Remis nach fünf Zügen

Sonntagmorgen, 11 Uhr, in der zweiten Bundesliga treffen Hofheim und Bad Godesberg aufeinander. Am Spitzenbrett kommt es zur Paarung Robert Hübner – Jörg Hickl und nach den Zügen 1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 e5 4. Dxe5 dxe5 5.Dxd8 um 11.03 Uhr zu einem Remisangebot. Dem kurzen Überraschungsmoment folgt schnell die Gewissheit, gegen den für mich bedeutendsten deutschen Schachspieler aller Zeiten nicht ablehnen können. Zumal uns mehr verbindet als ein 25-jähriges schachliches Miteinander – Hübner wird u. a. für das erste Seminarturnier im November als Trainer zur Verfügung stehen.

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Robert Hübner 1966
Bild: GFHund
Robert Hübner 2008
Bild: stefan64

Nach Rücksprache mit dem Mannschaftsführer ist somit unser beider kürzeste Remispartie besiegelt. Hübner merkte anschließend an, die Nacht aufgrund schwerer Erkältung nicht geschlafen zu haben. Für mich ist das Angebot nachvollziehbar und absolut mannschaftsdienlich. Die Alternative, sich krankzumelden und das Brett möglicherweise freilassen zu müssen, befriedigt ebenso wenig.

Doch in einem Zeitalter, in dem Rufe nach Sofia-Regel (Remisangebote vor dem 30. Zug sind nicht erlaubt) oder sogar der Abschaffung des Remis immer lauter werden, wirft ein solches, nach außen ohne Begründung erscheinendes Ergebnis Fragen auf.

bannerendspiel anzAuf ECU-Ebene (European Chess Union) hat Präsident und Erfinder der Sofia-Regel, Silvio Danailow, bereits neue Regelungen implementiert. Im Allgemeinen reagiert Deutschlands Schachbund recht schnell auf solche Veränderungen, so dass wir uns in Kürze möglicherweise mit diesem Thema auseinadersetzen müssen.

Für mich sind die bestehenden Regelungen vollkommen ausreichend. Spieler, die zu häufig kurze Partien spielen, müssen von Organisatoren nicht eingeladen werden, und auf Spitzenturnieren kann jeder Veranstalter die Sache individuell vertraglich regeln. Dagegen spräche ebenfalls ein zuweilen turniertaktisches Element zu entfernen. Auch billige ich es den Spielern zu, bei kräftezehrenden Openturnieren einmal eine Verschnaufpause einlegen zu dürfen.

Die ständigen Regeländerungen (Handyverbot, Null-Minuten-Karenzzeit, Bedenkzeitverkürzung etc.) reglementieren den Sport immer mehr und machen ihn für die breite Masse keineswegs attraktiver.

Doch was halten Sie davon?

Links oben finden Sie unsere Umfrage zu diesem Thema. Wir freuen uns über eine rege Teilnahme und Stellungnahmen im Kommentarbereich.

Unsere parallel durchgeführte Umfrage "Brauchen wir eine Änderung der Remisregelung?" zeichnete in deutliches Bild. Mit fast 85% (419 zu 80 Stimmen) wurde für die Beibehaltung des aktuellen Regelwerkes gestimmt.

Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

Kommentare   

-1 #1 Bercher 2012-02-06 21:17
Das Remis entsprach den Regeln und ist "unter Freuden" verständlich.

Aber war das eine Partie für die Zuschauer ??? :sad:
+1 #2 Gerald Braunberger 2012-02-06 23:51
Ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partie Hübner-Hickl oder Hickl-Hübner mit einem Remis endet, wirklich abhängig von den konkreten Regularien?

Wenn man "unter Freunden", und hier müsste man wohl ergänzen: "unter Geschäftspartnern", Remis spielen will, wird es in jedem Modus möglich sein. Im Zweifel werden es zwei erfahrene Großmeister sicherlich schaffen, eine Eröffnungsvariante zu finden, in der schnell alles Wesentliche abgeholzt wird oder ein Dauerschach entsteht.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob ein solch spezieller Fall geeignet ist, als Aufhänger für eine generelle Debatte über Remisregeln zu dienen.

