Markus Ragger im Gespräch mit der Krennwurzn

Markus Ragger die österreichische Nummer 1 erreichte in der FIDE-Eloliste erstmal Rang 50 - das ist die beste Platzierung eines Österreichers seit Bestehen der Elowertung. Allerdings konnte er die 2700 Schallmauer (noch) nicht durchbrechen, obwohl er mit 2699,7 in der persönlichen Livewertung schon ganz, ganz nahe war. Schon im Frühsommer verabredete die Krennwurzn in Erwartung der Überschreitung ein Interview, das aber aufgrund von beiderseitigen Terminschwierigkeiten erst in den ersten Tagen dieses Jahres durchgeführt werden konnte. Ich hoffe, Sie liebe Schachfreunde haben trotzdem etwas Zeit und Lust für dieses ausführliche Gespräch mitgebracht.

Krennwurzn:
Lassen wir gleich mal den Patriotismus mit der Krennwurzn komplett durchgehen - bist Du der stärkste österreichische Schachspieler aller Zeiten? Nach Elo erscheint mir das ganz klar und nach dem Krieg ist das wohl auch kein Thema - mir fiele nur Dein Kärntner Landsmann Karl Robatsch als möglicher Konkurrent ein. Aber vor dem Krieg hatten wir mit Wilhelm Steinitz auch einen Weltmeister - also habe ich Kenneth W. Regan von der Buffalo University gefragt und dessen Antwort fiel nach seinem Intrinsic Performance Rating ganz klar aus: Ragger mit 2700 ist stärker als Steinitz mit seinen 2500. Bei dieser Methode werden die "Skills" und die Qualität der Entscheidungen in den Partien stärker bewertet als die reinen Ergebnisse. 1964 hat aber Bobby Fischer Steinitz auf die Nummer 3 seiner Alltime Weltrangliste gesetzt. Aber verlassen wir die Theorie und hören Deine Meinung:

Ragger:
Schach hat sich derart weiterentwickelt, dass derartige Vergleiche nicht angebracht sind – zudem war Steinitz zur seiner Zeit die absolute Nummer 1 der Welt. Durch den Computer ist generell das Niveau im Schach unheimlich gestiegen. Bezüglich Robatsch muss man sagen, dass heutige Spieler mit dem Computer rund um die Uhr einen ultrastarken Trainingspartner zur Hand haben – es war in der Zeit von Robatsch ungleich schwieriger entsprechende Trainingspartner zu finden.

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Krennwurzn:
Gut kommen wir zum Thema Computer, Alexander Grischuk sagte mal er habe eine Workstation um die $ 6.000 und Magnus Carlsen soll eine Maschine um die $ 60.000 verwenden – wie sieht das bei Dir aus?

Ragger:
Ich habe auch zwei ganz gute Computer, die immer mal wieder erneuert werden, aber mir ist die letzte Leistungsfähigkeit nicht so wichtig, da es mir wichtiger erscheint, den Computer als Werkzeug zu verwenden, um Idee und Varianten zu prüfen und zu entwickeln. Die Arbeit mit dem Computer ist wichtiger als der Computer selbst.

Krennwurzn:
Hartnäckig hält sich bei vielen Schachfreunden das Märchen vom Talent, das ohne harte Arbeit zum Erfolg kommt und daher glauben viele Schachfreunde der Schachprofi lebt ein süßes Leben mit spät aufstehen und wenig arbeiten – wie sieht ein normaler realer Tag im Büro Ragger aus?

Ragger:
Nach dem Aufstehen in der Früh gibt es zuerst einmal Frühstück und dann beginnt die tägliche Schacharbeit – meist so um die 6-8 Stunden am Tag. Da bleibt wie bei anderen auch noch ein wenig Zeit für andere Aktivitäten – allerdings betreibe ich auch ein Grundlagenausdauerfitnessprogramm mit Laufen und Radfahren, um fit für Schach zu bleiben. Aber es gibt auch viel intensivere Trainingstage, wenn man beispielsweise mit anderen trainiert, dann besteht der Tag wirklich nur aus Schlafen, Essen und hartem Schachtraining, damit man die Zeit wirklich optimal nutzen kann.

Krennwurzn:
Bleibt da doch Zeit für Hobbies oder zählen Laufen und Radfahren schon zu diesen?

