Großmeister in knapp zehn Tagen (2)

Schacholympiade Leipzig 1960 - überall Großmeister! Schacholympiade Leipzig 1960 - überall Großmeister! Bundesarchiv

Was bisher geschah: in Hamburg wurde ich vom zukünftigen Top-Ten-Mann Paul Doberitz vom Brett gefegt und begann mir daraufhin Gedanken zu machen über sinnvolles Training im Schach.
Danach war ich beim Travemünder Open und versenkte dort ein paar ELO-Punkte in der baltischen See.

Was bisher leider noch nicht geschah: irgendwelche sinnvollen Trainingsaktivitäten. Stattdessen Gedaddel auf einem Internet-Blitz-Account, Lösen von Kombinationen, und dann noch dies und das (Versuche mit 1.Sh3). Aber Training? Gezielt zudem? Leider Fehlanzeige. Woran liegt´s?

travemnde 1

 Regenbogen während eines Turniers sind mitunter gute Omen.
(Manchmal aber auch nicht.)

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Der internationale Turnierkalender hält die SchachspielerInnen in Atem. Auf der globalen Makroebene reihen sich Turniere in Moskau, London, Reggio Emilia und (ganz aktuell) Wijk aan Zee aneinander, und die modernen Supergroßmeister wälzen sich unruhig hin und her auf der Suche nach der nächsten heißen Neuerung, um im Turnieralltag bestehen zu können.

Auf der Mikroebene gibt es viele charmante Turniere für den gemeinen Turnierspieler, und wir alle würden gerne vielleicht noch an dem einen oder anderen Wettbewerb teilnehmen, wenn es nur die Zeit/ das Geld/ die Lust erlauben würden. Doch wie heißt es so schön: „Man kann nicht alles haben.“

tandemschach

Abwechslung vom harten Turnieralltag: Buchautor Thomas Schmid (Lübecker SV)

Allein in der norddeutschen Tiefebene zwischen Norderstapel, Nortorf und Nordenham boten sich in den vergangenen dreißig Tagen sinnenverwirrende Turniermöglichkeiten. Im Dezember stand erst das weihnachtliche Open in Travemünde auf dem Programm (bei dem dann aber ganz unweihnachtlich bis zur letzten Figur gekämpft wurde) und der Ani-Cup in Hamburg, im Januar folgten die niedersächsischen Landesmeisterschaften in Verden an der Aller sowie der aufregende Werder Bremen-Monatsblitz.
Und als wäre das alles noch immer nicht genug: wer will, kann in knapp zehn Tagen Großmeister live am Brett sehen - ganz in der Nähe Bremens. Genauer gesagt, schon ab morgen!
Jürgen Wempe, der ständig zwischen Bad Zwischenahn, den Alpen, Malta und dem Mond hin- und herreist, um Schachturniere zu organisieren, lockt ab dem Donnerstag für den Nord-West-Cup im oldenburgischen Bad Zwischenahn die nächsten zweihundert Spieler knapp unterhalb der Weltklasse herbei (avisiert ist auch FM Sven Wühlenmaus von Deep Chess und seine alte Truppe – welcome, folks, to Northern Europe!)
So hält Schach die Menschen in Atem – aber nur, wenn es bei ihnen sich Schachspieler handelt. Alle anderen Menschen bekommen von alledem nicht viel mit. Wir sind eben nur eine Randsportart, eine Parallelgesellschaft, ein Geheimbund, der im Verborgenen operiert. Höchstens erfreuen wir andere Menschen durch zusätzliche Mieteinnahmen bei den Fremdenzimmern, wenn mal wieder ein Open startet.

Doch auch wenn Dartspieler, Blondinen und Bundespräsidenten mehr Ruhm und mehr Ehre erheischen als die Vertreter des königlichen Spiels – wir hören nicht auf zu spielen, erstmal jedenfalls. Dafür macht es viel zu viel Spaß, am Brett zu knobeln, Kaffee zu trinken und auch mal zu gewinnen. Dennoch, der Preis ist hoch: denn immer wieder müssen wir auch mit dem Scheitern leben.

