Privatsphäre zwischen Smartphone und Urinprobe

Privatsphäre zwischen Smartphone und Urinprobe Petar Marjanovic

Andere Länder – andere Urteile

Falko Bindrichs Auslegung der Smartphonenutzung war eines der bestimmenden Themen der Schachmedienwelt des letzten Jahres (siehe Artikel im Blog ff). Auch einige wenige unserer Leser teilten seine Meinung zu Persönlichkeitsrechten und dass es einem Spieler nicht zuzumuten wäre, bei bestehendem Betrugsverdacht sein Smartphone vorzuzeigen.

Unterstützung erhält er nun aus der Schweiz: Hier argumentierte das Verbandsschiedsgericht bei seinem jüngsten Handyurteil ganz in seinem Sinn:

„Das VSG (Verbandsschiedsgericht) gelangte nämlich in seinem zwölfseitigen Urteil zur Ansicht, dass es keine solche Verpflichtung gebe: «Weder die FIDE-Regeln noch das SMM/SGM-Reglement enthalten eine aus­drückliche Bestimmung, welche einen Spieler verpflichten würde, das Mobil­telefon zur Überprüfung vorzuweisen. Nicht zu verkennen ist, dass eine sol­che Verpflichtung einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre der Spieler bedeuten würde.»

Sein deutscher Bundesligaverein trennte sich nach dem Vorfall letztes Jahr von Bindrich. Mit dem SC Turm Lüneburg fand er nun einen neuen Verein. In der Schweiz durfte er die ganze Zeit unbehelligt weiter für Luzern an die Bretter gehen.

Verstehen kann ich die Argumentation des Verbandsschiedgerichts nicht. Wir bewegen uns im Sportbereich - kein Muss, jeder unterwirft sich freiwillig den Regularien.

Zum Beispiel akzeptiert jeder Spieler der obersten schweizer Liga die Dopingregeln des IOKs, die die Verweigerung einer Urinprobe einem positiven Test gleich stellen.

Kein Recht am Urin, aber am Handy? Ist das Messen mit zweierlei Maß?

Wie wird es weitergehen? Bringen nun alle Schachspieler Smartphones mit, oder verweigert der nächste die Dopingprobe?

Doch urteilen Sie selbst.

Der in der aktuellen Ausgabe der Schweizerischen Schachzeitung (SSZ) erschiene Artikel wurde uns freundlicherweise von Markus Angst (im redaktionellen Text ma) in voller Länge zur Verfügung gestellt.

Urteil des Verbandsschiedsgerichts

Öfter was Neues zum Thema Handy…

Muss ein Spieler selbst im begründeten Verdachtsfall dem Schiedsrichter sein Mobiltelefon vorweisen? Nein – muss er nicht, entschied das Verbandsschiedsgericht (VSG) des Schweizerischen Schachbundes (SSB) in seinem jüngsten Handy-Urteil mit Grundsatzcharakter. Denn im Gegensatz zur deutschen Bundesliga, die eine entsprechende Regelung vorsieht, gibt es in der Schweiz keine Vorweisungspflicht. Auch die FIDE-Regeln sehen eine solche nicht vor. Und: Es könnte ja sein, dass ein beschuldigter Spieler gar kein Handy auf sich trägt.

Allerdings kann sich laut VSG eine faktische Vorweisungs«pflicht» ergeben, wenn ein Schiedsrichter – aufgrund eigener Wahrnehmung oder aufgrund von Zeugenaussagen – davon ausgeht, dass das Mobiltelefon eines Spielers geläutet hat, so dass dieser, wenn er einen Partieverlust vermeiden will, gezwungen ist, sich mittels Vorweisung des Mobiltelefons zu entlasten.

