Danish dynamite

Jens Kristiansen Jens Kristiansen http://www.facebook.com/chessingreece

Und noch eine Weltmeisterschaft: Bei den Senioren hatte ich eher zufällig vorbeigeschaut - aber wenn ein "Bekannter" Weltmeister wird und das auch noch in grossem Stil ist es für mich Grund für einen Blogbeitrag. Bekannter ist etwas übertrieben: vor einigen Jahren hatte der dänische IM Jens Kristiansen (nicht verwechseln mit US-GM Larry Christiansen, der ist erst 2016 spielberechtigt) auf Chessvibes regelmässig kommentiert, und wir hatten auch einige öffentliche private Diskussionen. Da hat man das Gefühl jemand ein bisschen zu kennen auch wenn ich ihm nie persönlich begegnet bin.
Genau wie bei der Jugend-WM fehlten auch bei den Senioren die allerbesten oder bekanntesten Spieler, z.B. die komplette Elospitze des goldenen Jahrgangs 1951: Karpov, Timman, Waganjan, Andersson, Ribli, Torre und auch der drei Jahre ältere Robert Doc Hübner. Karpov hat ja vor kurzem gezeigt dass er jedenfalls im Schnellschach mit jüngeren Damen und Herren noch mehr als mithalten kann (ein Leser hatte vorgeschlagen das im Blog zu thematisieren, hiermit habe ich es zumindest erwähnt). Favorit war Kristiansen trotzdem nicht sondern an 9 gesetzt, vor und auch hinter ihm in der Startliste einige bekannte GMs wie Vaisser, Sveshnikov, Timoshenko, Balashov, Jansa, Suba und Cebalo.
Noch ein paar historische Fakten: Bei den Herren ist Smyslov der bisher einzige Doppelweltmeister (gleich beim ersten Turnier 1991), 2006 holte Korchnoi sich zumindest diesen WM-Titel [der verlinkte Beitrag von Stefan Löffler war zum Glück etwas voreilig - konnte er nicht wissen - aber 11 Runden Schweizer System sind für Korchnoi wohl inzwischen zu anstrengend]. Bei den Damen war Nona Gaprindashvili insgesamt siebenmal Weltmeister, fünfmal überhaupt und noch zweimal (1995 und 2009) bei den Seniorinnen. Ihre Landsfrau Tamar Khmiadashvili holte den Seniorinnentitel gleich viermal (1998, 1999, 2003 und 2010) - es hilft ein bisschen dass Frauen schon mit 50 offiziell alt sind, Herren erst mit 60. Dieses Jahr war Gaprindashvili immer noch an eins gesetzt, in einem etwas kuriosen Turnier (22 Teilnehmerinnen spielten 11 Runden Schweizer System) wurde sie am Ende siebte. Khmiadashvili war auch wieder dabei und wurde nach Wertung Zweite, gewonnen hat Strutinskaya (ob man sich die Namen alle merken muss überlasse ich den Lesern). Anfangs war das Turnier fast immer in irgendeinem deutschen Bad (Wörishofen, Wildbad, Liebenzell und Zwischenahn waren alle zweimal Ausrichter), später auch mal in der Grosstadt Halle und in angrenzenden Ländern wie Österreich, Schweiz, Italien, Polen und Kroatien, dieses Jahr erstmals im fernen Griechenland.

