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Folgenreicher Machtwechsel in Frankreich

Frankreichs neuer Schachpräsident Diego Salazar Frankreichs neuer Schachpräsident Diego Salazar www.Salazar2013.fr

Sogar im eigenen Lager herrscht Überraschung. Diego Salazar hat bei der Wahl des Französischen Schachverbands den hohen Favoriten Léo Battesti geschlagen. 591 Vereinspräsidenten verteilten die ihnen zugeteilten 1642 Stimmen mit 50,5 zu 49,5 Prozent an den 42jährigen aus Chalons in der Champagne. Mit dem Satz "ich verliere lieber mit 17 Stimmen als so zu gewinnen", verabschiedete sich Battesti aus dem Verband, in dem er anstelle des ausgeschiedenen Präsidenten Henri Carvalho zuletzt längst den Ton angab. Nun widmet er sich wieder ausschließlich Korsika und kündigte, wohl noch in der Kampflaune der letzten Monate, an, das korsische Schach unabhängiger vom nationalen Verband aufzustellen. Ein Dutzend Schachlehrer sind hauptberuflich an den Schulen unterwegs. Jeder fünfzigste Inselbewohner ist schon Mitglied im korsischen Verband. So hoch ist der Organisationsgrad nirgends auf der Welt.

Auffällig viele starke Spieler unterstützten indessen Salazar. Die Interessen der Profis und Halbprofis waren Battesti egal. Er war als "arrogant" verschrieen. Der in seiner Jugend militante Separatist ist sicher auch ein wenig am Hass vieler Franzosen auf die Korsen gescheitert. Von einer "Rufmordkampagne" titelte gar Corsematin. Ein paar, letztlich entscheidende Stimmen hat Battesti seine Herkunft sicher gekostet.

Nachdem eine korsische Firma im Januar ankündigte, im Falle seiner Wahl den Französischen Verband mit 600.000 Euro zu sponsern, hielten er und seine Anhänger die Wahl irrtümlich für entschieden. Um etwas gegenzusetzen, versprach Salazar wenige Tage vor der Abstimmung ein Ressourcenzentrum für Schachvereine, das er über die vierjährige Periode mit einer Million Euro ausstatten will. Wer dort arbeiten und woher das Geld kommen soll, ist nebulös. Wenn das Zentrum aber zustande kommt, verdient es internationale Beachtung und könnte ein Modell für andere große Schachverbände sein.

Grenzüberschreitende Bedeutung hat die Machtablösung in Frankreich noch aus zwei anderen Gründen, nämlich Schulschach und Frankreichs Rolle in der FIDE. In der FIDE hätte Battesti eine Führungsrolle in der Opposition übernommen. Kasparow, der Anfang Mai ein großes Jugendturnier in Korsika besuchen wird, ist ein Freund. Salazar dagegen, der außer Französisch nur ein wenig Spanisch spricht, ist in internationalen Schachbelangen unbeleckt. Dass er wenige Tage nach seiner Wahl Besuch von Iljumschinow bekam, muss nichts heißen. Schließlich lud sich der nach dem Kandidatenturnier in London schon in der Nähe weilende FIDE-Präsident selbst ein. Salazar hat indessen bis auf weiteres alle FIDE-Agenden Robert Fontaine übergeben. Der französische Großmeister arbeitete zuletzte für AGON. Die Firma ist wohl nur noch pro forma in die Organisation und Vermarktung der FIDE-Spitzenwettbewerbe wie dem seit Donnerstag in Zug laufenden Grandprixturnier eingebunden. Wenn Fontaine weiter in Lohn und Brot bleiben will, führt der Weg nur über Iljumschinows inneren Zirkel. 

Battesti hatte eine ambitionierte Schulschachstrategie, die in erster Linie gerade nicht darauf abzielte, Mitglieder zu gewinnen. Was den Übergang talentierter und ambitionierter Kinder von den Schulen ins organisierte Schach angeht, sind die französischen Vereine mit zwei Dritteln Jugendspielern unter ihren rund 60 000 Mitgliedern hier ohnehin schon stark unterwegs. Zentrales Anliegen war, dem Schulsystem den erzieherischen Wert des Schachs für möglichst viele Kinder nutzbar zu machen, und insbesondere benachteiligte Kinder zu fördern. Damit fand der alte Schachverband Gehör im Bildungsministerium, das im Juni zu einer hochrangig besetzten internationalen Schulschachkonferenz einlädt. Jerome Maufras, Schulschachexperte und strategischer Brater Battestis, hat sich nach der Wahlniederlage aus dem Verband zurückgezogen, wie er hier begründet. Ob Frankreich künftig international eine Vorreiterrolle im Schulschach übernehmen wird und welche Rolle der Verband dabei spielt, steht in den Sternen.

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