Schloss Schwetzingen: Einer von vielen Schauplätzen eines reichen Schachjahrs
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Sonntag, 06 Januar 2013 15:45

Ein tolles Jahr für (deutsche) Schachfans

2013 bringt keine Schacholympiade, wahrscheinlich keinen WM-Kampf, und doch verspricht das neue Jahr ein gutes Schachjahr zu werden. Das gilt insbesondere für die deutschen Schachfans: Gleich drei Weltklasseturniere sollen in den nächsten Monaten in Deutschland stattfinden: Am 6.-17. Februar in Baden-Baden mit Anand, Adams, Caruana, Fridman, Meier, Naiditsch und einem ganzen Schachfestival. Am 3.-17. Juli ein FIDE-Grandprixturnier in Berlin und ab 22. Juli das Dortmunder Sparkassen-Chess-Meeting.

Wer im Süden wohnt, hat es nicht weit nach Zürich, wo am 23.Februar bis 1. März Anand, Caruana, Kramnik und Gelfand antreten. Die im Nordwesten können sich einen Abstecher zum ersten Knaller des Jahres in Wijk aan Zee von 12. bis 27. Januar überlegen. Ein Leckerbissen für heimische Fans ist auch das zum zweiten Mal zentral ausgetragene Bundesligafinale am 5. bis 7. April im Schwetzinger Schloss.

Den sportlichen Höhepunkt des Jahres erwarte ich vom doppelrundig mit acht Teilnehmern (Carlsen, Kramnik, Aronjan, Radschabow, Grischtschuk, Swidler, Iwantschuk und Gelfand) ausgetragene Kandidatenturnier am 14. März bis 1. April in London, das eher nicht mit einem Aprilscherz sondern der Kürung von Anands designiertem Nachfolger endet. Dass der 43jährige Inder bei seinem Kraftakt in Wijk aan Zee, Baden-Baden und Zürich mit 29 Partien binnen sieben Wochen wieder seit Jahren vermisste Siegerqualitäten zeigt und sich wieder – seinem Titel gemäß – über die 2800 schwingt, erwarte ich nicht, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Offenbar ist Anand klar, dass seine beste Chance, zu alter Größe zu finden, jetzt ist, bevor sein Herausforderer feststeht und die nächste WM beginnt, sich im Kopf breit zu machen.

Nach dem starken ersten Quartal wird das Schachjahr etwas ruhiger. Abgesehen von den schon erwähnten Ereignissen erwarten uns das Festival in Biel,  FIDE-Grandprixturniere in Lissabon, Madrid und Paris, im August der Weltcup in Tromsö als Generalprobe für die ziemlich genau ein Jahr später dort stattfindende Schacholympiade, und im Herbst dann wieder Bilbao, London und das Moskauer Tal-Memorial, falls es nicht beim voriges Jahr provisorischen Juni-Termin bleiben soll. Der WM-Kampf könnte zwar laut einer früheren Ankündigung der FIDE schon Ende des Jahres in Anands Heimatstadt Chennai über die Bühne gehen. Wahrscheinlicher ist aber 2014 und nach einer Ausschreibung, sobald der Herausforderer in London ermittelt ist.

Gespannt bin ich auch, ob es Andrew Paulson, dem von der FIDE beauftragten Impressario des Grandprix, Kandidatenturniers und der nächsten WM gelingt, die Präsentation des Spitzenschachs zu verbessern. Dass Veranstaltungen wie Linares oder die Amber-Turniere in Monte Carlo und Nizza verschwunden sind, merkt man dem gut gefüllten Kalender jedenfalls nicht an. Für Fans hochklassigen Schachs hat ein gutes Jahr begonnen.

Big Brother-Schach, ja bitte!
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Freitag, 20 Juli 2012 12:08

Big Brother-Schach, ja bitte!

