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Bewegte Bilder: Schach bei ... Eurosport!

Jetzt geht's ab Jetzt geht's ab

Zu Silvester noch ein kleines Highlight in einem an Hochlichtern schon nicht gerade knappen Jahr 2019: Baden-Baden wird Rekordmeister, Big Vlad Kramnik tritt zurück, mühsame DSB-Querelen sowie aufregende Monatsblitzturniere in Bremen. Und SF Magnus Carlsen ist seit gestern Dominator aller Klassen und Weltmeister sowohl im klassischen Schach, im Schnellschach und nunmehr auch im Blitz. Was für ein Rekord! Da kann ich mal wieder nicht mithalten - zwar bin ich amtierender Vereinsmeister der Werder Bremen Schachabteilung, doch schon beim Blitzen hier im Bremer Raum lässt David Höffer mir in der Regel keine Schnitte. Und im Schnellschach ... bin ich auch längst nicht so gut wie Carlsen - ich gebe es zu und stehe dazu.


Tie-Break bei der Blitz-WM - the boring London System does it again, oh my God.

Auch die Kandidaten haben sich nunmehr in Stellung gebracht. Alsbald werden sich im russischen Jekatarinenburg (wer findet es auf der Karte!?) acht hoffnungsvolle Talente versammeln, um abermals einen Herausforderer für Dreifach-Weltmeister Carlsen zu bestimmen. Leider nicht dabei ist MVL Maxim Vachier-Lagrave, der sowohl bei den Kriterien World-Cup, ELO-Durchschnitt als auch FIDE-Grand-Prix just immer einen Rang zu tief lag für die direkte Qualifikation. Wir sagen - quel dommage, sehr schade, und dürften wir als Schachwelt-Redaktion einmalig die Wildcard für die Kandidaten vergeben, sicher wäre es eine für MVL, denn er hat es einfach verdient. Um es noch einmal zu sagen: SCHADE. Beim nächsten Mal dann aber, Maxime!

In aller Munde und stets angemessen in der Öffentlichkeit präsent ist Schach noch immer nicht. Doch wer weiß, es gibt so ein Gefühl, dass sich das ändern könnte. Ist Schach langsam, gaaanz langsam auf dem Weg zum Trendsport? Und woran könnte man das festmachen?

Dagegen spräche, dass bei sporadischen Umfragen an einer Bremer Berufsschule meines Vertrauens die allermeisten Schülerinnen und Schüler eher noch nie etwas beispielsweise von WM Carlsen gehört haben. Einige erinnern sich indes, dass der Weltmeister ein Schwede ist oder so - und das ist ja schon ganz gut.
Und vielleicht ist das ja auch gar kein Kriterium - ich selber müsste beispielsweise auch passen, wenn man mich fragte, wie die amtierende Weltmeisterin im Stabhochsprung heißt. Dennoch finde ich Stabhochsprung interessant, ebenso wie Tennis oder auch Drachenbootfahren.

magnus carlsen
 Und wie heißt jetzt der Weltmeister? 

Für Schach als Trendsport spricht unter anderem, dass die Schar der Schachspieler im Internet mutmaßlich wächst und wächst. Zwar sind nicht alle in Vereinen organisiert, doch what shall's - Spielen und Dabeisein, das ist die Hauptsache. Es wäre doch toll, wenn wir eine Art Schachkultur hätten wie in Russland (Taxifahrer helfen bei der Analyse) oder Armenien (Grundschulfach Schach). Andererseits, und um mal ganz ehrlich zu sein - viel mag im Internet gespielt werden, aber in Kneipen, auf Straßen, in Parks, dort sieht man Schach hierzulande eher noch nicht.

Lagerhaus
 Schachsport - mal außerhalb der Vereinsräume

Schach im Grünen
 Figurenbeobachtung in der freien Wildbahn

Schach in der Zeitung, Schach im Radio? Solide, solide, was man so hört, und durchaus gerne nehmen Zeitungen in den lokalen Sportteilen auch Schachberichte auf. Mitunter senden sie ihr eigenes Reporterteam samt Fotografen - das gab es früher doch eher nicht? Dennoch haben die Schachberichte selbst aus den hohen Ligen stets dagegen anzukämpfen, von allerlei anderen Reportagen und - Tabellen! zum Bezirksliga-Fußball und Kreisliga-Tischtennis im Sportteil verdrängt zu werden. Und dennoch, vielleicht tut sich langsam etwas, und Bereitschaft und auch Interesse der Redaktionen als auch der Leserschaften ... werden größer?

Schach im Netz ist natürlich breit repräsentiert. Es ist eine Freude zu sehen, wie intensiv und umfangreich auf Chessbase.de zum Tagesgeschehen, zu Büchern und Schachkultur reportiert wird. Auch der Schachticker (Grüße an Franz Jittenmeier und unseren lieben Kollegen Thomas Richter!), die beeindruckend aufbereiteten Seiten der Bodenseeperlenfischer (Grüße an die Südküste!),  die Bundesliga-Seite und immer wieder/ mitunter auch die DSB-Homepage bieten Lesestoff, Lesestoff, Lesestoff. Wann nur soll man das alles lesen?

