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Das d6-Repertoire - Kompaktes Eröffnungswissen für Vereinsspieler

by Martin Rieger on02. November 2016

Derzeit wird der internationale Schachbuchmarkt geradezu überschwemmt von qualitativ hochwertigen Eröffnungswerken. Dort werden nicht selten auf über 600 Seiten pro Buch Spielempfehlungen gegen alle möglichen Systeme von renommierten Großmeistern abgegeben. Sogar mehrbändige Repertoireempfehlungen gegen eine einzelne Eröffnungsvariante wie z.B. Sizilianisch oder Französisch sind keine Seltenheit mehr, oft überschreiten diese 1000 Seiten und mehr!


Das kann man gut oder schlecht heißen, gut für Fernschachspieler, Profis und Kontrollsüchtige, schlecht für den stinknormalen Schächer, der eigentlich nur halbwegs vernünftig aus der Eröffnung kommen will und sich dabei regelmäßig überfordert und auch erschlagen fühlt. Meiner Meinung nach gilt es leider nur allzu oft entweder in das eine oder andere Extrem zu verfallen:

Entweder Eröffnungsbücher die mehr an die Encyclopædia Britannica oder auf der anderen Seite an schnell zusammengeschusterte Broschüren erinnern. Weder das eine noch das andere helfen dem normalen Hobby und Vereinsspieler wirklich effektiv. Was er wirklich bräuchte und was ihm auch wirklich helfen würde: Ein Buch, dass ihn nicht über- und auch nicht unterfordert. Ein Buch, dass ihm verständlich macht, warum er ausgerechnet diesen Stellungstyp anstreben soll und warum er in dieser einen verflixten Stellung gerne auch die schwarzfeldrigen Läufer tauschen kann obwohl das  uf den ersten Blick wie Selbstmord aussieht. Ein Buch, dass ihm keine falschen Hoffnungen macht und ihm auch klar macht: Es gibt nicht die perfekte Eröffnung, nur eine sehr gute und vernünftige Herangehensweise an diese Problematik. Ein Buch, das Erklärungen und Informationen bietet, die sich ein Mensch auch merken und umsetzen kann.

cover d6 front 250pxGM Jörg Hickl und IM Erik Zude haben zumindest für mich alle diese Punkte mustergültig in die Tat umgesetzt. Ihr neues Buch bietet auf ca.225 Seiten ein kleines aber feines Repertoire mit Schwarz auf Basis von 1...d6 an.

Nach den Zügen 1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 e5 bzw. 1.d4 d6 2.Sf3 Sf6 3.c4 Sbd7 4.Sc3 e5 werden die Antoshin bzw. Altindische Verteidigung analysiert und besprochen. Daneben gibt es aber natürlich auch noch Spielempfehlungen gegen Englisch und diverse Flankeneröffnungen. Dazu werden 49 sorgfältig ausgewählte Meisterpartien ausführlich kommentiert und analysiert. Was dabei sehr positiv auffällt:

Textkommentare bilden die klare Mehrheit und Analysen gibt es nur da, wo auch unbedingt erforderlich, ansonsten wird sehr Wert auf erklären/vermitteln/verstehen gelegt.

Sehr offen und ehrlich auch die Aussage, die hier behandelten Varianten mögen zwar qualitativ nicht so hochwertig wie die Mainstreamvarianten sein, dieser kleine Nachteil wird aber aufgewogen durch das bessere Verständnis der betreffenden Stellungen. Dazu gibt es im Buch mehr als ein paar sehr gute Beispiele, wo Weiß theoretisch aus der Eröffnung heraus leichten Vorteil besitzt, dieser aber a) sehr flüchtig ist und b) Schwarz aufgrund seines besseren Stellungsverständnisses dieser Eröffnung leicht ausgleicht.

Ein umfangreiches Variantenverzeichnis und eine ebenso große Bibliographie zeigen, dass beide Autoren ihre Hausaufgaben gewissenhaft gemacht haben. Ich habe die Varianten im Buch auch stichprobenweise mit Komodo 10 geprüft und mit bereits vorhandenen Publikationen und Analysen verglichen. Hier konnte ich nirgends eine Diskrepanz feststellen.

Was mir auch noch auffiel: Beide Autoren geben an vielen Stellungen ihre eigenen Einschätzungen ab obwohl sie selber zugeben, dass die Engine manchmal eine Stellung positiver oder negativer bewertet als sie selbst. Manchmal weiß der Mensch halt noch etwas besser, worum es in dieser oder jener Stellung wirklich geht. Sehr beeindruckend und zugleich auch ein Punkt, an dem ich ins Grübeln gekommen bin: sind wir nicht alle im Laufe der letzten Jahre immer mehr unkritisch zu Engine-Gläubigen geworden die vor Ehrfurcht vor einem +0,5 erstarren? Warum haben wir es erlaubt, dass durch die elektronischen Rechenmonster unser geliebtes Schach von einem phantasievollen Spiel das oft durch märchenhaft anmutende Manöver und Opfer durchdrungen war, zu einem kalten, berechenbaren Mathematikrätsel degradiert wurde?

Wir sollten die Dinge wieder zurechtrücken, so wie es sein sollte: Engines für eine schnelle kurze Fehlerüberprüfung, alles andere macht das Schach kaputt. Aber zurück zum Buch:

Da einzige, dass ich mir vielleicht noch für zukünftige Werke wünschen würde, wäre eine Zusammenfassung, sozusagen die goldenen Regeln die man beachten muss. Ansonsten kann ich das Buch wirklich nur jedem empfehlen der vernünftig aus der Eröffnung kommen will und nicht so viel Zeit und Energie in seine Vorbereitung stecken will/kann.

Martin Rieger

224 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-9817134-2-8, Erscheinungsdatum: Oktober 2016, Schachreisen-Verlag, Bezugsquelle: im Buchhandel oder portofrei (D) direkt beim Verlag unter www.schachreisen.eu

 

 

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