Fragmente vom Limburg Open

Weiss am Zug, was tun? Weiss am Zug, was tun?

Auch dieses Jahr berichte ich vom Limburg Open zweigeteilt: zunächst ein aktueller Turnierbericht auf dem Schachticker, und nun - nicht mehr aktuell, aber irgendwie zeitlos - hier einige Fragmente. Und dieser Bericht ist wiederum dreigeteilt mit den Rubriken Einfälle, Reinfälle und Mattbilder. Bei einem Fragment zweifelte ich, ob ich es als Aufgabe präsentieren oder die Lösung verraten soll - also mache ich beides, unten im Text gibt es (fast) dasselbe Diagramm nochmals. Wer es erst selbst versuchen will bekommt nur einen kleinen Tip: Zuletzt geschah 16.Tf1-e1 Tf8-d8 (was die Spieler am Brett natürlich wussten).

Und nun ein bisschen Runde für Runde, wenn auch teilweise durcheinander: Schon in der ersten Runde gab es eine Überraschung - am Spitzenbrett verlor Elofavorit Fedorchuk gegen den belgischen FM Frederic Decoster. Decoster hat nur (oder immerhin) Elo 2303, sein Gegner immerhin (oder nur) Elo 2657. Hat Decoster, was Underdogs gerne mal unterstellt wird, betrogen? Wohl kaum, denn zunächst stand er "wie erwartet" auf Verlust. Die Entscheidung fiel scheinbar vor, und dann tatsächlich in umgekehrter Richtung nach der Zeitkontrolle. Das erste Diagramm setze ich nach dem 39. Zug von Weiss:

Decoster Fedorchuk move 39

 

 

 

 

 

 

 

Das war ein wilder Sizilianer in dem - etwas untypisch - beide lang rochierten. Später musste Schwarz (Fedorchuk) eine Qualität opfern, quasi erzwungen aber gut. Danach drohte er Matt, was Weiss nur mit Dauerschach oder eventuell Matt parieren kann. Auf dem Weg zum (erhofften) Dauerschach gab er einen ganzen Turm zurück. Und nun? Die Houdini-Hauptvariante lautet 39.-Kd5 40.Dd8+ Ke5 41.Db8+ Kf5 42.Tf1+ Tf2 - Weiss kann dann zwar mit 43.Txf2 das Matt verhindern, aber nicht den Partieverlust. Stattdessen geschah 39.-Dc7 40.Dxc7+ Kxc7 41.Th6 und das ist bereits "unklar". Schwarz versuchte einen zweiten Mattangriff und übersah dabei ein Detail: 41.-a5 42.Txg6 a4 43.f7 a3??

Decoster Fedorchuk move 43

 

 

 

 

 

 

 

(Pflicht war 43.-Lxf7 44.Tg7 a3 45.Txf7+ - Schwarz kann das Turmendspiel dank seines aktiven Turms gerade so remis halten). Nun kam (nicht 44.f8D?? sondern) 44.Txe6! Txe6 45.Kb1! 1-0

In Runde 2 gab es bereits ein Duell etwa auf Elo-Augenhöhe: GM Janssen (2464) - IM Burg (2507) - der nach Elo unterlegene GM gewann diese Partie und am Ende nach Wertung das gesamte Turnier. Dabei konnte er dasselbe taktische Motiv kurz hintereinander zweimal anwenden. So stand es nach 28.Dxf6:

Janssen Burg move 28

 

 

 

 

 

 

 

Und dann folgte 28.-Te6 29.Dc3 Tg6 30.f4 Sf7 31.Dxg7+

Janssen Burg move 31

 

 

 

 

 

 

 

Das ist zwar (im Gegensatz zu einigen Diagrammen später) kein Matt, aber Schwarz verliert einen weiteren Bauern und dann noch eine Qualität, oder er kann (wie in der Partie) zuvor, nämlich hier aufgeben.

