Deutscher Schachbund
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Nicht lange musste man auf Informationen zum Treffen zwischen Nationalmannschaft und DSB am letzten Montag warten. Zwar wurde Stillschweigen vereinbart, doch bereits der Dienstagausgabe der FAZ waren erste Hinweise auf einen ruppigen Verlauf zu entnehmen.

"Der Streit zwischen dem Deutschen Schachbund (DSB) und seinen Spitzenspielern ist am Montag abermals eskaliert. Das DSB-Präsidium hatte während einer Sitzung in Frankfurt den Rauswurf des stärksten deutschen Schachspielers, Arkadij Naiditsch, aus der Nationalmannschaft bereits beschlossen, verlautete aus Schachkreisen. Nach einer Runde mit den Spitzenspielern - außer Naiditsch waren Jan Gustafsson, Daniel Fridman und Georg Meier anwesend - sei dieser Beschluss aber wieder auf Eis gelegt worden. Anlass für den Ärger war ein aktuelles Interview, in dem Naiditsch sowohl Schachbundestrainer Uwe Bönsch als auch den für Finanzen zuständigen DSB-Vizepräsidenten Michael Langer scharf kritisiert hatte."
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.03.2011, Nr. 50, S. 30).
Chessbase geht noch etwas detaillierter Auf den Zeitungsartikel ein.

Soeben ging die offizielle Pressemeldung auf der Website des DSB online. Und nicht überraschend kam mir der Gedanke an das Hornberger Schießen: Der Schachbund legt etwas bei der Turnierunterstützung drauf, eine Honorarerhöhung soll von externen Sponsoren getragen werden. Anscheinend stehen diese nun Schlange. Gleich mit drei unterschiedlichen Kandidaten will man verhandeln. Andere Forderungen der Spieler, wie z. B. die Entlassung des Bundestrainers, fanden wohl weniger Anklang. Vieles deutet nun auf eine autarke Nationalmannschaft leicht außerhalb des Schachbundes mit separatem Geldgeber hin. Womöglich hat die schlechte Presse des letzten Jahres doch einiges Positives bewirkt.

Mit Präsidium und Bundestrainer gegen Spieler wurde in großer Runde verhandelt. Und anscheinend ist es nur der ausgezeichneten Leistung des Mediators Sven Noppes zu verdanken, dass man nicht im Streit auseinanderging. Wie bei harten Tarifverhandlungen (auch hier folgte dem Streik die Aussperrung) üblich, wurde nun aber erstmal vertagt. Anfang Juli, also erst in vier Monaten, soll es weitergehen. Für Spannung ist gesorgt.

Verpasste Geschenke
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Freitag, 04 Februar 2011 01:05

Verpasste Geschenke

Was schenkt man jemand, der so gut wie alles hat oder zumindest haben kann? Peter Davies´ Bruder wusste um dessen Faible für Schach und entschied sich, ihm einen Schachlehrer zu besorgen. Das ungewöhnliche Geburtstagsgeschenk hat sich als Glücksfall für das Schach erwiesen. Und unser Glück könnte noch größer sein, stünde ihm nicht einmal mehr die FIDE im Weg, aber dazu gleich mehr.

Zunächst zu Peter Davies. Er ist Hedge-Fond-Manager, einer der erfolgreichsten in London. Er hatte schon einige Schachlehrer verschlissen. Mit Malcolm Pein verstand er sich auf Anhieb. Vielleicht weil Pein in seinem Metier selbst zu den Erfolgreichsten gehört. Sein Schachladen ist samt Versandgeschäft und Ableger in den USA der umsatzstärkste der Welt. Pein gibt eine Monatszeitschrift (Chess) heraus, verlegt Schachbücher (Everyman Chess), schreibt eine tägliche Schachkolumne (Telegraph),  gibt Privatstunden und organisiert Schachevents.

Ein halbes Jahr nach ihrer ersten Schachstunde reiste Davies mit seinem Schachlehrer nach Bonn. Er hatte Lust bekommen, einen WM-Kampf zu sehen. Anand, Kramnik und die ganze Inszenierung beeindruckten ihn, und er bohrte: Wann holen wir die WM nach London? Pein schlug vor, eine Spur kleiner zu beginnen und erst einmal ein Turnier auszurichten. So wurde auf einem Abstecher an den Rhein der Grundstein zum London Chess Classic gelegt.

Dieses nun schon zweimal in der Vorweihnachtszeit ausgerichtete Turnier hat neue Maßstäbe in Sachen Publikumsfreundlichkeit gesetzt. Nicht nur wer die tadellose Inszenierung im Kensington Olympia verfolgt hat, sondern auch Zehntausende, die nur online dabei waren, wurden überzeugt: Malcom Pein und sein Team sind derzeit die besten möglichen WM-Veranstalter. 

Im Juli vorigen Jahres hat Pein der FIDE ein Angebot vorlegt. Das Preisgeld sollte ähnlich hoch liegen wie vor zwei Jahren in Sofia (damals zwei Millionen Euro für die Spieler, 400 000 für die FIDE). Die geplante Inszenierung und der mögliche Werbeeffekt für Schach waren absehbar vielfach besser. Pein hat auch die von der FIDE als Voraussetzung für Verhandlungen verlangten 50 000 Euro eingezahlt. Weltmeister Anand unterstützte die Bewerbung. Selbst als Carlsen das Kandidatenturnier absagte, blieb London am Ball. Alles passte. Nur den FIDE-Unterhändlern passte etwas nicht.

