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EERR Eindrücke Einfälle und Reinfälle aus Riga

Eindrücke "aus" Riga ist nicht wörtlich gemeint - ich war nicht vor Ort, die Reise kann ein Hobbyjournalist nicht bezahlen. Allerdings konnte man dieses, wie so viele Turniere, prima im Internet verfolgen und darüber berichten. Im Laufe des Turniers ergab sich, dass der Titel noch länger und e-lastiger werden könnte: es gab nämlich einen erfolgreichen Ersatzmann. Der ACP Cup war ein Schnellturnier im KO-Format mit 16 hochkarätigen Teilnehmern: Grischuk, Mamedyarov, Nepomniachtchi, Svidler, Radjabov, Malakhov, Morozevich, Wojtaszek, Ivanchuk, Ponomariov, Eljanov, Shirov, Fressinet, Jakovenko, Moiseenko, Kovalenko. Gleich drei Spieler mit Elo über 2800, jedenfalls nach den Rapidzahlen (Grischuk 2830, Mamedyarov 2822, Nepomniachtchi 2804), zwei dieser drei trafen im Finale aufeinander. Wie kam dieses Feld zustande? Fast alle qualifizierten sich über die ACP Tour, grob gesagt ein mathematisches System bei dem Ergebnisse nach Eloschnitt des Turniers gewichtet werden, und am Ende gibt es eine Rangliste, die für 2012 findet man hier. Diesmal war es etwas komplizierter, wie mir ACP Präsident Emil Sutovsky auf Nachfrage freundlicherweise mitteilte. Den ACP Cup gab es zuletzt 2010, die neue ACP-Führung wollte ihn wiederbeleben und fand im lettischen Schachbund einen Ausrichter. Aus den Jahren 2010-2012 waren insgesamt 23 Spieler qualifiziert, aus diversen Gründen (Studium, voller Turnierkalender, gesundheitliche Probleme) konnten nicht alle die Einladung akzeptieren. So ergab sich ein Turnier mit 16 Teilnehmern: 14 Qualifizierte, der Lette Kovalenko bekam eine Wildcard und Nepomniachtchi rückte aufgrund seiner hohen Rapid-Elozahl nach als Karjakin kurzfristig absagte.

Fast alle Spieler kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, plus der Franzose Fressinet und Wojtaszek aus dem Nahen Westen. So ist die Situation in der Schachwelt, bzw. terminliche Überschneidungen mit anderen Turnieren verhinderten ein etwas "globaleres" Teilnehmerfeld: Nakamura und Kamsky spielen in St. Louis, Vachier-Lagrave spielte in der spanischen Liga. Auf Anfrage wiederholte Sutovsky was er auch in der Liveübertragung sagte: die Spieler kannten den Termin des ACP Cups bereits im April, lange vor der Ankündigung des Sinquefield Cups. Die offizielle Bestätigung des ACP Cups kam im Juli, da war die Finanzierung abgerundet und Spieler konnten/mussten die Reise nach Riga definitiv planen. Ausser den bereits erwähnten fehlten noch mindestens zwei qualifizierte Spieler: Kurnosov ist zwischenzeitlich tödlich verunglückt, und Caruana will sich vielleicht in Ruhe auf den für ihn wichtigen FIDE Grand Priz in Paris vorbereiten. Der ist für Grischuk genauso wichtig, aber der spielt gerne Schnell- und wenn nötig Blitzschach und hat seine Teilnahme nicht bereut: er traf im Finale auf Nepomniachtchi und gewann am Ende im Armaggedon. Deutschland war nicht vertreten, die Niederlande immerhin mit Webmaster Lennart Ootes dessen Fotos ich dankbar verwende. Und es wurde, mit wechselndem Erfolg, ein paarmal Holländisch gespielt. [Für neue Leser dieses Blogs - es gibt wohl ein paar, warum werde ich erst in einer Woche verraten: Ich bin Deutscher und schreibe vor allem für ein deutsches Publikum, aber wohne in den Niederlanden]

