Perfektes Dilemma

Beim Lesen eines Threads über Fernschach im Forum Schachfeld ist die Krennwurzn per Zufall auf ein interessantes Problem gestoßen. Die letzte Partie der 25. Fernschachweltmeisterschaft, die 2009 begonnen wurde und im April 2013 beendet wurde, erregte das Interesse, weil das Remis rot hervorgehoben wurde. Dass dies nur bedeutet, dass es eben das letzte Resultat des Turniers ist, beachtete die Krennwurzn nicht wirklich und holte sich das PGN-File der Partie auf den Rechner.

Beim Durchklicken wurde mir schnell klar, dass das Endspiel mit seiner asymmetrischen Materialverteilung hochinteressant ist. Dann fiel mir auf, dass die Partie wohl durch die 50 Züge Regel im Remis geendet sein musste, da die Endstellung von Houdini als Gewinnstellung angegeben wurde und der letzte Ereigniszug genau 50 Züge entfernt war. Hochinteressant – schnarch – höre ich schon einige Leser fragen – was hat das mit Perfektion und Dilemma zu tun?

Da es sich bei der Schlussstellung um einen 6-Steiner handelt und diese ja schon lange perfekt gelöst sind, ist der erste Teil der Frage schnell erklärt: nach weiteren 55 Zügen ist Schwarz matt.

Wo liegt aber nun das Dilemma? Kann es in der Perfektion überhaupt ein Dilemma geben? Nun die Antwort darauf überlasse ich gerne den Philosophen und wende mich den schachlichen Aspekten zu. Endspieldatenbanken gibt es in mehreren Metriken – diese geben Aufschluss darüber, wie die Information über eine Stellung (1,0,=) gespeichert wird. Bei DTM (Depth to Mate) wird einfach die Entfernung zum Matt gespeichert, dabei wird jedoch die 50 Züge Regel nicht berücksichtigt. Die bekannten Namilov 6-Steiner und die weniger bekannten Lomonosov 7-Steiner sind nach mir vorliegenden Informationen in der DTM-Metrik erstellt worden. Das bedeutet wann immer eine Engine auf diese Daten zugreift, fällt die 50 Züge Regel durch den Rost und bis einen Zug vor Eintritt dieser glaubt man sich auf der Gewinnerstraße und erst mit dem 50. Zug greift dann die GUI (grafische Benutzeroberfläche) mit den gültigen Schachregeln ein und sagt: 50 Züge Regel REMIS.

Das Dilemma beginnt mit einer guten Nachricht: im 84. Zug hat Weiß den Bauern auf h7 mit Schach beseitigt und auch ohne Zugriff auf die kostenpflichtigen Lomonosov ist klar – Weiß gewinnt in 105 Zügen! Wenn – ja ... wenn binnen der nächsten 50 Züge entweder ein Turm geschlagen wird oder man auf die weitere Teilnahme des Springers verzichten kann – bei perfektem Spiel natürlich!

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Seit 1. April – das ist kein vorgezogener Scherz – 2013 gibt es nun die nicht nur sehr kompakten Syzygy-Tablebases sondern auch eine Lösung oder soll man besser sagen einen Beitrag zum Dilemma, weil diese nicht auf DTM zugreifen und diese gar nicht gespeichert haben, sondern auf DTZ (Depth to Zero). Das bedeutet der Zähler wird wieder auf Null gesetzt, wenn ein Ereigniszug (Bauernzug oder Schlagzug) gemacht wird bzw. wenn es Matt wird. Mit Houdini 4 auf der Deep Fritz 14 GUI sieht das nun wie folgt aus: das Dilemma wird zwar korrekt dargestellt, man könnte es aber auch leicht übersehen, denn es wird klar Gewinn signalisiert und wer nicht darauf achtet, dass 67 größer als 50 ist, könnte das drohende Remis glatt übersehen. Notwendig wäre hier eine Erweiterung der Stellungsbewertung von 1,0,= um sagen wir mal 2 – was bedeuten würde: die Stellung ist zwar gewonnen, aber nach 50 Züge Regel Remis.