Bis Ende Jänner brauchte Pein Klarheit. Die Option auf den geplanten, repräsentativen Spielort lief ab. Je kürzer die verbleibende Zeit bis zur ím Mai 2012, also drei Monate vor den Sommerspielen geplante Ausrichtung umso teurer und fehleranfälliger würde es. Die FIDE hat die von London gestellte Frist verstreichen lassen. Man kann nur (und besser privat als öffentlich in einem Blog) spekulieren, was die Unterhändler der FIDE noch von Pein erwartet haben. Er tat einfach, was er ihnen ankündigte und zog, wie er heute bekannt machtedie Bewerbung zurück.

Die WM in London wäre ein Geschenk für die Schachwelt gewesen. Die FIDE-Unterhändler haben entschieden, dass wir ein Geschenk nicht verdienen. Wir nicht... 

Betrugserkennung Wurznpraxis
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Donnerstag, 03 Februar 2011 11:59

Betrugserkennung Wurznpraxis

Ursprünglich wollte ich versuchen die Probleme der Betrugserkennung mit statistischen Methoden anhand eigener Partien ein wenig zu erklären. Allerdings wurde mir schnell klar, dass dies eine sehr sadistische Methode ist Zeit und Energie zu verschwenden. Es fehlt mir neben schachlichem Können auch die Fähigkeit derart komplexe Zusammenhänge allgemein verständlich zu formulieren.

Der Nachweis, dass beispielsweise ein Zug in einer Partie garantiert geschummelt ist, ist natürlich unmöglich: jeder reguläre Zug darf gespielt werden – auch wenn man nicht weiß, dass dieser Zug äußerst stark ist bzw. warum. Welche sonstigen Probleme sich ergeben, versuche ich anhand der folgenden Turnierpartie nur anzureißen – wie schon gesagt eine wirklich tiefgreifende Beschäftigung ist das nicht – aber die wenige Vorarbeit, die ich gemacht habe, möchte ich Ihnen doch nicht vorenthalten.

Tauchen Sie ein in die Variantenküche einer Krennwurzn und lassen Sie den Gedanken eines möglichen Betrügers und seines Jägers freien Lauf:

NN (1700) - Krennwurzn (1800)

pos0

 

30...Lh6! auf diese Idee kommt der Computer gar nicht - es gibt andere bessere Alternativen - ein idealer Zug, um die Betrugserkennungssoftware zu irritieren.

 

[30...Sd4 sieht der Computer als stärksten Zug - ein "intelligenter" Betrüger sollte diesen Zug wohl meiden - Computerhauptvarianten sollte man nur dann spielen, wenn sie "forciert" sind – vor allem „stille Züge“ sollte man meiden. 31.La1 (31.Lxd4 exd4 32.Tee1 Le5 mit solidem unauffälligem Vorteil) 31...Se2 32.c5 dxc5 33.bxc5 Lh6 (Pos1)

pos1

 

ist die Computerhauptvariante - obwohl jetzt kommt mir diese auch sehr logisch und klar vor - am Brett war das absolut nicht der Fall.] 31.Lxf3? diesen Zug habe ich erwartet, obwohl er schlecht ist.

[31.Tee1 Weiß steht weiterhin schlecht - 31.Txf3 dieser Zug erfordert die meiste Rechenarbeit 31...Tf7!! (Pos2)

pos2 

 

ein typischer Computerzug - solche stillen Züge sollte man als Betrüger meiden. Mir fiel das aus zweierlei Gründen leicht: ich hatte keine Rechnerhilfe und diesen Zug erst gar nicht gesehen!

(31...Lxd2 32.Txf8+ Txf8 33.Dxd2 Le2 Vorteil Schwarz ( Pos 3)

pos3 

 

war meine erste Vorausberechnung und die Stellung war mir wie üblich nicht wirklich klar.

 

31...Tg8–+ ( Pos 4) 32.Tf5 Lxd1) ]

pos4

 

so hätte ich das Problem gelöst und nicht mit Tf7 - das ist viel menschlicher: die Fesselung bleibt aufrecht und die Türme verbunden. Allerdings hatte ich diese Idee erst nachdem mir die Lxd2 Variante nicht mehr klar erschien - aber das ist bei mir immer so - ich sehe mehr Probleme als vorhanden und vorhandene Probleme oft gar nicht.

31...Txf3!! (Pos 5)

pos5

 

einfach zu finden, da Lxf3 nicht funktioniert - das hatte ich bei Lh6 schon gesehen. [31...Lxf3?? 32.Txf3 und Weiß hat Vorteil]

32.Sxf3 (Pos 6)

pos6

 

[32.Txf3 funktioniert nicht - fast jeder Zug widerlegt ihn - unproblematisch für Mensch und Betrüger 32...Sg5 (32...Lxd2 33.Tf5 Lxd1) ]

32...Lxe3 die Gier ist menschlich - aber auch der Computer hängt am Material [32...Sg5 erscheint mir im Nachhinein einfacher und so sollte wohl ein intelligenter Betrüger spielen.] 33.Sxe5 ein netter Schwindelversuch [33.fxe3 Sg5! (Pos 7)

pos7

 

die Aufrechterhaltung einer Fesselung sollte unverdächtig sein. (33...Tf8 die Gewinnalternative ist sehr schwierig und sollte von Betrügern gemieden werden. 34.Sxe5 dxe5 35.Lxe5+ Kg8 36.Txf8+ Sxf8 37.Da1 Ld1 38.Lh8 De2+ 39.Kxh3 Df1+ 40.Kh2 Se6 41.Df6) ] 33...Lxd1 die Dame nehmen kann nicht falsch sein und verdächtig auch nicht! [33...dxe5 ist auch möglich] 34.Sg4+ [34.Sd7+ Ld4; 34.Sf7+ Kg8 35.f3; 34.Sg6+ Kg8] 34...Ld4 nun ist auch auf Wurzenniveau alles geklärt und auch die Betrugserkennungssoftware gönnt sich in solchen Stellungen wohl ein Mittagsschläfchen! 0–1

Partie als PGN

Ja, das ist alles sehr kompliziert und obwohl man keine Angst haben sollte als Betrüger überführt zu werden, wenn man einmal eine tolle Partie (Kombination) spielt, so ist es genauso möglich die Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) einer solchen für jeden Spieler zu ermitteln, wenn man genügend Referenzpartien hat. Wie die Software auf Betrüger reagiert, die über hervorragendes Schachverständnis und auch Einblick in die Funktionsweise statistischer Überwachung haben – darüber kann man nur spekulieren.

