Trotz Frühling: WM wird fortgesetzt

Frühling allerorten! Frühling allerorten! OSt

Erwiesenermaßen ist es für niemanden ganz leicht, bei großer Hitze Sport zu treiben. Das ist nicht nur beim Fußball so, dem großen Seelenverwandten des Schachs, sondern auch beim Trendsport Fußball-Schach.
(Erst kürzlich konnte ein HSK-Allstar-Team ein Turnier in Bremen
trotz guten Wetters souverän für sich entscheiden.)
Auch für das königliche Spiel sind die dramatischen Folgen erhöhter Sonneneinstrahlung bekannt:

-     - Schon 1921, als Lasker gegen Capablanca um den Weltmeistertitel rang, schien die Sonn´ ohn´ Unterlass. Niemanden indes wunderte das sehr – schließlich fand das Match in Havanna, direkt vor der Haustür Capablancas statt!
Wie man so hört, litt der deutsche Titelverteidiger sehr unter der Hitze und präsentierte sich auf Kuba nicht in der gewohnten Form. Capablanca dagegen schnappte sich einfach immer den Platz am Spieltisch, der im Schatten und näher am Ventilator stand. Ergebnis: der Titel ging an den Kubaner!
habana palazzo del governatore- madaki
Der Gouverneurspalast in Habana: wo sind die schattigsten Plätze?
                                                 (Photo Madaki, Wikicommons, gracias, senor!)

-    - Beim (hierzulande eher wenig beachteten) Oxford Weekender 2004 saßen sich einst Jonathan Rowson und Colin Crouch gegenüber. Es war die letzte Runde von insgesamt fünf, und der schöne Sonnenschein außerhalb des Turniersaals hätte die Welt beinahe um eine nette kleine Partie gebracht. Rowson berichtet:

-          It was a warm Sunday afternoon in the beautiful city of Oxford. I was looking forward to finishing this game and getting out in the sunshine to meet up with some old friends. […] This factor, in addition to the general desire to get outside, made it all more tempting to end the game.” (Chess for Zebras, S.187 f.)

-          rowson jonathan 20081120 olympiade dresden-frank hoppe

J     Jonathan Rowson aus Schottland: Schach ist schön, aber Sonnenschein auch!

                                                                  (Photo Frank Hoppe - moin nach Berlin)

-     - Der Wunsch, sowohl Schach zu spielen als auch gleichzeitig den Tag beim Baden, auf einer Wiese oder radfahrend zu verbringen, stellt schon seit Jahrzehnten Schachspieler auf der ganzen Welt vor ein nur schwer lösbares Rätsel. Wir alle kennen diesen tiefen moralischen Konflikt. Wie soll man sich da bloß entscheiden?
smallfrhling
Sogar in Bremen ist jetzt der Frühling angekommen.
                    Will man da
wirklich noch Schach spielen?


Trotz WM: Frühling wird fortgesetzt

Wie Fotos nahelegen, scheint in Moskau ja schon seit Beginn der Weltmeisterschaft die Sonne. Der plötzliche Frühlingseinbruch erklärt nun endlich auch, warum sowohl Anand als auch Gelfand die ersten sechs Partien mit farblosen Remisen schnell hinter sich brachten – der Winter war lang, und sie wollten einfach raus in die Sonne! Ob zwischenzeitlich sogar der frühlingsbedingte Abbruch der Weltmeisterschaft gedroht hat?

Mittlerweile scheinen sich Anand und Gelfand an der frischen Luft ausgetobt zu haben. In den letzten drei Runden saßen sie schon wieder mit großer Ausdauer im dunklen Turniersaal und verdrängten den Rest der Welt und das gute Wetter aus ihrem Bewusstsein. Allerdings wurde noch schnell nachverhandelt – der Spielplan sieht von nun an nach jeder Partie eine eintägige Pause vor. Zeit genug für das Schwimmbad und ein kühles Bier an der Moskva. Wir sind glücklich – die ehrenvolle Fortsetzung der Weltmeisterschaft ist damit gesichert!

Die heutige zehnte Partie zauberte schon wieder ein paar bunte Bilder aufs Brett. Gelfand mit den schwarzen Steinen ließ es sich nicht nehmen, in einer sizilianischen Partie ein paar exaltierte Manöver zu zelebrieren. Erst zog er seinen e-Bauern nach e6, dann wenig später schob er ihn weiter nach e5 – was hätte wohl Tarrasch dazu gesagt?

gelfand- anand 42

Anand hat sich während der Partie zu diesen Zügen noch nicht geäußert. Stattdessen ließ er Taten sprechen und eroberte schon bald ebenjenen Bauern auf e5. Das aber rief Gelfands Dame auf den Plan, die nun einige Züge lang herumschwirrte, ihrerseits einen Bauern gewann und dann zusammen mit der weißen Dame vom Feld gestellt wurde.

gelfand- anand 43

Seitdem sehen wir eine Massagestellung – Anand hat es sich im heraufziehenden Endspiel gemütlich gemacht und drückt auf den gegnerischen Doppelbauern c5/c6. Das ist keine Stellung, die man im Vereinsturnier gegen einen gleichstarken Gegner verteidigen möchte – und gegen Anand bei einer WM schon gar nicht! Ob Gelfand das alles so geplant hat?

gelfand- anand 46

Wir werden sehen. Die Partie kann noch lange dauern, und die Kontrahenten werden wohl noch einige Zeit auf ihrer dunklen Bühne verbringen müssen. Damit sinken zwar auch die Chancen auf ein Sonnenbad für heute, aber wie gesagt – morgen ist ja Ruhetag!

Update: nichts da mit noch langem Spielen - die Partie wurde soeben Remis. Neuer Zwischenstand: 5 : 5. Nun sind es noch zwei Partien bis zum Elfmeterschießen.

gelfand- anand 44

Well, it´s been a long, hard day: die Spieler einigten sich auf Unentschieden!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.