Schach als Zuschauersport, geht das? Bei den Dortmunder Schachtagen 1992 in den Westfalenhallen mit Kasparow waren meiner Erinnerung nach tageweise bis zu 1500 Leute da. Das gilt heute als nicht mehr schaffbar. Schließlich haben wir Internet. Wem die Züge genügen, der fährt nicht mehr ins Dortmunder Schauspielhaus, um das Sparkassen-Chess-Meeting zu sehen. Andere Veranstalter setzen gezielt auf online. Und weil einige Anbieter (Fritz-Server, ICC, TWIC...) die rechtlich noch immer nicht geschützten Züge abgreifen, müssen Veranstalterseiten mehr bieten, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden wollen. Die WM 2008 in Bonn zeigte einiges, was da möglich ist. Die WM kürzlich in Moskau hat die Standards wieder ein kleines Stück nach oben gehievt. 

 

Andrew Paulson, der neue Vermarkter von WM-Zyklus, Weltcup und Grandprix (die Serie beginnt in zwei Monaten in London), möchte darüber hinaus, wie heute in der FAZ zu lesen ist, auch den Spielort selbst spannender gestalten: Rückzügsräume abschaffen, das Publikum ringsum setzen, die Akteure in einem Boxring spielen lassen. Außerdem ihren Puls messen und ihre Augenbewegungen mit der Kamera erfassen. Big Brother-Schach? Ja bitte!

 

Noch gespannter wäre ich, wie die Spieler am Brett denken und fühlen. Was hinterher gesagt wird, ist ja alles schon vom Resultat geprägt und bereinigt. Tkatschjew hat vorgeschlagen, sie quasi vom Brett weg twittern zu lassen (es bräuchte nur ein Eingabegerät ohne Empfang). Ich könnte mir vorstellen, dass Spieler eines Tages, wenn sie sich eine Pause vom Brett gönnen, in einem kleinen Nebenraum vor einer automatischen Kamera drauflos plaudern und eine kluge Regie das den Kommentatoren passend einspielt. Auch die Videoberichte nach den Partien würden enorm profitieren und öfter geschaut werden (und es wäre authentischer als die legendären BBC-Master Games der frühen Achtziger, für die Miles, Nunn, Browne und Co nach den Partien im Präsens einsprachen, was sie ungefähr gedacht haben...). Wer nicht nur gut und kämpferisch spielt, sondern auch vor der Kamera authentisch und witzig rüberkommt, würde dann wohl öfter eingeladen als Langeweiler. Aber damit kann ich leben.  

 

 

Auf Wiedersehen in Bilbao auch ohne Grand Slam Circuit
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Montag, 18 Juni 2012 13:10

Small Slam

Dass Spitzenturniere Spaß machen können, beweist das an diesem Montag zu Ende gegangene Michail-Tal-Gedenkturnier. Von Moskau sollte es für Carlsen und Radschabow gleich weitergehen ins rumänische Bazna. Auch Karjakin, Iwantschuk und Nisipeanu, ja selbst Anand, sind beim "Turnier der Könige" als Teilnehmer aufgeführt. Doch der Wettbewerb, der Ende der Woche losgehen sollte, ist abgesagt. Nur verschoben, hoffen die Veranstalter. Aber im Herbst ist praktisch zu viel los, um noch ein Spitzenturnier in den Kalender zu quetschen. Also ist Bazna wohl zumindest für dieses Jahr ausgefallen.

 

Nachdem es schon Linares erwischt hat, bleibt von der Grand Slam-Serie heuer wenig übrig. Schliesslich sind London, Moskau, Biel und Dortmund nicht Teil der Serie. Das ist offiziell nur Wijk aan Zee und eben das Finale. Aber deren Ausrichter in Sao Paolo und Bilbao ficht das nicht an. Ihr Turnier zwischen 24. September und 13. Oktober ist gesichert. Kramnik als Sieger von London haben sie schon eingeladen (mal sehen, ob er den Wechsel von Kontinent zu Kontinent dieses Mal mitmachen wird). Carlsen ist nicht nur als Vorjahressieger sondern auch Erster von Moskau eingeladen. Der Sieger von Dortmund soll auch gefragt werden. Und Anand als Weltmeister.

(aktualisiert am 21. Juni) 

 

Kramniks Sieg war zu erwarten, Fröwis´ nicht
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Sonntag, 31 Juli 2011 14:10

Von Dortmund nach Wien

Dortmund hat viel Kampfschach und einen überragenden Sieger Kramnik geboten. Was bleibt sonst? Nakamuras Formkrise, Meiers schmerzvolle, aber für sein Weiterkommen nützliche Lektionen, Naiditschs Abwesenheit, eine gegenüber früheren Jahren in schachlicher Sicht deutlich verbesserte Pressearbeit. Unterm Strich meine ich: eindeutig eine der besseren Auflagen der Schachtage aka Sparkassen-Chess-Meeting.
 