Mir fällt dazu nur mehr ein: „Gute Mädchen kommen in den Himmel und böse kommen überall hin!“

 


 

Artikelserie:

  1. Betrugserkennung
  2. Betrugserkennung Wurznpraxis
  3. Betrugserkennung ökomomischer Blick
  4. Betrugserkennung Mythbusting
  5. Nutzen der Betrugserkennung
Robert Hübner: Konzentration pur
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Vor einigen Wochen stellte Marc Lang einen Europarekord im Blindsimultanschach auf. Nach knapp 24(!) Stunden waren  25,5 von 35 Punkten erreicht. Angeregt durch die Resonanz zu dieser Veranstaltung bewegte ich Robert Hübner zu einem Blindsimultan an 6 Brettern ablässlich der 1. Schachwoche Sonnenalp. Der Kölner Großmeister, Deutschlands bedeutendster Schachspieler des 20. Jahrhunderts, beeindruckte zuvor durch großartige Ergebnisse im Blindschach. So bezwang er 1997 eine Auswahl der Kölner Schachfreunde mit 5,5:0,5 und zwei Jahre später die erste Mannschaft des Zweitbundesligisten SF Kreuzberg, die einen Eloschnitt von 2300 aufwies, mit 5,5 zu 2,5.

gruppe2

Der Eloschnitt derTeilnehmer war mit knapp 1600 deutlich niedriger. Doch trotzdem nahm Hübner seine Aufgabe keineswegs leicht. Ihm bei der Arbeit zuzuschauen, war ein besonderes Erlebnis. Er wirkte nicht schwächer als am Brett. Die gewaltige geistige Präsenz war zu jeder Zeit spürbar und manifestierte sich in einem 6:0 nach knapp dreieinhalb Stunden Spielzeit. Eine Leistung, die seiner Meinung nach trainierbar ist, ich mir aber in dieser Form nicht unbedingt zutraue....

Marienbad (wikipedia commons)
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…habe ich heute anlässlich eines GM-Turniers in Tschechischen Marienbad gespielt. 
Sie umfasste nur drei Züge, dabei hatte ich mir eigentlich fest vorgenommen, auf Gewinn zu spielen. Auf jeden Fall zu spielen, denn deswegen bin ich ja hier. Dachte ich. Doch der Traum von der GM-Norm ist längst ausgeträumt, es wird Zeit, dass das Ding zu Ende geht.
Nun gut, werden Sie sagen, nichts Besonderes, das kennt jeder nur zu gut, ein Turnier ist schon überreif, man ist etwas gefrustet oder zumindest nicht ganz zufrieden.  Wo ist also der Witz? Er besteht darin, dass ich mich in meinem Appartement den gesamten Vormittag auf die Partie vorbereitet habe, unterbrochen von kleineren Appetithäppchen und einer erfrischenden Dusche hat mich das Ausarbeiten eines Konzeptes, das einigermaßen überraschend ist und auch noch analytisch wasserdicht daherkommt, runde fünf Stunden Kopfzermartern bereitet…
  
Dabei begann alles recht harmlos. Beim Frühstück war ich die Partien meines Gegners, dem momentanen Tabellenführer und Elobesten im Turnier, der wahrscheinlich auch als einziger eine GM-Norm machen wird, durchgegangen und hatte mich entschlossen, heute nicht mit meinem Lieblingszug 1.e4 aufzuwarten, weil
a)       die Jungs sich vorbereiten; in meinen zwei bisherigen 1.e4-Weißpartien holte ich nichts, aber auch gar nichts aus der Eröffnung, nur Zeitnachteil und ergatterte mühsam einen halben Punkt.  
b)       ich keine Lust auf seinen Franzosen hatte. Es hätte sich gerade die Variante ergeben können, mit der ich eine miserable Bilanz habe.

In dem Fall ziehe ich gern 1.c4, und da mein Gegner auf Grünfeldindisch schwört war 1.c4 Sf6 2.Sc3 d5 so gut wie sicher. Bei der Durchsicht einiger aktueller Partien kam mir eine Begegnung auf den Schirm, in der die Weiße, die Russin Kovalevskaya, recht  flott gegen die frühere Weltmeisterin Stefanova gewann, und das mit einer frühen Abweichung von der Hauptlinie. Als dann noch mein „Rechenmodul“ (ganz falsch, dem sollte man nicht glauben, zumal da mein Laptop und auch mein Programm leicht veraltet sind!) den Zug 7.d3 empfiehlt  und es mit 7.d3 nur eine Handvoll Partien in der Datenbank gibt, war klar: ich bin auf der richtigen Spur! Hier kann man eine Überraschung landen.

