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Interview mit Dr. Tarrasch

Anlässlich des Geburtstages von Dr. Siegbert Tarrasch ist es dem Schachwelt-Blog gestern erstmals gelungen, eine himmlische Sondergenehmigung für ein Interview mit einem verstorbenen Schachmeister zu erhalten. Die  Verbindung mit dem Jenseits war leider nicht immer störungsfrei, wofür wir um Entschuldigung bitten (die verrauschten Sequenzen wurden durch [...] kenntlich gemacht). Der von uns beauftragte Himmelsfotograf hat seine Aufnahmen leider nicht fristgerecht in der Redaktion abgeliefert, so dass die geplante Illustration mit aktuellen Aufnahmen leider entfallen muss.


Wichtiges Update(!): Kurz vor Veröffentlichung des Interviews erhielten wir einen Hinweis, dass wir einem Plagiat aufgesessen sind. Das Projekt TarraPlag Wiki hat uns dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht. Wir veröffentlichen den Beitrag - aus Mangel an geeigneten Alternativen - trotzdem wie geplant, haben aber die bereits eindeutig nachgewiesenen Originalquellen  nachgetragen.


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Herzlichen Glückwunsch zu ihrem Geburtstag Herr Doktor Tarrasch!
„Wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche.“ [1]

Wie ist es Ihnen im Schachhimmel ergangen?
„Ich brauche nicht erst zu versichern, daß an Schachspielen in diesem weltabgeschiedenen Neste gar nicht zu denken war.“  [2]


Womit haben Sie dann die letzten Jahre verbracht?
„Wohl machte ich einige Versuche, hinter die Geheimnisse der Anatomie zu kommen, schnitzelte auch mehrmals im Seziersaal an einigen Leichen herum.“ [3]


Haben Sie die Schachgöttin Caissa oder andere göttliche Erscheinungen kennen gelernt?
„Man gelangt vom Eingang aus zunächst in eine hohe, prachtvolle Rotunde, die - offenbar mit feiner Beziehung auf die Herkunft des Schachspiels - im indischen Stil ausgestattet ist. Dies war der durchaus passende, ernste und strenge Tempel Caissas. Daneben, von ihm nur durch einen Vorhang abgeschlossen, befand sich das Allerheiligste, ein herrlicher Saal im pompejanischen Stil, in welchem die Göttin Fortuna mit rollender Kugel und fallender Karte waltete, das Reich der Roulette und des Baccarat.“ [4]


Auch in unseren Niederungen haben sich zuletzt viele Schachspieler an einem Kartenspiel (Poker) versucht. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
„Welche Hebung des allgemeinen Kultur-Niveaus, ja der Moral, wenn das Schachbrett den Kartentisch verdrängen würde! Wahrlich, ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert!“ [5]


Das Schachspiel wurde kürzlich sogar mit dem Boxsport kombiniert. Wäre es für Sie reizvoll, sich einmal im sogenannten Schachboxen zu probieren?
„Ich richte an die Schachwelt [...] hierdurch die Bitte, mir diese Gelegenheit zu verschaffen, besonders auch mit Rücksicht darauf, daß, wie es sich gezeigt hat, für die Verbreitung und Wertschätzung unseres edlen Spieles durch einen solchen Wettkampf mehr geleistet wird, als durch zehn Turniere.“ [6]


Können Sie an Ihrem jetzigen Wohnort das aktuelle Geschehen in der heutigen Schachszene verfolgen?
„Natürlich werden alle wichtigen Ereignisse in der Schachwelt besprochen.“ [7]


Wer ist Ihrer Meinung nach der aktuell stärkste Schachspieler?
Es gibt keine guten oder schlechten Spieler. Es gibt nur gute oder schlechte Züge.

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Was halten Sie z.B. von dem Amerikaner Hikaru Nakamura? Er hat gerade mit 9 Punkten aus 13 Partien das Turnier in Wijk gewonnen.

Der beste Spieler in einem Turnier gewinnt es nie. Er landet auf Platz zwei oder drei.


Denken Sie, dass Sie in einem Wettkampf gegen Nakamura bestehen könnten?
„An der Schachwelt ist es, diesen Wettkampf, wenn Sie Interesse daran hat, zustande zu bringen; die Schachwelt bzw. ihre berufenen Vertreter in Deutschland und Amerika, der Deutsche Schachbund und die amerikanischen Klubs, mögen billige Bedingungen festsetzen, sie mögen uns zusammenbringen und, wenn nötig, sogar zwingen, gegeneinander in die Schranken zu treten. Sie haben gesehen, was wir können; wenn Sie wollen, so haben Sie einen Wettkampf ...“ [8]