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Paul Doberitz – Olaf Steffens, Hamburger SK II - Werder Bremen II 2011

Der erste Teil dieses Artikels endete mit einem schachlichen Rätsel, welches in dem Diagramm noch einmal dargestellt ist. Man konnte wählen: war an dieser Stelle 18….Taxf8 der bessere Zug, oder doch das inspirierte 18….Sg4?


Lösung:

Holger Hebbinghaus hat es sofort gewusst - 18….Taxf8 wäre hier einfach und gut gewesen. Schwarz hat das Läuferpaar und kann sich auf den dunklen Feldern austoben. Für die Minus-Qualität ist das bestimmt ok.

Wie das ja manchmal so ist, entschied ich mich hier für den „raffinierten Zwischenzug” 18…Sg4. Paul war überrascht und schlug einfach mit 19.Lxg7 meinen Läufer, was wiederum mich überraschte. Ich hatte gedacht, das könnte er nicht tun, ohne danach zu leiden.
Mit dem tückischen 19….Lxf3 wollte ich nun die weiße Stellung verheeren und auf h2 ein Matt androhen. Die meisten weißen Antworten taugen nun nicht viel. Das relativ einfache 20.Lg7-e5! hatte ich zwar vorher schon gesehen, aber nicht gut berechnet. Nach 20…Df4-e3+ ist Weiß nun nicht zum Königszug nach h1 gezwungen (was ich ursprünglich dachte), sondern kann einfach 21.Tf1-f2 erwidern. Es kam noch 21.... Sxf2 22.Dxf2 und 1:0. Der kleine Trick 22....Dxe2 scheitert nun einfach an 23.Dxf3. Hätte ich das man bloß vorher gesehen! Grund genug für mich, an dieser Stelle sicherheitshalber aufzugeben.  

Die Moral: ohne Variantenrechnen ist es alles nichts beim Schach. Warum nur lernt man es nicht richtig?

Every player has heard the saying, “Chess is 99 percent tactics.“ It isn´t. It´s 99 percent calculation.

                                           (Andrew Soltis, The Inner Game of Chess)

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Nach verlorenen Schachpartien findet man oft Trost in der Natur.

Die wenigsten Partien werden schon in der Eröffnung gewonnen. Man kann das Eröffnungstraining vielleicht sogar gleich ganz lassen, oder 1.Sh3 spielen. Die meisten „Böcke“ schießt man doch eigentlich immer erst später, und verpatzt seine Partien durch schlechtes Vorausberechnen.
Oder aber man rechnet alles fein aus, scheitert dann aber daran, die entstehende Stellung richtig einzuschätzen. Schade. Berechnung und Beurteilung, beides muss stimmen. Das sollten wir üben – falls wir es noch nicht gut können. Und ich glaube, das meint auch Soltis in seinem Zitat.
Ich würde gerne besser rechnen, aber irgendwas geht dann doch immer schief, verdammte Axt. War früher alles besser? Vielleicht kommt das auch mit dem Alter – die Nerven, der Überblick, alles schwindet. Und die Jugend zieht vorbei, rechnet locker ein paar Varianten durch, macht schlaue Züge, und schon finde ich den Faden nicht mehr. (Doch Achtung, liebe Schachjugend: das muss nicht immer so sein!)

Doch wie bringt man sich das Rechnen (wieder) bei? Ich vermute, hilfreich ist das häufige Lösen von Aufgaben. Schnell ist eine Stellung aufgebaut, am besten auf einem Tisch, an dem man sowieso ständig vorbeiläuft. Als neugierige Menschen registrieren wir dann irgendwann die „Frage”, die uns die Position stellt, und irgendwann setzen wir uns vielleicht sogar ganz hin und denken ernsthaft und strukturiert nach.
Ist erstmal der Kontakt hergestellt, bleibt auch die Freude am Nachdenken kaum aus. Das leichte Strapazieren des Gehirns kann ja auch erfreuen!


