Mit Verspätung: Das 6. Pfalz Open in Neustadt an der Weinstraße. Alles Klischee, oder was?

Der Spielsaal der A-Gruppe Der Spielsaal der A-Gruppe Dirk Hirse

Das Pfalz Open war mir bisher überhaupt noch nicht bekannt, als ich um Weihnachten herum ein Schachturnier für das Frühjahr suchte. Der außergewöhnliche Preisfond, die sich daraus beinahe zwangsläufig ergebende Ansammlung starker Spieler, die gute Teilung in 2 Gruppen und die besondere Nähe zu meinem Lieblingswinzer machten die Entscheidung, dort Mitte Februar 9 Runden gegen harte Konkurrenz zu spielen, relativ einfach. Während des Turniers kamen mir dann so viele Ideen für einen politisch unkorrekten Artikel zur Karnevalszeit, dass ich mir vornahm, einen Bericht zu schreiben. Meine Erfahrung mit dem unterschiedlichen Verständnis für Humor ließen mich dann mit der Umsetzung zögern. Daher hier die entschärfte Variante, die immer noch lustig sein und nicht beleidigen soll…

Viele Dinge bei diesem Turnier entsprachen so sehr dem Klischee von Schachturnieren, dass es mir schon beinahe unheimlich wurde.

1. Die Location: Das Turnier fand in einer Schule statt. Klischee. Die Spielräume hatten genug Licht und die Spieler genug Platz zum Sitzen, dafür waren die Gänge so eng, dass eine Feuerwehrprüfung bei Fluchtversuchen vermutlich zur Abwertung geführt hätte. Die Aula beherbergte den größten Teil der A-Gruppe (Bretter 1-82). Es gab auch einen Raum für Loser der A-Gruppe für die Bretter 83-97. Das wirkte motivationssteigernd und diskriminierend zugleich, wenngleich dort möglicherweise bessere Spielbedingungen herrschten als im Hauptraum. Die B-Gruppe spielte in einzelnen Klassenräumen. Irgendwie auch Klischee.

2. Das Personal: Den härtesten Job bei einem Schachturnier haben fast immer die ebenso bewunderns- wie bedauernswerten Menschen, die sich um die Aufrechterhaltung der Benutzbarkeit der Toiletten kümmern mussten. So auch hier. Mit Bravour gelöst, soweit Schultoiletten überhaupt ein angenehmes hygienisches Gefühl aufkommen lassen können. Respekt!

Womit wir auf eigenartigen Wegen bei den angebotenen Speisen und Getränken landen. Essen gut, Getränkeauswahl gut, Preise moderat, daher Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut! Nichts zu meckern.

Auch die Schiedsrichter waren immer auffindbar, nett und vor allem immer mit einer schnellen Lösung da! Inkonsequente Schiedsrichter sind so etwas wie ein Geschwür am Hintern eines guten Schachturniers. Die Herren hatten alles im Griff, waren freundlich und kümmerten sich um jedes Anliegen. Hier gäbe es höchstens optisch Verbesserungsmöglichkeiten, indem man statt der anwesenden Herren ein paar Cheerleaderinnen eingesetzt hätte. Aber ich bin selbst keine gutaussehende Cheerleaderin und kenne auch keine, die als Schiedsrichterin bei Schachturnieren brauchbar wäre. Vermutlich gibt es auch viele Schachfreunde, die einen derart sexistischen Wunsch schon aus Ablenkungsgesichtspunkten ablehnen würden, so dass ich diesen Punkt ironiefrei damit abschließe, dass alle, die mitgeholfen und organisiert haben, einen sehr guten Job gemacht und natürlich auch gut ausgesehen haben :-)

Allerdings kann ich mich nicht erinnern, jemals 4 Doppelrunden in 4 Tagen gespielt zu haben. Wer auf diesen Einfall kam, muss schon zu den härteren Vertretern unter den Schachfans gehören…

3. Die Spieler: Manche Schachspieler duschen zu selten während eines Turniers. Andere Spieler haben leider immer noch nicht verstanden, dass Stille zum guten Benehmen bei Schachturnieren gehört, dass man weder mit Tüten knistert, schon gar nicht, wenn der Gegner am Zug ist und dass man Kugelschreiberminen nicht nach jedem Zug rein- und rausschnipst. Reden im Turniersaal stört immer, auch wenn man nicht am eigenen Brett quatscht, sondern 5 Reihen weiter, wo man andere Spieler stört. Auch Klischee.

