Au revoir, Französische Verteidigung!

Der Mann, der Französisch widerlegte Der Mann, der Französisch widerlegte Trammel Hudson/ WikiCommons

Wie das manchmal so ist – man hängt herum, surft im Netz und schaut sich die Schachseiten an. Im stets informativen Blog von Dennis Monokroussos fand ich dabei einen Hinweis auf das Grand Slam- Turnier, das gerade in Sao Paulo und Bilbao ausgerichtet wird („The Magnus Monster is back“) - ich hatte schon fast vergessen, dass diese Veranstaltung gerade läuft. Nach dem ersten Durchgang im schönen Brasilien lag Fabiano Caruana wohl noch deutlich in Führung, doch dann zog das Turnier ins schöne Spanien um, und prompt verlor Caruana gegen den bis dahin eigentlich eher unauffälligen Magnus Carlsen. Der junge Norweger konnte sich wenig später dann mit einem vollen Punkt gegen Lokalmatador Vallejo Pons (wie das Wörterbuch) an die Spitze der Tabelle zurückkämpfen.

 Die Turnierseite für diesen Grand Slam sieht auf den ersten Blick eher unbeeindruckend aus, und mit Firefox hatte ich Probleme, die englische Version der Seite zu sehen. Und por favor, wo nur finden sich die gespielten Partien – unter Noticias, Atividades, oder bei Assista Online? Keine einfache Frage, doch irgendwo tauchten die Dateien dann doch noch auf. Guter Service!

 Wir sehen heute die Partie Magnus Carlsen gegen Vallejo Pons – und einen erstaunlich einfach scheinenden Sieg gegen die Französische Verteidigung.

wolfganguhlmann 1967 - werner stemmler und wikicommons

Einer der Gründerväter der Französischen Verteidigung: Wolfgang Uhlmann (hier allerdings mit Weiß, 1967).   
                                                                          Foto: Werner Stemmler, WikiCommons

Französisch! Wir denken an Wolfgang Uhlmann, das Französisch-Urgestein, und an viele Partien mit aufregenden Jagden in der Winawer-Variante. Viele Schachspieler sind als Weißer an der französischen Eröffnung verzweifelt. Wir hörten von nicht wenigen, die wegen dieser Verteidigung den Zug 1.e2-e4 oder sogar das Schachspielen ansich aufgegeben haben.

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4

carlsen franzsisch 1

Soweit die Theorie. Alle Welt spielt nun e4-e5, dem in der Regel ein weit ausanalysiertes Hauen und Stechen folgt. Carlsen probiert etwas anderes - als Erster der Weltrangliste und Spieler von SG Baden-Oos kann man sich das erlauben.

4.exd5!

Vielleicht keine ganz neue Idee, aber von SF Carlsen gewiss weit und tief vorbereitet. Es mag hart klingen, aber - Schwarz hat von nun an keine Chance mehr, ins Spiel zurückzukommen.
(Update: wie wir hörten, gibt es zu genau diesem Abspiel bereits eine feine Untersuchung des Hamburger IM Hannes Langrock - für das Chessbase-Magazin untersuchte er vor kurzem den weißen Aufbau und erläuterte dabei Ideen und aussichtsreiche Varianten.)

4....exd5 5.Ld3 Sf6 6.Sge2 Lg4 7.0-0 0-0

Vielleicht keine ganz gute Idee? Immerhin kann Weiß nun anfangen, am Königsflügel herumzurühren.

8.f3 Lh5 9.Sf4

carlsen franzsisch 2

Was will man mehr? Das sieht doch irgendwie schon ganz hübsch aus.

9...Lg6 10.Sxg6 hxg6 11.Se2

Wahrscheinlich ist es gar nicht viel, was Carlsen hier hat. Zumindest kann er auf das Läuferpaar bauen - aber wie soll er das schwarze Bollwerk am Königsflügel knacken?

11...Te8 12.Lg5 Le7 13.Sg3

Ein Plan formiert sich ...

13...Sbd7 14.f4 ...

carlsen franzsisch 3

... und ein Bauer macht sich auf den Weg. Der weiße Läufer d3 nimmt Fühlung auf.

14...Sh7 15.Df3 c6 16.h4

Der nächste Bauer trabt heran. Wenn Schach bloß immer so einfach wäre!

16...Sdf8

Warum nicht f7-f6? Wahrscheinlich fürchtete Vallejo das Getümmel nach Lxg6, fxg5, wonach Weiß einen optischen Vorteil besitzt (und das soll man nicht unterschätzen!)

17.Tae1 Dc7 18.Lxe7 Txe7 19.Te5

carlsen franzsisch 4

Einfaches Schach - sobald Schwarz tauscht, öffnet sich die f-Linie.

19...f6 20.Txe7 Dxe7 21.h5 gxh5 22.Dxh5

Der alte Haudegen Carlsen ist sich für kein Bauernopfer zu schade - so wird man Grand Slam- Sieger! Schwarz könnte nun mit De3+ den schönen Bauern d4 erobern, aber Weiß kommt dann zu Sf5 und ... tja, was dann eigentlich?

22...Df7 23.Dg4 g6 24.Sf5 Kh8 25.Sh4 f5

Auf 25....Kg7 scheint 26.Sxg6 unangenehm zu sein.

26.Dh3 De6 27.Kf2

carlsen franzsisch 5

Bei Magnus müssen alle mit ran - der König kommt aus seiner Ecke und nimmt den Kampf um die e-Linie auf.