Die biographischen Angaben zu Jens Kristiansen von der Turnierseite ergänze ich noch etwas: Dort steht dass er dreimal dänischer Meister war und an vier Olympiaden teilgenommen hat. Sein letzter grosser internationaler Erfolg war der geteilte erste Platz 2006 beim Open Banyoles mit u.a. Korchnoi (der schon wieder), Hillarp Persson und Tiviakov. Ergänzen möchte ich: Er ist oder war Lehrer und hat diesen Beruf zeitweise in Grönland ausgeübt. In Khanty-Mansiysk hätte er wohl klimatischen Heimvorteil - da spielen momentan noch zwei Damen, die Senioren spielten wie gesagt in Griechenland, genauer gesagt in Kamena Vourla an der Küste irgendwo zwischen Athen und Thessaloniki. Kristiansen hat oder hatte seinen eigenen Schach-Blog (letzter Eintrag Mai 2009) - besonders empfehlen kann ich diesen Beitrag. Im nächsten Stück schreibt er dass er noch den GM-Titel anstrebt aber noch keine Norm erzielt hat (Stand 2008), jetzt ist er ja Grossmeister denn der Senioren-Weltmeister bekommt automatisch den GM-Titel. Neben grönländischen hat er offenbar auch dänische Jugendliche trainiert. Die letzten ca. zehn Jahre spielte er eher sporadisch, in letzter Zeit wieder öfter (Malta Open, Reykjavik Open, Politiken Cup) - vielleicht ist er pensioniert, jedenfalls wohnt er wieder in Dänemark.

Nun zum Turnier an sich: Kristiansen spielte leicht unkonventionelle Eröffnungen und danach mit jugendlichem Elan - schliesslich war er (Jahrgang 1952) einer der Jüngsten im Teilnehmerfeld. Diesmal verrate ich unten die Lösungen der Aufgaben da sie (soweit ich es beurteilen kann) vergleichsweise schwierig sind. Zum Vergleich: Kristiansen ärgster Konkurrent Sveshnikov erledigte seine Gegner kaum im Mattangriff, eher in langwierigen Endspielen - so kann man auch Punkte holen bekommt aber nicht unbedingt einen Blogbeitrag von mir ... .
Kristiansens Turnier begann verhalten mit einem Schwarzremis gegen den Deutschen Mihail Davydov (Elo 2034) - da hakte vielleicht der schwarze Pirc-Aufbau aber am Ende glaubte ihm der Gegner aufs Wort dass das schwarze Läuferpaar die geopferte oder verlorene Qualität voll kompensierte. Dann rollte er das Feld von hinten auf, zunächst zwei lockere Siege gegen nominell relativ schwache Gegner, in Runde 4 steigen wir ein mit der Schlusstellung gegen Boris Gutkin:
Kristiansen-Gutkin
Die Partie begann scheinbar verhalten mit 1.e4 c5 2.d3!? aber später wirbelte Kristiansen munter drauf los, und hier hatte Schwarz genug gesehen. Das Titelbild zeigt die Eröffnungsphase (eventuell auf der Turnierseite das Foto anklicken um es zu vergrössern), der zweite Zug war nicht die Einleitung zu Angsthasen-Schach ... .
In Runde 5 konnte Sveshnikov gegen Kristiansens Aljechin-Verteidigung nichts erreichen, remis nach 29 Zügen. Tags darauf besiegte Kristiansen den an 6 gesetzten IM Zhelnin - auch eine nette Angriffspartie aber ohne den einen präsentablen Moment. Ab hier war er mindestens geteilter Erster und ab sofort ist der Leser am Zug. Runde 7 gegen Balashov:
Balashov-Kristiansen
Das war Holländisch - die schwarze Batterie auf der c-Linie sieht zwar beeindruckend aus (der Lc8 nicht unbedingt) aber stiess zunächst ins Leere. Nach 27.Lh3? war alles anders, warum? Houdini hat zwei etwa gleichwertige Ideen, eine reicht natürlich.
Runde 8 mit Weiss gegen den Titelverteidiger GM Okhotnik. Schwarz spielte Skandinavisch, vielleicht keine gute Idee gegen einen Skandinavier, jedenfalls wurde seine Stellung zertrümmert und im folgenden Diagramm war der (laut Houdini) sechstbeste Zug gut genug - wir suchen aber den schnellsten und schönsten Gewinn:
Kristiansen-Okhotnik
In der nächsten Runde hatte er Schwarz gegen Elofavorit Vaisser und das einzige Mal im Turnier (abgesehen vielleicht von Runde 1) etwas Glück. Sein altindischer Aufbau ging etwas schief, was konnte/musste Weiss hier spielen, tat es aber nicht?
Vaisser-Kristiansen
Dann gegen Vlastimil Jansa, hier ist Weiss am Zug:
Kristiansen-Jansa
Laut Liveübertragung spielte Schwarz zuletzt 31.-Df6-b6 und gab auf ohne die Antwort abzuwarten - auch hier hat Houdini zwei fast gleichwertige Züge im Angebot.
Die Schlussrunde war ein bisschen Anti-Klimax: die Partien Cebalo(7) - Kristiansen(8.5) und Sveshnikov(8) - Balashov(7) waren zwar ausgekämpft aber endeten ohne allzu grosse Höhepunkte remis.

