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Du da, tausch doch die Damen

Jan-Krzysztof Duda, Warschau 2014 Jan-Krzysztof Duda, Warschau 2014 Przemyslaw Jahr, Wikimedia

Ich habe zwar hier bereits über Damenendspiele geschrieben, aber bin da wahrlich kein Experte - zum Glück (oder, im Sinne von Erfahrungen sammeln, leider?) sind sie in meinen eigenen Partien ziemlich selten. Auch Grossmeister sind da keinesfalls perfekt, nur Tablebases sind - sobald ihr Territorium erreicht ist - unfehlbar. Aber an einer Stelle hätte wohl "sogar" ich besser gespielt als der Weisspieler der heutigen Partie Duda-Cheparinov - im 69. Zug, ziemlich unwahrscheinlich jedoch, dass ich so lange durchgehalten hätte ... . Gespielt wurde sie vor gut einem Monat in der dritten Runde des Katar Opens; das Turnier war so stark besetzt, dass es schon früh hochkarätige GM-Duelle gab.

Zwischenzeitlich machte der 16-jährige Pole Jan-Krzysztof Duda anderweitig Schlagzeilen, nämlich bei der EM im Blitz- und Schnellschach wo er Silber und Gold gewann, obwohl er nur an 51 und 69 gesetzt war. Ist er damit nun der weltweit drittbeste Spieler mit verkürzter Bedenkzeit, nach Doppel-Weltmeister Carlsen und Doppel-World Mind Games Sieger Grischuk? Nicht unbedingt: erstens war es in Wroclaw/Breslau noch knapper als in Dubai und Peking, zweitens war das Turnier etwas schwächer besetzt, drittens hinken derlei Vergleiche immer (auch wenn manche Leser sie vielleicht wortwörtlich nehmen).

Zurück zur Partie: Eröffnung (Najdorf mit 6.h3) lasse ich aussen vor, und das Mittelspiel bis frühe Endspiel fasse ich nur kurz zusammen: Nach heterogenen Rochaden kam es zum üblichen beiderseitigen Bauernsturm - Sinn der Sache ist, Bauern zu opfern um Linien zu öffnen. Mattsetzen konnte allerdings keiner der beiden, damit ergab sich ein Endspiel mit beiderseits Freibauern, am jeweils linken Flügel vor dem eigenen König. Konkret war es ein Schwerfigurenendspiel mit Damen und je einem Turm, das Duda zunächst wohl nicht optimal behandelte: die schwarzen Figuren waren viel aktiver, und der weisse König stand etwas zugig. Es gibt gewisse Parallelen zur ersten WM-Partie Anand-Carlsen - Anand erreichte da dann den Remishafen, Duda gar ein besseres Damenendspiel, Thema dieses Beitrags (komplette Partie siehe unten). So stand es nach 54.Txf3 Dxf3+ 55.Ka4:

Duda-Cheparinov move 55

 

 

 

 

 

 

 

Warum steht Weiss hier trotz Minusbauer (potentiell) etwas besser? Der b-Bauer ist etwas gefährlicher als der g-Bauer, und der schwarze a-Bauer im Endspiel anfällig (im Mittelspiel war er ja noch ein potentieller Sargnagel, aber nach dem Mittelspiel kommt mitunter ein Endspiel). Weiter geschah zunächst 55.-g4 56.b6 g3 57.Dc7+ Kg6 Vielleicht war 57.-Kh6 genauer, warum wird später klar. 58.b7 De4+ 59.Kxa3 tschüss, a-Bauer! 59.-De3+ 60.Kb4 g2 Spielte Cheparinov auch auf Gewinn, oder "sah" er (im Gegensatz zu Engines), wie Weiss Dauerschach vermeiden kann? Nun ging jedenfalls 61.Dc2+ und 62.Dxg2, und dann muss Schwarz doch Dauerschach anstreben, objektiv nun ausser Reichweite. 61.b8D ist auch nicht verkehrt, aber nun braucht man Tablebase-Wissen 61.-Dd4+ (61.-g1D wird forciert Matt in 10 Zügen, sagt Stockfish - ich zeige nicht die Variante, nur die Schlusstellung:)

Duda-Cheparinov Variante 1

 

 

 

 

 

 

 

62. Kb3 Dd3+ 63.Kb2 Dd4+ 64.Ka3 De3+ 65.Kb4 Dd4+ 66.Dc4

Duda-Cheparinov move 62 or 66

 

 

 

 

 

 

 