Gruß
gb.
+1 #3 Jörg Hickl 2012-02-07 10:22
@Bercher: Hübner und ich haben noch nie ein schnelles Remis "unter Freunden" gemacht, der Zügeschnitt der fast 10 Partien liegt jenseits 30.

Und natürlich war es keine Partie für die Zuschauer. Doch ist dies nicht genau der Punkt um den es bei der Fordrung nach Regeländerung geht?

Ist das Interesse weniger Zuschauer, von denen wohl weit mehr als 90% keinen finanziellen Beitrag leisten, höher einzuschätzen als das der Aktiven?
Zumal auch bei dem Mannschaftskampf sieben weitere Partien bis hin zur Zeitnotphase gingen.
+1 #4 Thomas Richter 2012-02-07 10:58
Es kann ja nicht darum gehen, Kurzremisen generell zu verhindern. Gerald Braunberger hat Recht: wenn sich die Spieler bereits VOR der Partie einig sind - "wo ein Wille ist ist ein Weg" (auch Amateure können einschlägige Eröffnungsvarianten auswendig lernen, einmal hab' ich das auch gemacht). Und manchmal kann eine Stellung auch schnell definitiv verflachen bzw. zu einem forcierten Dauerschach führen obwohl einer oder beide Spieler eigentlich gewinnen wollten. Was bringt es dann die Züge fünfmal zu wiederholen oder in einem tot-remisen Endspiel einige pro forma Züge auszuführen um den 30. Zug zu erreichen?

Nein es geht eher um zu frühe Remisen. Im gegebenen Fall ist es vielleicht irrelevant dass Hickl und Hübner sich gut kennen - ich vermute mal dass Jörg Hickl ein analoges Remisangebot auch von einigen anderen Spitzenbrettern angenommen hätte, z.B. van Wely oder Alekseev?

Da Sofia-Regeln (jedenfalls im Original) zu frühe Remisen generell verhindern wollen und nicht nur vor dem 30. Zug gibt es noch einen weiteren Fall: die Stellung ist kompliziert, beide Spieler sind in starker Zeitnot und wollen nichts (mehr) riskieren. Schade für die Zuschauer, vielleicht schade für einen der Beteiligten wenn sich hinterher rausstellt dass er klar besser stand - aber haben die (meistens nicht mal zahlenden) Zuschauer ein Recht darauf, bzw. freuen sie sich über anschliessende Patzerzüge?

Generell ist meine Meinung: die Möglichkeit remis anzubieten und zu akzeptieren ist doch nicht ohne Grund seit langem Teil der Schachregeln? Manche Stellungen haben keinerlei Gewinnpotential auch wenn noch viele Klötze auf dem Brett stehen ... . Und ob ein Spieler ein Endspiel mit (subjektiv) 10% Gewinnchancen voll durchziehen will ist, finde ich, auch seine Sache (das Recht hat er natürlich, aber nicht unbedingt die Pflicht).
Danailov kann in "seinen" Turnieren machen was er will, aber sollte seine Vision nicht anderen aufzwingen. Uebrigens ist er nicht Erfinder der Sofia-Regel, die gab es vorher schon in Korsika.

