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Fata Morgana auf c8: Das Ohrenprotokoll

Der Turmzug, der gar nicht war Der Turmzug, der gar nicht war

KommentatorInnen berichten darüber, was sie sehen – was sollen sie auch sonst tun. Während der ersten WM-Partie rätselten Judit Polgár, Anish Giri und Klaus Bischoff intensiv an der Deutung des geheimnisvollen Turmzuges 14. … Tf8-c8 – ehe nach fünf Minuten Rätseln, Deuten und Verstehen die Stellung auf dem Live-Brett endlich korrigiert wurde.

So ruckelte der Turm ein Stückchen weiter nach links und landete auf b8, wo er in Wahrheit ja schon die ganze Zeit gestanden hatte.

Alles gut also? Nicht ganz. Denn wie erklärt man seinen ZuschauerInnen einen kryptischen und nur einer fehlerhaften Übertragungs-Software entsprungenen Zug wie Tf-c8?


Ein Feuerwerk der Turmkunst, in Bremen und Dubai

In Don’t Insult: The Online-Commentator’s Handbook (3.Auflage, Pisa 2019) finden wir dazu drei ganzheitliche Empfehlungen:

a) Die bodenständige Skepsis (Seite 49)

und das weltoffene

b) Dem Weltmeister glauben (Seite 52)

sowie

c) Die Engine wird das schon regeln (Seite 67)

Klaus Bischoff und auch Judit Polgár entschieden sich nach …Tfc8 für vorsichtigen Zweifel (= Möglichkeit a).
Anish Giri dagegen fand den Zug ok und kommentierte mutig für Alternative b), angereichert mit einer Prise c).

Alle drei Ansätze sind im Prinzip gleichwertig. Schwierig wird es nur, wenn man mit b) dem Weltmeister glaubte, und sich der gelobte Zug dann – lustig – als Übertragungsfehler entpuppt. Als Wüstenzitrone. Und simple Nebelkerze, vielleicht ganz ohne schachliche Rechtfertigung.

Wir sehen uns das an, im Originalmitschnitt der Kommentierung.

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Möglichkeit A: Die bodenständige Skepsis


Klaus Bischoff bannt das Publikum (Schwetzingen Bundesliga Endrunde 2013)


Nach dem vermeintlichen Tfc8                     (Diagramm: Chess 24)

Bischoff: Und den nächsten Zug, da tu‘ ich mich ehrlich gesagt ein bisschen schwerer, den zu erklären.

Ich hätte wahrscheinlich doch auch etliche Versuche zum Raten gebraucht, um auf den zu kommen. Der wäre in meiner Prioritätenliste nicht weit vorne gewesen. Also, Tfc8 finde ich einen ausgesprochen merkwürdigen Zug. (… 20 Sekunden Schweigen …)

[…] Ich finde Tfc8 dennoch einen etwas mysteriösen Abwartezug, aber … [nun] gut.

In der türkischen Übertragung ist der Turm nach b8 gegangen. Ist es nur die türkische Übertragung, oder ist er öfter nach b8 gegangen als nach c8 … ? Ich gehe mal auf meinen beliebten Refresh-Button.

Na gut, dann machen wir statt Tfc8 Tfb8, und den Zug kann man eigentlich auch besser erklären als den Tfc8, bei Tfc8 konnte ich, wenn ich ehrlich bin, keinen großen Sinn erkennen. […]

[Anmerkung: Tfc8 stellt sich wenig später als Übertragungsfehler heraus.]

Bischoff: Also, wir haben den nächsten Zug. Der Zug Tfc8 ist durch Tfb8 korrigiert worden. […]

Und Tfb8 und Tfc8 … war anscheinend ein technischer Fehler.

Ok, ist ja kein Problem … ich bin ja froh, bei Tb8 konnte ich einen Sinn erkennen. Bei Tfc8, den hab‘ ich überhaupt nicht verstanden.


Verstehen Sie Spaß? Klaus Bischoff lässt sich nicht ins Bockshorn jagen. (Bild: Chessbase)

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Kurze Musikpause mit den Dubai Brothers

Greenpeace: Her mit dem guten Leben!

Und hey, möchtest Du einen Katzenkaffee spendieren für die Veganen Schachkatzen? Wir freuen uns darüber!

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Möglichkeit B + C: Dem Weltmeister glauben/ Die Engine wird das schon regeln


Tf8- c8? Judit Polgár ist überrascht – Anish Giri würdigt die tiefe Idee (Bild: Chess24)

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Giri: Tf8-c8 gespielt. Ok, jetzt muss er aus dem Buch sein, denn Tfc8, das ist ein zu zufälliger Zug, es kann einfach nicht sein.

Polgár: Tfc8? Ich glaube, dass es der letzte Zug wäre, der mir in den Sinn kommt. Aber seien wir ehrlich – es ist nicht genau das, was man uns als Kinder sagte.

Giri: Ja, aber ich denke, eine Idee könnte sein, dass nach [Dame] nimmt, [Springer] nimmt, Ld2, c5, Sb4 . . . wenn wir irgendwann b4 nehmen, der Turm, die c-Datei lebendig wird, weißt du. Das könnte der tiefe Punkt dahinter sein.


