Vorentscheidung auf der Deutschen Meisterschaft?
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Das Schach des Wettkampfs folgt nicht immer dem unabdingbaren analytischen Anspruch der Trainingsphase. Mit fortgeschrittener Stunde steigt die Fehlerquote erheblich, und auch starke Großmeister bleiben von groben Schnitzern nicht verschont. In Zeitnot spielt niemand gut! Jüngstes Beispiel war die heutige Partie am Spitzenbrett der Deutschen Meisterschaft zwischen Niklas Huschenbeth (Deutscher Meister 2010) und Titelverteidiger Igor Khenkin.

Das Gleichgewicht war lange Zeit nicht wesentlich gestört, und die Partie erreichte ein remisliches Turmendspiel, aus dem ich mich als Zuschauer ausklinkte. Ein erneuter Blick rund 30 Minuten später offenbarte, dass die Irrungen hier erst begangen:

huschkhenk350

Huschenbeth,Niclas (2509) - Khenkin,Igor (2632)

49...Kd4 50.h6 gxh6= 51.Kf5?? -+ Ein eigentlich folgenschwerer Fehler, der den schwarzen König ins Spiel kommen lässt. 51.Tg1 (g7 verbietet sich wegen Tf7+) e3 52.Kf3 e2 53.Kf2 b5 54.Ke1 Tg7 55. Kxe2 führt schnell zum Remis

bannerendspiel anz51...Te8??= Lässt die Chance ungenutzt: 51...e3 52.g7 Tf7+ Dieses lästige Zwischenschach hatte Huschenbeth wohl übersehen. Nun kommt der weiße Turm nicht hinter den e-Bauern, was im weiteren Verlauf noch essentielle Bedeutung hat. 53.Kg6 Txg7+ 54.Kxg7 e2 55.Tg1 Ke3 Weiß muss den Turm für den Bauern geben und der schwarze b-Bauer entscheidet. 52.g7 Tg8 53.Kg6 e3 54.Tg1??-+ (-7 BE) Damit lenkt Weiß fast in die letzte Variante ein und verliert kampflos. Das Remis war jedoch nahe: 54.Kh7 Txg7+ (oder 54...e2 55.Kxg8 e1D 56.Tg4+ Kc5 57.Kh8) 55.Txg7 e2 56.Td7+ Remis durch Schachs von hinten Kc4 57.Te7 Kd3 58.Td7+ Kc2 59.Tc7+ Kd2 60.Td7+ Ke1 61.Txb7. e2 55.Kxh6 Ke3 56.Kh7 Txg7+ 57.Kxg7 Kf2 58.Tb1 e1D 59.Txb7 Dc3+ 60.Kh7 Dh3+ 0–1

Eigentlich einfach – oder? Zuschauer mit Computerunterstützung sehen mehr…

Auf hoher See, vor Gericht und bei einer Turnierpartie ist man jedoch in Gottes Hand.

Nach sieben Runden weist Khenkin einen halben Punkt Vorsprung auf und ist somit klarer Anwärter auf den zweiten Titel in Folge.

Niclas Huschenbeth würde der Abstieg am wenigsten treffen
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Donnerstag, 09 Februar 2012 15:44

Ein Jammer für die Liga

Der Hamburger SK von 1830 ist nicht nur Deutschlands ältester sondern auch, wenn man nicht allein nach sportlichen Titeln rechnet, erfolgreichster Schachverein. Der HSK hat die meisten Mitglieder, darunter viele, die sich für Schach engagieren, ein eigenes Haus, in dem fast jeden Tag Schach geboten wird, neuerdings eine eigene Schachschule und Mannschaften in praktisch jeder Spielklasse, ob Männer, Frauen oder Jugend. Aber wohl nur noch bis zum Sommer. Die erste Mannschaft des HSK ist nämlich so nah am Abstieg wie noch nie in keiner der vorangehenden 31 Spielzeiten der eingleisigen Schachbundesliga, der sonst nur die SG Solingen von Beginn an angehört. Am Wochenende kamen Rivalen zu überraschenden Erfolgen (Emsdetten schlug Mülheim-Nord und Tegel Hockenheim jeweils 4,5:3,5), während Hamburg gegen den direkten Konkurrenten Trier mit 2,5:5,5 unter die Räder kam (bei Vorgabe einer Weißpartie, weil Huschenbeth erst ein Flieger ausfiel und der am kommenden Tag reichlich Verspätung hatte). Das Restprogramm spricht eher gegen den HSK. Und dass die Zweitligamannschaft durch einen Sieg in der Nordstaffel den Abstieg neutralisiert, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber ziemlich unwahrscheinlich.