P.S.: Hier bin ich also Hickls Meinung, beim Schlussatz eher nicht. Z.B. Bedenkzeitverkürzung kommt vielen Amateuren vielleicht sogar entgegen - manche haben wohl keine Ziet oder Lust eine Partie zu spielen (oder live zu verfolgen) die länger als sechs Stunden dauert?
+1 #5 Scissors 2012-02-07 16:49
Ich denke, dass der Zuschauer bei dieser Frage viel zu oft und zu reflexartig als Argument angebracht wird. Zum einen ist es so, wie Jörg Hickl sagt: die überwiegende Mehrzahl der Zuschauer leistet ohnehin keinen finanziellen Beitrag, sondern konsumiert "für lau". Zum anderen hat man als Zuschauer in jeder Sportart mit dem Risiko zu leben, dass die Akteure nicht in Form sind, ihre Leistung nicht abrufen wollen, oder einfach nur wettkampf- oder mannschaftsorietiert auf ein bestimmtes Resultat spielen.
Im Übrigen bezweifle ich, dass der Spannungsgrad für den Zuschauer größer gewesen wäre, wenn Hübner und Hickl 27 Züge lang Theorie mit anschließender Zugwiederholung runtergespult hätten.
Allerdings muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass solche Aktionen - so regelkonform und nachvollziehbar sie auch sein mögen - dem momentan ja so hoch angesetzten Ziel "Steigerung der Medientauglichkeit des Schachs" ganz sicher nicht zuträglich sind.
+1 #6 Krennwurzn 2012-02-07 17:34
In aller Kürze:
Das schnelle Remis ist regelkonform, nachvollziehbar und vor allem grundehrlich, aber es ist und bleibt unprofessionell!!

Der finanzielle Beitrag der Zuseher ist nämlich jenes Geld an das die Sponsoren durch ihren Einsatz für das Schach heranzukommen hoffen.
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Nachtrag:
Natürlich ist jedem Schachspieler klar, dass schon die Eröffnungswahl ein Remisangebot darstellt, aber wie in anderen Feldern auch lebt der Konsument gerne von der Illusion dass das eben nicht so ist und will sogar getäuscht werden und ist sogar bereit diese Täuschung als professionelles Arbeitsethos (bzw. Teil der Show) zu akzeptieren!
(Siehe u.a die unzähligen "drehbuchgeschriebenen" Sendungen a la Herzblatt.)
#7 Woltmann 2012-02-08 07:28
Ich möchte meinen Beitrag losgelöst von dem vorliegenden Fall sehen. Ich glaube, daß die Namen Hickl und Hübner den Blick auf das Wesentliche versperren.
Hier sind Mannschaften zu einem sportlichen Wettkampf angetreten. Nur die Spitzenbretter verschliessen sich eines Grundprinzips im Sport: nach dem Sieg zu trachten. Die Möglichkeit des Remis haben sich die Urväter des Spiels sicher nicht für 5-Züger ausgedacht.
Ich habe zwei kleine Kinder. Wenn die mal wieder wegen einer Erkältung die Nacht zum Tage machen, muß ich mich sonntags auch manchmal sehr quälen, um am Brett Ehrgeiz zu entwickeln. Wäre ich Zuschauer, wäre mir der Kragen geplatzt (dies gilt um so mehr, wenn man sich gerade wegen der beiden Namen auf den Weg gemacht hat).
Jedem Zuschauer wären 30 Züge Theorie schieben lieber, als ein leeres Brett, das gilt wohl erst recht für Sponsoren. Bei einem der letzten Dortmund-Turniere kam es ausgerechnet auf einem Sonntag zu einer Runde mit ausschliesslich kurzen Remisen - was für ein Alptraum!
Ob privater Ausrichter oder nicht: solche Kurzremisen sind nicht gut für den Sport.
Auch die übrigen von Ihnen angesprochenen Regelungen sind im Kern ein Versuch, unsere Veranstaltungen professioneller zu machen. Das Handyverbot war nötig, weil es plötzlich Handys gab. Die Null-Karenz ist ausdiskutiert. Spannend würde ich jetzt eine Diskussion um einen vielleicht ins Haus stehenden Dresscode finden?!
+1 #8 Gausdal 2012-02-08 14:48
Mich persönlich ärgert die Aussage "Ist das Interesse weniger Zuschauer, von denen wohl weit mehr als 90% keinen finanziellen Beitrag leisten, höher einzuschätzen als das der Aktiven?" und ich finde sowohl die Aussage in Bezug auf die Remisdiskussion als auch die Tatsache, als Schachprofi kurzzügige Remisen zu spielen, unprofessionell.

Im konkreten Fall billige ich Herrn Dr. Hübner mildernde Umstände wegen seines Schlafmangels zu und finde auch die Annahme des Angebots akzeptabel, weil freundschafts- und mannschaftsdienlich.