Das wird kein normaler Turnierbericht, stattdessen pro KO-Runde ein paar Bemerkungen mit teilweise Zitaten aus dem Livekommentar und jeweils ein Einfall - definiert als interessante Idee oder interessantes Motiv - und ein Reinfall, gerade im Schnellschach greifen auch die besten Spieler mitunter übel daneben. Betrifft Livekommentar: den gab es abwechselnd auf Englisch und Russisch, und für das lokale Publikum auch auf Lettisch. Zeigen wir erst noch das Spiellokal, das Hauptquartier der Rietumu Bank (Foto Turnierseite):

Rietumu Bank

 

Den Modus muss ich noch erwähnen: Zunächst wurden jeweils zwei Schnellpartien gespielt (25 Minuten plus 10 Sekunden Zugabe pro Zug), dann wenn nötig zwei Blitzpartien (3 Minuten plus 2 Sekunden), dann eventuell Armaggedon (5 gegen 4 Minuten, 2 Sekunden Zugabe ab dem 61. Zug). Etwas überraschend: in 15 Matches gab es nur 4 Tiebreaks, und nur einmal (im Finale) Armaggedon.

Achtelfinale:

Mittags endeten die ersten vier Partien alle remis, aber alle Duelle der Rückrunde hatten einen Sieger. Prominentes Opfer war Ivanchuk, der gegen Wojtaszek völlig den Faden verlor (aber diesen Reinfall zeige ich nicht, es gab noch einen anderen). Abends waren drei Matches nach zwei Schnellpartien beendet, nur Grischuk musste gegen Fressinet blitzen. Das Ergebnis kennt der Leser bereits, Grischuk löste diese Aufgabe - man ist geneigt zu sagen, wie erwartet - souverän. Der englische Livekommentar war, wie schon erwähnt, Chefsache: Emil Sutovsky zusammen mit dem lettischen GM Neiksans.Es war schon für Zuschauer (wie mich) nicht einfach, vier flotte Partien parallel zu verfolgen; sie mussten diese kommentieren und dabei ständig hin und her springen. Da kann schon ein kleiner Lapsus passieren: Bei Jakovenko-Svidler wunderten sie sich mehrfach, warum Svidler, der mit Schwarz nur ein Remis brauchte (zum Grund s.u.), Pirc spielte und nicht etwa Spanisch. Nun war 1.-g6 vielleicht (im Gegensatz zu 1.g3 im Hinspiel?) nicht die solideste Wahl, aber 1.-e5 wäre ein grober Fehler denn die Partie begann mit 1.Sf3 g6 2.e4 - was die Stellung einige Züge später nicht mehr verriet. Svidler gewann dann in 21 Zügen, obwohl er kurz etwas verdächtig stand. Zum scharfen Grünfeld-Inder in Morozevich-Ponomariov (5.h4, 12.Txh7) meinte Sutovsky "das wurde schonmal gespielt, ich weiss aber nicht von wem. So ist es heutzutage - wenn man ständig hunderte Partien betrachten muss, erinnert man sich an die Stellungen aber nicht an die Spieler." Auch ich musste nachschauen: der Vorgänger war Vitiugov-Ragger vom letzten Weltcup. Vitiugov profitierte vom Überraschungseffekt, Ponomariov (der auch nur ein Remis brauchte) war offensichtlich vorbereitet, hatte die Lage weitgehend unter Kontrolle und gönnte seinem Gegner am Ende ein Dauerschach.

Kleiner Exkurs zum ganzen Turnier: Wenn Schwarz nur Remis brauchte, bekam er es (oder mehr) mit scharfen Eröffnungen wie Pirc, Grünfeld-Indisch oder Holländisch. Wenn er dagegen solider spielte (Französisch mit frühem Damentausch, Damengambit oder Russisch), verlor er und musste dann blitzen oder armageddonisieren.

