Bad Harzburg knipst das Handy aus

Jede weite Reise beginnt mit einem kleinen Schritt Jede weite Reise beginnt mit einem kleinen Schritt OSt

Gestern begann das Bad Harzburger Open, und wie schon in den allermeisten Vorjahren kamen circa 150 Schachsportler aus nah (Bad Harzburg) und fern (Bremen, Russland) in den Nordharz, um an insgesamt fünf Tagen die stattliche Anzahl von acht Turnierpartien zu bewältigen.

Allerdings staunten sie nicht schlecht, als der Schiedsrichter Wolfgang Block gleich zur Eröffnung nicht nur auf die 30-minütige Karenzzeit hinwies, sondern auch – und Achtung! – auf das totale Verbot, Handys, Smartphones und andere elektronische Schach-Hilfsmittel im Turnierbereich bei sich zu führen. Das war beeindruckend - Bad Harzburg setzt damit Maßstäbe im globalen Turnierschach und wagt in Anwesenheit von DSB-Vizepräsident Michael Langer diese ziemlich radikale Innovation. (Oder kam vielleicht sogar die Initiative vom DSB?) So oder so - Glückwunsch zu einer sehr strikten und sehr klaren Regel!

windbeutel

Was mag das sein? Eine Harzer Spezialität!

Viel Zeit für touristische Umtriebe bleibt an den fünf Turniertagen nicht, außer man spielt im Seniorenturnier, in dem Doppelrunden fast völlig vermieden werden (sechs Runden an fünf Tagen). Wer aber Zeit hat, findet in der Nähe aparte Wanderwege, einen Stausee, viel Wald, zahlreiche Bergwerksmuseen, ein Luchsgehege und überall Cafés, in denen es riesengroße Windbeutel zu essen gibt – eine Harzer Spezialität, ohne Zweifel!
(Auch beim Open ist ein besonderer Pluspunkt das wunderbare Buffet, wo man mittags warm und nachmittags Kaffee und Kuchen zu fairen Preisen bekommen kann. Gäbe es Ilya Schneiders beliebte Stiftung Turniertest noch – das Harzburger Open müsste weit vorne landen!) -

bndheimer schloss

Hier wird gespielt - in der guten Stube der Stadt

Das Turnier im Bündheimer Schloss begann mit der traditionellen Auftaktrunde „Hohe DWZ“ gegen „Nicht ganz so hohe DWZ“. Wahrscheinlich haben viele aus der erstgenannten Gruppe den vollen Punkt nach Hause tragen können. Ich hätte das auch gerne getan, wurde aber (einmal mehr) zusammen gelost mit einem blutjungen Vertreter der Niedersächsischen Schachjugend – und was das bedeutet, werden die erfahrenen LeserInnen dieses Blogs schon erahnen.
Der ungefähr zehnjährige Daniel Alejandro Phunhon Lopez (von Hannover 96, DWZ/ELO um die 1700) spielte gegen mich in dieser ersten Runde ähnlich stark wie der junge Anatoly Karpov. Er machte lange Zeit keine Fehler, baute seine Figuren ordnungsgemäß gegen meinen Hippo-Aufbau auf und profierte schon bald davon, dass ich einen wohlmeinenden, aber zu frühen Versuch machte, die Stellung zu öffnen. Beide Seiten fummelten von da an ein wenig herum, und erst nach ein paar Ungenauigkeiten meines jungen Gegners meinte ich einen leichten Vorteil zu spüren:

phunhon-steffens

Wusel, wusel - Phunhon - Steffens, nach dem 31...Tf8xf3

Im Gegensatz zu Alejandro, der noch ungefähr zehn Minuten übrig hatte, war ich an dieser Stelle leider schon in schwerer Zeitnot - meine Uhr zeigte eine Minute an, hinzu kam zum Glück aber immer noch der Aufschlag von 30 Sekunden pro Zug. Alejandro, ein Kind des neuen Jahrtausends, spielte 32.Te1-e2, was ein sehr plausibler Zug ist und übrigens auch meinen Turm a2 angreift. Weil ich nur mit 32.Te1-f1 gerechnet hatte, sah ich das leider so schnell nicht und verbaselte kurzentschlossen einen ganzen Turm (!) mit dem originellen 32....Tf3-c3 !?
Es folgte 33.Dc4xa2, was ich mit dem optisch ansprechenden, aber leider völlig ungefährlichen Da5xb5 beantwortete:

phunhon-steffens1

Wenn man schon so weit gereist ist, kann man auch ohne Turm noch ein bisschen weiterkämpfen