Nun die Lösungen:

Diagramm 2 Balashov-Kristiansen: 27.Lh3 hat die zweite Reihe entblösst, daher geht 27.-Sb1. Es folgte 28.De1 Txc1 29.Sxc1 Tc2+ 30.Se2 Sxa3 usw. - Schwarz frass noch die Bauern auf e5 und b4 und dann hatte Weiss genug. Bei längerem Nachdenken bevorzugt Houdini 27.-Se4

Diagramm 3 Kristiansen-Okhotnik: Hier ging 29.Dg4+ (29.-Kh7 30.Td8 oder 29.-Kf8 Dg7+), Weiss spielte stattdessen eher prosaisch 29.Td3 Te6 30.Dg4+ Kf8 31.Db4+ Ke8 32.Sd6+ Txd6 33.Dxd6 Dxd6 34.Txd6 Ke7 35.Txb6
Kristiansen-Okhotnik2

Diagramm 4 Vaisser-Kristiansen: Hier geschah 30.h4 Dh5 31.Tc6 Txe4 usw. und das wurde remis. Besser war 30.Sd7 mit der Idee 30.-Lxd7 31.Txg6+ Röntgenblick, oder auf fast alle Züge des Tb8 31.h4 - nun kommt auf 31.-Dh5 32.Sf6+, und auf andere Damenzüge 32.Txg6+

Diagramm 5 Kristiansen-Jansa: 31.Th5 oder auch 31.Te6

Von den insgesamt 18 deutschen Teilnehmern erwähne ich nur Hans Dekan, als Eppinger Mannschaftsführer zuletzt (was ihn selbst betrifft sicher unschuldig) anderweitig in den Schlagzeilen. Er holte remisfreie 6/11 - nach anfangs zwei Weissiegen hatte er hintereinander Schwarz gegen die Koryphäen Zhelnin und Jansa und danach 50%. Insgesamt lag das fehlende Remis vielleicht auch am Auf und Ab im Schweizer System: mit zwei Ausnahmen gewann er immer gegen schwächere Gegner und verlor gegen Stärkere.

 

Kommentare   

#1 Gerhard 2012-11-28 09:30
Sehr umfangreicher Artikel!
Danke!
Da so umfangreich, schwebte ich quasi über den teppichhaft ausgebreiteten Text, sties dankenswerterweise auch auf Karpov, Endspiele und Aljechin.
Zur Aljechinverteidigung, lieber Thomas: Das ist keine Eröffnung, in der es vornehmlich um den wirbelnden Einsatz der Springer ankommt. Sicher wird der Königsspringer oft nach b6, dem gemeinhin schlechtesten Feld des Schachbretts für einen Springer, getrieben, aber hier hat er ab und an doch einen ordentlichen - und nicht sinnentleerten - Platz.


Zum Diagramm 4: Dieser Zug 30.Sd7 ist wirklich satt.

Insgesamt: Ein Hoch auf Thomas für seinen Fleiß und die schönen Beispiele der Schachkunst.

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