Big Brother-Schach, ja bitte!
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Freitag, 20 Juli 2012 12:08

Big Brother-Schach, ja bitte!

Schach als Zuschauersport, geht das? Bei den Dortmunder Schachtagen 1992 in den Westfalenhallen mit Kasparow waren meiner Erinnerung nach tageweise bis zu 1500 Leute da. Das gilt heute als nicht mehr schaffbar. Schließlich haben wir Internet. Wem die Züge genügen, der fährt nicht mehr ins Dortmunder Schauspielhaus, um das Sparkassen-Chess-Meeting zu sehen. Andere Veranstalter setzen gezielt auf online. Und weil einige Anbieter (Fritz-Server, ICC, TWIC...) die rechtlich noch immer nicht geschützten Züge abgreifen, müssen Veranstalterseiten mehr bieten, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden wollen. Die WM 2008 in Bonn zeigte einiges, was da möglich ist. Die WM kürzlich in Moskau hat die Standards wieder ein kleines Stück nach oben gehievt. 

 

Andrew Paulson, der neue Vermarkter von WM-Zyklus, Weltcup und Grandprix (die Serie beginnt in zwei Monaten in London), möchte darüber hinaus, wie heute in der FAZ zu lesen ist, auch den Spielort selbst spannender gestalten: Rückzügsräume abschaffen, das Publikum ringsum setzen, die Akteure in einem Boxring spielen lassen. Außerdem ihren Puls messen und ihre Augenbewegungen mit der Kamera erfassen. Big Brother-Schach? Ja bitte!

 

Noch gespannter wäre ich, wie die Spieler am Brett denken und fühlen. Was hinterher gesagt wird, ist ja alles schon vom Resultat geprägt und bereinigt. Tkatschjew hat vorgeschlagen, sie quasi vom Brett weg twittern zu lassen (es bräuchte nur ein Eingabegerät ohne Empfang). Ich könnte mir vorstellen, dass Spieler eines Tages, wenn sie sich eine Pause vom Brett gönnen, in einem kleinen Nebenraum vor einer automatischen Kamera drauflos plaudern und eine kluge Regie das den Kommentatoren passend einspielt. Auch die Videoberichte nach den Partien würden enorm profitieren und öfter geschaut werden (und es wäre authentischer als die legendären BBC-Master Games der frühen Achtziger, für die Miles, Nunn, Browne und Co nach den Partien im Präsens einsprachen, was sie ungefähr gedacht haben...). Wer nicht nur gut und kämpferisch spielt, sondern auch vor der Kamera authentisch und witzig rüberkommt, würde dann wohl öfter eingeladen als Langeweiler. Aber damit kann ich leben.