Ragger:
Naja so ein bisschen dazwischen, natürlich freut mich die Bewegung in der Natur, aber ich mache das Training drei bis viermal die Woche eben auch, weil es für mein Schach wichtig ist. Hobbies sind neben Schach auch viele andere Spiele, wie Kartenspiele, Backgammon, Brettspiele … eigentlich alle, die einen strategischen Hintergrund haben.

Krennwurzn:
Wie darf man sich so ein 6-8 Stunden Training vorstellen?

Ragger:
Die Arbeit mit Chessbase, analysieren mit Engines und schnelle Datenbanksuchen, bilden den Löwenanteil des täglichen Trainings. Weiters sind Videos, zum Beispiel von Chessbase, Chess24, aber auch youtube nützlich um einen ersten Überblick zubekommen oder einfach die Sichtweise eines starken Spielers zu einer Variante zu sehen. Aber auch klassische und moderne Schachbücher und damit das Denken am Brett sind ebenfalls ein fixer Bestandteil meines Trainings. Wobei ich bevorzugt mit von starken Spieler selbst kommentierten Partiensammlungen (Fischer meine 60 Denkwürdigen Partien) und aktuellen Eröffnungsbüchern trainiere.

Krennwurzn:
Gar kein Onlineblitz oder Zocken auf Servern?

Ragger:
Sehr selten! Bullet bringt meiner Meinung nach gar nichts. Blitz kann man schon spielen, aber man muss sich dann auch die Partien ansehen, um Lehren aus diesen ziehen zu können. Drei Stunden Blitz ohne Analyse bringen sehr wenig - ich denke das gilt für alle Schachspieler.

Krennwurzn:
Du wirst ja in Kürze 28 Jahre alt und hast nach der Matura ein Semester Mathematik studiert und könnest jetzt schon vielleicht mit einem Doktorrat abgeschlossen haben und daran möchte ich meine Frage anschließen: wieviel Elo hätte ein Dr. Ragger?

Ragger:
Das kann man schwer sagen, aber wenn man den doppelten Arbeitsaufwand in Betracht zieht, dann sollten es schon weniger sein, denn sonst hätte ich etwas falsch gemacht (lacht). Aber ich denke es ist wie überall, dass Spitzensport und gleichzeitige universitäre Ausbildung zeitlich nicht unter Hut zu bringen sind.

Krennwurzn:
Beginnend mit Fischer gibt es einige Spitzenschachprofis, die nicht weit über die Grundschulausbildung hinausgekommen sind – findest Du diesen Trend richtig?

Ragger:
Matura (das entspricht dem Abitur in Deutschland) sollte man schon noch machen, da diese dann später mit 25 oder älter, wenn es mit der Schachkarriere nicht geklappt haben sollte, doch sehr schwer nachzuholen ist. Förderlich für das Schach (und andere Randsportarten) in einem kleinen Land wie Österreich wäre es, wenn junge Spieler ähnlich wie bei den Schigymnasien ihre Schulausbildung besser auf den Trainings- und Wettkampfkalender anpassen könnten. Hier könnte das Schulsystem ohne hohe Zusatzkosten einfach vielen jungen Sportlern eine nicht unwesentliche Flexibilität ermöglichen.

Krennwurzn:
Aktuell sieht man in der Weltrangliste einen wahren „Jugendwahn“ und die Krennwurzn formulierte die radikale Forderung 2500 mit 15, 2600 mit 16 und dann ab 18 2700+. Muss man die Schulausbildung komplett für die Schachkarriere kippen?

Ragger:
Ich denke, dass die aktuelle Situation auch damit zusammen hängt, dass viele ältere Spieler den Umstieg ins Computerschachzeitalter nicht geschafft haben und daher haben wir so wenige ältere Spieler in der Weltspitze. Aber Anand und Kramnik, die Schach noch ohne Computer gelernt haben, zeigen, dass es durchaus möglich ist, mit den Jungen mitzuhalten. Ich erwarte mir in Zukunft wieder mehr Leute 40 und 50+ in der Weltspitze, wenn es diesen gelingt die Motivation hoch zu halten. Und auch die schon angesprochene körperliche Fitness könnte die Karrieren wieder verlängern – aber natürlich kann man das nicht mit Sicherheit sagen und wir müssen abwarten, wie sich die Dinge tatsächlich entwickeln. Aber ein Augenwink könnte schon Carlsen und sein Erscheinungsbild als junger sportlicher Weltmeister sein.

