Nimzowitsch, move by move

Steve Giddins: „Nimzowitsch, move by move“, Everyman Chess 2014

Wohl ziemlich jedem Vereinsspieler sagt der Name Nimzowitsch was. Selbst die Jüngeren im Schachvolk sind häufig mit ihm konfrontiert, denn kaum ein anderer Meister hat so viele Eröffnungen und Systeme geprägt: allen voran die Nimzo-Indische-Verteidigung, die so ziemlich jeder Großmeister im Repertoire führt, die Nimzowitsch-Verteidigung 1.e4 Sc6!? sowie die Nimzowitsch-Larsen-Eröffnung 1.b3. Aber nicht nur in der Eröffnungstheorie hat der große Letten, der die letzten Jahre seines nicht allzulangen Lebens in Dänemark zubrachte, seine Spuren hinterlassen. Mindestens ebenso groß ist sein Beitrag zur Strategie im Mittelspiel, „Blockade“ ist da der zentrale Begriff.

Legendär sind seine Bücher „Mein System“ und „Die Praxis meines Systems“, mit dem er Generationen vom Lernenden maßgeblich beeinflusst hat – nicht immer zum guten Nutzen, wie heutzutage kritischer reflektiert wird. Ausführliche Biographien und Partiesammlungen über ihn sind vorhanden. So gibt es auf Deutsch ein ausgezeichnetes Werk über den späten Nimzowitsch von  Rudolf Reinhardt: Aaron Nimzowitsch 1928-1935.

Was bislang noch fehlte ist eine analytische Betrachtung seiner Partien, seiner Spielweise im Lichte der heutigen Möglichkeiten, sprich mit Rechenprogrammen unters Mikroskop genommen.

Diese Lücke schließt nun Nimzowitsch, move by move von Steve Giddins. Der englische FM, ein renommierter, erfahrener Schachautor, nähert sich dem Weltklassespieler der 20er und 30er im move-by-move-Format des Everyman-Verlages: Ganze Partien werden hierbei vorgestellt, der Autor spielt ein Frage-und Antwort-Spiel mit dem Leser. Auf diese Weise soll der Leser, insbesondere der Amateur, an den sich die Reihe richtet, miteinbezogen und zum Denken angeregt werden. Meines Erachtens gelingt es Giddins recht gut, die „richtigen“ Fragen zur rechten Zeit zu stellen, ist Nimzowitsch eines der besseren Bücher dieser Everyman-Reihe. Die Fragen helfen, das Wesentliche des Partiemomentes herauszustellen, ohne zu sehr abzuschweifen. Sie sind auch für die stärkeren Spieler durchaus hilfreich, das Buch liest sich fließend, geht nicht zu sehr ins Detail, vermittelt indes die entscheidenden Momente einer Partie, die „Knackpunkte“, sehr gut. Und es verschafft einen guten Zugang zum Denken eines der kreativsten Spieler der Schachhistorie, zeigt seine Eigentümlichkeiten, seine Stärken und Schwächen auf. Nimzowitschs Spiel war häufig sehr provokant, der Meister spielte auf Gewinn, ging dabei schon mal Risiken ein. Für den Mut, eigene Wege zu gehen, wurde er mit zahlreichen strategischen Meisterwerken belohnt. Besonders in Stellungen mit geschlossenem Zentrum, wie es im Franzosen und im Nimzoindischen oft der Fall ist, zeigte er seine überlegene Lavierkunst, sehr gern, das stellt auch Autor Giddins heraus, trifft man bei Nimzowitsch Partien an, in denen er seine Gegner regelrecht stranguliert.

Nimzowitsch – Haakanson, Kristianstad 1922

(nach 22. ...Da8)

nimzzeller

23.Tc7 Sf5 24.Sc3 Le7 25.Sxd5 Sxd4 26.Sxd4 exd5 27.Dxd7+! Ein Damenopfer verschafft der Partie einen eleganten Abschluss, 28.Se6 setzt matt. 1–0

Dieses Ende weist darauf hin, dass Nimzowitsch nicht zuletzt ein sehr starker Taktiker war. Es ist auch ein Verdienst Giddins, stets auf die Verkettung Strategie – Taktik hinzuweisen und aufzuzeigen, wie sich die Strategie Nimzowitschs durchsetzt: nämlich indem er in den wichtigen Varianten oft den Tick präziser rechnet als seine Widersacher. Schachpraktisch Relevantes nimmt der Leser so nebenbei mit: die Abhängigkeit der Stellungsbeurteilung von konkreten Faktoren, die Behandlung verschiedener Stellungstypen, insbesondere die bei Nimzowitsch so geschätzten „langsamen“ mit geschlossenem Zentrum.  

Diese Stellungstypen lassen sich immer noch schwer mit Computerhilfe beleuchten, vielleicht auch mit ein Grund, dass uns Giddins nicht mit Computervarianten überhäuft. So bleibt der Blick für wesentliche Zusammenhänge offen, die Analyse verliert sich nicht im Detail – und weiteren Autoren bleibt noch Arbeit übrig, denn im Buch kommen „nur“ rund 40 Nimzowitsch-Partien vor, darunter die ganz berühmte wie die Blockade-Partie gegen Johner, Dresden 1929, aber auch ein paar weniger bekannte. Das Lebenswerk Nimzowitschs bietet sicher noch mehr Material für weitere, tiefgründigere Analysen!

Insgesamt ein gelungenes Buch, das nicht nur Amateure oder schachhistorisch Interessierte anspricht, das leicht und unterhaltsam durchzuarbeiten ist, und durch dessen Lektüre einiges Wissenswertes und an Verständnis „hängen bleibt“. (IM Frank Zeller)

3,5 von 5 Sternen!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.  

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