvertreter neutralisieren sich, wenn trotz menschlicher Unterstützung schlussendlich "Houdini" gegen "Houdini" spielt.“
Auch wenn es die Fernschächer nicht gerne hören, aber ein Kernchen Wahrheit ist im obigen Satz schon versteckt - und wenn keine Wahrheit, dann zumindest eine Mahnung!

Warum? Tablebasestellungen werden im Fernschach aus gutem Grunde kaum mehr weitergespielt - es gilt mittlerweile als unhöflich dies zu tun! Sicherlich gilt noch, dass eine reine Engine kaum ein Fernschachturnier gewinnen kann, denn der Mensch muss aus den "ausgespuckten" Varianten noch jenen Weg aussuchen, den er für erfolgversprechend ansieht. Aber desto tiefer und genauer die Engines rechen, desto geringer wird der menschliche Einfluss werden.

Engineverbot und enginefreie Turniere sind was für ehrliche Leute - ja die soll's im Schach auch geben - ABER sobald es um große Titel und Geld geht, dann ... gut, dann habe ich so meine Zweifel!
#3 Hanse-Micha 2013-07-24 14:25
Nikolai Papenin hatte in der Elo-Liste des ICCF 4/2011 eine Elo-Zahl von 2741. Er war absolut dominierender Spieler im Fernschach. Seither hat Papenin 91 Elo-Punkte verloren. Auch auf absolutem Top-Niveau scheint es also möglich, Partien zu gewinnen und zu verlieren. Papenins Dominanz entstand wohl kaum, weil er nur als Bote der Engine tätig war. Und es ist auch nicht anzunehmen, dass damals sein Computer kaputt ging, und er keinen neuen bekam. Es müssen also auch menschliche Faktoren eine Rolle spielen. Das ist gut - ausser für Papenin!:-)
Beim Vorletzten Kandidaten-Turnier (im Nahschach) in Kasan haben wir unglaublich Blutleere und auf Remis angelegte Partien gesehen. Es entstand eine fürchterliche Debatte um den Remistod des Schachs. Geänderte Formate und Sofia-Regeln haben uns seither aber Spitzenturniere geliefert, in denen es mächtig zur Sache ging.
Nickels Warnung scheint unter dem Eindruck des von ihm beschriebenen Turnieres gerechtfertigt. Man darf gespannt sein auf den zweiten Teil (vor dessen Erscheinen diese Debatte wenig Sinn macht, Herr Bekemann) seines Artikels in der nächsten Ausgabe.
Warum enginefreie Turniere Rogenossi zum Schmunzeln bringen, verstehe ich nicht. Ich habe kürzlich ein solches Turnier (per Post) gespielt und hatte riesig Spaß, nette Kontakte und keinesfalls den Eindruck, beschissen zu werden. Auch nachträgliche Analysen lassen nicht den Schluß zu, es seien doch Engines eingesetzt worden. Haben Sie es schon probiert?
Man sollte aber auch eines nicht vergessen: Fernschach lebte zu keinem Zeitpunkt alleine davon, dass starke Schachspieler einsam analysiert und ihre Züge verschickt haben. Hilfsmittel aller Art waren auch vor 200 Jahren schon erlaubt und wurden genutzt. Wer also gute Vereinskameraden hatte, war immer im Vorteil, ohne selbst ein guter Schachspieler sein zu müssen. Gleiches gilt heute auch noch! Wer starke Analyse-Partner (Mensch und Maschine) hat, kann im Fernschach Partien gewinnen und verlieren. Es besteht nach meinem Empfinden kein Anlass, an der Überlebensfähigkeit des Fernschachs zu zweifeln.

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