Eine der großen Hürden des Trainings ist es, wirklich mit dem Trainieren anzufangen. Es gibt ja so viele Ablenkungen und Irrlichter. Früher war das einfacher – im dunklen Winter saß man vor der Heizung, und nur ein Schachbrett verkürzte die Zeit bis zum Frühlingsbeginn. Heute dagegen – Internet, Fernsehfilme, der natürlich der Beruf! In diesen modernen Zeiten lauern überall Ablenkungen, und abwaschen muss man auch noch manchmal.
Wie sagte Siegbert Tarrasch, der große Schachlehrer? „Der Schachspieler soll auf seinen Händen sitzen.“ Die Betonung liegt auf „sitzen“ – denn die Gefahr ist groß, dass der Schüler sonst sofort wieder davonläuft, um noch schnell durchs Internet zu surfen. Gefährlich!
Ein erster provisorischer Trainingsplan sollte daher so aussehen:

Trainingsplan:

a) Hinsetzen zum Training
b) Wirklich hinsetzen!
c) Sitzenbleiben, nicht gleich wieder weggehen
d) Aufgaben lösen, im Kopf rechnen üben (20 Minuten)
e) Pause/ Belohnung

ernhrung

Mit der richtigen Ernährung kommt oft auch der schachliche Erfolg


Die Null muss stehen, heißt es im Fußball. Beim Schach allerdings soll man mit diesem Leitspruch sehr, sehr vorsichtig sein. Ich zumindest konnte mit meinen letzten drei Nullen kaum jemanden in der Mannschaft erfreuen (auch wenn alle nett zu mir waren - ich durfte hinterher immer noch mit zum Essen).

Dennoch bleibt die Frage: wie bekommt man das hin mit den guten Zügen? Wie wird es besser mit dem eigenen Spiel? (Über all das habe ich leider schonmal nachgedacht – leider blieb der Erfolg bisher aus. Meh!, würde Jan Gustafsson sagen, doch der ist ja gerade auf Gibraltar.)

Diese Frage möchte ich weitergeben an die ehrenwerten Leser. Schach-Welt, der Blog für die ungenutzten Potentiale, fragt mal rum:

a) Falls Ihr trainiert: Wie trainiert Ihr so? Und seid Ihr damit zufrieden?

b) Falls Ihr nicht trainiert: Wieso trainiert Ihr nicht, und leidet Ihr darunter?

c) Wird man mit über 40 Jahren automatisch schlechter?

Danke schonmal für die Antworten. Wenn wir uns alle gut austauschen, dann klappt´s auch mit dem Großmeister!

bowie sichert sich den pokal 

 Auch viele Haustiere wissen den schachlichen Erfolg zu schätzen

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Max Bouaraba 2012-01-26 01:09
Man kann Deinen letzten Berichten entnehmen, dass Du Dir intensiv darüber Gedanken machst, wieso Du noch immer kein GM bist :) bzw. wieso anscheinend nicht nur das Haar ergraut. Um Dir ein wenig aus dieser Misere zu helfen, hier meine aufmunternden (?) Antworten:

zu a) es gibt natürliche viele Arten des Trainings. Um diese Frage überhaupt beantworten zu dürfen, muss ich also vorgeben, zu trainieren. Okay. Ich trainiere. Mittags 5 Minuten auf'm Klo leichte Kost wie Diagrammstudien irgendwelcher Schachbücher, die gerade so herum liegen. Generell reichlich und gut essen & trinken. Abends 2-3 mal die Woche Blitzen auf dem Fritz-Server. Das wars auch schon.

zu b) Mehr Training geht und möchte ich auch nicht. Ich muss damit zufrieden sein. Zum einen weil ich gemerkt habe, dass mit bald 46 das Langzeitgedächtnis einfach nicht mehr so funktionackelt und zum anderen, weil ich tatsächlich gemerkt habe, Schach ist eine schöne Sache, aber es gibt wirklich noch wichtigere Dinge im Leben. Das mit dem Leiden lieber Olaf ist so wie mit dem "Rauchen aufhören". Am Anfang tut's noch weh, aber nach 2 Wochen ist alles gut.