Nun ruft Stockfish, Version Liveübertragung, "Matt in 90 Zügen!" (ging natürlich bereits nach 61.-Dd4+ 62.Dc4). Kann er so weit vorausberechnen? Nein, er hat sicher gemogelt und heimlich Tablebases befragt - nun kann forciert eine Tablebase-gewonnene Version von Dame plus a-Bauer gegen Dame entstehen. Kleiner Exkurs: Gibt es eigentlich Beispiele aus der Praxis zu unklaren und stabilen Doppeldameendspielen? Unklar bedeutet, dass es keinen forcierten Gewinn gibt (wie in obiger Variante), stabil dass alle vier Damen längere Zeit auf dem Brett verbleiben? In der Partie vereinfachte Duda korrekterweise mit 66.-g1D 67.Dg8+ Kh5?? 68.Dxg1 Dxg1

Duda-Cheparinov move 68

 

 

 

 

 

 

 

und musste nun weiter vereinfachen mit 69.Dc5+ nebst gewonnenem Bauernendspiel: 69.-Dxc5+ (69.-Dg5 70.Dxg5+ wird Zugumstellung) 70.Kxc5 Kg4 71.a4 e5 72.a5 e4 73.Kd4 Kf3 74.a6 e3 75.a7 e2 76.a8D SCHACH!!

Duda-Cheparinov Variante 2

 

 

 

 

 

 

 

Stattdessen geschah 69.Dxe6?? - Duda, tausch doch die Damen (und zwar alle vier). Die Zeit war zwar womöglich bereits knapp, aber nicht extrem knapp: für 69.Dxe6 investierte Duda 13 Sekunden, für zuvor 68.Dxg1 immerhin eine Minute und fünfzehn Sekunden. 1) Hatte er 69.Dc5+ gar nicht gesehen? 2) Hat er sich im Bauernendspiel irgendwo verrechnet? 3) Wusste er nicht, dass die Stellung im Diagramm direkt oben für Weiss gewonnen ist? Option 3) schliesse ich aus, 1) oder 2) ist beides unwahrscheinlich, aber irgendwas muss es ja gewesen sein. Und warum hatte Cheparinov nach satten zwei Sekunden 67.-Kh5?? gespielt? Offenbar wollte er seinen e-Bauern nicht mit Schach verlieren. So wie sie gespielt wurde, dauerte die Partie noch eine ganze Weile. Cheparinov kannte offenbar einen Artikel von Kollege Michael Schwerteck (oder er hat andere Quellen) und lief mit seinem König in die entfernteste Ecke, also nach h1. Tablebases sagten ständig remis, bis zum 117. Zug. Gerade geschah 117.Kd2:

Duda-Cheparinov move 117

 

 

 

 

 

 

 

"Nalimov" wurde gerade anderswo im Kommentar erwähnt, die Internet-Version findet man hier. Fünf Züge halten remis (-Df7, -Dh8, -Dh4, -Df5 und -Dg8), Cheparinov spielte stattdessen 117.-Kg2? . Das Fragezeichen ist sicher etwas zu streng, aber eben die objektive Wahrheit - nun kann Weiss in 52 Zügen mattsetzen! Beiderseits bestes Spiel ginge weiter mit 118.Dc6+ Kg3 119.Dc5 Df7 120.a7 (einziger Gewinnzug) 120.-Da2 (alles andere verliert viel schneller) 121.Kd3 Db1+ 122.Kd4 Dd1+ 123.Ke5 Dh5+ 124.Kd6 Dg6+ 125.Kd7 Df7+ 126.De7 Df5+ 127.Kc6 usw. usw. - nach insgesamt 36 Zügen ab 117.-Kg2 kommt Weiss zu a8D. Duda spielte zunächst einigermassen richtig 118.Dd5+ Kh2 119.De5+ Kh1 120.De1+? (nur wieder 120.Dd5+ gewinnt) 120.-Kh2? (120.-Kg2 ist remis) 121.De3? (Weiss musste mit 121.De5+ die Züge wiederholen) und danach war die Stellung wieder remis, und blieb es bis zum Schluss. Für mich ist das reiner Hokuspokus, gibt es Leser die Sinn, Struktur, Ästhetik oder was auch immer der Tablebase-Varianten ergründen können? Einmal musste Cheparinov noch aufpassen:

Duda-Cheparinov move 147

 

 

 

 

 

 

 

Bitte nicht 147.-Dxa7?? sondern zunächst 147.-Dg1+ 148.Ke2 Dxa7 149.Df2+ Dxf2! (only move) 150.Kxf2! (ebenso)

Duda-Cheparinov move 150

 

 

 

 

 

 

 

Und nun war es soweit: Auslosung für die nächste Runde in Katar. Cheparinov holte im weiteren Turnierverlauf noch 3.5/6, weder schlecht noch besonders gut. Duda musste sich danach mit 2/6 begnügen - hatte diese Seeschlange Konsequenzen? Sah er nach der Partie selbst, welchen Elfmeter er verschossen hatte, oder hat er das von anderen (vielleicht gar von seinem Gegner) erfahren? Wie bereits erwähnt, sein nächstes Turnier war Blitz- und Schnellschach - da hat man kaum Zeit, verpassten Chancen nachzutrauern ..... .

 

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