Krennwurzn:
Du bist jetzt Nummer 50 der Welt, was fehlt jetzt noch, um den Sprung in die absolute Weltspitze zu machen?

Ragger:
Das ist wieder schwer zu sagen, ich habe da schon ein paar Ideen, die ich noch versuchen möchte, aber die sage ich Dir vielleicht erst dann, wenn sie geklappt haben. Wichtig ist aber vor allem gegen die Allerstärksten spielen zu können, denn nur durch dieses Kräftemessen kann man selbst stärker werden. Wichtig für mich war da auch das Match gegen Shakhriyar Mamedyarov in Wien.

Krennwurzn:
Da muss ich als Computerfuzzi einwerfen, dass im CB Livebook die Neuerung 18. b4 in der ersten Partie bereits seit Februar 2015 mit Vorteil öffentlich zu sehen gewesen wäre.

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Für die Maschinenwelt war 18. b4 im August 2015 keine Neuerung mehr...

Ist das ein Fehler in der Vorbereitung oder doch ein ungerechter Vorwurf, weil ein Mensch ja nicht alles wissen kann?

Ragger:
Ich glaube nicht, dass Mamedyarov den Zug kannte – meiner Empfindung nach hat er ihn am Brett gefunden. So wie ich übrigens auch, aber leider erst als ich meinen Einleitungszug in diese Variante gemacht habe.

Krennwurzn:
Interessant – ich dachte mir, das ist meine Spezialität.

Ragger:
Nein, das kommt in allen Spielstärken vor und dürfte psychologische Hintergründe haben. Im konkreten Fall habe ich dann b4 gesehen und gedacht: oje der könnte interessant sein und habe dann weiter gerechnet und leider erkennen müssen: der ist richtig gefährlich!

Krennwurzn:
Aber solche Matches oder Spitzenturniere fehlen in Österreich, um die heimische Spitze weiter zu bringen?

Ragger:
Leider, aber man muss auch die wirtschaftlichen Realitäten anerkennen. Das Problem ist, dass es zurzeit nur einen Österreicher gibt, der bei solchen Turnieren mitspielen könnte und dass andere Länder eben ihren Spielern die Chance geben wollen, bei solchen Turnieren mitzumischen. Wünschenswert wäre es aber öfter gegen die absoluten Topleute spielen zu können, denn nur so kann man selber besser werden.

Krennwurzn:
Beim Thema Topleute fällt mir als Fan fällt mir ein Endspiel mit ungleicher Materialverteilung in der Bundesliga gegen den Weltmeister Anand ein, dass Du remis halten hättest können – ärgert so was einen Profi auch länger?

Ragger:
Eigentlich nicht, denn ich hatte eine sehr gute Partie und das Endspiel war zuerst ja nicht trivial und beide Seiten trafen nicht immer die besten Entscheidungen.

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Eine interessante Situation:
Schwarz kann hier die Dame gegen zwei Türme opfern
oder aber mit Dc2 zwei Türme für die eigene Dame geben!!

Ich hab jetzt nicht mehr alle Feinheiten im Kopf, aber es überwiegt die Freude über die Partie und die interessanten Momente. Auf meiner Homepage und bei youtube gibt es eine Videoanalyse dazu von mir.

Krennwurzn:
Stört es Dich, wenn die Krennwurzn nur aufgrund Computerhilfe sagt, Du hast dieses oder jenes verbockt?

Ragger:
Eigentlich nicht und es gehen ja einige Kommentatoren bei Spitzenturnieren dazu über ohne Computer zu analysieren, denn nur so kann man dem menschlichen Kampfverlauf besser folgen.

Krennwurzn:
Da bin ich anderer Meinung, denn dann versteh ich ganz ehrlich gesagt gar nichts! Für mich ist der Computer – noch das könnte sich in Zukunft bald ändern - eine Hilfe, um zu verstehen, wie es in der Partie steht.

