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Hebbinghaus ringt mit den Meistern

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Die Leserpartie auf Schach-Welt.de

Was bislang geschah

Wir erinnern uns an den Januar 2011: das Wetter war damals schon genauso schlecht wie jetzt im August, und beim groten Holland-Quiz  räumt SF Holger Hebbinghaus aus Hamburg den grandiosen ersten Platz ab. Holgers Gewinn: er kann eine Partie einsenden, die wir dann hier in diesem schnuckeligen und vielfach beschimpften Blog veröffentlichen.

Was soll nun werden?

Spielschulden sind Ehrenschulden, und das gilt natürlich auch für die Redaktion dieses Blogs. Darum lösen wir heute unser Versprechen ein und und veröffentlichen die Partie Rogozenco – Hebbinghaus, auf dass sie weltweit bekannt werde. Danke, Holger, an dieser Stelle, dass Du etwas für uns herausgesucht hast, und dass Du so geduldig gewartet hast!

Wir sehen eine Begegnung der Internationalen Hamburger Meisterschaften aus dem Jahr 2003. Am Brett treffen sich der rumänische Großmeister Dorian Rogozenco, der damals und auch heute noch für den Hamburger SK um Punkte ringt, und dem FM Holger Hebbinghaus. Holger geht in diese Partie mit Schwarz und als Außenseiter – der GM hat eine ELO von 2519, sein ELO-Vorteil beträgt 250 Punkte. (Mehr ist ja beinahe gar nicht möglich!). Wir werden dabei sein, wenn der Großmeister den Druck langsam zu erhöhen versucht – ganz so, wie man das eben so kennt von Großmeistern. Doch SF Hebbinghaus hält aus und bekommt seine Chance.

Ich möchte allerdings sogleich einige Worte der Warnung sprechen: die Partie beginnt mit 1.c2-c4! Da ahnen wir schon, dass alles eher so langatmig und positionell werden wird. Sogar die Damen werden früh getauscht. Trotzdem aber lohnt das Nachspielen – versprochen!

rogozenco - hebbinghaus 2

          1.c2-c4    -    Was soll man da noch sagen?

Wer ist Schachfreund Hebbinghaus?

Holger ist FIDE-Meister und hat eine angenehme ELO und DWZ, die beide schon seit geraumer Zeit im erweiterten Bereich der 2200 pendeln.
Er spielte früher mal beim Hamburger SK und kämpft seit einigen Jahren für den SK Marmstorf GW Harburg um Punkte.
Nicht nur die Norddeutschen kennen und schätzen ihn schon seit langem für seine freundliche Art und sein furchtloses Spiel. Holger liebt es zu spielen, man sieht ihn viel auf Turnieren, so auch im Sommer am Millerntor beim St.Pauli-Open (das in diesem Jahr wiederum von Dorian Rogozenco gewonnen wurde!) Auch ich saß Holger schon einige Male in Turnierpartien gegenüber – es wurde bisher immer Remis, zumeist nach einigen Aufregungen und Verwicklungen.

holger hebbinghaus

               Holger auf dem Quickstep-Turnier in Wildeshausen 2009
 (Foto mit freundlicher Genehmigung von Dirk Rütemann und dem Turnierbüro)


Was dürfen wir von der Kommentierung erwarten?

Nichts.

(Falls der eine oder andere sich aber dennoch erbaut zurücklehnt und über eine spannende Partie freut, dann sind wir schon zufrieden.

Wer (zu Recht!) ein Freund tiefer und genauer Partieanalysen ist, wird diese Tiefe in den folgenden Anmerkungen leider nicht wiederfinden. Vielmehr habe ich mich auf eine gefühlte Analyse beschränkt – mehr war leider nicht drin!

Um ein Zeichen zu setzen in dieser von Computern durchtränkten Welt, wurde bei bei der Kommentierung auf den Einsatz von Fritzen, Mephisto 3, Rybka und Konsorten verzichtet. Auch Chessbase und das Handy von Christoph Natsidis kamen nicht zum Einsatz. Es kann daher sein, dass zahlreiche oder massive Fehler in den Kommentaren lauern – Vorsicht ist geboten, liebe Leser. Ich bitte um Nachsicht. Vielen Dank!)

*******


Der Worte sind genug gewechselt. Vorhang auf für ….

Dorian Rogozenco – Holger Hebbinghaus

Internationale Hamburger Meisterschaft 2003

rogozenco - hebbinghaus 1

Weiß am Zug

1.c4!?

Die Englische Eröffnung, Schrecken aller Schachspieler. Schwarz muss sich darauf einstellen, sechzig Züge lang gequält zu werden. Beliebt ist/ war diese Eröffnung ja vor allem auch in Bremen, wo Meister Carls mit seiner "Bremer Eröffnung" vor einiger Zeit für Furore sorgte.

1...e5

Holger stellt sofort einen Fuß ins Zentrum und führt eine leichte Asymmetrie herbei. Das kann ja so verkehrt eigentlich nicht sein!

rogozenco - hebbinghaus 3

2.g3 Sf6 3.Lg2 c6

Nach drei Zügen droht Holger schon damit, mit den Bauern auf d5 und e5 ein hübsches Zentrum aufzubauen. Rogozenco ist das nicht geheuer, und daher spielte er ...