Im allgemeinen sollten sich die Schachprofis aber bewusst sein, dass die Akzeptanz des Sports bei den Zuschauern leidet. Diejenigen, die kommen, um die Legende Hübner zu sehen, werden sich sicherlich geärgert haben. Wir alle wollen doch mehr Popularität - man stelle sich vor, es wäre ein Fernsehteeam gekommen, um einer breiten Öffentlichkeit von einer spannenden Partie zu berichten, und nach 5 Zügen ist es rum.

In meinem Bekanntenkreis werde ich immer mit großen Augen angesehen, wenn ich berichte, dass eine Schachpartie im Schnitt vier Stunden dauert, man aber auch nach fünf Minuten Remis vereinbaren kann. Aus diesen Augen ist dann auch zu lesen: "Wow, das ist aber ein anstrengender, spannender Sport."

Sorry Herr Hickl, aber denken Sie mal darüber nach, ob Sie nicht auch dem kurzfristig nichtzahlenden Zuschauer etwas bieten sollten, um mittelfristig die Popularität des Spiels zu steigern. Die Logik ist doch einfach - mehr Popularität, mehr Sponsoren, mehr Einnahmen, mehr Gelder für die Einkommen der Spieler und die Förderung des Schachsports.
+1 #9 Thomas Richter 2012-02-08 19:32
Lassen wir die Kirche doch im Dorf: So gross ist/war das Medieninteresse an einem Mannschaftskampf der Zweiten Bundesliga wohl ohnehin nicht - auch nicht wenn zwei Altmeister und ehemalige deutsche Spitzenspieler gegeneinander antreten. Wenn ja wenn ein Fernsehteam vor Ort gewesen wäre, dann wäre die Partie Hübner-Hickl wohl anders gelaufen - aber auch dann kann man von ihnen nicht unbedingt ein "Spektakel" verlangen, es ist ja ein Mannschafts- und kein Schaukampf.

Im konkreten Fall: wenn (frühe) Remisangebote verboten wären bzw. gegen einen Spieler der vermutlich ablehnt wäre Hübner vielleicht krankheitsbedingt gar nicht angetreten. Das (der Lieblingsspieler ist nicht dabei) kann übrigens auch tausenden(!) zahlenden(!) Zuschauern beim Fussball passieren.

Kurzremisen sind ärgerlich für die Zuschauer, aber zumindest bei offensichtlichen mildernden Umständen kein Drama oder Weltuntergang. Passiert den allerbesten, z.B. Aronian der sicher kein Remisschieber sondern zu Recht Publikumsliebling ist: Sein Kurzremis in Wijk aan Zee gegen Radjabov kann man ihm nun wirlich nicht übelnehmen - schliesslich hat er davor zwölf Runden lang alles gegeben. Und das Remis in Porto Carras gegen Naiditsch - nun das war (Mannschafts-)Taktik des Gegener wogegen auch er nichts ausrichten konnte.
+1 #10 Gerald Braunberger 2012-02-08 23:27
Zur Medientauglichkeit des Schachs:

Ich bin ja nun seit fast 25 Jahren Journalist bei der F.A.Z. - wenn auch Wirtschaftsjournalist; und ich schreibe dort nur alle paar Jahre mal über Schach (zuletzt über Aronian, den ich in Oberursel getroffen hatte.) Es gibt fraglos zahlreiche Gründe für die geringe Präsenz des Schachs in Publikumsmedien, die hier aufzuzählen nicht der richtige Platz ist.

Ein angebliches oder tatsächliches "Remisproblem" ist aber definitiv keiner dieser zahlreichen Gründe. Da arbeitet man sich, jedenfalls sofern es sich um Medienpräsenz handelt, am falschen Thema ab.

Nur eine kurze Anmerkung: Der Schaden, den diese unseligen öffentlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Nationalmannschaft vor und nach dem Gewinn der EM angerichtet haben, ist den Beteiligten sehr wahrscheinlich überhaupt nicht bewusst. (Wobei ich keine Schuldzuweisungen treffen will und kann.)