Die Idee hinter Tf8-c8, vielleicht? Allerdings kann Weiß mit c2-c4 alles abfedern. (Variante, Chessbase)

Und mmh . . . ich habe hier eine Engine, die in der Nähe läuft, die ist nicht so schlecht, und im Moment gibt sie Weiß einen Vorteil.

Aber Magnus hat das wohl gründlich genug vorbereitet und ausgearbeitet. Und er glaubt wahrscheinlich, dass es im Endspiel genug Kompensation für Schwarz gibt.

Polgár: Entschuldigung, generell gesagt habe ich das Gefühl, dass dies wirklich etwas ist.

Wir werden gerade Zeugen, dass die Engines  eine so große Rolle bei der Vorbereitung spielen. Denn dieses Tfc8, das kann man sich im Kopf nicht ausdenken, glaube ich.

Es kann nur etwas Wertvolles sein. Ein Zug wie dieser kann nur so gedacht werden, dass in einer späteren Phase – fünf oder sechs oder sieben Züge später – dass es nützlich sein kann, weil der c7-Bauern irgendwie nach b4 gerät, und dann wird es eine offene Turmlinie, richtig?

Ich meine, normalerweise ist der erste Zug, der einem in den Sinn kommt, Turm nach e8, richtig?

Giri: Ja, normalerweise stellt man seine Türme auf offene Linien, die jetzt schon offen sind, und die sich nicht drei Züge später erst öffnen. Das ist die Regel. Aber natürlich bei einem Computer, Du weißt, gibt es einen Sinn in fast jedem Zug.

Tfc8, wie gesagt … Ian war gut vorbereitet, ich meine, um bis zu dieser Stelle vorbereitet zu sein, hat man eine großartige Arbeit geleistet. Um noch weiter vorbereitet zu sein – das ist zu viel. Und ich glaube, jetzt ist die Zeit für ihn gekommen, alleine zu denken.[. . . ]

Du weißt, es könnte sein, dass Magnus hier ein paar Optionen hatte. Er wusste vielleicht, dass Rfd8 der beste Zug war. Aber er dachte, ok, wenn der Kerl im Buch ist, überrasche ich ihn mit Rfc8, als Extra-Option. [. . .]

[In diesem Moment kommt die Information, dass es ein Übertragungsfehler war. Leichtes Missvergnügen bei Anish.]

Giri: Interessant, dass einige Leute sagen, dass Tfb8 gespielt wurde. Können wir das Brett vergrößern, nur um sicher zu gehen, weil unterschiedliche Sendungen anscheinend unterschiedliche Züge zeigen?

Die türkische Übertragung, schon früh mit Tfb8 (Screenshot: Chess24)

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Giri: […] Wenn ich Tfc8 oder Tfb8 wählen müsste, würde ich c8 wählen. B8 ist ein bisschen . . . zu viel.

Polgár: (schmunzelt) Nun, es ist klar, dass Magnus die Eröffnungsschlacht gewonnen hat, können wir sagen . . . Und es ist Turm f8 nach b8!

Giri: Ist es das? Siehst du ihn auf b8, ja?

Polgár: Er ist auf b8.

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Technisch alles in Ordnung, zumindest nach dem ersten Zug    (Bild: Chess24)

Giri: Du weißt schon, als sie rochierten, wurde mir auch König nach f1 angezeigt. Irgendwie ist das Livebrett etwas wackelig dort. Sie wählten ein leicht wackeliges Livebrett.

Polgár: Aber jetzt, der König ist tatsächlich auf f1.

Giri: Ich meine, du hast das ganze Jahr Zeit, ein gutes Livebrett für WM-Spiele auszuwählen, nur eines, mit Kabeln, die gut funktionieren, weißt du, nur ein Brett.

Warum nehmen Sie eines, das, Du weißt schon, die Züge nicht gut erkennt?

Polgár: Nun, der Turmzug nach b8 ist etwas, das – wenn die Sekundanten von Nepomniachtchi dies nicht gefunden haben, kann man ihnen keine Schuld geben, muss ich sagen.

(Übersetzung ins Deutsche unter Mithilfe von www.pons.de)

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Der große Moment – die fünfminütige Kommentierung von Phantomzugs Tfc8 hier im Video

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It‘s a hard life – im Kommentatorenraum muss man nehmen, was man zu sehen bekommt, und darüber blitzschnell kluge Sachen sagen. Schwer genug.

Und in jedem Fall, sie machen das exzellent, Judit Polgár, Anish Giri, und (der leider ohne PartnerIn sendende) Klaus Bischoff.

Wir sind gespannt – vielleicht sehen wir das vom Livebrett so fein ersonnene Tfc8 in den nächsten Runden sogar auf dem richtigen Brett. Denn Giris Engine hat es bestätigt – die Idee scheint ja … ganz passabel zu sein?

Die WM bei Chessbase

Offizielle Webseite

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Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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