Die deutschen Schachverbände leiden unter einem Mitgliederrückgang, Sponsoren ziehen sich vom königlichen Spiel zurück und auch die Medienpräsenz ist ausbaufähig. Was raten Sie in dieser Situation den Entscheidungsträgern?
„Ich möchte mir hier nur die Bemerkung gestatten, [...] meiner Ansicht nach noch weniger Gewicht darauf zu legen [...], diejenigen, die das Schach bereits kennen, durch Reihenspiele und Turniere zu unterhalten, als vielmehr darauf, die Vielen, denen das Schachspiel fremd ist, darin zu unterrichten, sie in seine Geheimnisse einzuführen und ihnen dadurch ein ktema es aei, ein Besitztum für immer zu vermitteln. [...] Hier müssen die Schachorganisationen mit ihrem ganzen Einfluß und ihrer Autorität einsetzen. Der Deutsche Schachbund, diese machtvolle, auf über ein [..] Jahrhundert zurückblickende Organisation sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das bisherige, höchst dankenswerte Werk der Einzelpersonen zu übernehmen und es zu gigantischen Dimensionen anschwellen zu lassen.“ [5]

In dieser Woche wurde auf dem Schachwelt-Blog eine Diskussion zur derzeitigen Situation der Schachbundesliga geführt. Wie würden Sie versuchen, die Attraktivität dieser Veranstaltung zu erhöhen?
„Ich bin ein Anhänger des Fünfkindersystems“. [9]

Heutzutage hört man häufiger die Ansicht, die alten Meister - also auch Sie - wären heutzutage nicht einmal mehr bundesligatauglich. Was entgegnen Sie einem Vertreter dieser Ansicht?
„So ein ... (die Einfügung des Hauptwortes muß ich, um hübsch parlamentarisch zu bleiben, den geehrten Lesern überlassen, an deren zoologische Kenntnisse ich appelliere.)“  [10]


Auch heute werden ihre Lehrsätze noch gerne zitiert und angewendet. Sehr bekannt ist z.B. „Die Türme gehören hinter die Freibauern, hinter die eigenen wie hinter die feindlichen.“ Freut Sie diese anhaltende Popularität Ihres Werkes?
Bei der Befolgung dieser Richtlinien, die einer Erfahrung von mehr als einem halben Jahrhundert entstammen, muß man sich nur immer den trivialen Satz gegenwärtig halten, daß keine Regel ohne Ausnahme ist. Ich habe in dieser Hinsicht schlimme Erfahrungen gemacht.  [...] Nach einiger Zeit erhielt ich einen ziemlich groben Brief eines Amateurs, der mir die bittersten Vorwürfe machte. Er habe meine Regel genau befolgt und den Turm hinter den Freibauern gezogen. Aber à tempo sei ihm der Turm von einem Springer mit Schach geschlagen worden. [...] Also ich antwortete dem Unglücklichen mehr oder weniger prompt, er solle das Schach an den Nagel hängen und lieber Jo-Jo spielen.“ [11]

 

Welche Pläne haben Sie für Ihre nähere Zukunft?
„Einen Fotographen strangulieren.“  [12]


Haben Sie noch eine abschließende Botschaft an die Leser unseres Blogs?
„Jeder leidlich begabte Spieler, er braucht keineswegs hervorragend veranlagt zu sein, kann es zum Meister bringen. Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Der richtige Standpunkt ist es, zu seinem Vergnügen zu spielen, und man glaube ja nicht, dass der Genuss proportional dem Können sei.“ [13]


Welchen schachlichen Tipp aus Ihrem reichen Erfahrungsschatz möchten Sie den zukünftigen Meistern geben?
„Ziehen Sie niemals einen Bauern, dann werden Sie niemals eine Partie verlieren!“ [14]


Vielen Dank für dieses Gespräch Herr Dr. Tarrasch! Bitte grüßen Sie Dr. Lasker recht herzlich von uns, falls Sie ihn sehen.
„Dr. Lasker habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und matt.“


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[1] S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 9.
[2] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 92
[3] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 21
[4]  S. Tarrasch: „Das Champion-Turnier zu Ostende im Jahre 1907“, 1907,  S. 12.
[5] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Dez. 1932, S. 66
[6] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 113
[7] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Okt. 1932, S. 2
[8] S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 5
[9] S. Tarrasch: „Dreihundert Schachpartien“, 1925, S. 247
[10]  S. Tarrasch: „Der Schachwettkampf Lasker-Tarrasch um die Weltmeisterschaft im August-September 1908“, 1908, S. 112
[11] S. Tarrasch: „Tarrasch's Schachzeitung“, Jan. 1933, S. 114-115
[12] S. Tarrasch: Übersetzung einer Antwort in einem Fragebogen der „Chess Review“, 1935
[13] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 4
[14] S. Tarrasch: „Das Schachspiel“, 1931, S. 315

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