Gruß
gb.
#11 Gausdal 2012-02-09 15:14
Genau - es geht hauptsächlich um die professionelle Darstellung des Schachs in den Medien oder ggü. den Zuschauern. Ich finde, die Schachbundesliga ist hier mit ihrer Pflicht zur Liveübertragung und Ihrer hervorragenden Website schon sehr weit gekommen. Auch die Internetauftritte mancher einiger Spieler (Ohme, Gustafsson oder Ilja Schneider) finden großen Gefallen.
Es fehlt m.E. bei manchen Spielern - sicher nicht bei allen - noch an Professionalität ggü. der Öffentlichkeit. Mich hat z.B begeistert, wie ein Nigel Short oder ein Mickey Adams nach ihren Partien bei den herausragenden Übertragungen aus Gibraltar mit dem Moderator Simon Williams Schach einer breiten nichtzahlenden Öffentlichkeit präsentiert haben. Selbstmörderische Interviews wie das von Naiditsch oder Kritik, weil Zuschauer keinen finanziellen Beitrag leisten, finde ich dagegen kontraproduktiv.
-1 #12 Guido Montag 2012-02-09 17:07
Was für eine Diskussion immer um die sog. Kurzremisen.
Die Partie war einfach regelkonform.
Aber wegen dieser Möglichkeit (u.a.) ist Schach eben keine Sportart.
So wie Schach auch nicht Kunst oder Wissenschaft ist.
Diese Art von Diskussionen zeugen m.E. von einer Selbstüberschätzung der Bedeutung
oder Anerkennung des Schachspiels mancher Leute.
Schach ist nun mal nicht die elitäre Beschäftigung, für die es mancher gern halten würde.
So heiß es zwar regelmäßig: "Schachspielen fördert bei Kindern das ... " (... variiert von Untersuchung zu Untersuchung)
Dasselbe könnte man genauso "beweisen" für: "Die (einigermaßen sinnvolle) Freizeitbeschäftigung xy fördert bei Kindern das ..."
Deswegen ist eine Forderung wie Schach statt Mathe eben auch falsch und schädlich.

(A apropos: Deutschland hat gerade eine Handballkrise. Also, Handball statt Mathe, oder etwa sogar Handball statt Schach!)


Übrigens darf man ja jedes Remisangebot auch abgelehnen, sogar gegen R.H.
Wäre das jetzt unsportlich, weil er ja krank war? Oder ist es unsportlich, wenn jemand krank zum Wettkampf antritt.
(Natürlich hat R.H. erst hinterher angemerkt, dass er erkältet war.)

p.s. Bemerkenswert am Artikel fand ich aber die Bermerkung "gegen den für mich bedeutendsten deutschen Schachspieler aller Zeiten" !
Dies bedürfte wohl einer näheren Erklärung.
#13 Dirk Paulsen 2012-02-10 10:31
Möglicherweise wird vergessen, dass der Zuschauer genau deswegen nicht zum Zahlen bereit ist, weil er bereits weiß, was ihn erwartet.
Ich persönlich habe EIN EINZIGES MAL beschlossen, die Schlussrunde im Berliner Sommer zu besuchen. Es waren etliche Großmeister am Start und man hätte auf einige spannende, zugleich hochwertige Partien hoffen können. Als ich etwa eine Stunde nach Rundenbeginn im Turniersaal erschien, waren die ERSTEN 6 BRETTER bereits wieder aufgebaut. Mein Entschluss war für alle Zeiten gefasst (damals wurde Eintritt verlangt): das tue ich mir kein zweites Mal an. Man wusste ja aus Erfahrung auch ohnehin, dass die Preisgelder längst nach irgendeinem Schlüssel unter den jeweiligen Gegnern aufgeteilt waren. Also: mich persönlich hat man als Zuschauer AUFGRUND DIESER MÖGLICHKEIT verloren. Ob es anderen ähnlich geht?