Meine Aufmerksamkeit gilt jetzt wieder dem österreichischen Schach. An diesem Sonntag endet die Staatsmeisterschaft mit einem verdienten Außenseitersieg. Georg Fröwis, ein 21jähriger Vorarlberger, profitierte freilich in der Schlussrunde davon, dass Favorit Shengelia in Zeitnot statt stellungsgerecht die Züge zu wiederholen (und sich mit einem geteilten ersten bis dritten Platz bei schlechtester Buchholz abgibt) die Brechstange auspackt und rasch eingeht, so dass er  sich um einen halben Punkt vom buchholzbesseren Andreas Diermair absetzen kann. Fröwis hat eine IM-Norm deutlich übererfüllt, auch Schachinger und Schwabeneder haben IM-Normen geschafft. Bereits ab Mittwoch geht der Staatsmeister seine nächste Norm an, bei einem von mir organisierten IM-Turnier im Stilwerk Wien. Bis 11. August täglich ab 14 Uhr. Zuschauer sind herzlich willkommen. Im Internet gibt es eine Turnierpräsenz und eine Ergebnisseite.  
 
  
Wird Meier (links) am Brett Zähne zeigen?
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Donnerstag, 21 Juli 2011 09:20

Hallo Dortmund!

Dass sich Schachfestivals im Sommer terminlich auf die Füße treten, ist kaum zu vermeiden. Die Dortmunder Schachtage, die an diesem Donnerstag im Schauspielhaus losgehen, sind vor einigen Jahren selbst in die theaterfreie zweite Julihälfte und damit genau den angestammten Termin von Biel gegrätscht. Dass auch die FIDE ihre erstmals nicht mehr im Vier-Jahres-Rhythmus ausgetragene Mannschafts-WM auch noch auf diese Zeit legt, ist gemein (zumal es am Austragungsort, dem subtropischen Ningbo, im Juli heiß und regnerisch ist). Die früher belächelte WM ist so gut besetzt wie nie und verspricht nach dem 1:3 der Russen gegen Aserbaidschan am Mittwoch bis zum Abschluss am kommenden Dienstag hochspannend zu verlaufen. Auch Biel kostet Dortmund internationale Aufmerksamkeit, schraubt Carlsen dort doch mit jedem Sieg seine Weltranglistenführung und Elozahl weiter nach oben.  
 
Dabei hätte Dortmund dieses Jahr mal wieder etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Das Teilnehmerfeld ist das interessanteste seit langem. Dass der in Dortmund zuletzt nur langweilende Leko fehlt (so einen Knaller wie gestern bei der Mannschafts-WM gegen Iwantschuk hat er in "seiner zweiten Heimat" bei jährlicher Teilnahme zuletzt 2002 abgeliefert) und mit Anish Giri und Hikaru Nakamura zwei aufstrebende und nicht um Worte verlegene Hoffnungsträger eingeladen worden, ist unbedingt zu loben. Außerdem den unvermeidlichen Kramnik und Aeroflot-Sieger Le.
 
Zu mehr als einem deutschen Teilnehmer hat man sich trotz des (nicht nur von mir) überdeutlichen Lobs für das Londoner Modell (viermal Weltklasse, viermal nationale Spitze) nicht durchringen können. Kurioserweise wurde Naiditsch von den eigentlich elogeilen Dortmundern ausgerechnet im Jahr seiner besten Zahl ein (in jeder Beziehung um ein Jahr verspäteter) Denkzettel verpasst. Dafür kann er dankbar sein, denn in diesem Feld wäre er meines Ermessens erster Anwärter auf den letzten Platz und einen fetten Eloverlust. Dafür erhält Meier seine erste Chance auf so hohem Niveau. Seine Generalprobe, ein Schnellturnier bei den Maccabi-Spielen in Wien, wo er an die 100 Elopunkte mehr als der Zweitbeste hatte, gewann der Trierer zwar mit 17,5 aus 22, gab dabei aber mehr Punkte ab als erwartet. Ich glaube nicht, dass Meier wie Gusti bei seiner einzigen Dortmunder Chance 2008 den Turniersieg in Greifweite haben sondern mit jedem erbeuteten halben Punkt zufrieden sein wird. Und hoffentlich eine oder zwei gewinnt.
 