Ragger:
Vielleicht wäre es aber doch besser zuerst einmal ein, zwei Minuten selbst nachzudenken und dann erst den Computer zu befragen, sonst besteht die Gefahr, dass Informationen über den Schwierigkeitsgrad der Stellung verloren gehen. Zeigt ein Computer +3 an, dann kann es den Fall geben, dass man dreimal hintereinander immer den einen Zug finden muss und gerade der 3. Zug der Schwierigste ist. Die Stellung ist sehr kompliziert und es ist ein schmaler Grat. Es gibt aber auch +3 Stellungen in denen fünf Züge die Bewertung halten und man kann von einer einfachen Gewinnstellung sprechen.

Krennwurzn:
Das Bild mit dem spitzen Grat und dem gemütlichen Weg auf der gemähten Wiese leuchtet mir ein.

Ragger:
Diese Information in welchem Gelände sich die Partie bewegt, kann bei zu starkem Blick auf den Computer verloren gehen, weil gewonnen ist gewonnen, aber dass es auf einem schönen Wanderweg sicherer ist als auf einem steilen Steig am Grat, das weiß man als Bergwanderer auch. Und in der Praxis gilt, dass die meisten tollen Opfer doch nicht funktionieren und daher von den Computer gar nicht aufgezeigt werden, obwohl der Mensch doch einen Blick darauf wirft, weil eben das Motiv in der Stellung erkennbar ist. Auch so was geht durch einen reinen Computerblick verloren und damit auch ein wenig Spannung für den Zuseher, die ja der Spieler am Brett ohne Computerunterstützung tatsächlich erlebt! Mit einem zu starken Blick auf Computerbewertungen geht der menschliche Kampfverlauf verloren – der Computer zeigt 0,00 und die Spannung ist weg, aber am Brett versucht beispielsweise Weiß seinen gefühlten Vorteil doch noch irgendwie umzusetzen. Außerdem ist der Computer mit einem gefundenen 0,00 Zug schon „zufrieden“ wobei der Mensch am Brett schon noch zwei, drei andere Züge im Auge hat von denen manche auch problembelastet sein könnten und schon ist die menschliche Sicht der Stellung nicht mehr so problemlos und easy!

Krennwurzn:
Wie bewertest Du Stellungen am Brett? Mit +3 oder so …

Ragger:
Nein in Zahlen gar nicht: angelehnt an die klassischen Informatorbewertungen mit gut, sehr gut und gewonnen – wobei die Übergänge sind da oft fließend.

Krennwurzn:
Wenn Du nach Deiner Einschätzung besser stehst, aber vielleicht doch nicht gewinnen kannst, weil es möglicherweise keinen Gewinnweg gibt, wann brichst Du ab und willigst ins Remis ein.

Ragger:
Wenn ich besser stehe, möchte ich gewinnen. Es besteht da eher die Gefahr, dass man die Stellung dann überreizt und noch verliert. Grundsätzlich sollte man bessere Stellungen weiterspielen, aber manchmal fürchtet man sich ein wenig und willigt ins Remis ein – mache ich aber nur wirklich ganz selten. Denn wenn man besser steht oder auch nur glaubt, sollte man weiterspielen, denn nur so kann man noch gewinnen!

Krennwurzn:
Wie sieht die Bewertung von schlechten oder Verluststellungen aus – wann gibst Du auf?

Ragger:
Das spielen von Verluststellungen ist natürlich schwierig, da man mit eigner Leistung nichts mehr erreichen kann, aber dennoch versuche ich so lange wie möglich Widerstand zu leisten und den Gegner vor Probleme zu stellen. Gibt man die Stellung innerlich zu früh auf, so wird man auch am Brett keine Chance mehr vorfinden, sie doch noch retten zu können.

Krennwurzn:
Du lebst schon länger in Graz in einer Partnerschaft mit einer starken Schachspielerin und daher kann ich Dir die Thematik Short und Frauenschach nicht ersparen - meine kurze Frage: warum spielen Frauen schlechter?

Ragger:
Stärker wird man nur im Spiel gegen stärkere Gegner und daher hemmen möglicherweise Frauen Grand Prix usw. die Weiterentwicklung der stärkeren Spielerinnen, weil es wirtschaftlich natürlich einträglicher ist diese Turniere zu spielen. Die Polgarschwestern und Hou Yifan zeigen, dass Frauen, die verstärkt in der allgemeinen Klasse spielen, durchaus das Potential haben, weiter zu kommen. Zudem spielen auch viel weniger Frauen Schach als Männer.