Hintergrund des jüngsten Handy-Urteils des obersten Schweizer Schachgerichts – das sich in den vergangenen Jahren von nicht deaktivierten Alarmen über Abgangsmelodien bis hin zu in Sporttaschen deponierten, aber nicht abgestellten Mobiltelefonen bereits mehrmals mit Handy-Fällen hat befassen müssen – ist ein mit unschönen Nebengeräuschen und persönlichen Beschimpfungen begleiteter Streitfall aus der vergangenen Saison der Schweizerischen Gruppenmeisterschaft (SGM). Dabei beschuldigte Spieler A seinen Gegner B, dass dessen Handy im Stummmodus geläutet habe, und er forderte ihn auf, ihm sein Handy zu zeigen. B weigerte sich, und A spielte die Partie nicht weiter, worauf SGM-Leiter Bruno Bosco die Partie für B als gewonnen wertete.

A gelangte danach zusammen mit seinem Klub sowie mit einem weiteren Verein ans Verbandsschiedsgericht. Dessen detaillierte Würdigung des mit einigen interessanten Details gespickten Einzelfalles (in der SMM und SGM gibt es keinen neutralen Schiedsrichter, ein als «Spion» anwesender Zuschauer einer Drittmannschaft gab zu, dass er zum kritischen Zeitpunkt ein SMS empfangen habe) würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Viel interessanter sind jedoch die grundsätzlichen Überlegungen, die sich das VSG zur generellen Vorweisungspflicht von Handys gemacht hat.

Das VSG gelangte nämlich in seinem zwölfseitigen Urteil zur Ansicht, dass es keine solche Verpflichtung gebe: «Weder die FIDE-Regeln noch das SMM/SGM-Reglement enthalten eine aus­drückliche Bestimmung, welche einen Spieler verpflichten würde, das Mobil­telefon zur Überprüfung vorzuweisen. Nicht zu verkennen ist, dass eine sol­che Verpflichtung einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre der Spieler bedeuten würde.»

Laut VSG ist eine solche Verpflichtung nicht notwendige Voraussetzung dafür, um den «Handy-Artikel» in den FIDE-Regeln (genauer Wortlaut siehe im Kasten) durchzusetzen: «Wenn ein Mobiltelefon deutlich vernehmbar ein Geräusch von sich gibt, lässt sich dies in der Regel durch Zeugenbeweis belegen und auch einem Spieler zuordnen, ohne dass es hierfür einer Vor­weisungspflicht bedürfte. Entsprechend konnte in den bisher vom Verbands­schiedsgericht zu beurteilenden Fällen der Nachweis auch ohne Vor­weisungspflicht geführt werden.»

Dass der Nachweis eines Regelverstosses unter Umständen nicht möglich ist, liegt laut VSG in der Natur der Sache und be­schränkt sich nicht auf das Läuten oder Vibrieren eines Mobiltelefons. So lasse sich beispielsweise ohne neutralen Zeugen kaum beweisen, dass ein Spieler eine Figur be­rührt hat und sie ziehen muss.


schachseminareanzeigeKommt hinzu dass eine bedingungslose Handy-Vorweisungspflicht laut VSG äusserst problematisch wäre: «Jedenfalls wäre eine Vorweisungspflicht inakzeptabel, wenn sie dazu führen würde, dass ein Spieler, wenn immer der Gegner ei­nen – auch noch so unbegründeten – Verdacht äussert, sein Mobiltelefon vorweisen müsste und die Partie verlieren würde, weil er sein Mobiltelefon nicht vorweist – zumal Spieler, die kein Mobiltelefon auf sich tragen, gar nicht in der Lage wären, ein Mobiltelefon vorzuweisen.»

Aus diesen Gründen verbietet es sich gemäss VSG, aus FIDE-Regel 12.3.b) eine Vorschrift ableiten zu wollen, wonach ein Spieler verpflichtet ist, auf Aufforderung des Schiedsgerichts sein Mobiltelefon vorzuweisen, und im Weigerungsfall die Partie verliert. «Noch viel weniger gibt es eine Verpflichtung, auf Auf­forderung des Gegners das Mobiltelefon vorzuweisen.»