Elf Freunde
   Beliebte Motivgebung: Schach und Fußball. Van Gaals Stellung sieht jedoch etwas wüst aus.

Bleibt ... das Fernsehen! Abgesehen von Interviews im Frühstücksfernsehen anlässlich der Schach-WM sind schwarz-weiße Sportfiguren hier noch eher rar gesät. Erfreulich allein, wenn in Fernsehfilmen das Schachbrett mal richtig aufgebaut wurde, mit dem weißen Feld unten rechts in der Ecke, und die Figuren auf den richtigen Plätzen.

Allein, Schachsport im Fernsehen - wer schaut schon gerne anderen beim Schachspielen zu? In Norwegen mag das anders sein, auch in der Online-Schachgemeinde selbst gibt es viele aufregende Formate, bei denen mal stundenlang den Turnierrunden folgen kann (Isle of Man!), mit Live-Videos direkt vom Brett und klasse Kommentatorenteams. Das hiesige Fernsehen ist da, anders als seine norwegischen Bruderkanäle, noch nicht ganz so weit - das war aber auch nicht so schnell zu erwarten gewesen. Und hey, wir spielen Schach ja, weil es Spaß macht - nicht, weil es im Fernsehen gezeigt wird.

the world is watching
   Schach im Netz - ständig gibt es was zu gucken

Und dennoch, so spektakulär wie es nur sein kann, hat nun EUROSPORT in Verbindung mit WORLD CHESS ein Format entwickelt, bei dem von den FIDE Grand Prix Turnieren ein etwa 45-minütiger Bericht gezeigt wird. Ein Schachfreund erzählte davon beim Vereinsabend, dass er beim Herumzappen plötzlich Bretter, Figuren und bekannte Großmeister sah, und das nicht nur für eine kurze Minute, sondern für länger und länger an einem Montagabend im November. Im richtigen Fernsehen! Und deshalb nun ein ...

Trommelwirbel für:


   Der FIDE Grand Prix 2019 in Riga - Eurosport war zu Gast!

Und was sagen wir dazu? WOW, sagen wir, denn selten sahen wir eine so intensive und hochprofessionelle Darbietung des Schachs in laufenden Bildern. Man sieht die Großmeister am Brett, Dubov, Nakamura, hört die Geschichte ihres K.O. Matches und spürt die Dramatik des Ausscheidens in Achtel- und Viertelfinale. Spieler werden interviewt, es wandern die Figuren in close-ups über das Brett, und die Spieler sind da, in Großaufnahme, mal voller Hoffnung, mal kurz vor der Aufgabe.

Ist das ein Märchen? Wie kann es sein, dass plötzlich so eine steile Show im Fernsehen gezeigt wird? Eurosport, wie rasant! DA hat World Chess nach einigen phasenweise doch eher unrund vorgetragenen Turnier-Ausrichtungen mal ein veritables Highlight geschaffen. Danke dafür an World Chess und Eurosport - uns stockt der Atem. Gerne, gerne mehr davon, liebe Leute!

*****

Für 2019 machen wir unsere Redaktionsstube nun dicht, melden uns aber in Kürze wieder - Ihr kennt das ja. Der erste Werder Monatsblitz des neuen Jahrzehnts steht ja zum Beispiel an! Und auch das Kandidatenturnier.

Vorher aber, im alten Jahr, gibt es Berliner, Berliner, Berliner, und wir wünschen Euch einen guten Rrrrrutsch ins neue Jahr 2020!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Thomas Richter 2020-01-01 13:00
Ein schwedischer Weltmeister? Gemeint ist wohl Jan Gustafsson - ich wusste nicht, dass er sich so stark verbessert hat, seit er im letzten Jahrtausend gelegentlich aus Göteborg (oder etwa Hamburg?) zum Kieler Monatsblitz anreiste. In den Niederlanden hatte ein Arbeitskollege mehr Ahnung vom Schach: Er wusste, dass der Weltmeister immer ein Russe ist (jedenfalls im letzten Jahrtausend und dann noch ein paar Jahre).
Hier in München kennen alle Bayern München, obwohl die nicht immer Bundesliga spielen - aber auch in anderen Jahren nette Turniere ausrichten. Ist in Bremen vielleicht ähnlich (und dabei leicht anders).
Tennis wurde in Deutschland durch Boris Becker und Steffi Graf populär, im Schach muss also Vincent Keymer Weltmeister werden - ist doch ein guter Vorsatz für das neue Jahrzehnt, und wenn nicht dann eben nicht.
#2 Olaf Steffens 2020-01-02 11:55
Hier ist noch ein Weltmeister, den nun aber möglicherweise mehr Leute kennen werden als Carlsen (?). Es ist eine schöne Geschichte von Snakebite!, und von unserem Brudersport Darts.

"Darts jedoch verwandelt sich nach der Gründung der Professional Darts Corporation (PDC) Anfang der Nullerjahre durch geschicktes, telegenes Management vom Rand- zum hoch dotierten Profisport."

https://www.zeit.de/sport/2020-01/peter-wright-darts-wm-weltmeister

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