Abgesehen davon: hier gab es vor kurzem die Diskussion "Abschaffung des Remis", bei welcher ich mich ausgesprochen PRO dieser Regel vernehmen ließ. Wieso nimmt darauf niemand Bezug? Es ist genau das, was man bei diesem Spiel bräuchte. Es gibt nicht so viel her, dass Spieler auf höchstem Niveau (wozu die beiden {noch immer und nicht Ex-, wie irgendwo zu lesen war} gehören) unter allen Umständen in einer einzigen Partie gezwungen werden können, Gewinnwege zu suchen, die es in vielen Stellungen nicht geben muss. Da könnte in einzelnen Partien sehr wohl der Remisschluss ein unvermeidlicher Partieausgang sein, nur in dem Wissen, dass es eh früher oder später eine Entscheidung geben würde, würde man vielleicht hier etwas herauszukitzeln versuchen, es wäre aber sogar gleichgültig, da es ja eine Folgepartie, mit (als eine Idee) abnehmender Bedenkzeit gäbe, in welcher es früher oder später zu einer Entscheidung käme. Es muss ja nicht in einem einzigen Schritt erfolgen, sondern man könnte testweise hier oder da mal ein Turnier ausschreiben mit dieser Bauart (bei Remis bis zur Entscheidung, jedoch nicht als knock-out Turnier).
#14 Gausdal 2012-02-10 12:00
Die Diskussion um die Abschaffung des Remis ist ja recht eindeutig ausgegangen. Nach dem Ergebnis zu behaupten, dies sei das, was das Spiel braucht, scheint mir dann doch verfehlt. Schach ist per se ein ausgeglichenes Spiel (wenn es auch mathematisch noch unmöglich ist, dies zu beweisen). Zudem können auch Remispartien sehr spannend sein, wenn Sie denn ausgekämpft sind.

Bei Remis mit verkürzter Bedenkzeit bis zur Entscheidung zu spielen (womöglich am Ende mit Armageddon) scheint mir ebenfalls am Thema vorbeizugehen. Es gab schon zahlreiche Versuche auch auf höchstem Niveau - dort haben es die Blitzspezialisten darauf angelegt, die Entscheidung in den Langpartien zu vermeiden und in den Blitzpartien zu suchen. Es kann nicht zielführend sein, einen Sieger im klassischen Schach ermitteln zu wollen und dann den besten Blitzspieler zum Gewinner zu machen.