Um den Gegenbeweis anzutreten, kann ein Spieler sein Mobiltelefon natürlich freiwillig vorweisen – erst recht, wenn der Schiedsrichter davon überzeugt ist, dass dessen Mobiltelefon geläutet hat. Dies sollte ein Spieler insbesondere dann tun, wenn der Schiedsrichter seine Partie als verloren werten möchte. «Das Schiedsgericht muss dies­falls überprüfen», so das VSG, «ob das Telefon ein Geräusch von sich gegeben haben könnte. Können die Schiedsrichter dem Spieler das fehlbare Verhalten trotz soforti­ger Vorweisung seines Mobiltelefons nicht zweifelsfrei nachweisen, so ge­lingt dem Spieler der Befreiungsbeweis.»

Allerdings heisst das laut VSG nicht, dass ein Spieler, der sich weigert, sein Mobiltelefon zu zeigen, automatisch verloren hat. «Eine solche Beweiswürdigung wäre nicht angängig, zumal ein Spieler, der kein Mobiltelefon auf sich trägt, gar nicht in der Lage wäre, ein Mobiltelefon vorzuweisen. Auch kann ein Spieler ein berechtigtes Interesse daran haben, sein Mobiltelefon nicht vorzuzeigen (z.B. zum Schutz des Be­rufsgeheimnisses von Ärzten, Anwälten, Pfarrern usw.).»

Das VSG lehnte deshalb die Rekurse, soweit darauf eingetreten wurde, ab. Aufgrund der Würdigung der widersprüchlichen Aussagen und der Aussage eines Zuschauers, dass er im fraglichen Zeitraum ein SMS erhalten habe, bestätigte das VSG die Beweiswürdigung des SGM-Leiters, dass ein Vibrieren des Mobiltelefons von Spieler B nicht hinreichend nachgewiesen sei.

Markus Angs

In Deutschland ist es anders

ma. Anders als im jüngsten Verbandsschiedsgerichts-Urteil für die Schweiz ausgeführt, präsentieren sich analoge Handy-Situationen in den beiden obersten Ligen der deutschen Mannschaftsmeisterschaft. Denn gemäss Artikel 5.3.4. der Bundesliga-Turnierordnung sind Spieler bei begründetem Verdacht auf Benutzung von Geräten auf Verlangen des Schiedsrichters verpflichtet, diese Geräte einzuschalten und zur Überprüfung auszuhändigen.

In der vergangenen Saison wurde diese Regelung prompt einem deutschen Grossmeister zum Verhängnis. Er hatte während der laufenden Partie verdächtig oft die Toilette aufgesucht (was bei seinem Gegenspieler den Verdacht erweckte, er würde auf dem Smartphone Datenbanken verwenden) und wurde danach vom – bei Runden der deutschen Bundesliga immer anwesenden – neutralen Schiedsrichter aufgefordert, sein Handy auszuhändigen. Weil sich der GM (mit Hinweis auf die Privatsphäre) weigerte, wurde die Partie für seinen Gegner als gewonnen erklärt.

 

Handy: das sagt die FIDE-Regel

12.3. b): Ohne Genehmigung des Schiedsrichters ist es dem Spieler untersagt, in das Turnierareal ein Mobiltelefon oder andere elektronische Kommunikationsmittel mitzubringen, sofern diese nicht vollkommen ausgeschaltet sind. Wenn ein derartiges Gerät ein Geräusch verursacht, verliert der Spieler die Partie. Der Gegner gewinnt. Falls der Gegner allerdings die Partie nicht mit einer beliebigen Folge von regelgemässen Zügen gewinnen kann, ist sein Ergebnis remis.

 

Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

Kommentare   

+1 #1 Roggenossi 2013-07-18 16:27
Ich urteile selbst: :D

Die Regel braucht nur insofern geändert zu werden, daß gar keine Mobiltelefone oder derartigen Geräte in den Turnierraum mitgebracht werden dürfen, auch keine "vollkommen ausgeschalteten".

Man braucht also so viele absperrbare Garderobekästen, oder Aufbewahrungsboxen wie aus Einkaufszentren bekannt, als Spieler teilnehmen.

Nun soll es Leute geben die mehr als ein Handy besitzen (oder auch gar keines?!). Also soll ein Schiedsrichter stichprobenartig, oder je nach Bedarf einen Metalldetektor anwenden dürfen. Gibt es die nicht sogar in Baumärkten, um zu verhindern daß man Kabel anbohrt? Das wird sich ein ordentlicher Schachverein hoffentlich leisten können.