Ganz wie früher die Goldgräber fing ich also an dort zu graben, wo ich das gelobte Land vor mir wähnte. Zunächst ließ es sich gut an, ich fand viele vorteilhafte Ideen und Abspiele und war schon einigermaßen euphorisch. Aber irgendwann kam die Sache ins Stocken: als ich selber nachdachte, was Schwarz wohl so spielen könnte, wusste der Rechner auch keinen besonders schlauen Rat mehr und sein anfänglicher „+=“-Optimismus löste sich mit zunehmender Analysedauer auf – und wandte sich sogar vermehrt in das Gegenteil! Je weiter man die Dinge in die Tiefe trieb desto mehr schlug die Bewertung ins Negative aus – für den Weißspieler! Langsam dämmerte es mir: ich war dabei, einen Quatsch zu spielen. Warum sollte man sich freiwillig auf etwas einlassen, was im besten Falle Ausgleich für Weiß versprach? Und das, zumal die richtigen schwarzen Züge allesamt „gesund“ und durchaus zu finden waren, insbesondere von einem 2500+-Mann. Ich war konsterniert, doch das Schlimmste: bis zum Spiel verblieben mir keine zwei Stunden, gegessen hatte ich auch nichts, was sollte ich tun? Wieder was ganz anderes spielen? Doch 1.e4? Es war zum Verzweifeln…

Egal, dachte ich mir schließlich, ich muss den eingeschlagenen Kurs beibehalten, versuche ich eben eine Linie zu finden, die die meisten Chancen bietet und zumindest noch den Ausgleich sichert. Und ich reizte alle Motive aus, die die Stellung hergab, kombinierte die Zugreihenfolge in jeder erdenklichen Kombination, sprang vor, wieder zurück, verbesserte, änderte, knüpfte, nähte und spann… und siehe da, schließlich war es einigermaßen wasserdicht: meine Hauptlinie ging fast bis zum 40. Zug und endete quasi mit einem Remisendspiel!

Schließlich war Zeit, zu gehen. Und wenn er in den ersten sechs, sieben Zügen abweichen würde? Keine Ahnung, dann improvisiere ich eben, so was habe ich schon in den späten 90ern gespielt, wird mir schon wieder einfallen…

Als ich mich auf den Weg ins Spiellokal machte hatte ich noch 25 Minuten Zeit. Normalerweise benötige ich mindestens 15 Minuten für die Strecke, es geht meist bergauf, ich hab` mich schon öfters in der Zeit vertan und tauchte schon einige Male abgehetzt und verschwitzt auf, als die Uhren bereits liefen. Unterwegs machte sich der Hunger plötzlich mit Macht bemerkbar, mein leerer Magen nörgelte. Ich musste dringend noch was Nahrhaftes aufnehmen, das kostete wieder ein paar Minuten -  auch diesmal war die Runde schon gestartet, mein russischer Gegner, der mich an den jungen Putin erinnert, saß schon mit versteinerter Miene am Brett.

Ich gebe ihm die Hand, er entgegnet mir einem emotionslosen Blick, ich notiere auf mein Blatt – plötzlich um mich herum ein Tumult. In einer mir unverständlichen slawischen Sprache beschimpft mich einer, der hinter mir steht – es ist ein russischer Teilnehmer aus dem im selben Raum stattfindenden IM-Turnier. Neben mir spielt Malanjuk, früher ein starker Großmeister, jetzt gibt er hier den abgehalfterten Revolverhelden und Remisenschieber vor Ort – bzw. er spielte. Denn er hat bereits Remis gegeben, bevor ich meinen Partiezettel überhaupt ausfüllen konnte. Er beteiligt sich auch lautstark an der Diskussion in einem tiefen Bass, lacht und gestikuliert wild. Er übersetzt anscheinend, was der Russe mir vorwirft: ich würde jeden Tag zu spät zur Partie kommen, das wäre unverschämt und so weiter. Hat er vielleicht auch recht, ich würde auch lieber pünktlich sein, aber es klappt halt nicht, außerdem ist das doch jedem selber überlassen, komischerweise könnte ich auch nicht sagen, mit welcher „Regel“ wir hier spielen, zumindest hat keiner sich mal zum Thema geäußert, wie viel man sich verspäten darf. Abgesehen davon bezahle ich hier viel Geld dafür, dass ich in dieser jämmerlichen Provinzposse mitmischen darf, doch das ist ein anderes Thema, vielleicht mal später mehr. Jedenfalls geht mir in den wenigen Minuten - oder sind`s nur Sekunden? - wirres Zeugs durch den Kopf, mittlerweile wurde 1.c4 Sf6 2.Sc3 d5 gezogen (a tempo von meinem Gegner) und mein 3.cxd5 beantwortete er unvermittelt mit 3. …Sxd5 untermalt durch ein „Remis?“-Raunen.  Eigentlich wollte ich ja spielen, aber im Moment fühlte sich alles recht absurd an, ich war derart irritiert, mir wurde schlagartig klar, dass ich verlieren würde, wenn ich weiterspielen würde und schlug kurzentschlossen ein.

Als Anhang biete ich Ihnen noch meine festgehaltene Analyse, ungefilterte Eindrücke ins Labor eines Internationalen Meisters, die ganze Paradoxie des modernen computerbewaffneten Schachs wird dabei vor Ihren Augen ausgebreitet – Enthüllungen, wie sie wikileaks auch nicht skandalträchtiger bieten könnten: eine der vielen Variante hätte aufs Brett kommen können, wenn wir denn gespielt hätten. Ich sage: hätte.

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Zum Nachspielen am Bildschirm:

Schachdeutschland schafft sich ab - Wie wir unser Spiel aufs Spiel setzen
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Wie immer fand am ersten Dezember-Wochenende die Deutsche Einzelmeisterschaft im Blitzschach statt. 31 Runden gegen 31 topmotivierte Gegner. Von einem kleinen 12h-Halbmarathon Ende Oktober abgesehen (dort mangelte es vielen Teilnehmern am Ende tatsächlich auch an Motivation), mein erstes "echtes" Blitzturnier seit dem Frühsommer. Da läge es doch nahe, sich vorher irgendwo wenigstens ein wenig einzublitzen. Aber wo?