Krennwurzn:
Macht es Dir etwas aus gegen Frauen zu spielen oder sind Dir Gegner generell eher egal?

Ragger:
Mir ist es eher egal gegen wen ich spiele, aber ich spiele grundsätzlich lieber gegen stärkere Gegner. Aber gegen ein Duell gegen Hou Yifan hätte ich absolut nichts einzuwenden, da sie die momentan bekannteste aktive Frau im Schach ist, wenn auch wohl zur Zeit nicht die amtierende Weltmeisterin!

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Meldet sich ein Sponsor für ein Match gegen Ragger?

Krennwurzn:
Nummer 50 der Welt, aber die 2700 noch nicht geknackt. Ich frage auch, weil gerade in Aschach beim 24. Donauopen 2015 war ich – wie ich im Nachhinein erfahren habe - in der Situation, dass ich für einen Zug lang die Chance hatte, die 1900 zu knacken und mich dann schon ganz kurz geärgert habe, um dann die Willkürlichkeit dieser Grenze wieder zu erkennen und anzuerkennen. Wie stark ist das Ziel 2700+ für Dich?

Ragger:
2700 wären schon cool – und es wäre auch mal nett sich in der Liveratingliste zu etablieren. Aber schachliche Ziele sind mir dann doch noch wichtiger. Mir war im Oktober gegen Alexander Grischuk eine spannende Partie wichtiger, als irgendwie Remis abzuklammern und die 2700 zu erreichen, da ich vor der Partie 2699,7 hatte. Am Brett war ich dann von der spannenden Stellung gefesselt, aber als Ziel habe ich sie dennoch nicht aus den Augen verloren!

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Lieber in Zeitnot von Grischuk mit Sxd6 einen ganzen Turm opfern,
als mit Tc1 auf Remis klammern, um die 2700 vielleicht sicher zu stellen.

Krennwurzn:
Noch ein wenig höher die Eloleiter, was denkst Du über Carlsen. Was zeichnet ihn aus und wird er lange an der Schachspitze bleiben?

Ragger:
Das ist schwer zu sagen, denn statistisch betrachtet kann es durchaus möglich sein, dass Carlsen einmal einen WM Kampf verlieren könnte, auch wenn er immer als 60-70% Favorit ins Rennen gehen sollte. In der Weltrangliste hat er aber schon einen guten Vorsprung und es zeichnet ihn aus, dass er es auch in einfachen Stellungen immer wieder schafft, die Gegner vor schwer lösbare Probleme zu stellen. Oder auch die Partie gegen Nakamura in London, wo er mit dem Läufer studienartig die Springer dominiert hat. Ich finde, er bringt einfach öfter als andere solche ausgewöhnlichen Leistungen. Bei der Blitz WM in Dubai ergab sich die Möglichkeit sich mit ihm kurz zu unterhalten und ich muss sagen, dass er privat ein ganz netter Typ ist.


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Carlsen gegen Ragger – Schacholympiade Dresden 2008

Krennwurzn:
Und die Konkurrenten …

Ragger:
Extrem stark reicht nicht wie das Beispiel Hikaru Nakamura zeigt, der ein ungewöhnlich negatives Score gegen Carlsen hat, sodass ein Sieg gegen diesen in einem Match fast undenkbar schein. Man muss auch gegen diesen speziellen Spieler eben gut spielen – als Beispiel möchte ich Wladimir Kramnik nennen, der eben damals gerade gegen Garri Kasparov das richtige Momentum hatte, um diesen zu besiegen – in einem Turnier wären seine Karten schlechter gewesen. Ansih Giri, Fabiano Caruana und andere jüngere könnten Carlsen aber durchaus gefährlich werden.

Krennwurzn:
Ist die größte Änderung von Garri Kasparov zu Magnus Carlsen, dass heute nicht mehr so stark nach Eröffnungsvorteil gesucht wird, sondern spielbare Stellungen angestrebt werden.

Ragger:
Es ist heute unglaublich schwieriger Eröffnungsvorteil zu erreichen, es wird wichtiger in Stellungen zu kommen, die einem selbst besser liegen als dem Gegner, die leichter zu spielen sind, die den Gegner vor größere Probleme stellen, usw. Richtiger Eröffnungsvorteil wäre zwar schön, gibt es aber sehr selten.

