Schachtouristen zieht es zur Zeche Zollverein
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Dienstag, 12 Juli 2011 12:24

Hopp auf, zum Schachturnier!

Der Sommer ist theoretisch da, der Urlaub kann theoretisch beginnen, alles wird gut. Sommerzeit ist Open-Zeit, und der Möglichkeiten sind viele, um in Deutschland, Österreich und in anderen schönen Teilen der Welt an Turnieren teilzunehmen. Glücklich die Schachspieler, die den Alltag hinter sich lassen und auf Reisen gehen können. 

Und überall klangvolle Namen, klangvolle Spielorte: auch heute sitzen schon wieder 223 Spieler beim St.Pauli-Open an den Brettern, Anish Giri fährt in ein paar Tagen zum Open nach Dortmund, und Jan Gustafsson steht auf der Teilnehmerliste für den Politiken Cup in Kopenhagen, der Ende Juli beginnt. In Baden-Baden geht Anfang August Rainer Buhmann an den Start, und die Niedersächsische Schachjugend macht sich als U18-Nationalmannschaft auf den Weg und tigert nach Rumänien zur Europameisterschaft.

Wobei es eigenartig anmuten mag, dass man durch die ganze Welt reist und so viele Kilometer überwindet, wenn man dann doch wieder nur am Schachbrett sitzt und vom Gegner und/ oder der Slawischen Verteidigung in tiefe Frustrationen gestürzt wird. Es gibt auf Turnieren ja viel Zeit, um zu bereuen – gerade nach enttäuschenden Partien. Bereue!

Doch wie wir alle wissen: nicht nur der Erfolg in den Partien macht so eine Schachreise zu einem schönen Erlebnis, auch das ganze Drumherum gehört dazu. Wenn wir nette Leute treffen, Zeit haben und ein offenes Auge finden für den Spielort und die neue Umgebung, dann wird es eine tolle Reise. Gleich um die Ecke warten ja schon schöne Sehenswürdigkeiten, die Alster und der Schwarzwald vielleicht, der Tivoli in Kopenhagen oder die Zeche Zollverein in Duisburg. Und außerdem – wer sagt denn, dass unsere Schachpartien immer schlecht ausgehen müssen? Manchmal enden sie auch gut für uns, und dann ist das Open-Glück schon ziemlich perfekt.

Bei der klassischen Turnierform spielt man neun Runden in neun Tagen. Viele Spieler legen viel Wert darauf, dass die Partien nicht zu früh angesetzt werden, so dass man in den Tag hineinleben kann – denn immerhin ist es ja Urlaub. Doch auch andere Modi sind denkbar. Bei einem Zwei-Mann-Open 1984 in Moskau beispielsweise spielten Karpov und Kasparov an 151 Tagen über 48 Partien – vom 10.September 1984 bis zum 08.Februar 1985! Diese etwas extremere Form des Schachturniers hat sich so allerdings nicht weiter durchsetzen können. Ganz im Gegenteil ballen sich heute in vielen Wettbewerben sieben Runden an vier Tagen zusammen – das ist intensiv und flott. Bei diesem Modus bleibt wenig Zeit für eine genaue Vorbereitung auf den Gegner. Somit sind alle Teilnehmer immerhin mehr oder weniger gleich ratlos, wenn sie sich ans Brett setzen.

kasparov-12

Kennen wir uns nicht schon aus der letzten Runde?
Quelle: Owen Williams, The Kasparov Agency

Eine angenehme Mischform bietet das Open in Baden-Baden, bei dem man sieben Runden an fünf Tagen spielt. Dadurch gibt es nur zwei Doppelrunden, und das ist nicht unangenehm. Vor elf Jahren reisten ein paar Freunde vom Lübecker SV und ich schon einmal zu diesem Turnier, und was soll man sagen - einladend ist die Stadt und reizend die Umgebung, besonders auch, wenn man von der Küste kommt! Auch trifft man alte Freunde wieder, oder aber man findet sich als Norddeutscher wieder in einem Feld von 200 badischen Schachspielern, die man noch nie in seinem Leben gesehen hat. Auch das ist reizvoll. Gens una sumus - wir sind eine (große!) Familie.

Das Baden-Baden Open 2000 gewann damals der Lübecker Stefan Lindemann in großem Stil – vielleicht lag es daran, dass er nicht mit uns in der Wohnung schlief, sondern auf halber Treppe im Hausflur auf einer Couch übernachtete. So wird man Turniersieger! Vielleicht machte diese Abwechslung den Unterschied aus, doch wahrscheinlich war es einfach seine gute Form und Spielstärke, durch die er das Turnier gewann. (Dennoch werde ich beim nächsten Open vielleicht mal campen und auf einer Isomatte schlafen – wer weiß, was es bringt!)

Für mich endete das Turnier mit einem kleinen Geldpreis, nachdem ich in der letzten Runde noch eine wilde Partie gewinnen konnte. Agonie befiel mich allerdings in der sechsten Runde nach der verlorenen Partie gegen das Karlsruher Urgestein Clemens Werner:

steffens-werner intro

Stellung nach 27..Td1-d6

In leicht verworrener Stellung und bei für beide Seiten kitzliger Zeitverteilung folgte nun  

27….Sf6-d5, 28.Se3xd5, c6xd5 29.Td6-d8,  Dc5-b5.

steffens-werner rtsel

Der Tor zum vollen Punkt steht nun plötzlich weit offen. Wie hätte Weiß spielen sollen? (Hat er aber nicht!)

a) Weiß steht eigentlich gut nach 30.Td8xe8.
b) Weiß steht eigentlich prima nach 30.Tf1-f3.
c) Weiß steht eigentlich bestens, muss aber irgendetwas anderes spielen als 30.Txe8 und 30.Tf3.

d) Weiß sollte lieber schnell Remis anbieten, denn nachher hat er ja noch verloren!

Hier die Partie zum Nachspielen:


Wir fragen abschließend: Steigert Turnierspielen das Lebensglück? Natürlich ist diese Frage schwer zu beantworten, doch wie so oft können wir dazu den Nürnberger Altmeister Siegbert Tarrasch zitieren:

„Schach hat wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.“

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. (Indes - bei einem Interview mit New in Chess im Jahr 1970 hat Tarrasch seinen Ausspruch zwar noch um „Sehr schön sind allerdings auch die fränkischen Weine und die Fußball-Bundesliga!“ ergänzt, doch konnte sich diese Version nie ganz gegen das Original durchsetzen.)

In diesem Sinne – allen Lesern einen schönen Schach-Sommer und eine tolle Open-Saison!

lasker-tarrasch_1908

Tarrasch und Lasker bei einem frühen Zwei-Mann-Open im Jahr 1908
Quelle: wikicommons