Wer an dieser Stelle seinen Arm hebt und ruft: "Beim Vereinsabend natürlich! Bei uns sind beim Blitzen eigentlich immer rund um die 30 Leute da, beim freien Spielabend sind es auch oft noch 15 und in den Wintermonaten spielt die ganze erste Mannschaft fast geschlossen bei der Vereinsmeisterschaft mit!", dem kann ich nur entgegnen, dass er entweder beim Hamburger SK Mitglied ist, oder (wahrscheinlicher!) selbst lange, sehr lange nicht mehr Dienstags oder Freitags den Clubabend mit seiner Anwesenheit beehrt hat. Denn es ist einfach nicht mehr so wie früher.

Statt mich jetzt mit irgendwelchen Mitgliederzahlen herumzuschlagen oder zu diskutieren, ob und wie man hätte besser von der Dresdener Schacholympiade profitieren können, will ich lieber an einem ganz konkreten Beispiel die Todesgeschichte eines Schachvereins erläutern. Meines Schachvereins.

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Spassbaron - die feine Art etwas zu erleben

Im Jahre 2002 trat in den HSK-Post Hannover von 1876 ein. Es war der florierende Verein im Herzen Hannovers schlechthin. Einem ausgewogenen Spielstärkegefälle zwischen den Erwachsenen stand eine große, etwa 20 Kinder und Jugendliche starke Nachwuchsgruppe gegenüber. Ich wurde zusammen mit drei weiteren Neuzugängen im Bereich >= 2200 und etwa 10 weiteren neuen Vereinskameraden freudig begrüßt und eine der größten Sorgen bei der Mannschaftsbesprechung war es ironischerweise tatsächlich, ob es sich lohnen würde, eine fünfte Herrenmannschaft aufzumachen. Runderneuert kämpfte sich die erste Mannschaft, gerade aufgestiegen, durch die Oberliga Nord-West und sicherte sich nach einem spannenden Finale mit 16-2 Punkten einen Platz in der zweiten Bundesliga Nord. Durch die in den restlichen Mannschaften verteilten Leitfiguren und Verantwortungsträger des Vereins stellte sich der sportliche Erfolg auch dort ein, was am Ende vom Aufstieg von HSK 2 , HSK 3 und HSK 4 gekrönt wurde. Zwei absolute Highlights waren bei uns einmal das Monatsblitzturnier, wo 30 Teilnehmer und der eine oder andere 2200er im B-Finale keine Seltenheit waren, und weiterhin das 2 Mal im Jahr stattfindende HSK-Post-Open, welches schon mal mehr als 100 Teilnehmer auch von jenseits von Niedersachsen anzog und von unserem damaligen Vorsitzenden Florian souverän und charmant organisiert wurde. Die Jugendlichen bekamen gutes Training, qualifizierten sich in Scharen für die Deutschen Jugendmeisterschaften, stiegen, verstärkt durch ein neues Brett 1 :) in die Jugendbundesliga auf und wurden besonders beim Monatsblitzen hervorragend an den Vereinsabend und das Schach der "Großen" überhaupt herangeführt. Es bildeten sich Freundschaften, die bis heute erhalten geblieben sind. Für Betreuerplätze bei Jugendmannschaftsmeisterschaften gab es oft mehrere freiwillige Bewerber, bei Heimspielen im Verein schauten oft Erwachsene vorbei.... kurzum, DAS war ein Verein, wo das Leben wirklich Spaß gemacht hat.

Es vergingen ein, zwei Jahre. Noch war die Euphorie nicht abgeflaut. Noch war ich mir absolut sicher, beim besten Verein in Hannover Mitglied zu sein. Wir spielten mit Ach und Krach immer noch in der 2.Bundesliga und die Kids gewannen die Jugendbundesliga Nord nur nicht, weil die Jungs von Ricklingen bisher einfach älter und cooler waren als wir. Aber wir wussten, unsere Zeit würde kommen, nur halt ohne mich, weil ich langsam aber sicher zu alt für den Spaß wurde. Doch, fast wie damals zu Zeiten des Römischen Imperiums setzten bereits leichte Zeichen des Verfalls ein.

Die jungen, dynamischen Männer, die mit mir in den Verein eintraten liefen alle überraschenderweise attraktiven Frauen über den Weg und hatten plötzlich für alles Augen, nur nicht für die Dame auf dem Brett. Schach.de nahm seinen Betrieb auf und die Perfektionisten unter uns, die sich ihr Leben lang immer ärgern, warum sie niemals ihre sorgsam einstudierten Hauptvarianten aufs Brett bekommen, hatten eine Möglichkeit, ihr Glück an einer anderen Stelle zu versuchen. Die Jugendlichen wurden mit der Zeit mehr und mehr in der Schule gefordert. Tests, Klausuren, Referate fürs Zentralabitur. Eine neue Generation vielversprechender Kinder kam leider trotz intensivster Bemühungen von unserem Jugendwart Matthias nicht nach. Ihm fehlte für sein titanisches Werk in großem Maße der Rückhalt und die Unterstützung aus dem Verein, und wenn doch, dann wurde diese viel zu zaghaft und zu alibi-mäßig ausgeführt. Die Kinder lösten die von Matthias mitgebrachten Aufgaben, aber sie taten es nicht aus Interesse am Schach, sondern wegen Matthias' Süßigkeiten, oder weil die Eltern sie zum Training zerrten oder teilweise sogar danebensaßen. Waren sie mit den Aufgaben fertig, spielten sie nicht etwa Schach, sondern fangen oder mit Spielzeugpistolen. Der arme Matthias konnte sich nicht aller annehmen und die älteren Jugendlichen (angeführt von mir) griffen nicht ein, sondern setzten mit dem unsäglichen Tandemspiel nur noch ein verderbliches Beispiel für die Kleinen. Wieviele Holzsätze durch das Sch...Tandem in dieser Zeit vermischt und zerstört und wieviel Geld das effektiv den Verein gekostet hat, will ich lieber nicht genau wissen. Wenn alle Kinder endlich abgeholt waren, war es zwar himmlisch leise und friedlich, aber der Anblick der überall im Raum  zerworfenen und verteilten weißen und schwarzen Holz- und Plastikfiguren und der Bonbonverpackungen ließ ein Gefühl höchster Unbefriedigung und Frustration aufkommen, so dass man am Liebsten kotzen würde. Der Geruch in den Toilettenräumen des Post-SV-Vereinsheims tat dazu sein Übriges. Der Tod der sympathischen Gastwirtin Frau Asche, die von einem neuen Wirt/Koch in Personalunion ersetzt wurde, der den Charme eines arabischen Henkers besaß, machte auch den Aufenthalt in der Vereinsgaststätte nicht wirklich attraktiver.