4.d4 exd4 5.Dxd4 Sa6!

rogozenco - hebbinghaus 4

Sehr schön! (Randspringerzüge bekommen von mir immer ein Ausrufezeichen.) Wenn auch die schwarze Bauernstellung nun etwas anrüchig aussieht und der Bauer d7 formaljuristisch gesehen rückständig ist, ergeben sich zum Ausgleich dafür Möglichkeiten für Figurenspiel und Tempogewinn. Dynamisches Gleichgewicht also? 

6.Sf3 Lc5

Dynamisch, wie gesagt!

7.Dd1 0-0 8.Sc3 Te8

Stellt die Figuren erst einmal auf aktive Felder. Später wird Schwarz sich entscheiden, was er mit dem Bauern auf d7 anstellen will.

9.a3

Droht mit b2-b4 dem Läufer einen "Tritt" zu geben und dabei Raum zu gewinnen. Schwarz baut darum schnell um und bereitet das befreiende d7-d5 vor. Weiß verfolgt daraufhin den Plan mit b2-b4 nicht mehr weiter - wodurch sich 9.a2-a3 vielleicht als kleiner Tempoverlust erweist.

9...Sc7

rogozenco - hebbinghaus 5

Sieht irgendwie hübsch aus.

10.Lf4

Gegen d7-d5 gerichtet ....

10...d5

rogozenco - hebbinghaus 6

... das aber trotzdem gespielt wird! Wir fragen - wieso ist das möglich?

11.Lxc7 Dxc7 12.cxd5 cxd5 13.0-0

Warum nicht Sxd5? Der Bauerngewinn scheint Rogozenco nicht geheuer gewesen zu sein. Es ergibt sich dann eine Stellung, bei der Schwarz eine Menge Spiel bekommt - nichts also, worauf ein GM große Lust verspürt. Er hält darum lieber alles ruhig und versucht es mit kleinen positionellen Sticheleien. [13.Sxd5 Sxd5 14.Dxd5 Db6 15.e3 Le6 und Schwarz hat gutes Spiel für seinen Bauern. Als 15.Zug wäre alternativ auch Dxb2 möglich. Und auch 15...Lxe3 sieht gefährlich aus: 16.fxe3 Dxe3+ 17.Kf1 b6 18.b4 La6+ 19.b5 Tad8. (Alternativ zu 17.....b6 reicht  hier 17...De2+ 18.Kg1 De3+ mindestens schon für ein Remis.) ]

13...Lg4 14.Tc1

Wieder ist es nichts mit Sxd5, weil am Ende der Bauer e2 hängt. Vielleicht fragt man sich nun als Großmeister: wie gewinne ich diese Stellung bloß? Aber noch kann man viel versuchen, mit dem Bauern d5 gibt es ja auch etwas anzugreifen, und das auf lange Sicht. Erstmal aber wird die Stellung der einzelnen Figuren verbessert, und zunächst droht ganz plump (aber effektiv!) b2-b4 nebst Sxd5.

14...Dd7 15.Da4

rogozenco - hebbinghaus 7

Eine interessante Idee - die schwarzen Schwächen lassen sich ohne Damen besser massieren. Schwarz hält seine Stellung für sicher genug und willigt ein in den Tausch. [15.Sxd5? Lxf2+]

15...Tac8 16.Dxd7 Lxd7

Schon sind wir im damenlosen Mittelspiel - und der Bauer d5 macht dem Schwarzen nach wie vor leichte Sorgen. Darum erstmal: Fäuste hoch und alles gut abdecken. Und immerhin hat Schwarz das Läuferpaar - wer  weiß, wozu das nochmal gut sein kann.

17.e3

Blockiert den Isolani, um ihn danach in Ruhe zu belagern, frei nach Nimzowitsch. Alles läuft nach Plan für den Großmeister?

17...Kf8 18.Tfd1 Le6 19.Sd4 Ted8

rogozenco - hebbinghaus 8

Optimale Figurenaufstellung von Weiß, optimale Aufstellung auch bei Schwarz. Weiß hat aber Zeit und kann ein bisschen herumspielen, um den Verteidiger auf Abwege zu führen.

20.h3 h5

Verhindert g3-g4-g5, mit dem Weiß sonst immer mal den Verteidigungsspringer auf f6 anstupsen könnte.

21.Tc2 g6 22.Tcd2?

Weiß erhöht den Druck und lässt alle Figuren auf d5 wirken. Die Idee ist sehr gut, aber ... (leider gibt es oft ein "aber"!)

22...Lxa3!

rogozenco - hebbinghaus 9

Hellwach gespielt! Durch den Turmzug nach d2 ist der Springer c3 ungedeckt, und Holger wartet nicht lange damit, Unruhe im weißen Lager zu stiften.

23.Sxe6+ fxe6 24.Sxd5

Der Springer, der sonst vielleicht auf c3 genommen worden wäre, stürzt sich als "Kamikaze-Springer" ins Getümmel, um den Bauern zurückzugewinnen.