Nach der ersten Runde waren mit Ivanchuk, Morozevich und (aus lokaler Sicht vor allem) Shirov drei Publikumsfavoriten bereits ausgeschieden. Ivanchuk brachte sich selbst um, die beiden anderen wurden von etwa gleichwertigen Gegnern (Ponomariov und Radjabov) einmal überspielt. Im Livekommentar lobte Sutovsky noch die Bedingungen vor Ort - das macht ein Ausrichter gerne, aber zumindest ein Spieler sah dies ähnlich: Eljanov twitterte kurz hintereinander "Knocked out by Malakhov in 1st round of ACP Cup. Now I am a chess tourist literally and figuratively :)" und "Tournament conditions is great thanks to Emil Sutovsky and Alexei Shirov. To be spectator in such an event also rather attractive."

Der Einfall: Nepomniachtchi-Moiseenko nach 23.-d5

Nepo-Moiseenko Einfall

Es folgte 24.Te5!? und das war nur der Anfang: Später opferte Nepomniachtchi noch eine Qualität, bekam dann beide zurück und behielt ein gewonnenes Damenendspiel. Ob das völlig korrekt war, sei dahingestellt - mutig und kreativ war es jedenfalls. Erinnerungen werden wach an eine Schnellpartie zweier Spieler der absoluten Weltklasse die - während ich dies schreibe - in St, Louis mal wieder gegeneinander spielen.

Der Reinfall: Svidler-Jakovenko nach 52.Td3-d1

Svidler-Jako Reinfall

Turmendspiele sind "immer" remis, dieses war trotz weissem Mehrbauern lange keine Ausnahme, Aber nun geschah 52.-Tf3? 53.e5 Tf5 54.Ke4+ 1-0 (kein Fragezeichen für 53.-Tf5, da stand Schwarz bereits verloren)

Viertelfinale:

Drei Spieler gewannen im Schnellschach, Nepomniachtchi dominierte den Blitz-Tiebreak gegen Malakhov. Im Livekommentar eine Überraschung: noch ein Spieler blieb vor Ort - nicht nur in Riga wo er seit einiger Zeit wieder wohnt, sondern auch am Turnierort. Leider (für mich) sprach Shirov vorläufig Russisch, wo meine Kenntnisse nicht viel weiter reichen als "Dobri dyen" (Guten Tag) oder auch "varianti Najdorf". Immerhin konnte ich seinen Varianten am Demobrett zu Wojtaszek-Grischuk folgen. Er tat das vielleicht mit gemischten Gefühlen, lieber hätte er nebendran in Radjabovs Stuhl gegen Svidler gesessen?

Shirov

Ein lettisches Multitalent: im Schach läuft es für Shirov (im Turnier und generell in letzter Zeit) nicht ganz nach Wunsch, als Organisator bekam er Bestnoten 

(Foto Lennart Ootes, vor dem Turnier)

Der Einfall: Nepomniachtchi-Malakhov nach 27.-Te8

Nepo-Malakhov Einfall

Weiss steht natürlich prächtig und konnte nun stilvoll den Sack zumachen: 28.Txh7 Sxf6 29.gxf6 Txf6 30.Dh2 Lg7 31.Th1 1-0. Nicht allzu schwer, aber schön anzusehen zumal auf diesem Niveau.

Der Reinfall: Radjabov-Svidler nach 20.-Da7

Radjabov-Svidler Reinfall

Die Livekommentatoren erwarteten 21.Kh1 oder 21.Kh2, denn Radjabov würde Svidlers Drohung doch nicht übersehen? Es kam 21.Tbe1? Lxd3 22.Dxd3 c4+ 23.Le3 cxd3 24.Lxa7 Sxa7 usw. (0-1, 28).

Halbfinale:

Da fasse ich mich relativ kurz da ich leider nicht live dabei war. Grischuk gewann gegen Svidler 1.5-0.5, Nepomniachtchi gegen Ponomariov 3-1 (also wieder glatt im Blitz-Tiebreak). Was "Einfall und Reinfall" betrifft, waren die bisherigen Täter nun Opfer. Zum Reinfall kein Diagramm, das betrifft die halbe Partie Svidler-Grischuk: Svidler stand klar besser, womöglich gewonnen und verdarb das noch zum Verlust.