Die Senioren wurden in der Zeit auch nicht jünger und auch die aktiveren von ihnen klickten sich oft aus dem Blitzturnier aus und spielten in der Ecke zu zweit, zu dritt vor sich hin. In diesem Moment sind sie zwar noch physisch da, aber vom Sozialen her für die Gemeinschaft natürlich schon halb verloren. Ich persönlich entdeckte gerade in dieser Zeit die Faszination Schnellschach für mich und sah es manchmal nicht ein, warum ich am Freitag erscheinen soll, wenn mir doch auch Samstag und Sonntag ein volles Wochenende Schach bevorsteht. Meistens aber irgendwie schon. Man war ja noch jung und frisch.

Aber trotzdem. Der Vereinsabend wurde leerer. Und nicht mehr so konzentriert wie vorher. Wurden früher fleißig Partien des vergangenen Wochenendes diskutiert und analysiert, begnügte man sich nun ein paar oberflächlichen Partiechen als "lästige Tagespflicht", bevor man den Unterhaltungs- und Erzählteil des Abends einleitete, der dann oft mal in irgendeiner Kneipe endete. Ich erinnere mich persönlich an sich gern an diese Zeit (besonders weil man die weniger beliebten Personen einfach im Verein lassen konnte ) und will dieser weder missen noch in großem Stile kritisieren. Es taten eben alle das, was sie in diesem Moment für sich selbst am Nützlichsten und Angenehmsten empfanden. Ich erinnere mich genau an diesem Wechsel in meinem Kopf. Früher, mit 17-18 dachte ich: "Jetzt bist du Freitag schon hierhergekommen, dann habe was davon und bleibe möglichst lange hier und spiel Schach!" Später, mit 19-20 hieß es eher: "Hm, es ist Freitag Abend. Ich bin im Schachverein, wo viele langweilige Menschen sind. Ich habe jetzt die Chance, mit ein paar mir sympathischen was trinken zu gehen. Was mache ich also noch hier?" Keine Frage, schwer mich da irgendwo zu kritisieren, aber das Ende des Vereins wurde durch eine Art solchen Verhaltens eingeleitet. 

Und das Ende kam schneller als man denkt. Die Abwärtsspirale drehte sich immer schneller. Einzelne vergebene kampflose Punkte wurden durch 0:8-Niederlagen wegen Nichtantritt abgelöst. Die Jugendtrainingsgruppe löste sich auf. Einige Mitglieder verließen Deutschland, viele alte und auch potentiell neue Mitglieder suchten sich, verschreckt vom immer noch bei uns innewohnenden Leistungsprinzip im Verein in Hannover eine neue Bleibe oder kamen vom Schachspiel ganz ab.  Matthias' Kindergruppe dezimierte sich deutlich und Talente, die irgendwann die Herrenabteilung verstärken würden, waren mit Felix und Anthony zwar durchaus da, aber konnten die zahlenmäßigen Verluste bei den Herren nicht wirklich wettmachen. Irgendwann musste die vierte Mannschaft dann dran glauben, später auch die dritte. Die Seniorenabteilung, durch den Tod eines sehr wichtigen und geehrten Mitgliedes eh geschwächt, hatte, nachdem wir beim Clubabend monatelang nur noch Pokerkarten und -chips statt Schachfiguren ausgepackt haben, irgendwann auch keine andere Chance, als einfach zu fliehen. Das herrenausstatter.dewar etwa Anfang 2007.

Doch das Krebsgeschwür des Vereins wucherte weiter und befiel immer mehr lebenswichtige Funktionen. Das Blitzturnier, welches unter meiner Leitung sich von einer durchschnittlichen Teilnehmerzahl von 10 auf 6 zurückentwickelt hatte wurde genauso gestrichen, die das ein Jahr vorher im Rahmen einer populistischen Aktion aus dem Boden gestampfte Schnellturnier. Da war auch schon gar nicht mehr aktiv im Verein, weil ich mich 2005 nach Berlin abgesetzt hatte, trotzdem schaute ich mir das Leid als passives Mitglied noch lange Zeit an. Der Vereinsabend wurde auf jeden zweiten Freitag beschnitten "damit sich die Leute, die kommen, und niemanden vorfinden, keine Frusterlebnisse holen" und später perverserweise ganz fallen gelassen. Irgendwann war dann auch die zweite Mannschaft des ehemals so stolzen HSK nicht mehr kampfbereit.... Das HSK-Post-Open durfte da auch schon (Hauptverein sei Dank!) nicht mehr stattfinden, weil bei der letzten Auflage Mitte 2008 irgendein Minderbemittelter sämtliche Pissoirs mit Papier verstopft haben soll, was angeblich zu einem vierstelligen Schaden geführt habe, so die Post-Vereinsleitung. Ob die uns nicht in Wirklichkeit nur loswerden wollten? Für die Gaststätte waren wir Schachspieler jedenfalls nie der große Hauptgewinn, auch zu Glanzzeiten nicht. Wir trinken lieber aus der mitgebrachten Thermoskanne, als uns an der Theke einen frischen Kaffee zu bestellen. ..