Wer kommentiert im Schauspielhaus? Gusti und Naiditsch? Wäre mal interessant gewesen (und ein Anreiz vorbeizuschauen), aber Klaus Bischoff und Sebi Siebrecht werden sicher auch einen guten Job machen.
Unter Beobachtung: Anish Giri
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Freitag, 08 Juli 2011 13:59

Schon 17 drüber

Zwei Punkte Vorsprung hatte Anish Giri nach nur neun Runden. Sein zweiter Niederländischer Titel bei drei Starts könnte auch schon sein letzter gewesen sein, denn sportlich ist es für ihn von nun an keine Herausforderung mehr. Nächstes Jahr wird er nahezu sicher unter den Top 20 der Welt sein. Möglicherweise schon nach seinem nächsten Turnier in Dortmund, wo er ab 21. Juli spielt, denn ihn trennen davon gerade mal noch sieben Elopunkte. Seine Elozahl schraubt er jetzt schon auf 2717, was ja ganz gut zu seinem während des Turniers  (nicht nur mit einem langweiligen Schwarzremis gegen Ivan Sokolov) gefeierten 17.Geburtstag passt. Ein Geburtstagsvideo, das vor allem im ersten Teil sehenswert aus dem Familienalbum schöpft, hat ihm seine jüngere Schwester Natasha gewidmet. Glückwunsch - und alles Gute in Dortmund! 
Naiditsch bei einem Bundesligakampf im Februar
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Samstag, 30 April 2011 17:16

2716

Das ist Arkadi Naiditschs neue Zahl. Unter sämtlichen Spielern in den Top 100 hat er den größten Sprung nach oben gemacht. So viel Elo hatte noch kein Deutscher (hier die derzeit besten 100 Deutschen). Freilich sind Naiditschs Leistungen mit denen Laskers oder Hübners nicht direkt vergleichbar. Dass er dank seiner Riesenleistung in der Bundesliga (13,5 aus 15) einen Sprung macht, war abzusehen. Ihm kommt nun zugute, dass das von ihm mit 8,5 aus 9 gewonnene Open in Deizisau auch bereits ausgewertet ist. Dabei hat sich Naiditsch zuletzt nicht voll auf sein Schach konzentriert und auch seine Fitness schleifen lassen: In Anspruch nahmen ihn fortgesetzter Ärger mit den Funktionären des Deutschen Schachbunds, ein Computeranalyse-Magazinprojekt namens Chess-Evolution und der Launch seiner Website Chesstotal (die er zwischendurch den anderen deutschen Nationalspielern und -spielerinnen zur gemeinsamen Selbstdarstellung anbot, worauf aber kaum jemand einging und auf der Seite tat sich dann auch zuletzt wenig außer der Aktualisierung des lobenswerten Turnierkalenders). Die hohe Zahl und Platzierung unter den ersten 30 der Welt täuschen über Naiditschs wahres aktuelles Leistungsvermögen. Den Elosprung verdankt er seinem gnadenlosen Ausdrücken von Spielern bis etwa 2600. Auf Stärkere traf er zuletzt bei der EM und konnte nicht überzeugen. Bemerkenswert ist auch, dass der Dortmunder ausgerechnet auf dem Höchststand seiner Elokurve von den eigentlich ziemlich elogeilen Veranstaltern in seiner Heimatstadt geschnitten wird. Spekulationen, dass Naiditsch wegen Fehlverhaltens nicht eingeladen ist, hat Turniersprecher Michael Meinders dementiert. Nach der 2010er-Auflage habe man sich entschieden, die beiden Letztplatzierten nicht mehr einzuladen. In Zukunft sei Naiditsch sicher wieder ein Kandidat. Von seiner Seite ist zu hören, dass er nicht überkreuz mit den Veranstaltern sei. Er werde sicher mal vorbeischauen.   