Mit Niclas Huschenbeth, Dirk Sebastian, Karsten Müller, Thies Heinemann und Dorian Rogoczenko gibt es immerhin fünf Hamburger im Stammkader. Nur Tegel, das Überraschungsteam der Saison, hat mehr Spieler aus der eigenen Stadt. Beim HSK fiebern zahlreiche Mitglieder mit der Bundesligamannschaft, aus deren Reihen regelmäßig jemand gleich am Montag nach der Ligarunde im Klubhaus die Partien und Kämpfe kommentiert. Erwischt es den HSK, leiden auch die damit zum Mitabstieg verurteilten unteren Mannschaften. Den sportlich meistversprechenden Hamburger träfe der Abstieg allerdings am wenigsten. Huschenbeth studiert ab Herbst in den USA. Der HSK wird (ein Jahr) ohne die Liga leben können, aber kann die Liga ohne den HSK leben? Braucht die Bundesliga nicht intakte Vereine, die mehr vorzuzeigen haben als eine zusammengekaufte Truppe ohne Bezug zum Restverein oder wenigstens zur örtlichen Schachcommunity?  

Freitag, 31 Dezember 2010 01:27

2010 im Schnelldurchlauf

Das zu Ende gehende Jahr war ein ereignisreiches Schachjahr, aber war es auch ein gutes? Welche Ereignisse, welche Spieler haben es geprägt? Einige Glanzpunkte setzte sicher die Jugend. Als Erinnerungsstütze ein kurzer, nicht ganz unsubjektiver Überblick.

Los ging es mit der Mannschafts-WM im türkischen Bursa und einem Favoritensieg Russlands. Überraschend holten die USA mit dem überragenden Nakamura und Indien, obwohl ohne Anand, die Medaillen vor den höher eingeschätzten Team aus Aserbaidschan und Armenien. Den besten Start des Jahres erwischte Alexei Schirow in Wijk aan Zee mit fünf Siegen en suite. Am Ende wurde er dann doch noch überholt von dem trotz seiner erst 19 Jahre seit 1.Januar Führenden der Weltrangliste Magnus Carlsen. Die B-Gruppe wurde eine Beute des nächsten Carlsen, des 15jährigen Anish Giri.

Weltmeister Anand riss sich in Wijk aan Zee bei seinem letzten Test vor seinem Titelkampf kein Bein aus und holte seine üblichen plus zwei. Anders einen Monat später Wesselin Topalow: Mit unberechenbarem, hoch riskantem Schach gewann der Herausforderer in Linares, wo allerdings weder Carlsen, Anand noch Kramnik am Start war. Das wahrscheinlich stärkste Open des Jahres gewann der 18jährige Vietname Le Quang Liem. Während die Nationalspieler bei der EM in Rijeka unter ferner liefen mit ansahen, wie der 19jährige Jan Nepomnjaschtschi als Nummer 35 der Setzliste Europameister wurde, holte sich ein anderer Junior, der 18jährige Hamburger Schüler Nicolas Huschenbeth den deutschen Titel.