Krennwurzn:
Was macht dann heute einen Spitzenspieler aus?

Ragger:
Es ist wohl eine Kombination von Schachverständnis, Nervenstärke, körperlicher Fitness und auch der Bereitschaft hart für den Erfolg zu arbeiten. Es gibt sicherlich unterhalb der Top 50 einige Schachspieler, die vom Schachverständnis in den Top 30 sein müssten, es aber aus diversen Gründen nicht schaffen.

Krennwurzn:
Ein anderes Thema erregt immer wieder die Schachwelt: Cheating und zwar das tatsächliche und das oftmals wohl auch zu Unrecht vorgeworfene wie bei der Frauen EM im Vorjahr?

Ragger:
Also ich persönlich war noch nie davon betroffen – weder als Betrogener als auch als Beschuldigter, kann daher dazu aus erster Hand nicht viel dazu sagen. Es ist ein Problem und die Turnierorganisatoren müssen sich diesem stellen, denn ich denke es ist zurzeit etwas zu leicht für die Betrüger. Ebenso stellen ungerechtfertigte Anschuldigungen wie gegen meinen Teamkollegen Kreisl bei der EM ebenso wie auch der Fall Sandu bei der Frauen EM ein großes Problem dar – ich denke, dass in beiden Fällen ein Blick auf die Partien eine eindeutige Antwort gibt und man auch über Maßnahmen gegen die Anschuldiger und zum Schutz ehrlicher Spieler nachdenken sollte.

Krennwurzn:
Denke ich auch, man könnte Anschuldigen auch als psychologische Waffe gegen Spieler einsetzen.

Ragger:
Ich befürchte nicht wirklich, dass jemand so weit gehen würde, aber ausschließen kann man das auch nicht!

Krennwurzn:
Kommen wir wieder ein wenig zu Dir und Deinen Zielen zurück. Das Leben als Schachprofi gilt ja als hart – Georg Meier hat einmal gesagt, er wüsste schon was ihm noch fehlt, um über die 2700 zu kommen, aber hat sich dann doch für ein Studium entschieden. Wie sehen Deine Pläne aus?

Ragger:
Überlegungen gibt es schon vielfältige, aber ich glaube ich werde schon beim Schach bleiben! Zurzeit habe ich noch große Freude am Spielen, aber ich kann mir auch vorstellen später einmal als Trainer oder Autor zu arbeiten. Die finanzielle Situation ist in Ordnung, auch wenn man nicht ganz genau auf den Stundenlohn blicken darf, aber das gilt wohl für viele, bei denen das Hobby auch der Beruf ist.

Krennwurzn:
Hast Du schon einmal als Sekundant für einen Topspieler gearbeitet oder ist das zu gefährlich, wenn man selbst an die Spitze möchte?

Ragger:
Habe ich noch nicht, ist aber sicherlich auch eine sehr interessante Option. Natürlich müssen dann beide die Karten offen legen, damit wie bei einer Trainingspartnerschaft auch, erfolgreiches Arbeiten möglich wird. Geheimhaltung von Eröffnungsvarianten hat durch die Computer und das Internet nicht mehr den Stellenwert, der ihm aus früheren Zeiten nachgesagt wird. Aber es gibt sicherlich noch einige Aspekte, die in so einer Arbeit immer noch geheim gehalten werden müssen.

Krennwurzn:
Noch ein kurzer Blick nach Österreich – warum haben wir hinter Dir so eine Lücke und wer könnte diese in fünf bis zehn Jahren auffüllen?

Ragger:
Wir sind erst seit 10 Jahren Sport und haben noch kürzer erst wirklich mit dem Team um GM Zoltan Ribli auch Strukturen für die Entwicklung von Spitzenschach. Schaut man sich die Leistungen bei Staatsmeisterschaften der letzten Jahre an, so haben viele 2600+ Leistungen gebracht, allerdings keine GM-Normen erzielen können, weil uns eben mindestens zwei, drei Großmeister fehlen. Aber ich blicke da optimistisch in die Zukunft – namentlich von den Jungen möchte ich alters- und elomäßig nur Valentin Dragnev und Florian Mesaros nennen, gebe aber zu mich nicht intensiv mit deren Partien beschäftigt zu haben. Aber ich glaube wir sind auf einem guten Weg.