Lange Rede, kurzer Sinn. Den Hannoverschen SK gibt es nicht mehr. Er ist seiner kurzen, aber schmerzhaften leidvollen Krankheit erlegen, lebt aber immerhin noch in den Herzen als Junior-Partner des HSK-Lister Turm weiter. Etwa 20 treue Mitglieder hat man hinüberretten können, der Rest hat sich in alle Winde zerstreut. Wie gesagt, ich habe versprochen, mich nicht zu beschweren oder gar die "neue, technisierte Ära" zu beklagen, in der der Besuch einer so antiquierten Institution wie des Vereinsabend einfach nicht mehr zeitgemäß ist, oder womöglich die Existenz der Schachserver, die den Leuten nachhaltig die Lust auf echte Schachfiguren aberziehen. Nein, ich möchte eigentlich nur feststellen, dass ich sicher bin, dass eine solche Todesgeschichte eines Vereins, die ich so hautnah miterlebt habe, sich überall in Deutschland abspielen könnte und vermutlich auch regelmäßig passiert. So, dass ich befürchte (um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen), dass es in Zukunft einfach immer schwieriger werden wird, sich irgendwo gepflegt auf ein Turnier einzublitzen. Wenn das passiert, wovon ich ausgehe (und ich habe im Moment auch keine Gegenlösung anzubieten), wird der Vereinsabend in 15-20 Jahren nur noch eine warme, muffige Erinnerung aus den Jugendzeiten sein. Solange es aber wenigstens Turniere gibt, weiß ich gar nicht, ob es einen solch großen Grund zur Trauer darstellt. Mich richtig auf eine Partie oder eine Analyse zu konzentrieren, wenn es in Wirklichkeit um nichts geht, kann nämlich mittlerweile gar nicht. Und es geht so gut wie allen so. Man kann Freitags auch etwas anderes unternehmen, als schlecht und unkonzentriert Schach zu spielen.

gezeichnet
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Mittwoch, 01 Dezember 2010 00:07

Medienrummel um Marc Lang

Alle Achtung: das hat Marc Lang gut gemacht! Der Blindschachspezialist ist in unzähligen Medien präsent. Etliche regionale und einige überregionale Blätter wurden auf das außergewöhnliche Thema aufmerksam und berichteten vom Reihenspiel ohne Spielsteine.

Das Medium Radio vertrat das „Schwabenradio“ (SWR 4, immerhin!), welches gleich zwei Beiträge sendete, einen davon am Sonntagmorgen direkt nach geschlagener Schlacht. radio

Und sogar das Fernsehen zeigte Schach. Im SWR wurden dem außergewöhnlichen Anlass rund 5 in der Landesschau eingeräumt.

http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=5940412http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=5940412

Um das Ganze noch mal kurz zusammenzufassen. Lang war bereits Deutscher Rekordhalter in der Blindsimultandisziplin, am Wochenende hat er seine eigene Bestmarke nun auf 35 Bretter hinaufgeschraubt. Eine Wahnsinnstat, doch damit nicht genug. Dies soll nur eine Durchgangsstation sein; im nächsten Jahr will er sich an 46 Gegner herantrauen, was eine Verbesserung des offiziellen, noch von der Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg herrührenden Weltrekords von Miguel Najdorf bedeuten würde. Najdorf wollte damit einst die Aufmerksamkeit der Welt auf sich lenken in der Hoffnung, von seinen in Polen zurückgebliebenen Angehörigen Lebenszeichen zu erhalten. Die Hoffnung, die Lang lenkt, ist eine, die uns alle umtreibt: die, Schach populärer werden zu lassen und von der Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt zu werden.

Für das Schach hat er beste, nämlich durchweg positive Werbung betrieben und dafür sind wir dankbar.

werbung

Es braucht scheinbar eine verrückte Idee, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erreichen. Wenn tausende Schachspieler aus aller Welt irgendwo in Sibirien zur Schacholympiade zusammenkommen, dann ist das der Presse kaum einen Einspalter wert. Auch Kämpfe zwischen Großmeistern, selbst wenn es um die Weltmeisterschaft geht, verlieren schnell an Reiz. Es muss schon aberwitzig und wider der Natur sein, wenn man die Medien zum Atufhorchen bewegen will.

Wir wollen nicht anfangen, über Sinn und Unsinn solcher Jahrmarksszenerien nachzudenken. Wohl muss man nicht verrückt sein, um sich einem solchen kräftezehrenden Ringen auszusetzen, aber vielleicht können durch die enorme Anspannung der geistigen Kräfte die Sicherungen durchbrennen. Schon Tarrasch hat solcherlei gemutmaßt, jedenfalls ist eine gute Physis wie eine starke Psyche vonnöten.