27...Te8 28.Sf3 Te7

Nach De3+ ginge der weiße König einfach nach g3 - und man merkt dann schnell, dass Schwarz eigentlich keine freien Figuren mehr hat, die ihn angreifen könnten.

29.Se5

Das war's - der Springer hat ein tolles Feld gefunden.

29...Sd7 30.Th1 Sxe5 31.dxe5 c5 32.b3 c4 33.bxc4 dxc4 34.Le2 g5

Gelingt Vallejo noch ein Ausbruch? Steht Weiß wirklich besser?

35.g3 Db6+ 36.Kg2, De3 37.Kf1

carlsen franzsisch 6

Ich bin ja froh, dass ich diese Partie als Weißer nicht in einem Mannschaftskampf spielen musste - es ist immer gut, wenn man die Nerven seiner Kollegen ein wenig schonen kann.

 37...Tf7

Schön wäre gxf4, aber dann folgt Dxf5

38.Dh5

Weiß bekommt die Oberhand - der Turm hängt und (genauso unangehm) der wichtige Bauer g5. Vallejo Pons rührt noch ein wenig herum, aber es will nicht mehr genügen.

38...Dxg3 39.Dxf7 Dxf4+ 40.Kg2 De4+ 41.Lf3 Dxc2+ 42.Kg3 f4+ 43.Kg4

1-0

Tja, das war sie, die letzte Französisch-Partie, die jemals auf dieser Welt gespielt wurde - zumindest auf Großmeister-Niveau, und gegen Magnus Carlsen.

Schach-Welt.de, der Blog ohne eigene Redaktionsassistentin, fragt: Markiert dieser Sieg wirklich das Ende von 1.e2-e4, e7-e6? Wer wird nach dieser Partie noch Französisch spielen wollen?

Das Ende der Französischen Verteidigung ist umso bedauerlicher, als sich der neue Blog von Joachim Winzer (SF Berlin) in der letzten Zeit sehr ausführlich mit Publikationen zur Französischen Verteidigung befasst hat. Man wird diese Bücher nun zwar nicht mehr brauchen, aber ein Besuch in dem lesenswerten Blog lohnt gewiss.

Was bleibt? Französisch-Spieler könnten Trost suchen und Skandinavisch spielen. Oder Sizilianisch. Oder darauf hoffen, dass sich Carlsens brilliantes Konzept 4.e4xd5 nicht so schnell herumspricht in der Schachwelt - zumindest nicht vor dem Ligastart am Sonntag.
Das Leben ist eine Baustelle.

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Michael Schwerteck 2012-10-13 16:37
Jetzt brauchen wir aber noch eine Erklärung dafür, wieso nach dieser historischen Begegnung noch weitere Französisch-Partien gespielt wurden, u.a. von einem gewissen Magnus Carlsen mit Schwarz. Da ist der ganze Erfindungsreichtum des Autors gefragt ;-)
#2 Budesheim 2012-10-13 21:02
"Update: wie wir hörten, gibt es zu genau diesem Abspiel bereits eine feine Untersuchung des Hamburger IM Hannes Langrock"

Auch Daniel King empfiehlt das. Und analysiert die Partie instruktiv , ganz ohne ironische Einschläge. Hier: http://www.youtube.com/watch?v=d2bRXT4ihPE&feature=relmfu
#3 Gerhard 2012-10-14 12:12
Magnus Carlsen geht mit großem Selbstbewusstsein vor, da wird aus jeder Variante Gold. D.h. aber noch nichts für die Eröffnung. In der Kommentierung fehlt auch das giftige 16...Db6, was ja den ganzen Aufbau offenbar in Frage stellt.
#4 Olaf Steffens 2012-10-16 08:57
Moin Mattovsky,

"Jetzt brauchen wir aber noch eine Erklärung dafür, wieso nach dieser historischen Begegnung noch weitere Französisch-Partien gespielt wurden, u.a. von einem gewissen Magnus Carlsen mit Schwarz."

Das ist doch ganz einfach - Carlsen ist im Moment einfach so stark, dass er sogar gegen eine Eröffnung spielen kann, die er vorher gerade noch selber widerlegt hat. 8)
#5 Michael Schwerteck 2012-10-16 17:09
Moin Olaf,

die Logik ist zwar etwas aus den Fugen geraten (wieso "gegen"?), aber ich verstehe schon.
Wobei man es noch auf die Spitze treiben kann: Wenn Carlsen es gar nicht nötig hat, gute Eröffnungen zu spielen, wieso sollte er dann plötzlich Französisch widerlegen?
Meine These ist ja, dass die Widerlegung in Wirklichkeit nur eine falsche Fährte war. In der nächsten Partie hat er wohl gehofft, dass der Gegner auch die Widerlegung spielt, um dann die Widerlegung zu widerlegen. Aber vielleicht hätte er in der übernächsten Partie dann wieder die Widerlegung der Widerlegung widerlegt. Dem Burschen ist alles zuzutrauen :-)
#6 Olaf Steffens 2012-10-17 23:14
Hi Mattovsky,

stimmt, die Logik war nicht ganz so, wie man es sich wünscht ...
Deine weiteren Gedanken finde ich sehr faszinierend, auch wenn ich am Ende nicht mehr durchsteige. Erinnert irgendwie an Monty Python, oder Douglas Adams!

Doch eines bleibt sicher - wir sollen ALLE sehr auf der Hut sein, wenn wir gegen Carlsen spielen.

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