Der Schach-Geist von Malente (II)

Auch die Katze Sepp Maier hat 1974 in Malente trainiert Auch die Katze Sepp Maier hat 1974 in Malente trainiert (R. Engelhardt - vielen Dank!)

 

 

 

 

 

 

 

Beliebte Trainingsdomizile

Schon seit dem Erscheinen von Leo Tolstoi und seiner Russischen Schachschule wissen wir, dass vor allem der Trainingsort (= Moskau!) ausschlaggebend für den sportlichen Erfolg ist. Auch die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft kennt dieses Phänomen - sie trainierte 1974 und 1990 im magischen Malente und gewann dann jeweils im Anschluss die Weltmeisterschaft. Das alles kann kein Zufall sein.

Nun können/ wollen wir Schachspieler nicht alle nach Moskau (oder Malente) umziehen, und außerdem ist es in Moskau auch viel zu kalt - vor allem jetzt, wo der Winter kommt. Doch möglicherweise gibt es Alternativen?
Die Redaktion von Schach-Welt.de, dem Blog für die steigende Wertungszahl, hat aufopferungsvoll in den Trainingsstätten der Welt recherchiert und dabei zwar keine Kosten, aber so manche Mühe gescheut. Die ersten Ergebnisse unserer schonungslosen Analyse stellten wir bereits in Teil 1 dieses Artikels vor. Es ging dabei um folgende Orte: 

a) das Bad
b) das Bett
c) die freie Natur
d) den Frühstückstisch
e) den Turniersaal

Wir setzen unsere Untersuchung heute fort. Möge das Training beginnen - aber wo?

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f) Auf Turnieren, unter den Augen der Meister

Eine Mischung aus Schachturnier und einem Malente-artigen Trainingslager bietet mein Chef Jörg Hickl. Ähnlich wie Kirsan Ilyumshinov reist auch er beständig zum Wohle des Schachsports durch die Welt.
Anders aber als unser geliebter FIDE-Präsident bietet Jörg dabei interessante Trainingsmöglichkeiten für alle an. Trainieren kann man mit Jörg in Verbindung mit formschönen Schachreisen - auf einer Kreuzfahrt, nett im Hotel in kleiner Runde, und sogar auf Lanzarote.
Das alles klingt wirklich sehr schön, und ich würde dafür  die Trainingsorte b) Bett und d) Frühstückstisch
sofort und ohne zu zögern hinter mir lassen. Doch Jörg sucht sich für seine Reisen und Seminare hartnäckig Termine aus, die nicht zu meinen Bremer Schulferien passen. Was soll man da noch sagen? Gens una sumus?

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Um der DWZ zu helfen, darf man auch ruhig mal an schöne Orte reisen

Dennoch: ich wäre sehr neugierig auf den Trainingsort, den GM Jörg im November anbietet. Man fährt hübsch ins hessische Rotenburg an der Fulda und spielt ein fünfrundiges Seminarturnier. Seminarturnier - das klingt nach Arbeit, nach Nachdenken und fast ein bisschen streng. Will man so etwas wirklich in seinem Urlaub?
Der Charme daran ist, dass sich nach jeder Partie die Türen öffnen, und herein kommen nicht nur Jörg Hickl (das hat man vielleicht noch erwartet), sondern auch Robert Hübner (zwei Ausrufezeichen!!) und vielleicht auch Frank Zeller (!). Mit diesen dreien können oder müssen die Teilnehmer dann ihre Partien durchkauen, bekommen Feedback, reden einfach mal drüber und hören, was so diese drei Ausnahmespieler dazu sagen - ohne eine kritische Rückmeldung kommt man als Spieler manchmal einfach nicht weiter.
Das Ganze scheint sehr persönlich zu sein, und es mag dadurch mehr Wirkung haben als so manches interessante Schachbuch. Am Abend gibt es dann noch ein weiteres Training zu diesem oder jenem Thema.

Auch wenn es einige Euro kostet – es ist bestimmt ein Erlebnis. Ich finde die Idee sehr reizend, originell, innovativ. So etwas habe ich vorher noch nicht gehört.

(Es spricht natürlich nicht für Jörg Hickl, dass er auch dieses Turnier in Rotenburg weit außerhalb der Bremer Schulferien gelegt hat. Aber abgesehen davon – eine Sahne-Idee, und Robert Hübner spielt vorher sogar noch einen Blindsimultankampf. So schön kann Training sein!)