 

  

Trend nach Westen
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Freitag, 29 April 2011 09:23

Heißer Tanz in den Mai

An diesem Samstag endet die Bundesligasaison mit dem Stichkampf zwischen SF Berlin und PHF* Griesheim um den Klassenerhalt. Man trifft sich auf halbem Wege zwischen Hannover (Ilja Schneider) und Poznan im Rathaus Schöneberg. Zuschauer sind auch online willkommen. Der Gastgeber plant zusätzlich einen Liveticker. Vor dem schachlichen Showdown sind beide Mannschaften beschäftigt, aktuelle Turnierwebsites zu studieren, um herauszufinden, wer vom anderen Team gerade verhindert ist und auf wen man sich darum vorbereiten sollte. Die Berliner sind nach Elo und aufgrund des 5,5:2,5 im direkten Vergleich favorisiert. Mannschaftsführer Rainer Polzin ist wohl noch besoffen vom Schlussrundenkrimi und erwartet "Maximale Spannung". Geht es 4:4 aus, entscheidet die Berliner Wertung. Womit der Farbauslosung unmittelbar vor Spielbeginn einige Bedeutung zukommt, prädestiniert Weiß an den ungeraden Brettern doch für einen Sieg nach Berliner Wertung (fairer wäre wohl, was ich mir als Kind spontan darunter vorgestellt hätte: einen Riesenberg Krapfen, Faschingsküchle, Pfannkuchen oder eben Berliner auszupacken,und welches Team mehr davon verdrückt, gewinnt...). Wer verliert, ist am Tag darauf quasi schon an der richtigen Stelle, um sich abzureagieren. Der Sieger darf sich nächste Saison mit Trier, vielleicht Remagen und den starken Aufsteigern Dortmund und Hockenheim (die beiden anderen, Tegel und Dresden, dürften wenig Chancen haben) um den Klassenerhalt prügeln. So oder so ist und bleibt die Liga eine ziemlich westliche Angelegenheit. Mit zwei (falls sich Griesheim durchsetzt) oder drei Ausnahmen drängeln sich alle Erstligavereine im westlichen Drittel der Republik. Das größte Bundesland Bayern ist gar nicht vertreten, das bevölkerungsstärkste NRW stellt dagegen fast die Hälfte der Teams.

*Polnisch-Hessische Freundschaft, früher bekannt als Polonia Griesheim

Freitag, 08 April 2011 08:23

Wir wissen nichts von Absprachen

Alles redet vom Betrug mit Computerhilfe und wie man ihn verhindern, entdecken, beweisen, bestrafen und (wohl besser nicht nur häppchenweise) kommunizieren soll. Was ist mit dem nicht erst seit die Computer so stark geworden sind, dass auch Spitzenspieler von signalisierten Zügen profitieren, latenten Betrug durch Partieabsprachen? Es ist ein offenes Geheimnis, dass zwei Teilnehmer des nächsten Monat anstehenden Kandidatenturniers während eines Ausscheidungsturniers laut Überzeugung nahezu aller dabei anwesenden Kollegen das Resultat ihrer Begegnung, sagen wir mal, optimiert haben. Wie bereits in der FAZ geschildert haben diese Kollegen den Fall und die Indizien noch am Ort diskutiert und sich geeinigt, dass keiner von ihnen den schwerwiegenden Verdacht an die Öffentlichkeit bringt, damit sich keiner persönlich verbrennt oder Sanktionen durch die FIDE, die die mutmaßliche Partieabsprache anscheinend duldete, riskiert. Die Dortmunder Schachtage, die gerade ihr Teilnehmerfeld (Kramnik, Nakamura, Ponomarjow, Le, Giri, Meier) und ihren Termin (21.-31.7.) bekannt gegeben haben, haben mir durch ihren Pressesprecher Michael Meinders mitgeteilt, dass im Zusammenhang mit dem Sparkassen Chess Meeting 2010 vom Organisationsteam keine Untersuchungen wegen Betrug durch Partieabsprachen unternommen worden und auch keine Betrugsversuche bekannt seien. Ich schließe daraus, dass es auch keinen Zusammenhang mit der in der Presseaussendung nicht kommentierten Nichteinladung eines Dortmunder Großmeisters gibt.