24...exd5 25.bxa3

Weiß hat den Bauern zurückgewonnen, und - Schwarz hat immer noch einen Isolani auf d5! Außerdem fühlt es sich unangenehm an, gegen den pulsierenden Läufer g2 spielen zu müssen. Alles wie gehabt also, mit nettem weißen Vorteil? Nein, denn hier ist Schwarz am Zug, und auf der offenen c-Linie kann Holger nun aktiv werden. Gegenspiel, immerhin!

25...Tc3

rogozenco - hebbinghaus 10

Wenn der Bauer a3 fällt, sehen die Bauern auf b7 und a7 gleich noch viel bedrohlicher aus!

26.e4

[26.Td3 Tdc8]

26...Txa3 27.e5!

Der GM tut alles, um das Spiel aktiv zu gestalten. Weniger gut wäre 27.exd5 Td6 mit fieser schwarzer Blockade.

27...Se8

Von hier kann der Springer gut das Blockadefeld e6 erreichen.

28.Lxd5

rogozenco - hebbinghaus 11

Ein Blick auf die Stellung: der Läufer dominiert in der Brettmitte. Die schwarzen Bauern a7 und b7 sind noch weit hinten und wirken noch nicht so bedrohlich. Holger klammert sich darum nicht an das Bauernpaar, sondern tauscht Bauern und Figuren, wo es nur geht.

28...h4!

[28...b5 29.Lc6 Txd2 30.Txd2 Ke7 (30...b4 31.Td8) 31.Lxb5]

29.Lxb7 Txd2 30.Txd2 hxg3 31.f4!

rogozenco - hebbinghaus 12

Das sieht doch nach was aus - der Freibauer auf e5 bekommt Unterstützung. Noch steht aber der Bauern g6 im Weg.

31...Sc7

Hier ist er wieder, der Springer, auf dem Weg zum aktiven Feld e6.

32.Lc8

Verhindert Se6 und baut eine kleine Falle auf, die Schwarz aber gekonnt umschifft.

32...Tc3

[32...a5 33.Td8+ Ke7 34.Td7+ Uah! So schnell kann das gehen.]

33.Kg2

[33.Ta2 Sd5]

33...a5

rogozenco - hebbinghaus 45

Alle schwarzen Figuren stehen schon irgendwie gut, also können nun wieder die Bauern laufen.

34.h4 a4 35.h5!

Wieder sehr dynamisch - Rogozenco opfert seinen Bauern auf h5, auf dass seine Kollegen freie Bahn bekommen. 

35...gxh5 36.f5 Se8

rogozenco - hebbinghaus 22

Der Springer rettet sich vor der Drohung  Td8+ und Td7+, so dass der schwarze Turm wieder Bewegungsfreiheit bekommt. Zugleich wird der Lc8 angegriffen. - Wir sehen eine dieser Stellungen, die in Mannschaftskämpfen zu den wildesten Spekulationen über den möglichen Ausgang führen können. In einer gefühlten Analyse würde man Weiß aufgrund der verbundenen Freibauern vielleicht den Vorzug geben. Andererseits hat Schwarz einen Bauern mehr und drei (!) Freibauern. Einfach ist das alles nicht. Schach ist ein kniffliges Spiel.

37.Td8 Ke7 38.Td7+ Kf8 39.Lb7

Auf dem Weg nach d5, wonach Tf7 ginge. Was tun?

39...Tc7

rogozenco - hebbinghaus 23

Da brennt nichts an! Nichts ist es nun mit Ld5 - die Türme sollen getauscht werden!

40.e6 a3 41.Ld5

Alles wieder unter Kontrolle?

41...a2!

rogozenco - hebbinghaus 33

Wickelt elegant ab und beseitigt weitere Gefahren. [Auch 41...Txd7 42.exd7 Ke7 43.dxe8D+ Kxe8 44.f6 h4 sollte Remis sein, weil Weiß nicht auf h4 zubeißen kann - es würde folgen g3-g2 und a3-a2, wonach Schwarz gewinnt.  45.Kh3 Kf8 46.Kxh4]

42.Lxa2

[42.Txc7?! a1D 43.Tf7+ Kg8 44.e7 Db2+ 45.Kxg3 De5+]

42...Tc2+ 43.Kxg3 Txa2 44.f6

rogozenco - hebbinghaus 34

Die weißen Bauern walzen sich nach vorne, und es drohen solche Sachen wie Td8 und f6-f7. Doch der Verteidiger bewahrt einen kühlen Kopf: Material zurückgeben und gut ist. Holger sichert sich das Unentschieden gegen den GM!

44...Te2 45.f7 Txe6 46.fxe8D+ Kxe8 47.Ta7

rogozenco - hebbinghaus 55

47.... Te7 48.Txe7+ Kxe7 49.Kh4 Kf6 50.Kxh5

rogozenco - hebbinghaus 44

Und hier einigten sich die beiden Spieler auf Remis - vielleicht etwas zu früh, und schade für die Zuschauer. Letztlich aber auch verständlich, denn es war ein langer Kampf!

½-½!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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