Zudem ist es wichtig, eine Utopie zu haben und das Durchhaltevermögen, diese dann umzusetzen. Bei Lang vereinen sich glücklicherweise ein paar  günstige Eigenschaften. Unabdingbar ist sein Talent für solche Blindsimultanvorstellungen. Aber der Rummel um seine Person wäre nicht so groß, wenn er nicht als dieser „Normalo“ rüberkommen würde: der fürsorgende Familienvater von nebenan, unkapriziös, weder abgehoben noch arrogant. Keiner der üblichen Psychopaten, als die die Schachspieler ansonsten in Wort und Bild immer dargestellt werden, weder der zerstreute Professor noch der egozentrische Machtmensch, der das Ego der Gegner zertrümmern will. Einer von uns mit einer kleinen, wenngleich faszinierenden Begabung. So also kann man die Medien für sich einnehmen, auch wenn man es gar nicht will. Denn wenn er geahnt hätte, wie viele Anrufe er bekommen würde und wie viele Interviews Arbeitsplatformer führen müsste, hätte er sich vielleicht doch lieber diskret im Hintergrund gehalten, so Lang. Bescheiden eben, aber sicher auch mit einer ordentlichen Prise Koketterie durchzogen. Um einen lustigen Spruch ist der gebürtige Ditzinger selten verlegen. Unterhaltsam schreiben kann er übrigens auch, man sehe die Artikel auf seinem Blog:   http://www.schach-sontheim.de/blindsimultan/blog

Nicht zu vergessen ist die gewichtige Rolle, die der Schachklub Sontheim/Brenz bei der Realisierung der Veranstaltung spielte. Der Verein und seine Führung gaben Langs verrückter Idee volle Rückendeckung und setzten sich engagiert für das Gelingen des Ganzen ein. Und der Aufwand, der hierfür betrieben wurde, war sicher kein geringer! Hier noch der Hinweis auf die Homepage dieses umtriebigen Vereins auf der Ostalb, gerade am Rande von Baden-Württemberg: http://www.schach-sontheim.de/

Nichtsdestotrotz war die Provinz (Sontheim hat kaum mehr als 5000 Einwohner) für ein Wochenende der Nabel der deutschen Schachwelt. Herzlichen Glückwunsch und viele Grüße in meine alte Heimat!

Hans Jürgen Weyer
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Freitag, 26 November 2010 09:57

Au Weyer, DSB?

In Gladenbach bei der Hauptausschusssitzung des Deutsche Schachbunds wird Robert von Weizsäcker an diesem Wochenende sein Ausscheiden als Präsident ankündigen. Sein Vizepräsident Hans-Jürgen Weyer gilt im Moment als wahrscheinlichster Nachfolger. Gewählt wird erst beim DSB-Kongress im Mai in Bonn, doch in Gladenbach werden die Weichen gestellt, wenn nicht bereits alles ausgekungelt.

Zwei weiteren Mitgliedern des Präsidiums, Michael Langer und Hans-Jürgen Hochgräfe, werden Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt. Mitzureden haben aber vor allem die „Landesfürsten“. Im Arbeitskreis der Landesverbände wird die Arbeit des Präsidiums kritisch gesehen. Eine Gegenkandidatur aus diesem Kreis, am wahrscheinlichsten wie 2009 durch Herbert Bastian, kündigt sich an.

Von Weizsäckers vier Jahre an der Spitze haben viele enttäuscht. Sein Scheitern in der internationalen Schachpolitik, wo er Karpows Kandidatur für den FIDE-Vorsitz unterstützte und selbst als Europäischer Präsident kandidierte, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, zumal der DSB die ECU-Geschäftsstelle und damit verbundene Mietsubvention für seine Geschäftsstelle verlor. Zwar hat der Münchner im Außenauftritt und in den Außenbeziehungen des Schachbundes durchaus das eine oder andere bewegt. Der Wirtschaftsprofessor hatte allerdings wenig Glück mit seinen fürs Tagesgeschäft verantwortlichen Vizepräsidenten, dem wenig engagierten Matthias Kribben (2007/09) und dem seine Linie hintertreibenden Weyer (2009/11).

Der Herzogenrather ist als Geschäftsführer des Geologenverbands ein Verbandsprofi. Einst galt er als Anpacker, der auch Probleme offen anspricht. Als 2001 Alfred Schlya von der Spitze in NRW an die im DSB rückte, sorgte Weyer für Aufbruchstimmung in seinem Landesverband. Inzwischen wären dort manche froh, Weyer auf dem gleichen Weg loszuwerden. Es ist unklar, wo er Akzente setzen würde und wo aufgrund der schlechten Finanzsituation sparen, ob er den Mut hätte, die unsäglichen Zustände beim Ramada-Cup zu beenden, dessen Überschüsse dem DSB nicht nur nicht zugute kommen, sondern der sogar noch subventioniert wird, vom zeitlichen Engagement der Funktionäre, das an anderer Stelle fehlt, ganz zu schweigen.

Die nächste Amtszeit wird alles andere als leicht. Ideal wäre ein Moderator des Übergangs, der sich der Lösung der internen Probleme verschreibt, ohne im Funktionärsland Brownie-Punkte zu sammeln oder besonders auf Außenwirkung zu achten. 2013 könnte der DSB dann einen gestandenen Verantwortungsträger (und dabei starken Schachspieler) an seine Spitze holen, den Mainzer OB Jens Beutel.

Wende geschafft
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Freitag, 12 November 2010 22:28

Wende geschafft

Der Verlauf des Gesprächs zwischen dem Deutschen Schachbund und seinen Spitzenspielern lässt hoffen. Die Funktionäre hörten sich die Positionen der Profis interessiert an und dachten bereits mögliche Lösungen an. Etwa die Herausnahme des Nationalteams aus dem Arbeitsbereich des Leistungssportreferenten Uwe Deventer. Oder gezielte Vorbereitungsmaßnahmen mit wechselnden internationalen Trainern. Die Aufgaben von Bundestrainer Uwe Bönsch könnten neu gefasst werden. Trennen dürfte sich der Schachbund eher von seinem Nachwuchstrainer.

Auch wie die Deutsche Meisterschaft attraktiver werden kann, wurde diskutiert. Eine Sperre gegen Naiditsch war dagegen kein Thema. Dafür sein Angebot, die Vermarktung der Nationalmannschaft zu übernehmen. Noch ist nichts ist beschlossen, aber die Wende vom Gegeneinander zum Miteinander ist geschafft.