Ein praktisches Repertoire?

Gibt es eine Zauberformel für gelungene Repertoirebücher?

Offiziell lautet die Antwort: Nein! Inoffiziell sollten zukünftige Autoren mal bei
John Watson vorbeischauen….

Alexei Kornev
The King´s Fianchetto Defences
White Repertoire with 1.d4 and 2.c4 - Vol 2
288 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Dieses Buch ist der 2.Teil einer, auf drei Bände ausgelegten, Reihe. Teil 1 behandelte hauptsächlich das Damengambit, Teil 2 die königs- und grünfeldindischen Systeme und Teil 3 wird sich in der Hauptsache mit Nimzoindisch befassen.

Da ich in Teil 1 im Abschnitt über das Tschigorinsystem ein dickes Loch in der Kornevschen Analyse fand, ging ich an dieses Werk nicht ganz unvoreingenommen heran.

Zum theoretischen Teil:

Gegen Grünfeldindisch empfiehlt der Autor das Abtauschsystem mit Sf3 und Le3. Der Vorteil dieses Abspiels liegt sicher darin begründet, dass man mit Weiß, vorausgesetzt man stellt sich nicht ganz dämlich an, nur sehr schwer verlieren kann. Ob man damit aber gegen einen gut vorbereiteten Grünfeldjünger einen greifbaren Vorteil herausholen kann mag auch hinsichtlich der außerordentlichen Komplexität der entstehenden Stellungen mehr als fraglich erscheinen. Für einen Einsatz beim Fernschach ist dieser Ansatz sicherlich gerechtfertigt aber ich habe doch starke Zweifel, dass sich der Durchschnittsschächer (also wir alle, bis auf ein paar Ausnahmen ;-) ) sich diese Variantenanhäufungen überhaupt merken, bzw. verstehen kann!

Gegen Königsindisch bleibt der Autor seiner Linie treu und macht den Leser auf die Variante 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Le2 0-0 6.Lg5 aufmerksam. Auch hier ist die Kenntnis konkreter Varianten wichtiger als das Verstehen von typischen Mittelspielideen. Ich kann mich auch täuschen und vielleicht tue ich dem Autor Unrecht, aber ich behaupte, kein normaler Vereinsspieler kann sich das alles merken! Zu komplex und zu anspruchsvoll erscheinen diese Abspiele.

Einzig gegen Pirc/Modern empfiehlt er ein einfaches, leicht verständliches Abspiel: 1.d4 d6 2.e4 Sf6 3.Sc3 g6 4.Le3. Folgerichtig ist dieses Kapitel auch das stärkste im Buch! Ein gutes, starkes System bei dem es mehr um Ideen/Pläne geht als um 35zügige Varianten. Wobei ich hier anmerken muss, dass es mir nicht ganz einleuchtet, wieso der Autor plötzlich auf eine 1.e4 Variante umschwenkt anstatt in gewohnten 1.d4 Gefilden zu bleiben.

Für mich macht dieser Teil des weißen Repertoires keinen runden Eindruck. Es schwankt zwischen theoretischer Korrektheit und einer Unverträglichkeit bezüglich der praktischen Anwendung. Es will alles perfekt machen und schießt dabei über das Ziel hinaus. Ähnlich wie bei Avrukh wird hier mit Atomraketen auf Spatzen geschossen.

Fernschachspieler, Spitzenspieler, Sekundanten von Carlsens nächstem Herausforderer oder einfach begeisterte Analytiker können mit diesem Buch sicher sehr gut arbeiten. Für den einfachen Vereinsspieler meiner Meinung nach zu komplex und auch nicht wirklich stimmig. 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

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