Aus meiner Sicht erwartet der Zuschauer und die Sponsoren nur fairen Sport nach dem Motto "Wir wollen Euch kämpfen sehen". Übrigens auch in anderen Sportarten - ein Spiel wie Deutschland-Österreich bei der WM 82 will kein Fussballfan sehen, auch wenn es für beide Teams das Ideale Resultat war.
#15 Dirk Paulsen 2012-02-10 13:44
Die ablehnende Haltung gegenüber Neuerungen habe ich in letzter Zeit auch sehr häufig beobachten dürfen bei den Diskussionen um das Schach 960. Wieso nur meinte man, dass es, nur weil man die Ergebnisse des Status Quo in etwa kennt, unmöglich ist, mit Veränderungen auch in Richtung Verbesserungen schielen zu können?
Ich habe ein einziges Mal in einem Turnier mitgespielt, in welchem es kein Remis gab in dem Sinne, dass ein Sieger unter allen Umständen ausgespielt wurde. Nicht nur, weil ich das Turnier gewann habe ich es als eines der besten Turniere in Erinnerung, an welchen ich je teilnahm. Es war übrigens ein k.-o.-Turnier, also noch nicht einmal die Version, die hier letztendlich vorgeschlagen wird als EIN VERSUCH. Man schreibt es aus, als normales Turnier, vielleicht gar im Schweizer System, und schaut sich an, ob sich Teilnehmer finden (ein Wunder, wenn nicht), und wenn sich welche finden, schaut man, ob es bei ihnen ankommt. Wenn man einen weiteren Gradmesser sucht, dann befrage man gerne auch die Zuschauer -- sofern sich außer den Spielern welche einfinden. Was könnte an dieser Idee falsch sein? Kurios, kurios, wirklich, dieser geballte Widerstand gegen alles Neue!
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Weiterhin: ich habe es persönlich beschlossen, keine derartigen Veranstaltungen mehr zu besuchen. Die hunderte anderer interessanten Partien, die es gegeben haben mag, waren mir angesichts dieses Entschlusses der Spitzenspieler ausgesprochen wurscht. Wenn es dir, lieber Jörg, solch großen Spaß macht, dir Brett 85 anzuschauen, ob nun ein dir bisher unbekannter 1800er noch auf seine 50% -- und es in einer dramatischen, bis zur letzten Patrone ausgekämpften Partie, welche bedauerlicherweise jedoch die Preisverleihung um eine halbe Stunde nach hinten verschiebt, so werden wir uns wahrscheinlich bei dieser Art des Freizeitvergnügens nicht begegnen, aber ich wünsche dir entsprechend viel Vergnügen und sicher bist du den Veranstaltern längst als "der Dauerkiebitz" bekannt.
Kurzsichtig ist es überdies, die wenigen Cents, die zur Verteilung bereit stehen, völlig logisch unter den Topspielern aufzuteilen, da sie es so dringend nötig haben, jedoch nicht dabei zu berücksichtigen, dass eine steigende Attraktivität dafür sorgen soll, dass aus den wenigen allmählich, wenn sie mal groß sind, ganze Dollars werden. Angenommen nämlich, plötzlich wären die Veranstaltungen nicht von den wenigen, deiner idealen Geisteshaltung gleichen als Zuschauer anzutreffen, sondern eventuell auch solch bisher verblendete wie ich oder gar mein bisher sich dem Schach fern haltender Nachbar?
#16 Gausdal 2012-02-10 13:53
Den Versuch kann man sicherlich wagen, wer freiwillig teilnimmt, mag dies auch gern tun (ich wäre vielleicht auch dabei).
Es ist aber in meinen Augen ein großer Unterschied, ob man derartige Turniere alternativ als Lustfom anbietet oder die Remisregel abschafft.
#17 Dirk Paulsen 2012-02-10 14:36
Die Formulierung "wer freiwillig teilnimmt" hört sich ja beinahe so an, als ob man herauslesen könnte, dass ich irgendwo von einer "Teilnahmeverpflichtung" gesprochen haben könnte, gar die Absicht geäußert hätte, Spitzenspieler zu verknasten zum Spielen, auf Gedeih und Verderb?
Nein, es ist ein Vorschlag, mit einem alternativen Austragungsmodus eventuell für einen Zuspruch zu sorgen. Wie gesagt, einmal ausprobieren, möglich sowohl in einem Rundenturnier als auch in einem Schweizer System Turnier, und die Reaktionen der Teilnehmer und Zuschauer abwarten. Ich hatte einen Kommentar damals zur "Abschaffung des Remis" hinterlassen, in welchem ich nur erwähnte, dass man eventuell ganz andere Partieanlagen -- und dies betrifft sowohl Spitzenspieler als auch alle anderen -- wählen und antreffen würde, aus dem Grunde heraus, dass es so oder so kein Remis gäbe. Also: die Sofia Regel hat sicher auch dazu beigetragen, dass man als Zuschauer (vielleicht auch als Spieler) erleben konnte, dass selbst in früher als ausgeglichen erachteten Stellungen (ohne bei einem Remisschluss irgendeine Verwunderung auszulösen also) danach das Brett wieder entflammte und man selbst in späten Endspielsituationen überraschende Wenden erlebte. Die Spieler würden sicher genug erzählen können (dies eher die Topspieler), wenn sie an einem derartigen Turnier teilnähmen, was sie hier oder dort zum Ausschlagen des Remis (und damit Verschiebung der Entscheidung) und was sie andernfalls zum Einlenken ins Remis bewogen hat.