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Gut höre ich Sie, lieber Leser sagen – das ist ja theoretisch ganz schön, interessiert ein paar Computerschachfreaks und die Fernschachspieler – aber das sind doch alles keine „richtigen“ Schachspieler mehr. Für die Masse ist das doch komplett egal und kommt wahrscheinlich auch nur ganz, ganz selten vor – also keine Spur von einem Dilemma – außer dass sich Freaks Probleme schaffen, die es ohne sie nicht gäbe!

Nun so einfach ist das nun auch wieder nicht! Die Syzygy Tablebases haben zusätzlich zur DTZ auch noch einen Teil in dem die Informationen in der WDL Metrik (win, draw, loss) unter Berücksichtigung der 50 Züge Regel abgespeichert sind und auf diese Informationen greift beispielsweise Houdini 4 auch in der Suche bereits zu und das hat sehr wohl Auswirkungen auf Stellungsbewertungen durch Engines. Gehen wir in der Ausgangsstellung einen Halbzug zurück:

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und schauen wir welche Auswirkung diese Information auf die Engines haben. Neben Houdini 4 habe ich hierzu Deep Fritz 14 genommen, da dieser keinen Zugriff auf die Syzygy implementiert hat und ich keine Nalimov mehr am Rechner habe. Damit ist DF14 zwar benachteiligt, eignet sich aber somit äußerst gut, um das Dilemma aufzuzeigen.

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DF14 ohne die 50 Züge Regel Informationen aus einer Datenbank kann natürlich diese komplexe Stellung (noch) nicht zu Ende rechnen und nimmt den Bauern auf h7 und erreicht damit zwar eine gewonnene Stellung, die aber wegen der 50 Züge Regel doch nur Remis ist.

Houdini 4 hingegen wird von der Datenbank mitgeteilt – Vorsicht Dxh7 ist Remis und wird daher ausgeschieden. Da aber möglicherweise die anderen Züge ebenfalls Gefahr laufen in die 50 Züge Regel hineinzulaufen, besteht die Gefahr eben solange wir die WDL Informationen der 7 Steiner nicht haben, dass auch Houdini trotz Warnung vor der „Remisfalle Dxh7“ ebenso wie Fritz in ein möglicherweise unvermeidliches Remis läuft.

Gut das betrifft nun wieder nur ausgewählte Endspiele höre ich als Einwand. Ja, das stimmt natürlich, da aber gerade der Zugriff auf Tablebaseinformationen bei Engineanalysen immer früher und früher erfolgt, kann es durchaus von praktischer bzw. theoretischer Relevanz sein, dass Varianten spielbar wären, weil sie zwar verloren sind, aber durch die 50 Züge Regel Remis enden.

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Hier in der aktuellen Partie Anand-Andreikin zeigt Houdini 4 beispielsweise bereits nach 10 Sekunden einen Tablebasezugriff an, Damit wird klar dass diese Informationen sicherlich nicht nur Mittelspielstellungen, sondern auch jetzt schon Eröffnungsstellungen beeinflussen können und somit sehr wohl von einem Dilemma gesprochen werden kann.

Das Hauptdilemma ist aber, dass der Mensch perfektes Spiel nie erreichen wird – und das wiederrum ist perfekt fürs Schach!

Krennwurzn

Anonymer aber dennoch vielen bekannter kritischer Schachösterreicher! Ironisch, sarkastisch und dennoch im Reallife ein netter Mensch - so lautet meine Selbstüberschätzung! Natürlich darf jeder wissen wer die Krennwurzn ist und man darf es auch weitererzählen, aber man sollte es nicht schreiben, denn die Krennwurzn hat so eine abkindliche Freude damit „anonym“ zu sein – lassen wir ihr doch bitte diese Illusion!

Motto: Erfreue Dich am Spiel, nicht an der Ratingzahl! Das Leben ist hart, aber ungerecht (raunzender Ösi)!
 

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