4. Originale: Auch hier war alles vertreten, was die Klischeekiste hergeben kann: Frank Schellmann hielt die Fahne der blinden Schachfreunde hoch (sympathischer Typ, dem man immer wieder bei Turnieren begegnet), ein Rollstuhlfahrer war auch dabei, Josip Gazic ist überregional nicht nur für seine Schachkünste bekannt, die osteuropäischen Schachfreunde mit Siegambitionen waren auch leicht an ihren Outfits erkennbar (keine Wertung!), mehrere anwesende Schachfreundinnen passten auch ins Bild weiblicher Schachspieler. Bemerkenswert ist allerdings, dass 2 Damen, Hanne Goossens und Anna Iwanow, sich mit ihren roten Haaren auf den ersten Blick so ähnlich sahen, dass man genauer hinschauen musste. DSC 9440 k

Nur auf den ersten Blick unscharf...

Erschütternd war für mich die Verwandlung von GM Alexandr Karpatchev, den ich vor 10 Jahren in Northeim flüchtig kennenlernen durfte: Ehemals der Inbegriff des großen russischen Bären mit Vollbart, imposanter Statur, tarnoliver Kleidung und wortkargem Auftritt, war er nun bartfrei und verlor dadurch seine klischee-mäßige Aura. Ergebnis: Er verlor wie Samson mit dem Bart auch so manche Partie. Die Niederlage gegen den Fünftklässler Vincent Keymer wurde nicht nur bei schachbund.de ausgewalzt und kann als ein sicheres Zeichen für den Niedergang des aktuellen Putin-russischen Imperialismus gedeutet werden. Ist vielleicht aber auch Wunschdenken, jetzt, wo meine ukrainischen Freunde ein Visum brauchen, wenn sie ihre Verwandten auf der Krim besuchen wollen. Hoffen wir, dass die Gewalt dort sich bald legt. Dies ist ausschließlich meine Meinung und spiegelt nicht die Meinung der für den Betrieb dieser Internetpräsenz verantwortlichen Personen wider. Genug Politik.

Wo wir bei Hoffnung sind: Bei diesem Turnier haben mehrere Schachfreunde eine Kippa getragen. Auch wenn es im westlichen Sozialumfeld unhöflich ist, in geschlossenen Räumen seine Kopfbedeckung nicht abzunehmen, so gehört die Kippa als Kopfbedeckung der Anhänger des jüdischen Glaubens auch innerhalb geschlossener Ortschaften Räume auf das Haupt des Trägers (man korrigiere mich bitte, sofern das falsch sein sollte). Gut so! Es ist überfällig, dass man dies wieder im Alltag in Deutschland sieht. Und dass man sich das auch wieder trauen kann, gibt mir wieder mehr Hoffnung auf ein entspanntes Zusammenleben in Zeiten, in denen Religion wieder als Vorwand für Gewalt mißbraucht wird. Hmm, das ist schon wieder Politik. Nun ist aber Schluß damit!

Beim Turnier spielte übrigens auch ein echter Patzer mit! Der Mann heißt „Patzer“, Jörg Patzer. Mit dem Namen muss man unter Schachspielern Einiges aushalten können, übertroffen höchstens noch von Schachfreund „Matt“, der mir auch schon begegnet ist. Als ich das Namensschild las, sind mir auf Anhieb zwei blöde Sprüche eingefallen. Als ich dann sah, dass seine DWZ und meine DWZ auf den Punkt genau identisch waren, blieb nur noch die selbstironische Version übrig, dass ich auch nur ein Patzer und nicht einen Hauch besser bin…

5. Das Umfeld: Im Februar ist Deutschland ohnehin von nur übersichtlicher Schönheit. Neustadt an der Weinstraße ist aber eine niedliche kleine Stadt, wo es gutes Essen und Übernachtungsmöglichkeiten für moderate Preise gibt. Neustadt ist zudem eine Weingegend. Wenn man lausig spielt, kann man sich wenigstens geschmeidig betrinken.

Fazit: Ein sehr gut organisiertes Turnier, wo man für gute Bedingungen weniger bezahlen muss als anderswo. Sehr empfehlenswert! Das nächste Pfalz Open ist für den 5.-9.2.2016 geplant.

Dennis Calder

Engagierter Schach-Spüler mit Hang zu salopper und ironischer Ausdrucksweise. Außerdem noch Fide-lizenzierter Trainer (Fide Instructor) und Buch-Rezensent.

Kommentare   

#1 easyrider 2015-03-17 16:54
Schön, die immer wiederkehrenden Klischees!

Was wären die Turniere ohne die verschiedensten Originale, ohne die teilnehmenden Frauen, die uns zeigen, dass wir Menschen und nicht nur Anhänger einer Außenseiter-Sportart sind?Was wäre Turnierschach ohne die kleinen Begeben- und Besonderheiten am Rande? "Nur" Schach spielen ist doch langweilig! Und je unbequemer die Stühle sind, umso leichter ist schlechtes Schach zu rechtfertigen. Auf zur Verbandsmeisterschaft in Großauheim, in einer Schule! ;-)

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