Schöpferische Pause für Leko
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Was bisher über das Teilnehmerfeld der diesjährigen Dortmunder Schachtage nach außen sickert (Le Quang, Nakamura!, Giri!!, ein deutscher Spieler, der nicht Naiditsch heißt!!!), deutet auf ein Umdenken hin. Der seit über einem Jahrzehnt trotz schon seit längerem unbefriedigenden Ergebnissen gesetzte Peter Leko wird trotz seines Dortmunder Managers Carsten Hensel heuer nicht dabei sein.

Was macht der Ungar, der von 20 bis 30 praktisch ständig in den Top Ten war und nun auf Rang 26 abgerutscht ist, eigentlich? Seit der Schacholympiade hat man von dem 31jährigen nichts gehört. Schon in Chanti-Mansisk wollte Leko eigentlich nicht mitspielen, hat sich aber breitschlagen lassen. Seine Website wird schon seit 2009 nicht mehr aktualisiert. Nun gönnt er sich, was er schon nach seinem knappen, durch ein Unentschieden gegen Kramnik verlorenen WM-Kampf 2004 hätte tun sollen, eine schöpferische Pause. Nicht weil er Vater würde, auch nicht für eine größere Reise, sondern einfach, um wieder frische Ideen und frischen Mut zu tanken. Jahrelang bestritt er fast ausschließlich Weltklasseturniere und konnte zuletzt gegen starke Konkurrenten, obwohl es ihm an Spielverständnis sicher nicht fehlt, kaum noch gewinnen. Obwohl er kämpfte, hängt ihm wegen seiner vielen Remis und allzu soliden Eröffnungen das Image des Langweilers an. Nun trainiert er zuhause in Szeged, kriegt gelegentlich Besuch von Analysepartnern wie Berkes und Balogh (ob er auch seinerseits wieder Kramnik wie bei der WM 2008 als Sekundant  im Kandidatenturnier hilft, ist nicht bekannt) und rüstet sich mit hoffentlich mutigeren Varianten fürs Comeback. Voraussichtlich in der zweiten Julihälfte, aber eben nicht in Dortmund sondern bei der Mannschafts-WM im chinesischen Ningbo.   

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Condor

Freitag, 31 Dezember 2010 01:27

2010 im Schnelldurchlauf

Das zu Ende gehende Jahr war ein ereignisreiches Schachjahr, aber war es auch ein gutes? Welche Ereignisse, welche Spieler haben es geprägt? Einige Glanzpunkte setzte sicher die Jugend. Als Erinnerungsstütze ein kurzer, nicht ganz unsubjektiver Überblick.

Los ging es mit der Mannschafts-WM im türkischen Bursa und einem Favoritensieg Russlands. Überraschend holten die USA mit dem überragenden Nakamura und Indien, obwohl ohne Anand, die Medaillen vor den höher eingeschätzten Team aus Aserbaidschan und Armenien. Den besten Start des Jahres erwischte Alexei Schirow in Wijk aan Zee mit fünf Siegen en suite. Am Ende wurde er dann doch noch überholt von dem trotz seiner erst 19 Jahre seit 1.Januar Führenden der Weltrangliste Magnus Carlsen. Die B-Gruppe wurde eine Beute des nächsten Carlsen, des 15jährigen Anish Giri.

Weltmeister Anand riss sich in Wijk aan Zee bei seinem letzten Test vor seinem Titelkampf kein Bein aus und holte seine üblichen plus zwei. Anders einen Monat später Wesselin Topalow: Mit unberechenbarem, hoch riskantem Schach gewann der Herausforderer in Linares, wo allerdings weder Carlsen, Anand noch Kramnik am Start war. Das wahrscheinlich stärkste Open des Jahres gewann der 18jährige Vietname Le Quang Liem. Während die Nationalspieler bei der EM in Rijeka unter ferner liefen mit ansahen, wie der 19jährige Jan Nepomnjaschtschi als Nummer 35 der Setzliste Europameister wurde, holte sich ein anderer Junior, der 18jährige Hamburger Schüler Nicolas Huschenbeth den deutschen Titel.