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Entdeckt Jörg Hickl den Schachgeist von Rotenburg? (Foto: GF Hund, vielen Dank!)


g) In der Kneipe

Eine Trainingsanstrengung in der Kneipe ist immer gut. Entweder sitzt man dort allein mit einem Schachbuch und widmet sich Rubinsteins Turmendspielen, oder man versammelt sich mit Freunden und netten Menschen um ein Brett herum, kann Studien gemeinsam enträtseln und sich über Eröffnungen und vor kurzem gespielte Partien austauschen – sehr angenehm.

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Eine 1a-Location für gepflegtes Schachtraining: das Bremer Lagerhaus

Wir wollen hier darauf hinweisen, dass in der Trainingsstätte g) Kneipe allerdings auch manchmal Alkohol oder sogar Rotwein getrunken wird (eine wichtige Gemeinsamkeit mit der Russischen Schachschule). Auch muss man billigend in Kauf nehmen, anders als in a) Bad und WC nicht in völlig konzentrierter Abgeschiedenheit allein in einem Raum zu sitzen. Jedoch – vielleicht ist das sogar umso besser. Wie soll man als Schachspieler sonst andere Menschen kennenlernen?

 

h) Im Verein!

Im Verein ist es auch sehr gut. Vieles, was bei g) Kneipe gesagt wurde, gilt auch für den guten alten Schachclub.
Vielfach allerdings (und leider auch bei mir) dominiert hier der Wunsch zu blitzen den Wunsch, zusammen zu analysieren. Der schachlichen Kulturpflege und der eigenen Spielstärke hilft das aber nur bedingt weiter. Andererseits : Spielstärke ist nicht alles im Leben (Boris Becker), und ein bisschen daddeln hat auch noch niemandem geschadet.

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Schachspielen im Verein - anders als im Internet trifft man hier noch richtige Menschen!

i) Im Zug

Die Deutsche Bahn AG wäre eigentlich der optimale Sponsor für den Deutschen Schachbund. Reist man mit einem Zug zur Schachveranstaltung seines Vertrauens, kann man im Großraumwagen der Deutschen Bahn bei einem Kaffee noch Varianten auffrischen und sich die letzten zehn Prozent Turnierfitness holen, während die Lokomotive dem Reiseziel entgegenschnaubt.
Bei automobilen Selbstanreisern dagegen verfliegen diese wertvollen Vorbereitungsstunden beim Gedanken an Überholmanöver, Baustellen und drohende Staus. Der ADAC scheidet als Hauptsponsor für den DSB daher aus.

Die Vorzüge der Bahn-Anreise belegt auch ein flüchtiger Blick auf die Statistik. Weil Jugendspieler meist weder Auto und noch viel weniger einen Führerschein haben, reisen sie gerne ganz konservativ mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum nächsten Schachturnier.
Vielfach lernen sie so unterwegs im Zug noch die neuesten Varianten der französischen Abtauschvariante und gewinnen durch diese feine Form der Vorbereitung beständig DWZ-Punkte dazu. Nicht zuletzt deshalb (und wegen Spartak Grigorian) ist die niedersächsische Schachjugend im Norden so gefürchtet!
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So mancher Schachspieler hat über das Variantenstudium schon das Aussteigen vergessen.

Doch so schön und erfolgversprechend das Training im Zug auch ist – es birgt auch Risiken, die wir nicht verschweigen dürfen. Fährt man zum Beispiel von Norderstedt nach Berlin-Oberschöneweide, kommt der Zug manchmal entweder gar nicht oder deutlich zu spät. Oft auch führen Mitreisende ausdauernde Handytelefonate und am Vierertisch quietscht eine Schar Kinder über einem Spiel – dem erfolgreichen Variantenstudium mag dies alles eher abträglich sein.

Andererseits bieten sich d
em aufstrebenden Schachspieler dadurch exzellente Möglichkeiten der Abhärtung gegen hohe Lautstärkepegel im Turniersaal.

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Viele empfinden immer noch das Training im b) Bett am angenehmsten.

Jeder kann sich auf die Suche machen nach dem Schach-Geist von Malente und dem richtigen Ort zum Üben. Ausdauerndes Training mag sogar belohnt werden durch eine bessere Rating. Vor allem sollte Trainieren aber Spaß bringen – durch eine behagliche Atmosphäre, nette Menschen, und reizvolle Gedanken zum Schach.
Wenn dann die Rating immer noch nicht besser werden will, dann haben wir beim Üben zumindest Freude gehabt – und darauf kommt es doch eigentlich an im Leben.

PS: Nur am Rande angemerkt - auch ohne Schach ist es in Malente (und in Moskau) ganz schön!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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