Nun (aus Runde 3) das Titeldiagramm leicht anders, nämlich einen halben Zug später:

Bok Commercon 2

 

 

 

 

 

 

 

Das war GM Bok - Commercon (2216). Ein Schachfreund, der die Partie mit Engine-Analysen live verfolgte, schrieb zu 17.Lc8! "Ich wäre eine Wette eingegangen, dass Weiss diesen Zug nicht findet. Wie kommt man auf so etwas?". Im Nachhinein ist es aus meiner Sicht logisch: Bok hatte das Motiv Se7+ mit 16.Te1 selbst erzeugt (Schwarz musste das mit 16.-Le5 oder auch 16.-Kh8 parieren), weiterhin dachte er vielleicht: "Ich habe momentan Entwicklungsvorsprung, kann ich davon profitieren bevor es (17.-Sc6) zu spät ist? Gibt es eine Schwäche in der schwarzen Stellung? Ja, b7!". Die relevanten nächsten Züge waren 17.-Sa6 18.Lxb7 Tab8 19.Se7+ Kf8 20.Sc6 Dc7 21.Sxd8 Dxd8 - danach spielte Schwarz noch ein bisschen weiter, bis er nach 26 Zügen noch eine Figur verlor. Der Leser darf selbst untersuchen, warum Alternativen für Schwarz im 20. Zug keinesfalls besser oder zäher waren.

In der Rubrik Ëinfälle springe ich zu Runde 6, Haast - Van Foreest:

Haast Van Foreest vor 27 Dxc5

 

 

 

 

 

 

 

Der holländische Jungstar entkorkte hier 27.-Dxc5!? - was zwar nicht forciert gewinnt, aber in den darauf folgenden Komplikationen gewann er recht schnell.

Nun einige Reinfälle - Zufall, dass zwei deutsche Teilnehmer beteiligt sind und auf dem verkehrten Stuhl sassen. Besonders aktiv war allerdings der niederländische IM Koen Leenhouts, als Täter und Nutzniesser. In Runde 4 hatte er Schwarz gegen GM Ernst:

Ernst Leenhouts

 

 

 

 

 

 

 

Die vorherige Partiephase verlief nicht ganz nach Wunsch für Sipke Ernst, Dauergast in Maastricht. Nun folgte 44.d4?? exd4 0-1 da auch der weisse Sb3 ersatzlos verschwinden wird. In Runde 5 spielte Leenhouts gegen den (wie bereits erwähnt) späteren Turniersieger Ruud Janssen, und nach 38 Zügen und wechselndem Vorteil stand es so:

Leenhouts Janssen vor 39Dg4

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 39.hxg5 (nach 39.-exf4 oder 39.-Dxg5+) remislich, aber er spielte weiter auf Angriff und verlor im Gegenangriff: 39.Dg4?! exf4 40.Lc3+ Kh7 41.fxg6+ fxg6 42.hxg5 De4 43.Lf3 De3+ 44.Kh2 und zugleich 0-1. Der Turniersieger im Glück, das gehört dazu. In Runde 6 traf Leenhouts auf Lokalmatador Jacob Perrenet (2078) und war vielleicht vorgewarnt, dass es keine "normale" Partie werden würde. Perrenet war bereits in Runde 4 zu Gast in der Liveübertragung, da versuchte er gegen IM Shkapenko 1.Sc3!? Sf6 2.g4!????! - nach eigenen Angaben hatte er sich dieses Gambit selbst ausgedacht. Datenbanken kennt er vielleicht nicht, es gab immerhin 58 Vorläufer. Gegen Leenhouts hatte Perrenets Schwarz und spielte "etabliertes Kaffeehaus-Schach": 1.e4 Sc6!? 2.Sf3 f5!?? . Ich weiss nicht, ob das bereits in Colorado gespielt wurde oder woher der Name dieser Variante stammt - gespielt wurde es jedenfalls u.a. in Pardubice, Wien und Deizisau. Die Partien hatten eines gemeinsam: ein gewisser Ilja Schneider hatte Schwarz. Perrenets (bzw. Leenhouts) Interpretation führte zu klarem schwarzem Vorteil:

Leenhouts Perrenet vor 16 Lg7

 

 

 

 

 

 

 

Mir wird bei dieser Stellung zwar schwindlig, aber ich kann durchaus nachvollziehen, warum Engines Schwarz klar bevorzugen. Nun spielte Perrenet 16.-Lg7??!! und das war dann doch inkorrekt.