In der Bundesliga war der Titelgewinn des hohen Favoriten Baden-Baden nach einer Niederlage gegen Werder Bremen dank der ebenfalls vorne mitmischenden Solinger erst im letzten Spiel perfekt. Spannend verlief auch die WM. Anfangs überschattet von der Flugsperre, die Anands Reise nach Sofia erschwerte, und Spekulationen über Provokationen in der Heimat des Herausforderers wurde es ein fairer und hochklassiger Zweikampf, den Anand knapp aber zu Recht gewann. Zur gleichen Zeit und ein halbes Jahr zu spät kam der FIDE-Grandprix in Astrachan doch noch zu einem Abschluss, der aber überschattet wurde von Mutmaßungen über eine Partieabsprache zwischen Mamedscharow und Radschabow, die letzterem zum letzten offenen Platz im Kandidatenturnier verholfen haben könnte.

Korruption ist im Weltschach sonst eher auf Funktionärsebene ein Problem. Hoffnungen auf Veränderung nährte die Kandidatur von Anatoli Karpow um die FIDE-Präsidentschaft mit maßgeblicher Unterstützung von Garri Kasparow und dessen Draht zu Financiers im Westen. Das Turnier im rumänischen Bazna mauserte sich zum Elitewettbewerb. Der Sieger hieß einmal mehr Carlsen. Derweil eskalierte ein seit längerem schwelender Streit zwischen den Nationalspielern und dem Deutschen Schachbund um Honorare und die Bedingungen für Profis in Deutschland. Dazu gehört etwa auch, dass in Dortmund nur Naiditsch willkommen ist (das unzureichend gemanagte Turnier gewann heuer Ponomarjow) und in Mainz, dem Treffpunkt des Schachs in Deutschland, aufgrund der Wirtschaftskrise das Programm auf zweieinhalb Tage eingedampft werden musste.

Bei der Schacholympiade holte dann eine Ersatzauswahl mit Platz 64 das mit Abstand schlechteste deutsche Ergebnis. Im sibirischen Chanti-Mansisk enttäuschte auch Gastgeber Russland und musste Gold den leidenschaftlicheren, von einem entfesselten Wassili Iwantschuk angeführten Ukrainern überlassen. Dafür dominierten die Russinnen den Frauenwettbewerb. Bei der FIDE-Wahl unterlag Karpow mit praktisch der selben Marge wie vier Jahre zuvor Bessel Kok gegen Kirsan Iljumschinow, dessen Hintermänner seit 1995 in die eigenen Taschen wirtschaftend das Chaos verwalten.
Als Finale der unabhängigen Grand-Slam-Turniere hatte Bilbao eine schiefe Optik, hatte doch nahezu alle Qualifikationswettbewerbe Carlsen gewonnen, der gerade eine Formkrise durchmachte, während der einzige andere Qualifizierte Topalow von vornherein absagte. Kramnik gewann. Nur wenige Tage später begann der neue Grand Slam Tausende Kilometer entfernt in Nanking, wo Carlsen wie verwandelt agierte und überlegen gewann.

Kurz danach schockte der Norweger, dessen WM-Sieg für viele nur eine Frage der Zeit ist, mit dem Rücktritt aus dem im Frühjahr anstehenden Kandidatenturnier. Keinen klaren Sieger gab es in Moskau. Aronjan (der anschließend die Blitz-WM gewann), Mamedscharow und Karjakin teilten am Ende Platz eins. Das wäre nach der üblichen Wertung auch in London der Fall gewesen. Weil ein Sieg dort aber drei Punkte wert war, wurde Carlsen vor McShane und Anand zum Sieger erklärt. Zwischendurch setzte Marc Lang, FIDE-Meister aus Günzburg, mit einem Blindsimultan gegen 35 Gegner das deutsche Schachhighlight des Jahres. Die Frauen-WM im türkischen Antakya wurde von den Chinesinnen dominiert. Den Titel holte sich die 16jährige Hou Yifan, so dass sie sich künftig wohl öfter mit Männern messen darf.

Russischer Meister wurde nach einem Stichkampf, in dem es nur Remisen gab, und obwohl er zuvor im regulären Vergleich gegen den gleichaltrigen Karjakin unterlegen war, der mittlerweile 20jährige Nepomnjaschtschi. An die Weltranglistenspitze kehrt aber, nachdem zwischenzeitlich Anand vorne war, Carlsen (ebenfalls 20) zurück.