In der Bundesliga war der Titelgewinn des hohen Favoriten Baden-Baden nach einer Niederlage gegen Werder Bremen dank der ebenfalls vorne mitmischenden Solinger erst im letzten Spiel perfekt. Spannend verlief auch die WM. Anfangs überschattet von der Flugsperre, die Anands Reise nach Sofia erschwerte, und Spekulationen über Provokationen in der Heimat des Herausforderers wurde es ein fairer und hochklassiger Zweikampf, den Anand knapp aber zu Recht gewann. Zur gleichen Zeit und ein halbes Jahr zu spät kam der FIDE-Grandprix in Astrachan doch noch zu einem Abschluss, der aber überschattet wurde von Mutmaßungen über eine Partieabsprache zwischen Mamedscharow und Radschabow, die letzterem zum letzten offenen Platz im Kandidatenturnier verholfen haben könnte.

Korruption ist im Weltschach sonst eher auf Funktionärsebene ein Problem. Hoffnungen auf Veränderung nährte die Kandidatur von Anatoli Karpow um die FIDE-Präsidentschaft mit maßgeblicher Unterstützung von Garri Kasparow und dessen Draht zu Financiers im Westen. Das Turnier im rumänischen Bazna mauserte sich zum Elitewettbewerb. Der Sieger hieß einmal mehr Carlsen. Derweil eskalierte ein seit längerem schwelender Streit zwischen den Nationalspielern und dem Deutschen Schachbund um Honorare und die Bedingungen für Profis in Deutschland. Dazu gehört etwa auch, dass in Dortmund nur Naiditsch willkommen ist (das unzureichend gemanagte Turnier gewann heuer Ponomarjow) und in Mainz, dem Treffpunkt des Schachs in Deutschland, aufgrund der Wirtschaftskrise das Programm auf zweieinhalb Tage eingedampft werden musste.

Bei der Schacholympiade holte dann eine Ersatzauswahl mit Platz 64 das mit Abstand schlechteste deutsche Ergebnis. Im sibirischen Chanti-Mansisk enttäuschte auch Gastgeber Russland und musste Gold den leidenschaftlicheren, von einem entfesselten Wassili Iwantschuk angeführten Ukrainern überlassen. Dafür dominierten die Russinnen den Frauenwettbewerb. Bei der FIDE-Wahl unterlag Karpow mit praktisch der selben Marge wie vier Jahre zuvor Bessel Kok gegen Kirsan Iljumschinow, dessen Hintermänner seit 1995 in die eigenen Taschen wirtschaftend das Chaos verwalten.
Als Finale der unabhängigen Grand-Slam-Turniere hatte Bilbao eine schiefe Optik, hatte doch nahezu alle Qualifikationswettbewerbe Carlsen gewonnen, der gerade eine Formkrise durchmachte, während der einzige andere Qualifizierte Topalow von vornherein absagte. Kramnik gewann. Nur wenige Tage später begann der neue Grand Slam Tausende Kilometer entfernt in Nanking, wo Carlsen wie verwandelt agierte und überlegen gewann.

Kurz danach schockte der Norweger, dessen WM-Sieg für viele nur eine Frage der Zeit ist, mit dem Rücktritt aus dem im Frühjahr anstehenden Kandidatenturnier. Keinen klaren Sieger gab es in Moskau. Aronjan (der anschließend die Blitz-WM gewann), Mamedscharow und Karjakin teilten am Ende Platz eins. Das wäre nach der üblichen Wertung auch in London der Fall gewesen. Weil ein Sieg dort aber drei Punkte wert war, wurde Carlsen vor McShane und Anand zum Sieger erklärt. Zwischendurch setzte Marc Lang, FIDE-Meister aus Günzburg, mit einem Blindsimultan gegen 35 Gegner das deutsche Schachhighlight des Jahres. Die Frauen-WM im türkischen Antakya wurde von den Chinesinnen dominiert. Den Titel holte sich die 16jährige Hou Yifan, so dass sie sich künftig wohl öfter mit Männern messen darf.

Russischer Meister wurde nach einem Stichkampf, in dem es nur Remisen gab, und obwohl er zuvor im regulären Vergleich gegen den gleichaltrigen Karjakin unterlegen war, der mittlerweile 20jährige Nepomnjaschtschi. An die Weltranglistenspitze kehrt aber, nachdem zwischenzeitlich Anand vorne war, Carlsen (ebenfalls 20) zurück.