Nominierungsroulette zur EM - Der Fall Khenkin

Gerade ein paar Tage ist es her, dass wir vom Comeback der alten Nationalmannschaft und der Hoffnung auf ein Ende der Querelen berichteten und schon verdunkelt sich der Himmel erneut. Betroffen ist diesmal der etwas undankbare fünfte Platz. Die Nominierung Rainer Buhmanns, mit Elo 2606 die Nr. 8 der deutschen Rangliste, löste bei vielen Lesern Verwunderung aus. Rangierte doch unter Anderem der amtierende Deutsche Meister, Igor Khenkin, deutlich vor ihm.

Darüber ob Ballack oder Lahm der bessere Fußballspieler ist, lässt sich trefflich streiten, im Schach hingegen gibt es eine klare Leistungseinschätzung über die Elozahl. Nur selten basieren Mannschaftsaufstellungen auf anderen Kriterien. Warum wich der Bundestrainer von dieser klaren Vorgehensweise ab? Wir machten uns auf die Suche und trafen dabei auf ratlose und enttäuschte Spieler:

Deutschlands Nummer 5 (Elo 2628), Alexander Graf:

Es ist schon 4 Jahre her, dass ich aus dem Team gestrichen wurde. Der Grund wurde mir nicht mitgeteilt. Wegen des Alters vermute ich. Seitdem hatte ich keinen Kontakt mit dem DSB.“

 

seminar-Banner-anz300Igor Khenkins Ratlosigkeit

Damit ist für Graf das Thema Nationalmannschaft wohl passé. Nicht jedoch für den amtierenden Deutschen Meister, Igor Khenkin (2624). Von ihm erreichte uns folgende Stellungnahme:

 

"Letztlich ist Uwe Bönsch natürlich der Bundestrainer und hat das Recht und die Pflicht die Mannschaftsmeldung für die EM zu machen. Aber wie Viele, frage ich mich natürlich auch, nach welchen Kriterien denn die Mannschaft aufgestellt wird ? Die ersten Vier werden wohl nach ELO-Zahl aufgestellt, der fünfte Teilnehmer aber nicht. Sowohl Alexander Graf wie auch ich haben doch eine erheblich bessere Zahl. Nicht einmal der Deutsche Meistertitel war hier ausschlaggebend, auch danach habe ich weiter sehr erfolgreich gespielt und meine ELO-Zahl weiter verbessert. Aktuell habe ich die gleiche ELO-Zahl wie Jan Gustafsson (ELO 2631).

Letztlich mag es noch neben der ELO-Zahl andere Kriterien geben, warum aber nur für den fünften und nicht für alle. Welche Kriterien sind es denn überhaupt?

Hierzu schrieb mir Uwe Bönsch nichtssagend:

"Heute wurden die Mannschaften für die Europameisterschaft nominiert. Leider muss ich dir mitteilen, dass du in der aktuellen Aufstellung nicht berücksichtigt wurdest. Verschiedene Faktoren haben bei der Wahl der Spieler eine Rolle gespielt. Am Ende fiel die Entscheidung jedoch auf Grund des Gesamtpakets."

Welche Faktoren, was für ein Gesamtpaket? - das sind leere Worthülsen. Da ich nicht weiß, warum man mich nicht berücksichtigt, fühle ich mich schlecht behandelt und bin sehr enttäuscht. Es ist eben besonders schmerzhaft, wenn man durch so einen Willkürakt - der nicht sinnvoll begründet wird – daran gehindert wird für sein Land zu spielen. Daher appelliere ich noch einmal an Uwe Bönsch und die Verantwortlichen vom DSB, mir doch irgendwie objektive Gründe für meine Nichtberücksichtigung mitzuteilen."

Igor Khenkin

Nun stellt sich die Frage, ob persönliche oder triftige interne Gründe für die Entscheidung vorliegen. Doch auch dann sollten diese zumindest den Betroffenen, unter Umständen auch der Öffentlichkeit, mitgeteilt werden und natürlich nicht in Form einer unpersönlichen e-Mail.

Khenkins Weg über unseren Blog wirkt wie das letzte Mittel und offenbart, dass die interne Kommunikation nicht funktioniert. Bei unbeteiligten Beobachtern kann schnell der Eindruck entstehen, es gäbe kein Miteinander und Funktionäre die selbstherrlich die Ohnmacht der einzelnen Spieler ausnutzen.

bannersr400anzVon einem der bestbezahlten Funktionäre des deutschen Schachs erwarte ich eine deutlich andere und intensivere Art der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Die Hauptaufgabe eines Bundestrainers liegt dabei in der Führung einer Nationalmannschaft, ihr sich gegebenenfalls unterzuordnen, eben alles für guten Teamgeist und bestmögliches Abschneiden zu tun. Schachliche Unterstützung hingegen kann er auf diesem Niveau kaum noch bieten, aber das muss er auch nicht.

Solange sich Erfolge einstellen, kann man über vieles hinwegsehen. Allerdings fällt mir auf Anhieb keine Veranstaltung innerhalb der letzten 10 Jahre ein, in der eine deutsche Mannschaft über den Setzlistenplatz hinauskam.

Es liegt vieles im Argen!

 

Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

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