zu c) Sorry to say so - YES. Es ist jetzt glaube ich 2 Jahre her, da hatte ich ein 6.-monatiges Intensivtraining. Resultat: 30 bis 40 ELO plus. Habe danach ein paar Monate pausiert im Glauben, da geht noch was. Die Pause rächte sich mit dem Ergebnis 50-60 ELO minus. Tolle Wurst. Vielleicht ist das mit dem trainieren ja ganz ähnlich so wie beim Diäten: erst 10 Kilo abnehmen, dann 20 zunehmen. Ich lass es jetzt einfach ganz bevor es allzu peinlich wird.
#2 Haifisch 2012-01-26 11:39
zu a) je nach Möglichkeit löse ich Kombinationen und spiele Partien nach - so bleibe ich "am Ball" ("an der Dame", "am Pferd").
zu c) natürlich geht alles nicht mehr so schnell, am meist muss das ja auch gar nicht sein. Was soll dazu eigentlich Kortschnoj sagen?
#3 Incho 2012-01-26 13:10
zu a) mir meine eigenen Partien vom Compi erklären lassen, Schachzeitschriften mehr lesen als studieren, ab und an in der Vor- eher in der Nachbereitung mal eine Variante in uralten Büchern nachschlagen, lesen von Schachblogs, machmal Carlsen und Co. verfolgen, etwas häufiger blitzen auf schach.de - aber ob man das alles Training nennen kann?
zu b) wenn der "Leidensdruck" riesengroß wäre, würde ich es ändern - stören tut es vor allem am Brett, wenn ich mal wieder keine Ahnung von der Eröffnung habem, die da gerade mit mir gespielt wird, oder denke: "Ja, man müsste mal Endspieltraining machen" - und dann wie gewohnt komische Turmzüge folgen lasse.
zu c) es hilft, wenn man erstens mal zehn Jahre Pause gemacht hat und zweitens sich nie dazu aufraffen konnte, ernsthaft für Schach was zu tun, dann bleibt denke ich so ziemlich lebenslang immer Luft nach oben und das mit dem Altern fällt nicht so auf :-)
#4 Gerhard 2012-01-26 14:48
a) Vor ein paar Jahren "trainierte" ich noch und zwar aus reiner Lust Stellungen mit ungleichem Materialverhältnis, die in Spitzenpartien auftauchten.

b)Ich spiele nicht mehr Mannschaftsschach.

c) Mit über 40 Jahren wird man nicht automatisch schlechter.

Wenn Du, Olaf, unzufrieden bist, schliesse Dich doch mit einem Gleichgesinnten zusammen und verabrede ein regelmässiges Training. Das wäre zumindest EIN Weg aus der Flaute.
#5 Olaf Steffens 2012-01-27 11:57
Moinmoin,

herzlichen Dank für die vielen Rückmeldungen!

Die Palette ist groß, da sind noch Wege offen für sinnvolles Training. Mir lag sonst immer die Methode, die Max beschrieb, sehr nahe (= im Badezimmer), aber sie stößt dann doch an ihre Grenzen!

Ich glaube auch nicht daran, dass wir automatisch schlechter werden ab 40. Gehört habe ich es wohl schon so manches Mal, und es wäre auch plausibel.
Dennoch bleibt immer der Spaß daran, sich zu treffen und gemeinsam Schach zu analysieren - das alleine macht ja schon Freude. Und wenn es dann noch zu besseren Partien führt am Brett, umso besser!

Also, schau´n wir mal. Danke nochmal für die Tips!
#6 Schachmanski 2012-01-28 23:02
Moin Olaf,
hiermit komme ich Deiner Aufforderung vom Donnerstag in Zwischenahn nach einem Kommentar zu Deinen tollen Beiträgen hier nach, hab mich extra registriert! ;-)

Das Thema hier passt auch sehr gut für mich, denn ich habe im Schach auf meinem niedrigen Niveau noch (realistische) Ziele, nämlich Verbesserung meiner DWZ um 200 Punkte, und das mit 46 ;-) Hab mich bis jetzt auf meine Tischtennis "Karriere" konzentriert und Schach nur "nebenbei" gespielt, wobei ich schon mal ab und zu ernsthafter trainiert habe, übrigens mit Ralf W. , gegen den Du gestern Remis gespielt hast, er hatte übrigens auch mal knapp 2200, also weiss er wie es geht! :-)
Ich habe vor, mich erstmal auf Kombi- und Endspiel Training zu konzentrieren, wobei meine Eröffnungen natürlich auch nicht besonders sicher sind..... aber man kann ja kaum alles gleichzeitig machen.
Ich bin ein ehrgeiziger Typ und liebe das Spiel wirklich, mal sehen ob ich mein Ziel erreiche ;-)
Olaf, mach bitte weiter so mit Deinen geist- und gehaltvollen Beiträgen hier, macht echt Spass sie zu lesen!
LG, Frank

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