Der Einfall: Ponomariov-Nepomniachtchi nach 48.Sd4

Pono-Nepo Einfall

Ponomariov spielte die gesamte Partie, so später der Livekommentar, im Stile Karpovs und konnte einen kleinen Vorteil immer weiter ausbauen. Nun hatte er bei reduziertem Material ein Mattnetz geknüpft (mit etwas gegnerischer Hilfe in ohnehin hoffnungsloser Stellung). Es folgte noch 48.-Sg5 49.hxg5+ 1-0 (Nepomniachtchi sah hier wohl, dass er nach 49.-Txg5+ 50.Kf4 noch mehr Material spucken muss um das Matt zu verhindern bzw. zu verzögern).

Damit standen Grischuk und Nepomniachtchi im Finale. Bevor ich dieses kurz zusammenfasse, noch ein paar Worte zu ihrer Bedenkzeit-Philosophie (Quelle Livekommentar): Grischuk hatte angekündigt, dass er sich zu einer Runde vielleicht etwas verspäten würde - kein Problem, ACP kennt keine Nulltoleranz. Seine Uhr würde laufen, aber das war ihm relativ egal: "Wenn ich am Anfang 25 Minuten habe, bleiben mir nach zehn Zügen ohnehin nur noch deren fünf" - er übertrieb da etwas, aber nur etwas. Zu Nepomniachtchi folgender Dialog zwischen Shirov (nun auf Englisch) und Sutovsky:

Shirov - "Nepomniachtchi spielt Normalschach wie Schnellschach, Schnellschach wie Blitz und Blitz wie ... ich weiss nicht"

Sutovsky: "Bullet!"

Das Finale:

Beide Schnellpartien endeten nach hartem Kampf Remis, jeweils hatte Nepomniachtchi zwischendurch die klareren Gewinnchancen. Die Blitzpartien verliefen ähnlich zueinander: jeweils gewann Weiss eine Qualität, dann hatten beide Spieler nur noch Sekunden auf der Uhr plus Inkrement, diese Partiephase dauerte gut 20 Züge und dann gewann Weiss (auf Stellung). Damit kam es zum Armaggedon - was da alles geschach wäre beinahe auch Stoff für einen eigenen Beitrag, die Kurzfassung: Grischuk mit Weiss war immer am Drücker und gewann am Ende.

Einfall und Reinfall: Grischuk-Nepomniachtchi (erste Schnellpartie) nach Dc4

Grischuk-Nepo Ein und Reinfall

Das war davor eine lebhafte Partie, mit der ersten Überraschung bereits im sechsten Zug: 6.Ld3 ist laut Datenbank nur zehnte Wahl gegen "varianti Najdorf", wobei bekannte Spieler wie Ponomariov, Polgar, Adams, Carlsen und Short (geordnet nach Elo zum Zeitpunkt der Partien) das bereits mal versuchten. Nach 6.-e5 7.Sf5!? (7.Sde2 ist üblich) gab es keine Vorbilder mehr von Spielern mit Elo über 2450. Nepomniachtchi gewann einen Bauern, Grischuk opferte seinen Läufer auf f7 für Gegenspiel und diverse Bauern am Königsflügel. Wenn Nepomniachtchi das gewinnen konnte, dann war es keinesfalls trivial. Zuletzt geschah 48.-De6-c4 und nun ein etwas ungewöhnliches Dauerschach: 49.Dd1+ Ka3 (49.-Ka/b2? 50.Tb2+ und Weiss steht besser) 50.Da1+ Kb3 51.Db3+ usw. . "Reinfall" ist vielleicht zu krass - wobei Nepomniachtchi noch 10 Minuten hatte und Grischuk Sekunden.

Zum Schluss ein Dankeschön an Emil Sutovsky für seine schnelle email-Antwort während des Turniers ("feel free to contact me, whenever you have any questions related to the ACP activity" [even if] "I am extremely overloaded"), und ein Foto des Siegers, wieder von Lennart Ootes:

Winner

Sutovsky, Grischuk und Julia Kuzmina vom Sponsor Rietumu Bank

 

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