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Wie ebenfalls erwähnt, habe ich gerade unlängst etliche Diskussionen über das Schach960 geführt. Erstaunlich auch dabei, wie vehement sich auch mehr als durchschnittliche Spieler dagegen aussprachen (für diese gälte ja noch mehr, dass sie bei einem Verlassen der für sie halbwegs "vertrauten" Pfade keinerlei Schaden zu befürchten hätten (da sie sich nicht ansatzweise auf der "Suche nach der Wahrheit" befinden). Die Ablehnung ist jedoch ein sehr vertrautes Phänomen, in der Menschheitsgeschichte sehr weit zurück zu verfolgen, und es bedurfte etlicher Revolutionen, bis sich die eine oder andere durchsetzte -- ganz zu schweigen von jenen zahlreichen exzellenten, die überhaupt nie Einzug in die Praxis hielten.
#18 Dirk Paulsen 2012-02-10 14:43
Es gibt übrigens zwei recht triviale Gründe, warum die Ablehnung gegenüber neuem auf (noch mehr) Widerstand trifft. 1) Das war noch nie so (oder: das haben wir schon immer so gemacht), und, wenn der Vorschlag gut wäre, dann hätte man es längst so getan (sprich: die Idee KANN GAR NICHT gut sein).
2) Wenn es gut wäre, dann hätte ICH ja auch darauf kommen können (oder müssen). Also in gewisser Weise sagt jeder Ablehnende, dass er die Idee eigentlich selbst schon hatte, sie aber (aus guten Gründen) verworfen, wie er damit vorgibt. Die Gründe werden dann serienweise aus dem Hut gezaubert, obwohl zuvor noch nie erwogen, womit ein "aus den Fingern saugen" als Formulierung besser träfe.
3) Sobald man auf die Art -- meist recht zeitig -- VOR der Abwägung aller Pros and Cons eine Position bezogen hat, hält man an dieser fest, um nicht in die Gefahr zu geraten, als "wankelmütig", "unentschlossen", gar "verwirrt" dazustehen. Fortan wird die Diskussion oftmals alsbald sehr emotional, so die gemachte Erfahrung, weil selbstverständliche derartige Einschätzungen unter keinen Umständen zutreffen können -- auf den Ablehnenden -- und er mit noch mehr Vehemenz sein vorschnell gefälltes Urteil vertritt.
#19 frankenfritz 2012-02-18 12:22
Ich bin einer der möglichen Zuschauer. Kein Vereinsspieler, aber seit der Kindheit immer an Schach interessiert. Ich habe die Erwartung, dass bei einem Wettkampf in jeder Liga und egal ob es etwas kostet oder nicht ein Wettkampf stattfindet. Eine Partie Hübner vers. Hickl hätte für mich Reiz zu einem Bundesligakampf zu gehen oder sie im Internet zu verfolgen. Allerdings müsste sie dann auch stattfinden. Ein Kurzremis nach fünf Zügen ist dann eine große Enttäuschung. In jeder anderen Sportart oder ähnlichen Veranstaltung würde eine derartige Haltung katstrophale Kritiken auslösen. Ein Poetry-Slam in denen die Protagonisten gelangweilt alle einen Zweizeiler ablassen und dann gemeinsam Kaffee trinken, ein Fussballspiel, in dem sich die Spieler um alles Bemühen, aber nicht darum ein Tor zu schießen (Cordoba!), oder ein Boxkampf ohne Schlag. Danach wären Sportler, Manschaften oder Künstler erledigt oder müssten schnellstens nach einem großen mea culpa aktiv Wiedergutmachung betreiben. Kein Sportler oder Künstler tritt an oder auf, wenn er seine Leistung nicht erbringen kann und wird dann eben ersetzt. Als Zuschauer will ich eine ernsthaft geführte Partie sehen und keine ausgemachte Remisvariante und schon gar kein Kurzremis. Lieber Hübner gegen NN oder Hickl gegen NN als 5 Züge Hickl / Hübner und Remis. Schach nimmt sich mit seinen Kurzremisen ungaublich viel heraus und wird mit dieser Einstellung zu Recht da stehen bleiben, wo es jetzt ist. Und wenn die SchachspielerInnen nicht von selbst etwas für eigenes Ansehen und Aufmerksamkeit tun wollen, halte ich die Einführung der 30 Züge-Regel in den Ligen für angebracht und leider für nötig.

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