Es freut mich das Problem gelöst zu haben. :D
-1 #2 Scissors 2013-07-19 06:15
@Roggenossi
Das totale Handyverbot löst allerdings nur das Problem der Handys im Turniersaal, nicht aber das Problem alternativer Kommunikationswege mit "hilfswilligen" Personen. Darüber hinaus halte ich eine solte Regelung auch nur in den oberen Spielklassen für sinnvoll. In den unteren Amateurligen, wo Schach um des Schachspiels Willen gespielt wird (oder werden sollte) gibt es genug Situationen, in denen man Spielern das MItführen eines Handys erlauben sollte. Nicht weil sie so toll wichtig sind, sondern weil eine Erreichbarkeit aus rein privaten/familiären Gründen notwendig ist. Es ist dann - wie so oft - eine Sache des gesunden Menschenverstandes.

Gleiches gilt im Prinzip auch für die Metalldetektoren. Wenn ich mir vorstelle, dass bei irgendeinem Bezirksligaspiel eine Gestalt mit Metalldetektor herumrennt und Leute scannt... dann käme mir das schon reichlich albern vor. Auch da sollte man die Maßnahme für die Spielklassen vorsehen, in denen es um etwas geht.
+1 #3 Tiger-Oli 2013-07-19 11:26
Beim Schach geht es immer um etwas - auch in den sogenannten unteren Spielklassen.
Und man möchte eigentlich nie, dass der Gegner vielleicht mal schnell eine Stellung checkt mit dem Handy. Allein die Sorge darum ist schon unangenehm genug, für beide Seiten (Spieler und Gegner).
Aber auch wenn ich Bezirksliga spiele, fahre ich nicht sogerne für 4 Stunden zum Mannschaftskampf und verliere dort gegen jemanden, der vielleicht sein Handy einsetzt.
#4 Aschl 2013-07-20 18:02
Ein totales Handyverbot würde vor allem in den unteren Spielklassen zu deutlichem Mitgliederverlust in den Vereinen führen. Beispiel aus meinem Verein: Ein Mitglied hat auch während der Turnierpartie sein Handy an, da er auf der Warteliste für eine Organspende steht. Wenn da sein Handy klingelt, dann hat er auch weitaus Wichtigeres vor sich als sich Gedanken über die evtl. verlorene Partie zu machen... Wenn ich ihm jetzt das Handy verbiete, dann vertreibe ich ihn aus dem vereinsmäßigen Schachsport. (Ist zwar ein etwas extremes Beispiel, aber dennoch...).

Grüße
Aschl
#5 Schachorganisator 2013-07-20 20:54
Ich denke, die bisherigen 4 Kommentare sagen schon einiges über die Vielfältigkeit der Probleme.
Die scheinbar naheliegendste Lösung muss nicht immer die beste sein. Und auch die beste Lösung ist nicht gut genug, um alle jetzigen (und erst recht nicht alle künftigen) Probleme zu lösen.
Vorbeugen ist zwar besser als heilen, aber man sollte den gesunden Menschenverstand nicht außen vor lassen.
Und in einem Punkt sehe ich es anders als Tiger-Oli:
die meisten Schachspieler spielen Schach aus Spaß an der Freude. Dann gibt es Schachspieler, die mögen auch Freude daran haben, aber wichtiger ist das Geld, was sie zum Lebensunterhalt verdienen müssen - sie sind Profis.
Während mir aus dem Amateurbereich keine Missbrauchsfälle bekannt sind, sind es aus dem Profibereich bereits mehrere, wobei noch einige Verdachtsfälle hinzukommen.
Ich persönlich bin auch für ein generelles Handyverbot. Über die wenigen, wirklich notwendigen Ausnahmefälle dürfte doch wohl eine Einigung möglich sein.
Sicher, es lässt sich damit keine 100%-ige Sicherheit erreichen -die gibt es ohnehin nicht- aber eine starke Einschränkung eines Missbrauchs.

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