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Krennwurzn:
Weil wir gerade beim Nachwuchs sind – wie schaut da die Planung bei Euch aus? Oder sind Kinder erst nach der Karriere ein Thema? Und dürften die dann auch Schachprofis werden?

Ragger:
Kinder sind auch während der Karriere durchaus ein Thema und wenn sie Spaß und Freude daran haben, gibt es keinen Einwand meinerseits gegen eine Schachprofikarriere!

Krennwurzn:
Danke für das Gespräch und die Zeit – Ich wünsche Dir 2700+ und Alles Gute und ein Fräulein Ragger mit 2800+ in 20 Jahren!

Anhang Partien des Artikel zum Nachspielen


Partien zum Download - kommentiert von Walter Kastner für die Homepage des ÖSB


Nachtrag 31. März 2016 -- Markus Ragger überschreitet in der Liveratingliste als erster Österreicher die 2700 Elogrenze!!

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Krennwurzn

Anonymer aber dennoch vielen bekannter kritischer Schachösterreicher! Ironisch, sarkastisch und dennoch im Reallife ein netter Mensch - so lautet meine Selbstüberschätzung! Natürlich darf jeder wissen wer die Krennwurzn ist und man darf es auch weitererzählen, aber man sollte es nicht schreiben, denn die Krennwurzn hat so eine abkindliche Freude damit „anonym“ zu sein – lassen wir ihr doch bitte diese Illusion!

Motto: Erfreue Dich am Spiel, nicht an der Ratingzahl! Das Leben ist hart, aber ungerecht (raunzender Ösi)!
 

Kommentare   

#1 Krennwurzn 2016-01-08 10:37
Anhang Partien des Artikel zum Nachspielen und zum Download mit Kommentaren von Walter Kastner für die ÖSB Homepage
#2 Losso 2016-01-08 15:08
Erich Eliskases und Carl Schlechter sind definitiv noch zu erwähnen. Von der historisch relativen Stärke spielen die beiden mE mit Steinitz in einer Liga und sind auch höher einzuschätzen als Robatsch.
#3 Thomas Richter 2016-01-09 10:12
Danke an beide für das ausführliche und interessante Interview! Ragger ist sicher nicht beleidigt, wenn ich ihn mit Vachier-Lagrave vergleiche. Der sagte zu mir in Wijk aan Zee: "acht Stunden Schach am Tag wie Caruana, das mache ich im Trainingslager - sonst nicht!". Auch MVL hatte Mathematik studiert, noch etwas länger (erster noch nicht berufsqualifizierender Abschluss) und bezeichnete das als Ausgleich zum Schach. Hmm, Mathematik als Ausgleich zum Schach - jedem das Seine!?
#4 Darth Frank 2016-01-09 17:05
Ich mache dagegen Schach als Ausgleich zu Mathematik. Im Gegensatz zu Schach kann man als mittelmäßiger Mathematiker ganz gut davon leben :-).
#5 Krennwurzn 2016-01-10 00:10
Ja Darth Frank - und ich sinniere mal, was die Nummer 50 der Mathematiker wohl für Jahreseinkommen haben wird ...
#6 Darth Frank 2016-01-10 18:23
Wahrscheinlich micht viel mehr als ich. Vermutlich arbeiten die Spitzenmathematiker als Professor an irgendeiner Uni oder wohnen noch zu Hause bei Mama wie Grigori Perelman, der für seinen Beweis der Poincare-Vermutung die ausgesetzte Belohnung von einer Million Dollar ausgeschlagen hat.
#7 Krennwurzn 2016-04-01 11:39
Am 31.3. 2016 hat Markus in der Liveratingliste http://www.2700chess.com/ mit einem Sieg gegen GM Thomas Luther erstmals die 2700 überschritten - damit ist er aktuell die Nummer 39 der Welt.
#8 Krennwurzn 2016-06-28 17:33
Eine sehr erfreuliche Nachricht für das Schachpaar Tina Kopinits und Markus Ragger:

Ihre Tochter Marlene Julia erblickte am 14. Juni 2016 um 10:40 Uhr das Licht dieser Welt. Herzlichen Glückwunsch!

Es könnte nun auch der Wunsch der Krennwurzn mit einem Fräulein Ragger und 2800+ in Erfüllung gehen - muss aber nicht!

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