Nach 34.Td7-d1 schnappte ich mir auf h3 einen Bauern, mit vagen Ideen auf den weißen Feldern 34...Tc3xh3.

phunhon-steffens2

Ich drückte schnell die Uhr, sah auf die Anzeige und merkte, dass ich noch neun Sekunden übrig hatte. Was war mit meinen dreißig Sekunden Zeitaufschlag? Schiri Wolfgang Block stand gerade in der Nähe, und ich machte ihn darauf aufmerksam, dass die Uhr den Aufschlag nicht dazugerechnet hätte: „Die Uhr zählt nicht hoch!“ Der Schiedsrichter, ganz neutrale Vertrauensperson, entgegnete nur kurz: "Es gibt keinen Zeit-Zuschlag.“
So ist der Modus in Bad Harzburg, und tja - da hätte ich mich mal vorher über die Bedenkzeitregelung informieren sollen! Gespielt wurden tatsächlich 40 Züge in den mittlerweile handelsüblichen 90 Minuten - allerdings ohne jeglichen Zuschlag. Und so blieben mir plötzlich noch 9 fette Sekunden für gerade mal 6 Züge in komplizierter Stellung mit Minusturm.

Ähnlich wie Falko Bindrich hätte ich mich nun auch beschweren können, dass mir niemand etwas gesagt hatte über die geltenden Bedenkzeiten (bzw. Handy-Regelungen für die Toilette, im Falle von Falko). Aber Falko und ich sind Profis, und so sagte ich nichts, amüsierte mich über die kuriose Wendung und versuchte, die noch ausstehenden sechs Züge bis zur Zeitkontrolle in den neun Sekunden zu schaffen….

Und tatsächlich gelang das – es wurde im 49.Zug noch Remis durch Dauerschach!

phunhon-steffens3
Hier geht Dh5+, und der weiße König kann sich nicht mehr sinnvoll verstecken

Goldene Regeln fürs Turnierschach:

1) Handys aus,  und auch nicht mit herumtragen (in Bad Harzburg!),

2) Über die Bedenkzeit informieren (vor der Partie)

3) Ab und zu mal zum Kuchenbuffet gehen

4) Vorsicht vor Daniel Alejandro Phunhon Lopez!

Es sollte klar sein, dass alle vier Regeln wichtig sind. (Besonders wichtig ist aber unbedingt auch Regel Nr.3!)

Heute wird das Turnier um zehn Uhr mit der zweiten Runde  fortgesetzt . Oder doch schon um neun Uhr? Ich schaue lieber noch einmal nach ...

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Thomas Richter 2012-10-31 09:18
Ich weiss zwar nicht ob die Spieler vor Ort nochmal ausdrücklich informiert wurden, aber laut "Bulletin 0" gilt auch in Bad Wiessee Handyverbot:

"Das Mitbringen von Mobiltelefonen oder anderen elektronischen Kommunikationsmitteln, die nicht vom Schiedsrichter genehmigt wurden, in das Turnierareal ist streng verboten. Falls das Mobiltelefon eines Spielers während der Partie im Turnierareal ein Geräusch von sich gibt, hat der Spieler die Partie verloren. Dasselbe gilt, wenn ein Spieler ein Telefon ohne Genehmigung des Schiedsrichters benutzt."

Wobei - hier wie dort - unklar ist
a) wie die Veranstalter das kontrollieren
b) was die Strafe für das unerlaubte Mitbringen eines (ausgeschalteten) Handys ist, vielleicht Bauern- statt Partieverlust? :-)
#2 Malte Meyer 2012-10-31 22:51
Regel Nr. 5) Deine Bücher über den Hippo-Aufbau über Bord werfen :-)
Sehr nette Geschichte bei einem sehr netten Turnier!
#3 Josef1901 2012-11-01 09:16
Regel Nr. 3 ist die beste :-)
#4 Holger Hebbinghaus 2012-11-02 15:35
Regel 6: Überprüfen, ob die Partien korrekt erfasst sind, damit einen nicht alle Welt für einen Patt-zer hält. :cry:
#5 Frank Hoppe 2012-11-08 12:25
Mir gefällt Regel Nummer 3 auch sehr gut. Ich müßte auch mal wieder so einen "Haufen" essen, obwohl ich mir das gar nicht (gewichtsmäßig) leisten kann.
Und die Katze ist auch zuckersüß!

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