Zurück zu Runde 5 mit deutscher Beteiligung, IM Braun - GM Dambacher nach 41.-Lxa2:

Braun Dambacher vor 42Tb5

 

 

 

 

 

 

 

Trotz Mehrqualität muss Weiss aufpassen angesichts der weit vorgerückten schwarzen Freibauern, die nach 42.Te1 Lg7 usw. ungehindert weiter laufen könnten. Richtig war 42.Te4, und nach 42.-b3 kann Weiss (nicht erzwungen aber möglich und sicher) mit 43.Te6+ nebst 44.Txh6 in ein Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern abwickeln. Stattdessen geschah 42.Tb5?? - wohl dieselbe Idee aber ... 42.-Le3+ 43.Kh2 b3 0-1.

Runde 7 fehlt noch, der nominell stärkste deutsche Teilnehmer IM Thomas Henrichs spielte gegen WGM Bianca De Jong-Muhren (wenn ich ihr begegne, vor allem alle Jahre wieder in Wijk aan Zee, nenne ich sie Bianca). Nach wildem Verlauf stand es so:

Henrichs DeJongMuhren vor 34Sf6

 

 

 

 

 

 

 

Warum nun 34.Sf6+ Txf6 0-1 ? Das muss der Leser Thomas fragen, aber nicht mich!

Noch eine Maastrichter Besonderheit anno 2015: Etwa jede zehnte Partie in der Liveübertragung (neun von 12*7=84) endete mit Matt. Alle neun Stellungen zeige ich nicht, nur drei. Warum hat der Verlierer nicht vorher aufgegeben? Dafür mag es jeweils individuelle Gründe geben.

Shkapenko-Offringa

Shkapenko Offringa mate

 

 

 

 

 

 

 

Coenen-Burg

Coenen Burg mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht auch mit Schwarz

Van Osch - Tate

Van Osch Tate mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht mitunter auch ohne Damen. Nicht überliefert ist, ob der Einheimische seinem amerikanischen Gegner zum Schluss sagte "Mr. Tate, it's mate!".

 

 

 

Kommentare   

#1 Schmidt 2015-06-01 12:15
Ich oute mich mal als Fan der Thomas Richter-Turnierberichte - immer unterhaltsam, manchmal sogar lehrreich!
Zu den Stellungen: Lc8!! in der Diagrammstellung habe ich nach langem Knobeln gefunden, aber nur, weil ich wusste, dass es etwas gibt. In einer Partie würde ich so eine Idee nicht finden. Aber als Taktikaufgabe finde ich sie sehr originell.
Zu Thomas Henrichs - Bianca De Jong-Muhren - Sf6+ sieht führ mich sehr logisch aus - die Drohung Ld5+ mit Damengewinn funktioniert ja in fast allen Varianten, in denen Schwarz den Springer nimmt. Und falls der König zieht, droht Dh5+ bzw. Sg4+.Dass es nach 34. Sf6+ Txf6 35. Txf6 Dg1# ein unangenehmes Zwischenmatt gibt, kann man (in Zeitnot?) schon mal übersehen. ..
#2 easyrider 2015-06-02 15:05
Ich schließe mich dem Vorkommentator an, Thomas Richter schreibt immer gut zu lesende Berichte. Besonders gut finde ich die Patzer der anderen (der stärkeren..), das hilft manch Wunde im eigenen Fleische zu heilen! :-*
#3 Thomas Richter 2015-06-04 07:59
@Schmidt und easyrider: Danke! Drei Bemerkungen: Ob es auch lehrreich ist, liegt immer auch daran "was mir die Spieler bieten" bzw. was ich in den Partien mehr oder weniger zufällig entdecke.
Idee hinter Sf6+: Klingt plausibel, darauf wäre ich nun wieder nicht gekommen. Liegt aber auch daran, dass ich eine Idee hinter einem Zug, der offensichtlich nicht funktioniert, gar nicht suchte - Dg1+ wäre ja auch dann unangenehm, wenn es nicht sofort Matt wäre. Dass der Ld4 auch nach g1 schaut und dass -Txf6 eine "Fesslung" ist war mir sofort klar - Zeitnot spielte sicher eine Rolle.
Und was Patzer betrifft: eigene habe ich hier ja auch veröffentlicht, Leserbeiträge sind jederzeit willkommen! :-)

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